„Im Elterntraining kann ich ungünstige Verhaltensmuster aufdecken“
Klaus Weißenberger hat seit 2003 eine eigene Ergotherapiepraxis in Bad Mergentheim, wo er insbesondere auch mit Kindern und Familien arbeitet. Er beantwortete die Fragen von Nadja Fischer.
GSCHWÄTZ: Wie viele Ihrer Kinder, die Sie behandeln, haben ein Aufmerksamkeitsproblem?
Weißenberger: Ich arbeite überwiegend mit Familien, deren Kinder Aufmerksamkeitsprobleme haben, oft als Symptom einer Bindungs- und Beziehungsproblematik.
GSCHWÄTZ: Betrifft das eher Jungen oder Mädchen?
Weißenberger: Es sind überwiegend Familien mit Jungen angemeldet.
„In der schulischen Laufbahn kommen erste Konsequenzen in Form von schlechten Noten“
GSCHWÄTZ: Wie zeigen sich bei Kindern Aufmerksamkeitsprobleme?
Weißenberger: Rasches und flüchtiges Arbeiten. In der Kommunikation kurz angebunden oder Redefluss. Inadäquate Kommunikation, die Kinder wechseln die Themen. Unruhiges Verhalten, Bewegungsdrang. Widerständiges, oppositionelles Verhalten. Soziale Unsicherheit, Angst.
GSCHWÄTZ: Welche Konsequenzen hat dieses Verhalten in der schulischen Laufbahn?
Weißenberger: In der schulischen Laufbahn kommen die ersten Konsequenzen in Form von schlechten Noten. Oppositionelles Verhalten hat auch Entzug von Wärme und Nähe des/der Lehrer/in gegenüber dem Schüler/in zur Folge. Die fehlende Automatisierung von zum Beispiel Einmaleins und Leseverständnis hat zur Folge, dass darauf aufbauende Anforderungen wie Textaufgaben nicht gelöst werden können.
GSCHWÄTZ: Inwieweit fördert das soziale Umfeld, im speziellen das familiäre Alltagsleben, unruhige Kinderseelen?
Weißenberger: Innerhalb der Familie geschieht die bestmögliche Förderung für Beziehung und Bindung des Kindes. Gibt es dahingehend Probleme beim Kind, so können Eltern diese unbewusst verstärken.
„Im Elterntraining kann ich ungünstige Verhaltensmuster aufdecken“
GSCHWÄTZ: Sie arbeiten sehr stark verhaltenstherapeutisch. Das heißt, das Verhalten aller Familienbeteiligten wird mittels Videoanalyse von Ihnen evaluiert und dementsprechend verbessert.
Weißenberger: Ja, ich arbeite zu 50 Prozent mit den Eltern im Beisein des/der Kindes/Kinder. Im Elterntraining kann ich ungünstige Verhaltensmuster aufdecken und mit den Eltern passende Reaktionen einüben. Es wird der Transfer in den Alltag besprochen.
GSCHWÄTZ: Was sind typische familiäre Muster, die aus unruhigen Kindern noch unruhigere Kinder machen? Sie nennen unter anderem kein strukturierter Alltag, keine klaren Regeln, direkter Blickkontakt fehlt bei der Kommunikation.
Weißenberger: Ihre Vorschläge sind gut und bewusst. Ich mache den Eltern unbewusste Signalgebung bewusst. Bis zu 99 Prozent unserer Signalgebung ist hochautomatisiert und somit unbewusst (Gestik, Mimik, Bewegung, Stimme und vieles mehr). Sind diese Signale als elterliche Reaktion zeitnah (Sekundenfenster) zum Verhalten des Kindes, so sind sie stark steuernd. Sind diese zeitnahen Signale unpassend, so wird das ungünstige Verhalten des Kindes verstärkt.
„Es gibt Ratgeber mit konträrem Inhalt, hier wird die Unsicherheit der Eltern gefördert.“
GSCHWÄTZ: Wie kann man als Eltern seinen Teil leisten, dass Kinder im Alltag ruhiger werden?
Weißenberger: Für die Aufdeckung von verstärkenden Signalen benötige ich die Anwesenheit der Familie. Eltern können eben Besprochenes in der Lernsituation erfolgreich anwenden und sich umstellen. Es gibt zahlreiche Literatur mit richtigen Ratschlägen, die Umsetzung ohne Moderation bleibt für die Eltern schwierig. Zudem gibt es Ratgeber mit konträrem Inhalt, hier wird die Unsicherheit der Eltern gefördert. In meinem Vortrag zum Thema Konzentration mache ich zur besprochenen Theorie Rollenspiele mit meinem Kollegen. Hier kann das Publikum die Zusammenhänge zwischen unbewussten Signalen und deren Auswirkung besser verstehen.
GSCHWÄTZ: Sie arbeiten auch mit einem Punktesystem (positive / negative Konsequenzen) sowie mit einem fünf- beziehungsweise zehnstufigen Modell. Können Sie dies näher erklären?
Weißenberger: Ja. Eltern und Kinder können sich in der Therapie nicht sofort zu 100 Prozent auf neue Lerninhalte (Verhaltensweisen) umstellen. Hier benötigen sie Hilfsmittel in Form von Wochenplänen und Zielleisten. Es werden einige wenige Schwerpunkte gesetzt und eine Überforderung somit vermieden.
„Bei richtiger Dosierung verringert sich zum Beispiel die Unruhe.“
GSCHWÄTZ: Inwieweit kann Ritalin oder können andere Medikamente Kindern mit ADHS helfen?
Weißenberger: Methylphenidat ist einer der besterforschtesten Wirkstoffe. Er wird schon über Jahrzehnte teilweise mit Erfolg bei ADHS eingesetzt. Für eine sichere Diagnostik beinhaltet die Anamnese des Arztes Kinder/Jugendpsychiatrie auch eine Beobachtung von Lehrer/in. Bei richtiger Dosierung verringert sich zum Beispiel die Unruhe, die Aufmerksamkeit des Kindes kann sich stabilisieren. Optimal ist eine medikamentöse Einstellung bei gleichzeitigem Elterntraining. Hier kann es auch zu einer Verbesserung der Frustrationstoleranz, Konfliktbewältigung und der emotionalen Reife insgesamt kommen.
GSCHWÄTZ: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Die Fragen wurden Herrn Weißenberger schriftlich eingereicht.
Mitarbeit: Nadja Fischer