1

Anstieg der Straftaten um satte 26,6 Prozent, immer häufiger auch Gewalt gegen Polizisten

„Die Kriminalitätsbilanz des Polizeipräsidiums Heilbronn für das Jahr 2023 ist vielschichtig und herausfordernd, gleichwohl lebt es sich in unserem Zuständigkeitsbereich sicher. Garant dafür ist die gute Arbeit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, ordnet Polizeipräsident Frank Spitzmüller die Polizeiliche Kriminalstatistik 2023 für das Polizeipräsidium Heilbronn ein.

In jedem Bereich starke Anstiege

„Wir konstatieren steigende Fallzahlen in fast allen Deliktsbereichen. Bemerkenswert ist aber auch unsere hervorragende Aufklärungsquote sowie eine Kriminalitätsbelastungszahl, die unter der landesweiten liegt“, resümiert der Leiter des Polizeipräsidiums Heilbronn weiter. Die Anzahl der Gesamtstraftaten ist gestiegen. Insgesamt 39.987 registrierte Straftaten bedeuten einen Anstieg um 26,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (31.584). Mit dieser Steigerung liegt das Polizeipräsidium Heilbronn über dem Landestrend (+8,1%). Der Zuwachs von 8.403 Fällen setzt sich insbesondere aus gestiegenen Fallzahlen in den Bereichen der Rohheitsdelikte (+2.026; +39,9%), Diebstahlsdelikte (+2.354; +27,6%), Vermögens- und Fälschungsdelikte (+2.639; +44,5%) und Rauschgiftdelikte (+ 394; +16 %) zusammen.

Höhere Aufklärungsquote

In diesen vier Bereichen, die fast 90 Prozent der Zunahme (7.413 Fälle) ausmachen, konnte die Aufklärungsquote gesteigert werden. Bei detaillierter Betrachtung ausgewählter Straftaten fallen deutliche Steigerungen bei den Körperverletzungen (+1.408; +41,6%) im Bereich der Rohheitsdelikte, ein deutlicher Anstieg der Ladendiebstähle (+842; +37,8%) bei den Diebstahlsdelikten und signifikante Zunahmen von Betrugsstraftaten (+2.376; +56,7%) bei den Vermögens- und Fälschungsdelikten auf. Korrespondierend zum Anstieg der Gesamtzahl stieg die Häufigkeitszahl, also die Anzahl der Straftaten bezogen auf 100.000 Einwohner, ebenfalls an (4.560). Damit liegt sie dennoch deutlich unter dem Landeswert (5.272).

40 Prozent aller Straftaten fanden im öffentlichen Raum statt

Über dem landesweiten Durchschnitt liegt die Aufklärungsquote. Nach einem Fünfjahrestief im Jahr 2022 konnte diese um 5,1 Prozentpunkte auf 65,4 Prozent gesteigert werden, was den zweithöchsten Wert seit Bestehen des Polizeipräsidiums Heilbronn bedeutet. An dieser Stelle erwähnenswert sind die hohen Aufklärungsquoten bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (90,2%) sowie bei den Rohheitsdelikten (92,5%). „Auch im Bereich der Diebstahls- (43,8%), Vermögens- und Fälschungsdelikte (62,5%) sind wir besser geworden und haben mehr Taten aufgeklärt. Das ist ein Beleg dafür, dass meine Kolleginnen und Kollegen im gesamten Präsidiumsbereich trotz insgesamt höherer Fallzahlen und der damit einhergehenden Mehrbelastung sehr engagiert arbeiten.“, erläutert Polizeipräsident Frank Spitzmüller. Im Vergleich der regionalen Polizeipräsidien liegt das Polizeipräsidium Heilbronn auf dem vierten Platz. Der Stadtkreis Heilbronn hat mit 67,5 Prozent die zweithöchste Aufklärungsquote im Vergleich der Stadtkreise im Land, der Neckar-Odenwald-Kreis liegt mit 70,9 Prozent auf dem vierten Platz in der Gegenüberstellung der Landkreise. Zum Polizeipräsidium Heilbronn gehören die Großstadt Heilbronn, der Landkreis Heilbronn, der Neckar-Odenwald-Kreis, der Main-Tauber-Kreis und der Hohenlohekreis. Der gesamte Zuständigkeitsbereich hat eine Fläche von rund 4.400 Quadratkilometern und ist damit der größte in Baden-Württemberg. Nahezu 880.000 Menschen nennen ihn ihr Zuhause. Die sowohl ländliche als auch städtische Prägung wirken sich auf das Kriminalitätsgeschehen aus, weshalb ausgewählte Deliktsbereiche und Statistikdaten im Folgenden differenziert betrachtet werden.

Straftaten im öffentlichen Raum

Sicherheit ist ein Grundbedürfnis der Gesellschaft. Insbesondere wenn Straftaten im öffentlichen Raum begangen werden, können diese unmittelbare Auswirkung auf das Sicherheitsgefühl der Menschen haben. Mit 16.040 fanden rund 40 Prozent aller Straftaten im öffentlichen Raum statt (+2.475; +18,2%). Den größten Anteil nehmen mit knapp 22,6 Prozent Diebstahlsdelikte ein (3.623; 2022: 2.971), gefolgt von Betrugsdelikten (Anteil: 11,6%; 1.853 Taten) und Körperverletzungsdelikten (Anteil: 12,0%; 1.919). Mehr als 40 Prozent der Körperverletzungsdelikte (1.919 von 4.790) wurden im öffentlichen Raum begangen. Auf Seiten der Opfer sind drei von vier der Geschädigten männlich. Jedes zweite Opfer hat eine formale Beziehung zur Täterin beziehungsweise zum Täter. „Diese Zahlen können ein Indiz dafür sein, dass sich das Konfliktverhalten in Teilen der Bevölkerung im kritischen Wandel befindet. Manche Situationen scheinen leichter zu eskalieren und es wird häufig schneller zugeschlagen.

Messer als Droh- oder Tatmittel

Dazu tragen möglicherweise Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur sowie eine unterschiedliche Sozialisierung bei. In bestimmten Bereichen ist die gewaltfreie Konfliktlösung ins Hintertreffen geraten“, bewertet Polizeipräsident Frank Spitzmüller die Entwicklung in diesem Phänomenbereich. Zudem wurden im öffentlichen Raum 1.692 Betäubungsmittelstraftaten registriert. Diese Zahl bedeutet einen Zuwachs von 30,4 Prozent (2022: 1.298) und kann unter anderem dadurch erklärt werden, dass die Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität ein zentraler Aspekt in der seit 2023 bestehenden Konzeption „Sicheres Heilbronn“ war und die intensivierten Maßnahmen diesen Anstieg bewirkt haben dürften. Erstmals vergleichbar sind die Zahlen der Messerangriffe im öffentlichen Raum, die seit dem Jahr 2022 ausgewiesen werden. Die Zahl stieg im letzten Jahr um 25 Fälle auf 88 (+39,7%) an. Mehr als dreiviertel dieser Taten konnten aufgeklärt werden. Insgesamt wurden 203 Straftaten gezählt, bei denen ein Messer als Droh- oder Tatmittel zum Einsatz kam (2022: 177). Dabei wurden 15 Personen schwer verletzt, getötet wurde niemand. „Wir zeigen im öffentlichen Raum gezielt mehr Präsenz zu relevanten Zeiten, wenngleich dies angesichts der Personalsituation herausfordernd ist. Dadurch sind wir für die Bevölkerung direkt ansprechbar und auch in der Lage bei Verstößen schnell einzuschreiten“, erklärt der Leiter der Schutzpolizeidirektion, Polizeivizepräsident Markus Geistler.

Gewalt gegen Polizei deutlich gestiegen

Insgesamt 213 Polizeibeamtinnen und -beamte wurden im vergangenen Jahr bei der Ausübung des Dienstes verletzt, zwei davon schwer. Dies ist eine deutliche Zunahme (+89 Verletzte) und ein Beleg dafür, dass es immer öfter zu heftigeren und gewalttätigeren Konfrontationen kommt. Weiter lässt sich ableiten, dass Respekt und Anerkennung für staatliche Organe und Maßnahmen verloren gehen. „Deshalb ist die angedachte Erhöhung des Mindeststrafmaßes für tätliche Angriffe von drei auf sechs Monate ein richtiger Schritt, da sie verbunden mit einem schnellen Vorgehen der Justiz eine deutliche Signalwirkung auf Täter und Opfer, also meine Kolleginnen und Kollegen entfaltet.“, erklärt Polizeipräsident Frank Spitzmüller. Die Gesamtzahl im Bereich der Gewalt gegen Polizeibeamte stieg um rund 41 Prozent auf 352 Fälle. „Diese Zahlen sind für mich nicht akzeptabel und dürfen auch von der Gesellschaft nicht hingenommen werden. Sie verdeutlichen, dass scheinbar einfache Kontroll- und Einsatzsituationen schnell konfrontativ, eskalieren und gefährlich werden können“, wird Polizeivizepräsident Markus Geistler deutlich und führt weiter aus: „Auch die steigende Anzahl der Übergriffe gegen weitere Mitglieder der Blaulichtfamilie wie Feuerwehr und Rettungsdienst bereiten mir Sorge.“ Hier stiegen die Fallzahlen von vier auf 18 an.

Tatverdächtige – Nationalitäten und Altersstruktur

Die Gesamtzahl der Tatverdächtigen ist im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Heilbronn um 23 Prozent auf 18.412 gestiegen (+3.445) und geht mit einer deutlich höheren Aufklärungsquote einher. Bei den nichtdeutschen Tatverdächtigen ist ein signifikanter Anstieg um 31,8 Prozent zu verzeichnen (2022: 5.622; 2023: 7.409). Die Zahl der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit stieg um 17,7 Prozent auf 11.003 (2022: 9.345). Damit haben rund 40 Prozent der in dieser Statistik registrierten Tatverdächtigen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, bei rund neun Prozent (1.617; 2022: 1.172) handelt es sich um Flüchtlinge oder Asylbewerber.

Bei Betrachtung der Altersstruktur ist bei den tatverdächtigen Kindern eine Zunahme um 40,9 Prozent auf 854 festzustellen (2022: 606). Ähnlich sieht es bei den tatverdächtigen Jugendlichen (1680; +16,4%) und Heranwachsenden (1.354; +21,4%) aus. Das heißt, dass rund ein Fünftel aller Tatverdächtigen (21,1%) jünger als 21 Jahre alt ist. Bei den Erwachsenen ist eine Zunahme von +2.718 (+23,0%) registrierten Tatverdächtigen zu verzeichnen. „Insbesondere die Zahl der tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen erscheint besorgniserregend und sollte uns gesamtgesellschaftlich zu denken geben“, so Polizeipräsident Frank Spitzmüller. Bei den begangenen Delikten handelt es sich überwiegend um Diebstahlsdelikte, insbesondere um Ladendiebstahl. In zweiter Reihe stehen die Aggressionsdelikte gefolgt von Sachbeschädigungen.

Rund ein Fünftel jünger as 21 Jahre

Die zielgerichtete und professionelle Polizeiarbeit des Polizeipräsidiums Heilbronn kann anhand herausragender Ermittlungserfolge verdeutlicht werden. „In diesem Zusammenhang ist ein mehrere Jahre andauerndes Ermittlungsverfahren zu erwähnen, das meine Kolleginnen und Kollegen Ende des letzten Jahres bis nach Litauen geführt hat“, erklärt der Kripochef, Leitender Kriminaldirektor Fred Söhner, und ergänzt: „Der dafür eingerichteten Task Force gelang es eine international agierende Tätergruppierung, die unter anderem für den Diebstahl von mehreren hochwertigen Fahrzeugen verantwortlich ist, zu überführen. Neben der Identifizierung der obersten Führungsebene der Gruppierung konnte in diesem Zusammenhang auch eine Fälscherwerkstatt ausgehoben werden, was umso mehr zeigt, dass die Strafverfolgung an unseren Landesgrenzen keinen Halt machen darf.“ Polizeipräsident Spitzmüller führt dazu weiter aus: „Neben der Sprengung eines Zuhälterrings im Frühjahr 2023 war dies ein erneuter Schlag gegen die internationale, organisierte Kriminalität. Wenngleich derartige Ermittlungsverfahren überaus zeit- und personalintensiv sind, werden wir nicht nachlassen, gegen klandestin agierende Schwerkriminelle vorzugehen.“

Im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Heilbronn wurden im vergangenen Jahr 3.621 Fälle des Diebstahls unter erschwerenden Umständen gezählt. Das bedeutet eine Zunahme um 36,1 Prozent beziehungsweise 960 Taten. Die Aufklärungsquote in diesem oft ermittlungsintensiven Bereich konnte um 5,7 Prozentpunkte auf 24,2 Prozent gesteigert werden und liegt damit über dem Landesschnitt von 21 Prozent. Beim Diebstahl ohne erschwerende Umstände (7.267; +23,7%) konnte die Aufklärungsquote um 6,1 Prozentpunkte deutlich auf 53,5 Prozent erhöht werden. Der Landesschnitt liegt hier bei 47,4 Prozent. Im Neckar-Odenwald-Kreis führte die professionelle Arbeit einer Ermittlungsgruppe im Frühsommer zu mehreren Festnahmen nach Metalldiebstählen im Bereich Haßmersheim. Umfangreiche Verfahren gab es auch im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität und bei Straftaten gegen das Leben. So konnte im Hohenlohekreis im vergangenen August eine Marihuana-Plantage entdeckt und erhebliche Drogenmengen sichergestellt werden und im Main-Tauber-Kreis dauern intensive Ermittlungen nach einem versuchten Tötungsdelikt an einer Obdachlosen im letzten Juli weiter an.

Cybercrime

Delikte im Bereich Cybercrime (1.262 Fälle) weisen im gesamten Präsidiumsbereich deutliche Zuwächse auf (+483; +62%). Die Möglichkeiten, Dinge des täglichen Lebens, wie Einkäufe aber auch sonstige Angelegenheiten im Internet abzuwickeln, nehmen weiterhin zu. Diese Tatsache ist auch Kriminellen bewusst und Straftaten machen vor der virtuellen Welt keinen Halt. Hinzu kommt, dass eine Änderung des Anzeigeverhaltens zu verzeichnen ist. Anzeigen werden der Polizei niederschwelliger auch auf digitalem Weg übersandt. „Auf diese Entwicklung haben wir mit unserem Team-Online reagiert. Speziell geschulte Beamtinnen und Beamte bearbeiten zentral einen Großteil dieser Delikte. Durch die Spezialisierung ist eine effektive Sachbearbeitung mit hohem Qualitätsstandard möglich“, betont Polizeivizepräsident Markus Geistler. Unter Computerbetrug, der mit rund 83 Prozent (1.048 Fälle; 2022: 631) den größten Teil von Cybercrime ausmacht, fällt beispielsweise, wenn Kriminelle gefälschte oder unrechtmäßig erlangte Daten für Geschäfte im Internet nutzen. Besonders schwere Fälle, bei denen beispielsweise Schadprogramme, sogenannte Malware, eingesetzt wird, um Opfer zur Zahlung eines Lösegeldes zu veranlassen, werden durch Spezialisten der Kriminalpolizei bearbeitet. In diesem Bereich entstehen erfahrungsgemäß hohe Schäden. Im vergangenen Jahr wurden zwölf Fälle registriert. Dies ist ein Fall weniger als im Vorjahr.

Bekämpfung der Kinderpornografie

Verdachtsmeldungen in diesem Straftatenbereich erfolgen häufig durch US-amerikanische Nichtregierungsorganisation „National Center for Missing and Exploited Children“ (NCMEC). Diese nimmt Hinweise auf kinderpornografische Inhalte von Internetanbietern entgegen. Mit Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes besteht auch in Deutschland eine vergleichbare Pflicht zur Meldung kinderpornografischer Inhalte an das Bundeskriminalamt. Die Ermittlungsarbeit erfolgt letztlich durch die regionalen Polizeipräsidien. Das Polizeipräsidium Heilbronn hat bereits vor drei Jahren die Ermittlungsgruppe „Hydra“ eingerichtet, um der seit Jahren stetig steigenden Zahl der Fälle des Herstellens, Besitzens sowie Verbreitens von Kinder- und Jugendpornografie professionell und qualifiziert zu begegnen. Der Ermittlungsgruppe gehören spezialisierte Beamtinnen und Beamte der Kriminal- und Schutzpolizei an, die sich zunehmend mit massenhaften Datenmengen beschäftigen müssen. Schnelle Verbreitungswege, beispielsweise in Chatgruppen, vor allem aber das optimierte Vorgehen der Ermittlungsgruppe führten jedoch immer häufiger zu einer sehr hohen Anzahl ermittelter Tatverdächtiger. Im Jahr 2023 wurden beim Polizeipräsidium Heilbronn 366 Fälle des Verbreitens pornografische Schriften erfasst (+4%; 2022: 352). Die Fälle des Erwerbs, des Besitzes oder der Herstellung von Kinderpornografie (2023: 283) beziehungsweise Jugendpornografie (2023: 47) gingen jeweils leicht (je 1 Fall) zurück.

Fake-Anrufe führen zu einer Schadenssumme von 2,67 Millionen Euro

Anrufstraftaten beschäftigen das Polizeipräsidium Heilbronn weiterhin. Die Zahl der gemeldeten Fälle, bei denen Betrügerinnen oder Betrüger Geld und Wertsachen erlangten, ist zwar um 42,1 Prozent (angebliche Polizeibeamte) beziehungsweise 21,6 Prozent (Enkeltrick) zurückgegangen, dafür stieg die Zahl der Schockanrufe deutlich (+37,5%; 2023: 88). In 179 Fällen täuschten falsche Polizeibeamte am Telefon oftmals ältere Personen. Als Verwandte gaben sich insgesamt 29 Täterinnen und Täter aus. Die Schadenssumme ist mit circa 2,67 Millionen Euro in diesem Phänomenbereich mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr. Rund 95 Prozent der bekanntgewordenen Anrufstraftaten bleiben im Versuchsstadium stecken. „Diese Zahl belegt, dass Prävention wirkt“, sagt die Leiterin des Referats Prävention des Polizeipräsidiums Heilbronn, Polizeioberrätin Lisa-Maria Klesse, und ergänzt: „Immer dort, wo Gefahren und Risiken für die Menschen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, setzen wir mit unseren Präventionskonzepten an. Dies gilt beispielsweise für den Bereich der Gewalt- und Drogenprävention, aber eben auch bei Betrugsfällen am Telefon.“ Polizeipräsident Frank Spitzmüller bekräftigt diese Aussage: „Die Prävention ist in nahezu allen Kriminalitätsbereichen ein wichtiger Baustein in puncto Sicherheit. Wir können auf viele unterschiedliche Präventionskonzepte zurückgreifen und erreichen, ohne dass es zu einer Tat gekommen sein muss, verschiedene Personengruppen aus allen Altersbereichen. Einen Schwerpunkt werden wir nach wie vor auf die Prävention an Schulen legen.“ Die Präventionsangebote des Polizeipräsidiums Heilbronn werden im gesamten Zuständigkeitsbereich durch das Referat Prävention an den Standorten Heilbronn, Künzelsau, Mosbach und Tauberbischofsheim sichergestellt. Im vergangenen Jahr wurden bei rund 1.400 zielgruppenorientierten Veranstaltungen zur Drogen-, Gewalt- und Betrugsprävention sowie zu den Themen Mediensicherheit und Sicherheit in Behörden rund 35.000 Menschen erreicht. Außerdem fanden 284 sicherungstechnische Beratungen statt, bei denen darüber informiert wurde, wie man sich vor Eigentumsdelikten schützen kann. „Die Kriminalitätsstatistik verdeutlicht uns die Komplexität der Sicherheitslage und die Entwicklungen sind differenziert zu betrachten. Die Bevölkerung in unserer Region soll weiterhin sicher leben können, das ist unser polizeilicher Anspruch“, schließt Polizeipräsident Frank Spitzmüller.




„Keine Musterknaben“

Als am Samstagabend, den 22. Oktober 2022, wieder einmal die Polizei zu einem Einsatz ausrücken musste, den ein junger Gambier verübt hatte (er wollte Alkohol im Lidl in Krautheim klauen), wusste Krautheims Bürgermeister Andreas Köhler laut eigenen Aussagen nicht, dass der Mann wieder auf freiem Fuß ist. Eigentlich sollte er in noch in der Psychiatrie sein. Aus dieser wurde er jedoch laut Köhler vorzeitig wieder nach nur zwei anstatt vier Wochen entlassen.

Versuchte gefährliche Körperverletzung

Auch die Polizei im Hohenlohekreis kennt den Mann zur Genüge. „Dem Mann werden mehrere Straftaten zur Last gelegt. Gegen ihn wird wegen Diebstahls, Sachbeschädigung, Leistungserschleichung und versuchter gefährlicher Körperverletzung ermittelt“, sagt Annika Grundbrecher von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Heilbronn auf GSCHWÄTZ-Nachfrage.

Auch Kirche als Vermieter nun alarmiert

In Krautheim haben mittlerweile einige Einwohner:innen Angst vor diesem Mann, insbesondere Eltern, da er eigentlich in das ehemalige Schwesternwohnheim kommen sollte, das sich direkt neben dem Kindergarten befindet (wir berichteten). Laut Rathauschef Köhler habe die Stadt Krautheim derzeit keine anderen geeigneten Unterkünfte für Flüchtlinge als dieses Haus, das der Kirche gehört, aber an die Stadt als Flüchtlingsunterkunft vermietet werden soll. Nun sei, so Gerüchte, auch die Kirche alarmiert und prüft, inwieweit sie vom Mietvertrag noch zurücktreten könne. Nach wochenlangen Protesten von Eltern, hat nun Köhler hat gegenüber GSCHWÄTZ betont, dass dieser Gambier definitiv nicht in dieses Gebäude neben den Kindergarten kommen soll. Doch wohin mit ihm?

Eventuell Überwachungskameras

Das etwa dreimal so große Gebäude in Oberginsbach wird demnächst an Flüchtlingsfamilien aus der Ukraine vorbereitet. Rund 50 sollen im Frühjahr dort einziehen. Bis dahin muss das Haus saniert werden, da die besagten Männer, die dort bislang gewohnt und nun nach Krautheim gebracht werden soll, das Haus ziemlich beschädigt hätten. Während Köhler einen Hauptschuldigen dafür sieht, und zwar der Gambier und die anderen Männer zwar auch nicht als „Musterknaben“ betrachtet, aber „da ist keiner dabei, der Straftaten begeht“, sehen die Eltern den anderen Männern auch mit Besorgnis entgegen. Denn auch über sie wurde ihnen von den Oberginsbächern einiges erzählt. Drogen. Alkohol. Diebstahlsdelikte und dergleichen. Kähler könne sich vorstellen, Überwachungskameras auf dem Grundstück des ehemaligen Schwesternwohnheimes in Krautheim zu installieren, sobald die Männer eingezogen seien. Aber hier müsse er den Datenschutz prüfen.

Der Gambier bleibe eventuell erst einmal in Oberginsbach, überlegt Köhler gegenüber GSCHWÄTZ, bis die ukrainischen Familien kämen. Eine Dauerlösung gäbe es aber noch nicht für ihn. Die Krux dabei: Eben dieser Gambier habe laut Köhler 37 Fensterscheiben allein in dem Gebäude in Oberginsbach eingeschlagen, das nun saniert werden müsse für die ukrainischen Familien. Aber wie kann man ein Gebäude sanieren, während der Haupttäter noch in diesem Gebäude wohnt?

Einweisung in die JVA

Im Rahmen des Einsatzes am Lidl in Krautheim am Samstag wurde nun ein Haftbefehl, der gegen den 24-Jährigen bestand, von der Polizei vollstreckt. Der Mann wurde dem Haftrichter vorgeführt, der den Haftbefehl eröffnete und den Tatverdächtigen in eine JVA (Justizvollzugsanstalt) einweisen ließ. Köhler und viele Einwohner:innen Krautheims hoffen, dass der Gambier nun länger hinter Gittern bleibt.

Text: Dr. Sandra Hartmann

Foto: Eltern wie (von links) Nadine Horinek, Tanja Sordel, Lena Pflüger und Christine Koppe haben Angst um ihre Kinder. Foto: GSCHWÄTZ




„Wir haben kein Problem mit Flüchtlingen, wir möchten nur keine gewaltbereiten Männer neben unserem Kindergarten haben“

„Herr W. vom Landratsamt hat uns gesagt, dass er ganz harmlos wäre“, berichtet Christine Koppe. „Wir haben aber das Gefühl, dass wir angelogen werden“, sagt Lena Pflüger. Christine Koppe und Lena Pflüger sind Einwohner:innen Krautheims, aber derzeit sind sie vor allem eines: Mamas, die ihre Kinder schützen wollen vor gewaltbereiten, teilweise bereits straffällig gewordenen Männern.

Mamas haben Angst um ihre Kinder

Diese vier Männer sollen demnächst in ein ehemaliges Schwesternwohnheim in Krautheim einziehen, das sich direkt neben dem Kindergarten der Stadt befindet. Ein Unding, finden diverse Eltern und gehen seit rund drei Wochen, seitdem sie das durch Zufall erfahren haben, auf die Barrikaden, sammeln recht erfolgreich in kürzester Zeit über 1.800 Unterschriften online und vor Ort, aktivieren die Presse und machen mobil.

Jeder willkommen, der sich an die Regeln hält

Dabei spiele es keine Rolle, dass diese Männer Flüchtlinge seien, betonen sie. Gerne heißen sie jeden hier willkommen, der sich an die Regeln hält,  nicht gewalttägig sei oder mit Drogen hantiert. „Wir würden uns freuen, wenn etwa ukrainische Frauen mit ihren Kindern hier einziehen würden“, betont Christine Koppe.

Beschimpfungen und Schreie aus dem Fester

Vielmehr haben sie Angst, was die Männer hier anrichten könnten, wenn sie erst einmal eingezogen sind. Völlig grundlos ist ihre Sorge nicht. Immerhin gibt es Augenzeugenberichte von Oberginsbächern, was die Männer in ihrer bisherigen Unterkunft dort bislang verursacht haben. Alkohol, Drogen, laut Krautheims Bürgermeister Andreas Köhler 37 von einem Mann aus Gambia eingeworfene Scheiben. Das Gebäude muss erste einmal saniert werden, bevor dann ukrainische Familien dort einziehen sollen. Es sei rund dreimal so groß wie das Schwesternwohnheim und daher besser dafür geeignet, erklärt der Rathauschef.

Hasen geklaut und geschlachtet?

Anscheinend hätten, so kursieren Gerüchte, die Männer dort auch Hasen von Nachbargrundstücken in Oberginsbach geklaut und geschlachtet. Besonders Angst haben die Krautheimer:innen vor dem Mann aus Gambia, der seit Jahren im Hohenlohekreis für Aufsehen sorgt durch sein psychisch stark auffälliges Verhalten (wir berichteten). Als er vor Jahren noch in Ingelfingen gewohnt hat, berichteten Einwohner:innen davon, dass er immer mal wieder mit einem größeren Messer völlig unvermittelt in ihrem Garten stand (wir berichteten). Beschimpfungen, Schreie aus dem Fenster, richtig ansprechbar war der Mann teilweise überhaupt nicht. Immer wieder musste daher die Polizei ausrücken und ihn zumindest für kurze Zeit in Gewahrsam nehmen.

Bürgermeister lässt seine Mitarbeiter:innen mit Pfefferspray ausstatten

Auf GSCHWÄTZ-Nachfrage teilt uns die Polizei mit, dass es in den vergangenen Monaten allein auf das Landratsamt bezogen insgesamt zehn „Anschläge“ gab – neun auf verschiedene Gebäude des Landratsamtes und einen auf ein Fahrzeug. Für alle „Anschläge“ konnte ein und derselbe Verursacher festgestellt werden. Unlängst wurden Scheiben am Hauptgebäude des Landratsamtes eingeworfen. Krautheims Bürgermeister Andreas Köhler und einer seiner Mitarbeiter wurde von ihm ebenfalls mit Steinen beworfen, nachdem er ihn des Rathauses verwiesen hatte. Zuvor habe der Gambier dort randaliert. Auch sexuelle Anspielungen habe es gegeben. Er wolle endlich eine Frau haben, um Nachwuchs zu zeugen. Die Angst geht daher derzeit um in Krautheim.

Eltern fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen

Lena Pflüger berichtet davon, wie die Frauen mehrfach im Landratsamt angerufen und um Rückruf gebeten haben, doch nichts sei passiert. „Herr Neth möchte nicht mit uns sprechen“, sagt sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Wer schützt unsere Kinder?“, fragt Tanja Sordel. „Unsere Kinder sollen keine Versuchskaninchen für ein Integrationsprojekt sein, das scheitern kann.“ In ihren Augen fühle sich keine Behörde so richtig zuständig: „Wer trifft hier die Entscheidung? Wer kann etwas tun?“ Diverse dieser Entscheidungsträger hätten insbesondere den Gambier live erlebt. Deswegen könne sie nicht verstehen, „wie sie so etwas zulassen können“.

Landratsamt rüstet mit Sicherheitspersonal auf

Während das Landratsamt bereits reagiert und das Sicherheitspersonal aufgestockt sowie Bauzäune um das Gebäude herum aufgestellt sowie Panzerglas bestellt hat (wir berichteten), lässt Andreas Köhler nun ebenfalls seine Mitarbeiter:innen im Rathaus mit Pfefferspray ausstatten, Überwachungskameras im Eingangsbereich und Notrufknöpfe in den Büros sollen bald für zusätzliche Sicherheit sorgen. Derweil fühlen sich die Kindergarteneltern von den Behörden im Stich gelassen. Auf GSCHWÄTZ-Nachfrage sagt Andreas Köhler, dass der Gambier „nach allem, was nun bisher gewesen ist, auf keinen Fall in das ehemalige Schwesternwohnheim einziehen“ werde. Eine Wohnalternative sieht er bislang jedoch lediglich in dem bisherigen Wohnhaus in Oberginsbach – aber dies gehe auch nur solange, bis dort die ukrainischen Familien hineinkämen. Eine Dauerlösung sei daher bislang noch nicht in Sicht. Geeignete Gebäude habe die Stadt derzeit keine, suche aber nach wie vor.

„Keine Musterknaben“

Da es am Samstagabend, den 22. Oktober 2022, erneut einen Polizeieinsatz wegen des Gambiers beim Lidl in Krautheim gab, hofft Köhler, dass er nun nur kurzzeitig in Gewahrsam oder in die Psychiatrie kommt. Zurück  nach Gambia könne er wohl auch nicht geschickt werden, da er seinen Pass weggeschmissen habe. „Da sind wir etwas machtlos“, gesteht Köhler.

Die anderen drei Männer, die in das Schwesternwohnheim ziehen sollen, empfindet er derweil als nicht so schlimm. Das seien „keine Musterknaben“, aber auch keine Männer, die bislang straffällig geworden wären.

Hase und Igel

Knapp 50 Kinder besuchen derzeit den Kindergarten. „Diese Männer brauchen richtige Hilfe, am besten eine Rundum-Betreuung“, sagt Christine Koppe. Lena Pflüger erinnert sich derweil an die Zeit, als sie noch ein Kind war und den Kindergarten besucht hat. Im Schwesternwohnheim war früher die Hasen-und-Igel-Gruppe untergebracht. Es bleibt nur zu hoffen, dass das Hase-und-Igel-Spiel nun nicht zur Realität wird.

Text: Dr. Sandra Hartmann




„Es ist ja nicht so, dass er sie zum Beispiel „nur“ schlägt, sondern das ganze soziale Gefüge steht auf dem Spiel, wenn die Frau darüber nachdenkt, zu gehen.

Cornelia Taschner war früher Erste Kriminalhauptkommissarin. Die 68-Jährige hat seit 2017 die Außenstellenleitung des Weißen Rings im Hohenlohekreis ehrenamtlich übernommen. Seit diesem Jahr hat sie Unterstützung von fünf weiteren ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen, unter anderem von Monika Chef (63). Die ehemalige Bürgermeisterin möchte Opfer von Gewalt unterstützen. Dr. Sandra Hartmann hat mit den beiden Frauen über ihre Arbeit beim Weißen Ring gesprochen.

Cornelia Taschner arbeitete früher bei der Polizei. Foto: GSCHWÄTZ

Monika Chef arbeitet seit 2022 ehrenamtlich beim Weißen Ring Hohenlohekreis. Foto: GSCHWÄTZ

Suche nach einer neuen Wohnung oder einem Kindergartenplatz

GSCHWÄTZ: Frau Chef. Was hat sie bewogen, sich beim Weißen Ring ehrenamtlich zu engagieren?

Chef: Es gibt drei Gründe. Ich bin jetzt in Pension, ich habe viel Zeit. Und ich habe mir die Frage gestellt: Wo könnte ich meine Zeit nützlich einbringen? In der Presse wurde bekannt gemacht, dass der Weiße Ring im Hohenlohekreis noch ehrenamtliche Mitarbeiter:innen sucht. Ich kenne den Weißen Ring seit meiner Jugendzeit, allein schon durch Sendungen wie Aktenzeichen XY. Der Verein ist sehr wichtig in unserer Gesellschaft, weil er Opfer von Gewalt sehr intensiv unterstützt, sei es durch finanzielle Hilfen, durch psychologische Unterstützung oder durch Begleitung zu verschiedenen Stellen, etwa wenn jemand eine Strafanzeige bei der Polizei erstattet. Auch bei Dingen des Alltags helfen wir so gut wir können, wenn etwa eine Betroffene eine neue Wohnung sucht oder eine Alleinerziehende einen neuen Kindergartenplatz.

Wenn die Frau das tut und sich so entwickelt, wie er es gerne hätte, dann ist er „zufrieden“

Taschner: Unsere finanziellen Mittel sind beschränkt, aber wir sind die opferunterstützende Seite. Wir verstehen uns als Lotsen in einem Verfahren. Jedes Opfer einer Straftat, wenn jemand zum Beispiel überfallen wurde, darf sich an uns wenden. Täter wollen Opfer nicht selten verunsichern und klein halten, damit sie sich gar nicht trauen, eine Anzeige zu erstatten. Aus Sicht des Täters ist alles „gut“, wenn die Frau das tut und sich so entwickelt, wie er es gerne hätte, dann ist er „zufrieden“. Wenn nicht, hat die Frau ihm quasi Anlass gegeben, dass er sie schlagen „muss“.

GSCHWÄTZ: Sprechen die Frauen eigentlich von sich als Opfer oder als Überlebende?

Taschner: Wir sprechen eher von Betroffenen, wie die Frauen sich selbst sehen, ist unterschiedlich.

GSCHWÄTZ: Haben die Betroffenen Schuldgefühle, wenn sie etwas unternehmen, um da rauszukommen?

Taschner: Das ist ganz verschieden.

Ein ständiges Auf und Ab

Chef: Es gibt welche, die versuchen, aus dieser Rolle wieder rauszukommen. Es ist aber oftmals ein ständiges Auf und Ab, insbesondere, wenn man psychisch zermürbt wird.

Taschner: Es ist ja nicht so, dass er sie zum Beispiel „nur“ schlägt, sondern das ganze soziale Gefüge steht auf dem Spiel, wenn die Frau darüber nachdenkt, zu gehen. Da kommen finanzielle Sorgen hinzu, eine neue Wohnung muss gefunden werden. Der Familien- und Freundeskreis bricht eventuell zum Teil weg.

GSCHWÄTZ: Wie viele Fälle betreuen Sie im Durchschnitt pro Jahr im Hohenlohekreis?

Taschner: Das kann man nicht pauschal sagen. Mit manchen rede ich 45 Minuten am Telefon und dann höre ich nie weder etwas von ihnen. Bei anderen dauert die Begleitung länger, bis hin zum Gerichtsprozess. Wir haben zwischen 30 und 40 Fälle pro Jahr, in den meisten Fällen dreht es sich um häusliche Gewalt. Auch Männer sind darunter – mehr als man denkt. Diese Klientel hat oft eine noch größere Scham, sich damit an jemand Außenstehenden zu wenden.

Einbrüche

Chef: Nach einem Einbruch betrifft es das Ehepaar an sich, gerade wenn es ältere Leute sind. Ein Einbruch in eine Wohnung ist für die allermeisten ein ganz gravierender Einschnitt, da es in einem sehr privaten Raum geschehen ist.

GSCHWÄTZ: Gab es Veränderungen bezüglich der Fälle in der Coronazeit?

Taschner: In der Coronazeit kann ich nicht bestätigen, dass die Zahlen bei uns gestiegen wären. Die Fälle, bei denen es sich um Einbrüche handelt, sind zurückgegangen, weil viele ja bekanntlich zu Hause waren.

GSCHWÄTZ: Der erste Schritt aus der Gewaltspirale ist vermutlich ein Anruf, ein Hilferuf, nach außen zu senden. Wäre der nächste dann der Auszug etwa ins Frauenhaus?

Die allerwenigsten wollen ins Frauenhaus

Taschner: Die allerwenigsten wollen ins Frauenhaus, aber für viele gibt es auf die Schnelle keine andere Zufluchtsstätte. Andere versuchen, selbst eine neue Bleibe zu finden. Wir geben Tipps, aber es ist sehr schwierig. Der Wohnungsmarkt ist sehr angespannt, auch im Hohenlohekreis. Als Alleinerziehende hat man bei einem Vermieter schon von vorneherein eventuell schlechtere Karten, etwa im Vergleich zu einem Vollverdiener-Ehepaar.

„Man fühlt sich sehr gut aufgehoben“

GSCHWÄTZ: Frau Chef, wie wurden Sie auf Ihre ehrenamtliche Tätigkeit vorbereitet?

Chef: Bei Frau Taschner kommen die Fälle an, sie verteilt die Fälle auf die Ehrenamtlichen. Mit den anderen Ehrenamtlichen habe ich ein Grundseminar absolviert. Man lernt die ganze Vorgangsbearbeitung und auch rechtliche Grundkenntnisse. Es gibt dann auch Aufbauseminare. Man fühlt sich sehr aufgehoben und bekommt ein tolles Netzwerk, das sich über ganz Baden-Württemberg erstreckt mit Frauen und Männern aus den unterschiedlichsten Berufssparten. Im Grundseminar waren auch Studentinnen, die Jura studieren, dabei.

Taschner: Auch viele Polizeibeamt: innen sind aktiv. Ich habe auch während meines Jobs erkannt, was dieser Verein alles für Opfer tut und wie notwendig das ist.

GSCHWÄTZ: Frau Taschner, gibt es einen Fall in den vergangenen fünf Jahren, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Taschner: In Bretzfeld lebte ein Ehepaar getrennt voneinander. Die Frau war allein mit den Kindern in der Wohnung, als der Mann widerrechtlich in die Wohnung eingedrungen ist und die Frau und seine Tochter mit einem Messer niedergestochen hat. In diesem Fall ist der Mann verurteilt worden. Derzeit läuft ein 2. Prozess gegen ihn, da er die Tochter über mehrere Jahre auch sexuell missbraucht haben soll.

„Man muss dieses Ehrenamt von seinem persönlichen Leben abgrenzen können“

GSCHWÄTZ: Wie geht man persönlich mit solchen Geschichten um?

Taschner: Man muss einerseits die Fähigkeit haben, empathisch zu sein, andererseits muss man dieses Ehrenamt von seinem persönlichen Leben abgrenzen können. Das habe ich durch meinen früheren Beruf gelernt. Du musst einen Cut machen, wenn du nach Hause kommst. Ich habe die Frau betreut, nachdem das passiert ist. Auch dieser Fall kam über die Polizei, wie viele andere Fälle auch. Die Frau und die ganze Familie waren schwer traumatisiert.

GSCHWÄTZ: Hat die Frau dann eine Psychotherapie erhalten?

Taschner: Das ganz große Dilemma in Deutschland ist, dass wir viel zu wenig Psychotherapeuten haben. In diesem Fall scheiterte es aber auch noch an sprachlichen Hürden. Bei der Tochter habe ich es geschafft, dass sie einen Psychotherapeuten bekommen hat. Aber man stößt schon sehr oft an seine Grenzen. Daher ist für unsere Arbeit ein gutes Netzwerk ganz wichtig.

Zu wenig Psychotherapeuten in Deutschland

Chef: Wir machen Besuche bei verschiedenen Stellen, unter anderem bei der Polizei, um uns bekannt zu machen. In meinem vorigen Beruf, in dem ich 24 Jahre lang tätig war, habe ich schon vieles erlebt, unter anderem verweste Tote in einer Wohnung. Daher überrascht mich so schnell nichts mehr. Da muss man lernen, sich früh abgrenzen. Auch während meiner Arbeit beim Jugendamt habe ich vieles mitbekommen. Wichtig ist dabei für mich auch immer die Frage: Wie kann man diese Frauen stärker unterstützen, um ihnen diese innere Sicherheit zu geben, diese Selbstachtung, die so wichtig ist? Die Frauen haben oftmals einfach Angst, diese angebliche Sicherheit in den eingefahrenen Strukturen aufzugeben. Und manche Frauen gehen dann wieder zurück, leider.

Taschner: In der Mehrheit der Fälle brauchen die Frauen mehrere Anläufe, um aus einer solchen Beziehung rauszukommen.

Chef: Oft sind es auch Familienangehörige, die diese Struktur weiter stützen, vor allem, wenn es die Familie des Täters ist

Taschner: Man sieht von außen oft nicht, was im Kern einer Familie passiert.

GSCHWÄTZ: In welchem Alter sind denn die Betroffenen, die sich an Sie wenden?

Chef: Das ist ganz unterschiedlich. Die letzte Frau, die ich hatte, war über 60 Jahre.

„In der Mehrheit der Fälle brauchen die Frauen mehrere Anläufe, um aus solche Beziehungen herauszukommen“

Taschner: Man weiß, dass es auch viele Ältere sind, aber je älter, desto schwieriger wird es auch, sich aus diesen Strukturen zu lösen. Aktuell betreuen wir aber eine junge Frau, 23 Jahre, die in einer Partnerschaft lebte. Sie hat ein gemeinsames Kind mit ihrem Partner.

GSCHWÄTZ: Gibt es einen Stadt-Land-Unterschied, was Häusliche Gewalt und den Umgang damit betrifft?

Taschner: Ich denke, ein Stück weit liegt es schon an unserer ländlichen Struktur, dass die sozialen Bindungen anders sind, dass man sich eher selber hilft, bevor man sich an uns wendet.

GSCHWÄTZ: Manche Frauen haben keine blauen Flecke, werden aber psychisch ständig von ihrem Partner angegangen. Ist das auch Häusliche Gewalt?

„Psychische Gewalt ist manchmal schlimmer als physische Gewalt“

Chef: Psychische Gewalt ist manchmal schlimmer als physische Gewalt.

Taschner: Diese psychische Gewalt sieht man auch in Stalking-Fällen. Ich erinnere mich an einen Fall, da war der Täter war ein Arbeitskollege. Stalking beginnt, wenn sich der/die Betroffene unter Druck gesetzt fühlt. Wenn man ständig Nachrichten aufs Handy bekommt, wenn einem jemand irgendwo auflauert, Ängste aufkommen. Wenn sie sagt, hör auf und es hört nicht auf. Dann ist eine Grenze überschritten.

GSCHWÄTZ: Wo beginnt Häusliche Gewalt?

Chef: Das definiert wohl jeder anders. Frauen, die in ihrer Familie schon Gewalt erlebt haben als Kind, für die ist die Grenze, wo häusliche Gewalt beginnt, höher, als bei jemandem, der behütet aufgewachsen ist.

Taschner: Gewalt ist es aber auch, wenn mich jemand ständig beleidigt und runtermacht, z. B. in Form von: ,Du bist nichts wert. Du kannst das nicht.‘ Das ist aber schwieriger zu beweisen.

Häusliche Gewalt ist das ein großes Thema beim Weißen Ring. Daneben gib es aber auch andere Delikte, bei dem der Verein Unterstützung für Betroffene bietet, etwa bei Einbrüchen, Diebstahl, Körperverletzung, Betrug, Stalking und Sexualdelikten (sexuelle Belästigung, Missbrauch, Vergewaltigung).

T: Missbrauchshandlungen bei kleineren Kindern etwa. Die Kinder haben eigentlich ein relativ feines Gespür dafür, ob eine Handlung in Ordnung ist oder nicht. Aber nicht selten mögen sie auch den Täter trotz alledem. Für Kinder ist es schwer vorstellbar, dass dann möglicherweise eine Haftstrafe für den Täter droht.

Anwaltliche Erstberatung wichtig

GSCHWÄTZ: Zumal sexueller Missbrauch schwer zu beweisen ist.

Taschner: Manchmal ist es so, dass das Kind etwas erzählt oder die Mutter hat das mitbekommen und eine Anzeige erstattet. Dann wird das Kind bei der Polizei befragt und es kann sein, dass ein so genanntes Glaubhaftigkeitsgutachen gefertigt wird.

GSCHWÄTZ: Was raten Sie Betroffenen im ersten Schritt?

Taschner: Häufig eine anwaltliche Erstberatung. Wir vom Weißen Ring stellen hierfür sogenannte Anwaltsschecks aus. Das heißt, der WEISSE RING übernimmt hierfür die Kosten, falls die/der Betroffene keine Rechtschutzversicherung hat, die das abdeckt. Seit 2022 gibt es bei uns auf der Internetseite eine Liste mit Anwälten, die spezielle Bereiche abdecken.

GSCHWÄTZ: Woran erkennt man denn einen guten Anwalt?

T: Ich habe den Fall erlebt, dass eine Gerichtsverhandlung anstand. In der Regel sollte der Anwalt mit der Betroffenen nochmal alles besprechen. In dem Fall ist das aber nicht passiert. Wir sollten uns den Aktenordner selbst durchlesen, was meiner Meinung nach so gar nicht geht. Bei Familiengerichtsverfahren ist so eine Prozessbegleitung nicht immer einfach. Zweimal hat ein Gericht einen Antrag von mir diesbezüglich schon abgelehnt mit dem Verweis darauf, dass es sich um ein nicht-öffentliches Verfahren handelt.

Zweimal hat ein Familiengericht einen Antrag auf Prozessbegleitung abgelehnt

GSCHWÄTZ: Wann ist denn ein Fall für Sie abgeschlossen?

Taschner: Auch das kann man nicht pauschal beantworten. In der Regel ist ein Fall dann abgeschlossen, wenn es keine weiteren Hilfe- und/oder Unterstützungsmöglichkeiten für den/die Betroffene mehr gibt. Das kann nach 3 Gesprächen, aber auch erst nach 2 Jahren der Fall sein.

Abschließend möchte ich aber noch eine schöne Begebenheit schildern. Vor kurzem hat mich eine Frau angerufen, deren Fall schon längst abgeschlossen ist, und sie wollte sich einfach mal wieder melden und fragen, wie es mir geht. Ich sehe das als Bestätigung für eine gute Unterstützung der Frau durch den WEISSEN RING.

Der Weiße Ring

Der Weiße Ring ist ein Verein, der Opfern von Kriminalität und Gewalt hilft. Der Verein ist auf Spenden angewiesen. Wer spenden möchte, kann den Verein direkt auf der Internetseite unterstützen.

Den Weißen Ring Hohenlohekreis erreichen Sie unter: 07942/5210001
Mobil: 0151/54503917

 

Text: Dr. Sandra Hartmann

 




Erhebliches Risiko für geflüchtete Frauen und Kinder, Opfer sexualisierter Gewalt oder Ausbeutung zu werden.

Es gibt erste Berichte von Menschenhändlern an deutschen Grenzen und Bahnhöfen, die Frauen und Kindern Geld und Schlafplatz anbieten zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Diese Gefahr besteht auch noch, wenn die Frauen und Kinder in den Städten angekommen sind. Auch die deutsche Kriminalpolizei versucht, die ukrainischen Frauen und Kindern zu warnen.

Informationsflyer

Im Anhang stehen die Informations-Flyer für Frauen und Kinder, die aus der Ukraine geflüchtet sind, zum Thema Gefahr von Menschenhändlern. Die Informationen finden Sie auf Ukrainisch und Englisch.

Stopp – Flyer Ukrainisch

Stopp – Flyer Englisch

Der Flyer wurde von Ge-STAC erstellt. Ge-STAC steht für Germany’s Survivors of Trafficking and Exploitation Advisory Council: Deutscher Rat von Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung. Dahinter stehen die Hilfsorganisation Sisters e.V. und Sandra Norak.

Pressemitteilung Landratsamt Hohenlohekreis

Flyer im pdf-Format zum Download:
Hilfe bei Gewalt für Geflüchtete
Stopp englisch
Stopp Ukrainisch 

 




Künzelsau: Gewalt im Elternhaus

Laut einer aktuellen Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Heilbronn vom 08. November 2017 war eine 17-Jährige gegen 21.45 Uhr ohne Schuhe aus dem elterlichen Wohnhaus in Künzelsau geflohen, nachdem sie offenbar von ihrem Vater geschlagen worden war. Sie klingelte an einem Haus in der Heinrich-Schüle-Straße und bat dort eine Zeugin um Hilfe. Eine Anwohnerin verständigte daraufhin die Polizei. Beim Eintreffen einer Streife befanden sich die 44-jährige Mutter der Jugendlichen sowie ihr 15-jähriger Bruder vor dem Haus der Zeugin. Die Polizeibeamten nahmen die 17-Jährige in Obhut und erläuterten das Vorhaben den Angehörigen. Beim Verlassen des Wohnhauses versuchten Mutter und Bruder gemeinsam zu der 17-Jährigen zu gelangen, hierzu schlugen und traten sie um sich. Eine weitere Streife war zwischenzeitlich eingetroffen und unterstützte ihre Kollegen. Gemeinsam gelang es den Polizisten, die beiden Angreifer auf dem Boden zu fixieren und ihnen Handschließen anzulegen. Bei den tätlichen Angriffen wurden drei Beamte verletzt. Gegen die Familienmitglieder wurde ein Strafverfahren wegen Körperverletzung sowie gefährlicher Körperverletzung eingeleitet. Die Jugendliche wurde in einer Inobhutnahmestelle untergebracht.