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„Wenn die Buchenbacher nein sagen, das wollen wir nicht, dann sind wir Eberbacher abgekappt“

Es ist ein altes Thema, das aber durch die Corona-Pandemie einen neuen Schub bekommen hat: fehlende Internetanschlüsse, Funklöcher, tote Telefone im Mulfinger Teilort Eberbach. Wer wirkliche Ruhe will, der kann sie dort finden. Anfang des Jahres allerdings kam Bewegung in die Sache: Die Telekom plant einen Mobilfunkmast – in der Nähe der Kirche von Buchenbach. Von dort aus sollen die Eberbacher mit Handyempfang und mobilem Internet versorgt werden. Doch die Buchenbacher wehren sich dagegen.

Auswirkungen aufs Ortsbild

„Ich kann ja verstehen, das die Buchenbacher das nicht an ihrer Kirche wollen“, zeigt eine Eberbacherin im Gespräch mit der GSCHWÄTZ-Redaktion Verständnis. „Das hat auch Auswirkungen auf das Ortsbild.“ Sie zieht einen Vergleich mit der Bergseilbahn in Künzelsau: Das sehe auch nicht unbedingt schön aus. „Aber es gibt Leute bei uns im Ort, die haben absolut nichts – keinen Internetanschluss, kein Telefon und keinen Handyempfang.“ Manche Nachbarn haben eine Verbindung ins WWW über Satellit, aber das sei sehr teuer. „Wenn die Buchenbacher nein sagen, das wollen wir nicht, dann sind wir Eberbacher abgekappt.“

„Das war reine Glückssache“

Sie und ihre Familie hätten noch Glück gehabt: Sie haben einen Festnetz- und Internetanschluss. Allerdings: „Bei schlechtem Wetter haben wir Ausfälle und wenn das Internet ausfällt, sind wir tot“, erklärt die zweifache Mutter. Handyempfang gibt es nicht, außerhalb vom Haus sei sie deshalb gar nicht erreichbar. Sie weiß von Nachbarn, die inständig darauf hoffen, dass der Mobilfunkmast wie geplant gebaut wird. Dabei hätten sie beim Einzug in ihr Haus Glück gehabt: Zuvor hat ihr Onkel dort gewohnt, der Telefonanschluss lief auf ihren Cousin. Weil der diesen nicht gekündigt hatte, konnten sie ihn einfach übernehmen. „Das war reine Glückssache“, sagt die Frau. Mittlerweile sei es Alltag, mit einem Funkloch zu leben. „Man gewöhnt sich daran, dass der Empfang weg ist, sobald man sich einmal umdreht.“ Besonders bitter: Bis zum Ortseingang von Buchenbach ist ein Glasfaserkabel verlegt, im Ort selbst aber nicht. „Aber“, befürchtet die gebürtige Eberbacherin, „ich habe Angst, dass gar nichts gemacht wird, wenn die sich jetzt nicht auf einen Standort einigen.“

„Darüber hinaus gehende Fragen können wir derzeit leider nicht beantworten“

Auf die GSCHWÄTZ-Anfrage zum aktuellen Stand in Sachen Funkmast schreibt Mulfingens Bürgermeister Robert Böhnel: „Sowohl zum Internet wie auch zum Mobilfunk, speziell zum Funkmast in Buchenbach, informieren wir die Bürgerschaft im örtlichen Mitteilungsblatt und in den Sitzungen sehr umfassend. Darüber hinaus gehende Fragen können wir derzeit leider nicht beantworten.“ Er fordert allerdings unsere Eberbacher Leserin dazu auf, sich direkt an ihn zu wenden.

Text: Sonja Bossert




„Als Antwort bekam ich zu hören, dass der Bürgermeister das so wolle“

Kirsten Seber ist wütend: „Das ist doch pure Bürokratie.“ Die Frau betreibt von Ingelfingen aus ein Unternehmen, das insbesondere Senioren, aber auch Familien und Menschen mit Behinderung zu Hause versorgt und unterstützt. Insgesamt hat sie zehn Mitarbeiter, die als systemrelevant gelten. Zwei ihrer Mitarbeiterinnen wohnen in Kupferzell und haben noch kleinere Kinder, sind also auf eine Kinderbetreuung während ihrer Arbeitszeit angewiesen. Also bringen sie diese in der momentanen Kindernotfallbetreuung der Gemeinde unter. Doch statt diese Arbeitnehmerinnen zu unterstützen, macht die Stadt nach Sebers Worten ihnen das Leben auch noch schwer: „Die müssen alle zwei Wochen einen Antrag für die Notfallbetreuung ausfüllen, den vom Arbeitgeber bestätigen lassen und dann in Kupferzell abgeben.“

„Die sind völlig uneinsichtig“

Sie hat bereits bei der Kupferzeller Gemeindeverwaltung angerufen und diese darauf hingewiesen, dass das anders in der Corona-Verordnung von Baden-Württemberg steht. „Die sind völlig uneinsichtig“, erzählt die dreifache Mutter. „Als Antwort bekam ich zu hören, dass der Bürgermeister das so wolle und außerdem sollten die Mitarbeiterinnen ihre Kinderkrankentage nehmen, denn die Notfallbetreuung sei voll.“ Was Seber so wütend macht, ist vielleicht nicht nur unbedingt der Aufwand, den sie damit als Arbeitgeberin hat. „Die Mitarbeiterinnen müssen so jede Woche ins Büro kommen und das, obwohl man jeden unnötigen Kontakt vermeiden soll“, ärgert sie sich. Eigentlich ist es bei ihnen so geregelt, dass die Mitarbeiter direkt von zu Hause aus zur jeweiligen Arbeitsstätte fahren, ohne im Betrieb vorbeizukommen.

Besonders einfach sei es in Bad Mergentheim

Bei anderen Mitarbeiterinnen laufe das besser: Eine hat ein Kind in einer Gaisbacher Einrichtung. Die müsse nur freitags beim Abholen im Kindergarten ein bereits ausgedrucktes Formular ausfüllen mit den Angaben zur benötigten Betreuungszeit. „Das ist dort kein Problem.“ Besonders einfach sei es in Bad Mergentheim. Dort hat die betroffene Mitarbeiterin nur einmal den Antrag ausfüllen müssen, „dann war gut“. In Kupferzell dagegen müssten sich die Eltern die Formulare selbst besorgen. Es ist auch nicht so, dass sich die Arbeitszeiten ändern. „Die Wochen sind alle identisch“, sagt die Arbeitgeberin und argwöhnt: „Das ist gewollt so.“ Die Gemeindeverwaltung von Kupferzell wolle möglichst viele Kinder von der Betreuung fernhalten.“ Was sie auch besonders ärgert: Eine Mitarbeiterin holt ihr Kind in der Mittagspause ab, bringt es zur Oma und arbeitet anschließend weiter. „Da hat die Gemeindeverwaltung unterstellt, dass die Frau die Betreuung gar nicht braucht.“

„Es heißt doch immer, unsere Arbeit sei wichtig“

„Es heißt doch immer, unsere Arbeit sei wichtig“, sagt sie. „Wir fahren zum Beispiel zurzeit viele Menschen zum Impfen.“ Doch stattdessen werde massiver Druck ausgeübt. „Eine Mitarbeiterin hat schon geweint, weil sie nicht wusste, wie sie ihr Kind unterbringen soll.“ Die Kupferzeller Gemeindeverwaltung hat nur geantwortet, dass sie die erste sei, die sich beschweren würde. Seber gibt aber zu bedenken: „Wir sind ein Kleinunternehmen, wie ist das dann erst bei den großen wie Würth?“ Dort sei das doch gar nicht zu bewältigen, wenn alle zwei Wochen Mitarbeiter wegen der Bescheinigung kommen würden. Schließlich müssten die Anträge für die Notfallbetreuung von beiden Elternteilen eingereicht werden.

„Wie ist das dann erst bei den großen wie Würth?“

Dem entgegen steht die Aussage der Gemeindeverwaltung Kupferzell. Auf GSCHWÄTZ-Anfrage, ob jede Woche ein neuer Antrag für die Notfallbetreuung abgegeben werden müsse, schrieb Karina Kolb vom Personalamt per E-Mail: „Vor Weihnachten war ein Antrag erforderlich und dann ab dem 11. Januar 2021 nochmal. Seither muss kein neuer Antrag gestellt werden.“ Es gebe auch keine Grenze für die Anzahl der Plätze. Allerdings sollten „die Gruppen so klein wie möglich gehalten werden, was wiederum mit einem hohen Personalaufwand verbunden ist. Das Ziel der Notbetreuung ist, dass so wenig Kinder wie möglich in der Einrichtung sind, ansonsten können die Einrichtungen wie gehabt geöffnet werden.“ Die Gemeindemitarbeiterin schätzt, dass rund ein Drittel aller Kinder die Notbetreuung besuchen – zu den üblichen Öffnungszeiten. Allerdings dürften die Kinder auch nur so kommen, „wie die Eltern arbeiten“.

Wir haben nur gute Erfahrungen gemacht“

Doch weil „die Anmeldezahlen immer mehr zunahmen“, müssten die Eltern seit rund einer Woche Nachweise ihrer Arbeitgeber einreichen. Zuvor sei das ohne gegangen. Die dafür benötigten Formulare erhalte man direkt bei ihr in der Gemeindeverwaltung. „Wir haben nur gute Erfahrungen mit der Notbetreuung gemacht“, erklärt Karina Kolb in einem Telefonat mit Gschwätz. „Es tut mir ja selbst leid, wenn ich Kindern absagen muss.“

Erneute Änderung ab 22. Februar 2021

Mittlerweile hat sich auch das wieder geändert. „Stand heute (16. Februar 2021) dürfen die Kinderbetreuungseinrichtungen ab kommenden Montag wieder regulär unter Pandemiebedingungen öffnen“, freut sich Karina Kolb bei einem Telefonat mit Gschwätz. Die oft sehr kurzfristigen Änderungen machen auch der Stadtverwaltung die Planungen nicht leicht.

Text: Sonja Bossert

 

 




„Das Ganze ist eine Schweinerei“

Seit dem 16. Dezember 2020 sind die Einzelhandelsgeschäfte in Baden-Württemberg geschlossen. Lediglich Liefer- und Abholservice darf angeboten werden. Der Lebensmittel-Einzelhandel hat weiterhin geöffnet. Betroffen von der Schließung ist auch Dorles Blumenladen in Ingelfingen. Inhaberin Dorothee Widenmeyer war von der Schließung kurz vor Weihnachten völlig überrascht worden, hatte vor der Tür ihres Geschäfts noch einen Verkaufswagen mit Blumen stehen und einer Kasse, in das die Käufer das Geld einwerfen konnten. „Beim ersten Lockdown im Frühjahr haben wir das auch so gemacht und das hat wunderbar funktioniert“, erklärt die Blumenverkäuferin. „Das darf man jetzt nicht mehr machen.“ Bloß hatte ihr das keiner gesagt und schriftlich gab’s natürlich auch nichts. Prompt wurde der Laden beim Ordnungsamt im Rathaus angezeigt. Der Mitarbeiter vom Ordnungsamt habe sie „ziemlich unfreundlich“ auf ihren Fehler hingewiesen. „Etwas später kam noch Bürgermeister Bauer vorbei“, erinnert sie sich. „Der hat uns sehr nett und freundlich die Vorschriften erklärt.“ Aber dagegen machen könne auch der Verwaltungschef nichts. Den Verkaufswagen hat sie denn auch gleich hereingeholt. Immerhin musste sie keine Geldstrafe bezahlen.

„Das geht null auf null aus“

Jetzt darf Dorothee Widenmeyer ihre Kunden nur auf Bestellung mit Blumen versorgen, die diese entweder abholen oder sich liefern lassen. Das heißt aber auch, dass sie immer Ware im Laden haben muss. „Aber die Leute nehmen das nicht so an“, bedauert sie. „Das ist denen zu umständlich.“ Laufkundschaft, die sonst häufig in ihrem Laden vorbeikomme, gibt es momentan natürlich auch nicht. „Da steht keiner am Fenster, schaut herein und bestellt dann per Handy oder von daheim aus“, bedauert sie. Momentan hält sie sich mit Lieferungen auf Bestellung über Wasser. Sie ist bei Euroflorist dabei, bindet Sträuße für den Blumenversender – „das geht so null auf null aus“, schließlich müsse sie für ihren Laden Miete bezahlen.

„Es geht nicht nur um uns“, sondern auch um die Zulieferer

„Ich versteh‘ ja die Maßnahmen wegen dieser Krankheit und außerdem geht es den Friseuren auch nicht besser“, zeigt sich die Ladenbesitzerin verständnisvoll. Dennoch fühlt sie sich unfair behandelt. „Wenn ich bloß den Verkaufswagen rausstelle mit Blumen drauf, komme ich doch mit den Leuten nicht zusammen“, meint sie. „Das Ganze ist eine Schweinerei, weil die Discounter verkaufen dürfen, wie sie wollen.“ Bei Lidl, Aldi und Co, auch bei BAGeno in Ingelfingen gibt’s auch jetzt noch Pflanzen und Dorothee Widenmeyer befürchtet, dass so letztendlich Kundschaft abgezogen wird. Was sie noch zu bedenken gibt: „Es geht nicht nur um uns.“ Die Discounter verkaufen Hollandware, unterstützen keine Lieferanten in Deutschland. „Wir haben Top-Lieferanten und die können jetzt nicht aussäen, weil sie nicht wissen, bis wann sie wieder verkaufen können.“ Den Samen allerdings haben sie im vergangenen Jahr bereits bestellt, müssen ihn jetzt auch bezahlen. „Einer meint schon, wenn das so weitergeht, ist er bis Ostern pleite“, bedauert sie.

„Ich gebe nicht auf“

Demnächst steht der Valentinstag vor der Tür – neben dem Muttertag und Weihnachten einer der wichtigsten Tage im Blumengeschäft. „Die gehen sonst immer am besten“, blickt Dorothee Widenmeyer zurück. Sie fürchtet, dass das gerade so weitergeht, sie ihr Geschäft bis ins Frühjahr 2021 nicht öffnen darf. Die Blumen, die sie momentan im Laden hat, müsste sie eigentlich rausstellen – den Pflanzen ist es im Laden mit 15 Grad zu warm. So hat sie es in den vergangenen Jahren immer gehalten. Aber nicht einmal das dürfe sie zurzeit. Alles verschenken, was sie nicht verkauft, könne sie ja auch nicht. „Aber ich gebe nicht auf“, gibt sich kämpferisch. „Ich habe bereits die Hohenloher Bundestags- und Landtagsabgeordneten angeschrieben und mich beschwert.“ In den Schreiben plädiert sie dafür, dass auch die Discounter keine Blumen verkaufen dürfen. Aus Solidarität.

Text: Sonja Bossert




„Das ist menschlich erschütternd“

Die Freie Waldorfschule Schwäbisch Hall e.V. ist ein Ort, an dem sich Kinder und Jugendliche wohlfühlen können. Der Gutshofcharakter der Anlage auf dem Teurershof, einem alten Hofgut hoch über dem Stadtzentrum, ist noch sichtbar, nur behutsam wurden die alten Gemäuer den Bedürfnissen der Schule entsprechend umgebaut. Die riesige Scheune, die momentan als Lagerplatz genutzt wird, soll ebenfalls irgendwann renoviert werden. Am Eingang zum Schulgelände begrüßt ein relativ neues Gebäude den Besucher, das mit dem Fähnchen auf dem Dach entfernt an ein Zirkuszelt erinnert: die Übungshalle des Circus Compostelli. Bis zu 180 Kinder und Jugendliche trainieren hier jede Woche.

Waldorfpädagogik durch Fernunterricht stark eingeschränkt

Doch das weitläufige Schulgelände ist in diesen Tagen coronabedingt kaum belebt. Nur wenige der rund 450 Schüler dürfen zum Unterricht kommen – die Abschlussklassen zur Prüfungsvorbereitung, ein paar Lehrer und Mitarbeiter der Verwaltung. „Wir haben eine Kombi aus Fern- und Präsenzunterricht“, sagt der pädagogische Geschäftsführer, Dr. Fabian Stoermer. „Es ist eine Herausforderung, denn plötzlich sehen die Eltern, Schüler und Lehrer, wer was wann auf der Plattform einstellt.“ Er findet das richtig, aber: „Transparenz muss auch fair sein.“ Um ihre Schüler zu unterstützen, laden die Lehrer kleine Filme mit persönlichen Botschaften hoch, etwas, das von den Eltern stark nachgefragt wurde. „Da ist viel Schönes dabei“, findet Dr. Stoermer, der hofft, dass es so bleibt. „Die momentane Situation ist ungünstig für unsere Pädagogik, denn die Schüler-Lehrer-Beziehung und die sinnliche, direkte Erfahrung ist hier ein tragendes Element.“ Das gehe im Fernunterricht nicht so gut. Ein großer Bereich der Pädagogik der Waldorfschule sei stark eingeschränkt zurzeit, dennoch zeigt sich der gebürtige Karlsruher zufrieden.

„Es war eine Ausnahmesituation“

In 2020 ging es hier allerdings nicht immer so beschaulich zu, die Schulgemeinschaft erlebte ein anstrengendes Jahr mit Höhen und Tiefen. „Es war eine Ausnahmesituation“, blickt der 55-Jährige zurück. „Sowas hatten wir vorher noch nicht und damit haben wir auch nicht gerechnet“, spielt er auf einen Missbrauchsfall an, der an der Schule stattgefunden haben soll und die Schulgemeinschaft nachhaltig schockierte: Ein Lehrer soll vor einigen Jahren zwei Mädchen sexuell missbraucht haben. Erst im Sommer 2020 fand eines der Kinder den Mut, sich einem Sozialarbeiter anzuvertrauen. Nach einer Anzeige meldete sich auch das zweite Mädchen mit den gleichen Vorwürfen. Der Lehrer, seit Jahren an der Waldorfschule tätig, sitzt seit August 2020 in U-Haft. Der Prozess soll am 16. Februar 2021 vor dem Landgericht Heilbronn beginnen.

„Es gab keinen Grund, an den Aussagen der Mädchen zu zweifeln“

„Zuerst dachte ich, das kann nicht sein“, erklärt Dr. Stoermer. Er unterrichtet seit 2005 Deutsch, Geschichte und Ethik in der Oberstufe, kennt den Lehrer seit Jahren. „Das ist menschlich erschütternd.“ Die Schule sei wie eine große Familie, in der man sich sehr gut kenne. Im Kollegium werde darüber gesprochen, viele Lehrer hätten teils enge Verbindungen zu dem Mann gehabt. Noch zu Beginn der Sommerferien hatte der pädagogische Geschäftsführer ein gutes Gefühl. Doch schon Anfang August kam der Anruf des Schulsozialarbeiters – der signalisierte gleich, dass er keinen Grund habe, an den Aussagen der Mädchen zu zweifeln. „Deshalb war auch immer klar, dass wir den beiden glauben.“ Klar war auch sofort, dass aus dem Fall kein Geheimnis gemacht wird. „Das war uns wichtig, denn Schwäbisch Hall ist ein Dorf, da erfahren die Leute sowieso alles ganz schnell“, begründet er seinen offenen Umgang mit dem Fall. Außerdem könne nur eine „offene Kommunikation helfen, das Geschehene zu verarbeiten und zu verhindern, dass es sich wiederholt“. Zusätzlich beginne dann auch gleich die Arbeit, die man damit hat: „Informationen an die Ermittlungsbehörden weitergeben, den Dachverband und die Schulgemeinschaft informieren.“ Am ersten Schultag gab es für die betroffene Klasse einen Elternabend mit einer Vertreterin der Heilbronner Fachberatungsstelle „Pfiffigunde“ und Frau Klinger von der Erziehungsberatung beim Landratsamt Schwäbisch Hall. Zwei Tage später folgte ein Gesamtelternabend, bei dem neben der Fachberaterin der Pfiffigunde abermals Frau Klingner vom Landratsamt Schwäbisch Hall und die gerade neu eingestellte Fachberaterin für sexuellen Missbrauch beim Landratsamt teilgenommen haben. Nach einem weiteren Informationsabend mit der Vertreterin der Heilbronner Fachberatungsstelle haben die Eltern aus der besonders betroffenen Klasse einen Gesprächskreis gebildet, für den die Schule eine Supervision durch eine ausgebildete externe Fachkraft zur Verfügung stellt. „Das Lehrerkollegium hatte bereits 2019 eine Fortbildung zum Thema Kindeswohlgefährdung mit Frau Dinse vom Jugendamt Schwäbisch Hall besucht“, blickt der Lehrer zurück.

 „Stärkung der Kinder“

Als nächsten Schritt beschloss die Schule, ihr Schutzkonzept „Stärkung der Kinder“ zu überarbeiten, über das man sich vor einem Jahr beraten habe und das auch bei häuslicher Gewalt greife. Es bezieht Eltern und Lehrer mit ein. In diesem Rahmen soll eine Atmosphäre entstehen, die es allen Beteiligten erlaubt, Kritik zu äußern und leichte Wege zu finden, sich über Dinge zu informieren. Die Weiterentwicklung wird von zwei Damen begleitet: einer Vertreterin vom Bund der Freien Waldorfschule, die das Thema schon lange bearbeitet, und einer Organisationsentwicklerin mit Ausbildung in dem Bereich: „Wir wollten Beratung auch von außerhalb unserer Schule“. Außerdem orientiere man sich „an den Leitlinien, die ein runder Tisch im Gefolge von Missbrauchsskandalen erarbeitet hat und die vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Form einer Broschüre zur Verfügung gestellt worden sind“.

„Die Frage war, wie man den Schülern helfen kann, damit umzugehen“

Das Ereignis vom Sommer 2020 habe sie aufgeweckt: „Das hat uns gezeigt, dass wir etwas verbessern müssen.“ Es soll jetzt eine Vertrauensstelle aus Eltern und Schulsozialarbeit definiert und eingerichtet werden. „Wir hatten schon vorher Vertrauenslehrer und einen Vertrauensrat mit sechs Mitgliedern: ein Lehrer, ehemalige Eltern sowie Menschen aus dem externen Umfeld“, erklärt Dr. Stoermer. Die Schulsozialarbeit sei mit zwei Personen bereits fest installiert. „Das sollten Menschen mit Erfahrung in Mediation sein.“ Es sei aber nicht als Beschwerdestelle zu verstehen, sondern da könne man sich hinwenden, wenn man das Gefühl hat, dass Gespräche einen nicht weiterbringen. Die Themen werden dann professionell und diskret bearbeitet. „Das, was wir jetzt machen, müssen wir weiterverfolgen“, ist der Lehrer überzeugt. Außerdem gab es eine Supervision für Lehrer und Eltern und die besonders betroffenen Klassen. „Die Frage war, wie man den Schülern helfen kann, damit umzugehen“, sagt er. „Die machen das ganz gut.“ Im Fall einer ehemaligen Schülerin kam es zu einer Re-Traumatisierung. Die Frau hat professionelle Begleitung in Anspruch genommen, die von der Waldorfschule bezahlt wird. „Es kann sein, dass zum Prozessbeginn noch mehr kommt als bisher.“ Doch bis jetzt sei keine große Resonanz auf das Angebot gewesen. Manche Eltern hätten sich auch an öffentliche Stellen gewandt.

„Dann kann es schon sein, dass es Einfluss auf die Schülerzahlen hat“

Vielleicht sind es auch all diese Maßnahmen, die die Eltern davon abgehalten haben, in Scharen der Schule den Rücken zu kehren. „Es gab in dem Zeitraum vielleicht eine oder zwei Abmeldungen, aber nicht mit Bezug darauf“, sagt der Lehrer. „Wir haben hier Eltern, deren Kinder schon älter sind und die die Schule kennen. Die werden auch weiterhin ihre Kinder bringen.“ Wenn das Verfahren eröffnet wird, rechnet er wieder mit steigendem Medieninteresse. „Dann kann es schon sein, dass es Einfluss auf die Schülerzahlen hat.“

„Das erfordert menschliche Nähe“

Dr. Stoermer hat sich eingehender mit der Thematik beschäftigt. Seine Erkenntnis: Einen solchen intimen Zugang könne nur ein beliebter, guter Pädagoge erlangen, denn das erfordere menschliche Nähe. Außerdem: „Ein prozentualer Anteil zeigt, dass es das überall gibt.“

„Das sind Menschengemeinschaften“

An der Schule wird stark über Beziehungen gearbeitet. Von Klasse eins bis acht haben die Schüler immer den gleichen Lehrer. „Das kann toll sein, wenn der vertraute Lehrer den Weg mit in die Pubertät beschreiten kann“, erklärt Dr. Stoermer. „Aber es gibt auch Schattenseiten und so mancher Schüler wäre sicherlich froh über einen Lehrerwechsel.“ Er nennt die Waldorfschulen „Menschengemeinschaften“, die für ihn „etwas ganz Besonderes sind“. Es wird Wert auf demokratische Beteiligung aller – Eltern, Lehrer und Schüler – gelegt. Alle Mitarbeiter erhalten das gleiche Gehalt, hat man Familie, bekommt man etwas mehr für den höheren Bedarf. „Das Geld ist unsere Freistellung“, findet Dr. Stoermer, der erst mit Ende 30 zum Lehrerberuf kam und selbst kein Waldorfschüler war. „Das bekomme ich, damit ich hier arbeiten kann.“ Ein weiterer Demokratie-Bestandteil ist der Schulvorstand, in dem immer auch drei Eltern sitzen und der die Geschicke der Schulgemeinschaft bestimmt. Dr. Stoermer schätzt an der Schule vor allem, „dass man hier viel mitgestalten und auch die Arbeitsumgebung selbst gestalten kann.“ Das aber bringe auch eine hohe Verpflichtung auf Transparenz, wechselseitige Kritik und Achtsamkeit mit sich. Der Schulrat tagt einmal im Monat. Hier kommen Eltern, Lehrern, SMV-Vertreter sowie alle Schulleitungsgremien zusammen. Hier berichten immer wieder auch Schüler, die ihren Abschluss gemacht haben, über ihre Erfahrungen und geben Einschätzungen zu positiven und negativen Aspekten ihrer Schulzeit ab. Im Schulrat erzählen ehemalige Schüler was in ihren Augen gut und weniger gut war. „Hier kann man die Menschen direkt ansprechen“, so der Lehrer.

Text: Sonja Bossert

Info:

Seit 1984 gibt es die Freie Waldorfschule e.V. in Schwäbisch Hall, die staatliche anerkannt ist und zum Verband der Freien Waldorfschulen Baden-Württemberg gehört. Neben den Klassenzimmern, die teilweise in drei Pavillons untergebracht sind, gibt es eine Turnhalle, Schülerwerkstätten mit Schmiede, Schreinerei und Atelier, Schulgarten, Hühnerhaus sowie Küche und Mensa.

Alle Abschlüsse möglich

Die Klassen der Jahrgangsstufen eins bis 13 sind mit jeweils bis zu 36 Schülern einzügig. Zwei Stunden täglich haben die Schüler gemeinsamen Hauptunterricht, danach werden die Klassen aufgeteilt in Fachgruppen mit zwölf bis 18 Schülern. 60 Pädagogen sind an der Schule beschäftigt, knapp 40 davon in Vollzeit. An der Waldorfschule können der Hauptschulabschluss, Mittlere Reife, Fachhochschulreife und nach Klasse 13 das Abitur erworben werden. Im Wesentlichen legen die Waldorfschüler die gleichen Prüfungen ab wie an den staatlichen Schulen, allerdings können die Waldorfschulen in bestimmten Fächern eigene Themen setzen. Und der Lehrplan der Oberstufe behandelt Themen, die nicht an den staatlichen Schulen vorkommen. Ein weiterer Unterschied: Die Vorleistungen aus Klasse elf und zwölf werden beim Abitur nicht mit eingerechnet. Sollte die schriftliche Note nicht so gut ausfallen, kann anschließend freiwillig noch eine mündliche Prüfung in dem jeweiligen Fach abgelegt werden. Etwas über ein Drittel eines Jahrgangs macht an der Haller Waldorfschule das Abitur, weniger als zwölf die Mittlere Reife. In Klasse neun absolvieren alle Schüler ein Praktikum in der Forstwirtschaft, in Klasse zehn ein individuelles in der Landwirtschaft, das manche Jugendlichen sogar ins Ausland führt.

Coronabedingt keinen Tag der offenen Tür in diesem Jahr

Infoabende und der Tag der offenen Tür wurden wegen der Corona-Pandemie verschoben oder ganz abgesagt. Interessierte Eltern können sich unverbindlich direkt bei Dr. Stoermer per E-Mail unter f.stoermer@waldorfschule-hall.de melden, denn individuelle Gespräche sind erlaubt. Weitere Infos auf der Homepage https://www.waldorfschule-hall.de/.

 

Die Übungshalle des Circus Compostelli. Foto: GSCHWÄTZ

Eins der Schulgebäude mit Klassenzimmern, Eurythmieräumen und der großen KulturScheune. Foto: GSCHWÄTZ

Der Glockenturm war ein Bauprojekt der Schüler. Foto: GSCHWÄTZ

Einer der Werkräume der Waldorfschule. Foto: GSCHWÄTZ

Die Schmiede. Foto: GSCHWÄTZ

Erzeugnisse aus der Buchbinderei. Foto: GSCHWÄTZ

Auch mit Holz arbeiten die Waldorfschüler. Foto: GSCHWÄTZ

Hier drehen Lehrer Videos für ihre Schüler. Foto: GSCHWÄTZ




„Es gibt Bilder und Eindrücke, die sich einbrennen“

Sie kommen bei Unfällen, plötzlichen Todesfällen, Bränden oder wenn jemand vermisst wird: die Mitarbeiter der Notfallseelsorge im Hohenlohekreis. Sie stehen Menschen bei, die sich in einer akuten Krisensituation befinden – beispielsweise Angehörigen von Unfallopfern – aber auch Mitgliedern von Hilfs- und Rettungsdiensten, Feuerwehr und Polizei. „Etwa zehn bis 20 Prozent der Gesamteinsätze sind nach Unfällen“, sagt Diakon Hans-Peter Hilligardt, Leiter der Hohenloher Notfallseelsorge. „Auf häusliche Einsätze wie plötzliche Todesfälle entfallen rund 70 Prozent.“ Wegen der Corona-Pandemie gab es rund zehn Prozent weniger Einsätze, schätzt er. Der 62-Jährige vermutet, dass die „Verantwortlichen uns nur rufen, wenn es absolut unbedingt nötig ist, um auch uns vor möglichen Infektionen zu schützen“.

Unabhängig von der Konfession oder religiösen Überzeugung

Die Notfallseelsorge wird im Hohenlohekreis in Zusammenarbeit mit dem Notfallnachsorgedienst (NND) des DRK von den evangelischen Dekanaten Öhringen und Künzelsau sowie dem Katholischen Dekanat getragen. Das Angebot ist aber unabhängig von der Konfession oder religiösen Überzeugung der Personen, die diese Hilfe benötigen. „Wir haben rund 35 Mitarbeitende“, berichtet Hilligardt weiter. „Der harte Kern besteht aus etwa 15 Personen.“ Die Mitarbeiter sind in Alarmgruppen zu je acht Personen zusammengefasst. Diese wiederum delegieren an Regionalgruppen weiter. Den Einsatz selbst lösen die zuständigen Leitstellen aus. „Unsere Mitarbeiter in Rufbereitschaft sind mit Piepsern und Meldeempfängern ausgestattet“, sagt der gebürtige Löchgauer. „Seit 2019 haben wir auch ein gut funktionierendes App-System, so kann der Alarm auch übers Handy empfangen werden.“ Denn bei Schwabbach beziehungsweise Eschental sei Funkgrenze und so müsse der Mitarbeiter nicht zwangsweise im Landkreis sein. „Wenn es ganz ungünstig läuft, muss durchaus auch mal der Diensthabende übernehmen“, erklärt Hilligardt. „Das ist dann der Letzte, den es erwischt.“

„Unsere Mitarbeiter sind aus dem ganz normalen Leben“

Fünf Hauptamtliche und drei Ehrenamtliche bilden den Alarmkopf, der immer wieder mal wechsele. „Das muss auch nicht unbedingt jemand sein, der im pastoralen Bereich tätig ist“, erklärt der Pfedelbacher. So gebe es Ehrenamtliche, die in der Verwaltung tätig sind. „Unsere Mitarbeiter sind aus dem ganz normalen Leben, haben sich einen gewissen Hintergrund angeeignet und müssen natürlich psychisch stabil sein“, nennt er Kriterien. Bevor neue Mitarbeiter loslegen können, müssen sie zunächst an drei Wochenenden einen seelsorgerischen Grundkurs absolvieren. Dem schließt sich ein Grundkurs in Notfallseelsorge an. Diese Fortbildung dauert zwei Wochen innerhalb eines Jahres. Die ersten Einsätze werden stets mit jemand Erfahrenem absolviert. Hilligardt selbst ist seit 20 Jahren bei der Notfallseelsorge, seit fünf Jahren ist er deren Leiter. Davor war der ausgebildete Sanitäter 20 Jahre ehrenamtlich im Rettungsdienst tätig.

„Bei Familien ist auf jeden Fall stets eine weibliche Einsatzkraft dabei“

„Es hängt vom Einzelfall ab, ob zwei oder mehr unserer Mitarbeiter kommen“, so Hilligardt. „Eine zweite Person, die kurzfristig dazukommen kann, haben wir immer in Reserve und bei Einsätzen in Familien ist auf jeden Fall stets eine weibliche Einsatzkraft dabei.“ Es könnten aber auch mal drei Einsatzkräfte sei, wenn es um Familien oder Personen mit Migrationshintergrund gehe.

„Wenn ich durch den Landkreis fahre, habe ich oft Flashback“

Es gibt Einsätze, die auch Hilligardt im Gedächtnis geblieben sind: „Es gibt Bilder und Eindrücke, die sich einbrennen“, sagt er. Dinge, die man mit sich trage, auch wenn man emotional nicht so sehr beteiligt sein solle. So erinnert er sich noch lebhaft an einen Unfall wegen eines technischen Defekts, der bereits 30 Jahre her ist: „Weil ein Scheinwerfer an einem Auto kaputt war, hat der Fahrer im entgegenkommenden Wagen gedacht, das sei ein Motorrad. Es gab damals drei Tote.“ Die Erinnerung daran hat ihn selbst an dem Tag, an dem das GSCHWÄTZ-Gespräch stattfand, dazu veranlasst, seinen eigenen Wagen zur Reparatur in die Werkstatt zu bringen. „Wenn ich durch den Landkreis fahre, habe ich oft Flashbacks an Dinge, die passiert sind.“ Aber das seien Extremsachen.

Text: Sonja Bossert

Das Leitungsteam der Nofallseelsorge im Hohenlohekreis (v.l.): Pfarrer Arnim Speck (Stellv. Leiter), Geschäftsführerin Ute Karle und Diakon Hans-Peter Hilligardt (Leiter). Foto: NFS im Hohenlohekreis




„Jetzt schon wieder voller Kacke“

„Seit diesem Sommer ist es schlimmer geworden“, beklagt eine Künzelsauer Anwohnerin, die gerne anonym bleiben möchte (der Name ist der Redaktion bekannt). „Die Alte Schmiede betrifft es am meisten.“ Was sie meint: Die zahlreichen Tauben, die in der Gaisbacher Straße in Künzelsau und drumherum ihr Domizil aufgeschlagen haben, dort auf Futtersuche gehen, übernachten, frühmorgens schon gurren und natürlich ihren Kot hinterlassen. Aber auch in der Hauptstraße hat sie die Vögel schon häufig auf dem Dach des Brillen- und Kontaktlinsen-Studios gesehen. Die Frau vermutet, dass jemand die Tiere füttert. Zum Beweis legt sie Schalen von Sonnenblumenkernen und Kürbiskernen vor, die sie immer häufiger auf der Straße findet. Sie hat beobachtet, dass die Vögel dort herumpicken.

Heimliche Taubenfütterer?

„Das ist doch verboten“, empört sich die Frau, die seit Jahrzehnten im Süden der Kernstadt wohnt. Eigentlich sei eine Taube ja etwas Schönes, findet sie. „Aber so viele sind eine Plage.“ Sie meint, dass man das Taubenproblem in Künzelsau nicht im Griff habe, obwohl es hier ein Taubenhaus gibt. (Über das Taubenhaus hat GSCHWÄTZ bereits mehrfach berichtet, zum Beispiel unter https://www.gschwaetz.de/2019/02/08/hochzeitstauben-zum-sterben-verurteilt/ oder https://www.gschwaetz.de/2019/12/22/die-stadt-wird-zugeschissen-finanzielle-probleme-des-taubenhauses-in-kuenzelsau/).

Tauben-Besuch im Bad

„Ich hatte sogar schon Tauben in meinem Badezimmer“, erzählt die Mutter eines erwachsenen Sohnes. „Noch schlimmer ist der Kot auf den Dachfenstern. Den kriegt man fast nicht mehr weg.“ Was sie besonders bedauert: Das Gebäude der Weinbar Alte Schmiede sei erst vor rund zwei Jahren frisch gestrichen worden und jetzt schon wieder „voller Kacke“. „Dort legen die Tauben sogar ihre Eier auf den Balkonen ab“, sagt die gebürtige Garnbergerin. „Außerdem kann ich nicht zugucken, wie dieses Haus versaut wird.“ Das tue ihr in der Seele weh.

Intelligente Tiere

„Ganz lange sind die Tauben scharenweise auf der Metzgerei Häussler gesessen, das kann ich von meinem Fenster aus sehen“, erzählt sie von ihren Tauben-Erfahrungen. „Sobald ich sie gesehen habe, habe ich mit einem Rost gegen ein Holzbrett geschlagen. Dann sind sie abgehauen.“ Seither würden sich die Tiere auch nicht mehr auf das Gebäude setzen. Überhaupt seien die sehr intelligent, ist die Anwohnerin überzeugt: „Die sind tagsüber nicht da, aber pünktlich um 16 Uhr kommen sie jeden Tag zurück.“ Da könne man die Uhr danach stellen. Doch gleichzeitig fürchtet sie, dass die Tiere Ungeziefer im Schlepptau haben und Krankheiten übertragen.

Anfrage bei der Stadtverwaltung

Was die Frau sich wünscht: „Man müsste das Bürgerbüro wachrütteln und wichtig wäre, dass mal jemand kommt und sich das anschaut.“ Das sei ihr ein großes Anliegen. Sie habe bereits eine Gemeinderätin angesprochen, die sich auch schon fürs Künzelsauer Taubenhaus eingesetzt habe. Diese aber habe sie ans Bürgerbüro verwiesen. GSCHWÄTZ hat nun bei der Stadtverwaltung um eine Stellungnahme gebeten. Die Antwort darauf steht noch aus.

Text: Sonja Bossert

Diese Schalen liegen immer öfter auf der Gaisbacher Straße. Reste von Taubenfutter? Foto: GSCHWÄTZ




„Man hat doch gewusst, dass da was kommt“

Viele Last-Minute-Einkäufer von Weihnachtsgeschenken hat der harte Lockdown auf dem falschen Fuß erwischt. Die meisten Läden sind dicht, nur noch Geschäfte, die Dinge für den täglichen Bedarf anbieten, dürfen geöffnet haben. Auch in der Künzelsauer Innenstadt ist an diesem frühen Donnerstagmorgen, den 17. Dezember 2020, eher wenig los. Nur vereinzelt laufen Passanten durch die Gassen. Etwas umtriebiger geht es im Kaufland zu. Hier tragen die Einkäufer Masken und versuchen, die Abstände einzuhalten, so gut es eben geht.

Vor der Metzgerei hat sich eine längere Schlange gebildet

Etwas später, kurz vor Mittag, ist das Bild schon etwas anders. Jetzt schlendern mehr Menschen durch die Hauptstraße, in den Seitenstraßen ist teilweise niemand zu sehen. Vor der Metzgerei Harald Schäfer hat sich eine längere Schlange gebildet, weil die Kunden nur vereinzelt in den Verkaufsraum dürfen und auch auf ihre Abstände achten. Besonders viele Einkäufer sind in der Drogerie Müller zu finden. Hier darf weiterhin das ganze Sortiment, auch Spielzeug und Musik-CDs, verkauft werden. Auch Zugangsbeschränkungen scheint es hier keine zu geben. Die Menschen stehen teils dicht an dicht in den engen Gängen, ohne dass die Verkäuferinnen darauf reagieren würden.

Viel los im Drogeriemarkt Müller

GSCHWÄTZ hat sich in Künzelsau umgesehen und die Passanten gefragt, was sie in die Stadt führt und wie sie es finden, dass die meisten Geschäfte geschlossen bleiben müssen. Es zeigt sich: Die meisten laufen nur durch die Straßen und Gassen. Sie hatten Termine und viele sind jetzt auf dem Heimweg.

„Weihnachtsgeschenke braucht man doch nicht unbedingt“

Eine Frau, die direkt in der Stadt wohnt, erzählt: „Ich laufe hier nur durch, weil ich einen Termin hatte und jetzt auf dem Heimweg bin.“ Nur kurz habe sie bei der Drogerie Müller vorbeigeschaut, um Vogelfutter zu kaufen. Sie findet den Lockdown richtig: „Weihnachtsgeschenke braucht man doch nicht unbedingt. Es geht auch ohne.“ Zwei kleine Mädchen kommen mit Einkaufstaschen in den Händen die Straße entlang. Die beiden Künzelsauerinnen haben Lebensmittel eingekauft. Sie finden es schade, dass jetzt alles zu ist, denn jetzt ist kein Abstecher zum Spielzeugladen oder in die Buchhandlung drin. „Aber keine Schule zu haben, ist toll“, meinen sie lachend.

„Leider können wir nicht viel machen“

Ein Mann schiebt entspannt seinen dreijährigen Sohn auf dem Dreirad durch die Hauptstraße. „Leider können wir nicht viel machen“, meint der 56-Jährige bedauernd. Sie gehen häufig in die Wertwiesen oder einfach nur spazieren. So wie jetzt. Den Lockdown findet der Vater gut, allerdings „kommt der zu spät, denn sonst hätten wir Weihnachten zusammen feiern können“. Jetzt müssten die Menschen leiden – dabei denke er vor allem an jene, die alleine leben. „Die Isolation ist für die Psyche das Schlimmste“, sagt der Mann.

Zustimmung und Skepsis

Entspannt bummelt eine dreiköpfige Familie durch die Straße, wirft einen Blick in so manches Schaufenster der geschlossenen Geschäfte. Der Vater hatte einen Arzttermin, die Mutter musste in die Apotheke. Die Forchtenberger sind nicht ganz einer Meinung, was Sinn oder Unsinn des Lockdowns betrifft. „Ich finde den Lockdown in der jetzigen Lage richtig“, sagt die Frau. Ihr Mann dagegen: „Ich bin skeptisch, aber was soll man schon machen.“

„Bestellen wollte ich nicht“

Im Müller drängen sich die Leute. Im Obergeschoss steht eine Frau am CD-Regal. „Ich suche eine CD als Weihnachtsgeschenk für meinen Sohn“, erzählt die Kupferzellerin. „Bestellen wollte ich nicht, sondern ein Geschäft vor Ort unterstützen.“ Eine Arbeitskollegin, habe ihr erzählt, dass die Drogerie noch offen habe. Aber sie findet: „Man sollte alle Geschäfte, außer die Lebensmittelläden zu machen.“ Das Gedränge im Müller habe sie erstaunt und deshalb wolle sie auch ganz schnell wieder raus aus dem Laden.

„Man hat doch gewusst, dass da was kommt“

Eine ältere Frau bummelt mit ihrem Rollator die Straße entlang. Sie hatte einen Termin bei der Fußpflege und ist jetzt auf dem Heimweg. „Ich finde den Lockdown gut, aber doch nicht gerade jetzt. Das hätten die sich früher überlegen sollen“, empört sie sich. „Außerdem wieso erst ab Mittwoch und nicht gleich ab Montag?“ Die Seniorin findet das inkonsequent. Sie habe aber den Vorteil, dass sie alleinstehen sei und deshalb nicht viel brauche. In Richtung der Last-Minute-Einkäufer meint sie: „Man hat doch gewusst, dass da was kommt.“

Text: Sonja Bossert

Gegen Mittag ist schon etwas mehr los. Foto: GSCHWÄTZ

Ruhe auch vor dem Kaufland. Foto: GSCHWÄTZ

Der Ausblick vom GSCHWÄTZ-Büro: Kein Mensch ist hier kurz vor Mittag unterwegs. Normalerweise ist hier mehr los. Foto: GSCHWÄTZ




Baumfäller mit Hang zum Anarchismus

Auf einmal standen diese Schilder da am Straßenrand. Zwischen Ohrnberg und Möglingen waren sie im vergangenen Herbst plötzlich aufgetaucht. „Biberwechsel“ steht darauf und: „19-7 h“. Gibt es so viele Biber in Ohrnberg, dass sich ein Schild lohnt, um auf sie hinzuweisen wie andernorts auf die Schulwege der Kinder?

Gibt es so viele Biber, das sich ein Schild lohnt?

Die Frau, die das weiß, ist Petra Kuch. Die Öhringerin ist im Auftrag des Landratsamtes seit 15 Jahren ehrenamtliche Naturschutzwartin und seit 2012 ehrenamtliche Biberberaterin. Sie betreut rund 50 Biberreviere am Kocher und seinen Nebenflüssen. Außerdem geht sie in Nicht-Corona-Zeiten mit ihrer Biberschule in Schulen und Kindergärten, bringt den Kindern mit einem ausgestopften Biber, Spielen, Filmen und Bildern das Tier näher.

Der Duft von Äpfel zieht die Biber magisch an

„Schon seit zehn Jahren leben Biber am Kocher zwischen Ohrnberg und Möglingen“, sagt sie. „Das ist das älteste Biberrevier am Kocher im Hohenlohekreis.“ Sie hat auch veranlasst, dass die Schilder, die vor dem Straßenseiten wechselnden Biber warnen, aufgestellt werden: „Das war nach einer Gewässerschau im Frühjahr, das Straßenbauamt der Stadt Öhringen hat sie aufgestellt. Das Problem an der Stelle: Auf der anderen Seite der Straße stehen alte Apfelbäume, deren Früchte nicht mehr abgeerntet werden. Sobald diese reif sind, fallen sie auf den Boden und fangen an zu faulen. Der Duft zieht die Biber magisch an. Sie machen sich auf den Weg, kreuzen die Straße – natürlich ohne auf den Verkehr zu achten. „Erst im vergangenen Jahr ist dort ein Biber überfahren worden“, erklärt Petra Kuch. Und ein solches Treffen sei nicht nur für das Tier gefährlich, sondern es könne auch zu erheblichem Schaden am Fahrzeug kommen. „So ein Biber kann rund 30 bis 40 Kilogramm wiegen“, sagt die Biberbeauftragte, die hauptberuflich beim Regierungspräsidium als Technikerin im Bereich Gewässertechnologie tätig ist. Weil der Biber, das größte Nagetier in Europa, keine jagdbare Art sei, übernehmen die Kfz-Versicherungen den Schaden oft nicht. Eine weitere Gefahr gerade an dieser Stelle: Schon öfters seien Fahrzeuge im Vorgarten der Anwohner gelandet. Wenn ein Autofahrer hier einem Biber ausweichen müsse, könnte das jederzeit wieder passieren. Denn auf das Schild, das dort den Verkehr auf 70 Stundenkilometer abbremsen soll und das ebenfalls dort steht, achte kaum jemand.

Leben im kleinen Familienverband

Biber leben monogam – das heißt, sie bleiben zeitlebens mit einem Partner zusammen. Sie bekommen zwei bis drei Junge im Frühjahr, von denen meist nur eins überlebt. „Der Biber ist sehr territorial, sein Wohngebiet ist rund zwei Kilometer lang“, erklärt Petra Kuch. Meist leben noch die Jungtiere vom vergangenen Jahr bei den Eltern und helfen ihnen bei der Aufzucht des neuen Wurfs. Im zweiten Jahr verjagen die Elterntiere ihren älteren Nachwuchs. Im Sommer ernähren sich die Tiere von Gras und Kräutern. Sobald es aber im Herbst kalt wird, stellen sie sich auf Baumrinde und dünne Zweige um – und auch wenn es so aussehe, der Biber frisst kein Stammholz. „Weil der Biber nicht klettern kann, fällt er kurzerhand die Bäume“, erklärt die Öhringerin das Treiben des Nagers. „Er hält keine Winterruhe ein, ist zwar im Winter wenig aktiv, legt sich dafür aber einen Vorrat quasi wie einen Kühlschrank an.“ Deshalb plädiert die Biberberaterin auch dafür, die gefällten Bäume liegenzulassen: „Nimmt man dem Biber diesen Vorrat weg, fällt er einfach einen anderen Baum.“ Der Biber neigt zur Anarchie – er macht, was er will.

Angepasst an ihr Umfeld

„Mittlerweile haben sich Biber und Baum an ihr Lebensumfeld angepasst“, so Petra Kuch weiter. „Das Vorgehen der Biber ist eher etwas Gutes, denn sie verjüngen die Bäume.“ Denn die treiben anschließend aus dem Stumpf wieder aus. Und auch, wer denkt, man müsse den Biber-Bestand regulieren, belehrt Petra Kuch eines Besseren. „Die Natur reguliert das von alleine, erst wenn der Mensch eingreift, kippt das System“, sagt sie. Außerdem gebe es hier noch sehr viel Platz für neue Biberwohnungen. „An Ohrn und Brettach gibt es viel mehr.“ Zudem: Der Biber steht nicht im Jagdgesetz als Tier, das gejagt werden darf. Das sei – zumindest in Baden-Württemberg nur mit Ausnahmegenehmigung erlaubt.

Text: Sonja Bossert

 

Biber. Foto: Rolf Hartbrich

Da hatte ein Biber ganze Arbeit geleistet: Die Feuerwehr Weißbach räumt einen Baum von der Straße. Foto: Feuerwehr Weißbach

Der Biber hatte sich noch an weiteren Bäumen ausgetobt. Foto: Feuerwehr Weißbach




4 Outdoor-Gottesdienste in Ingelfingen-Dörrenzimmern

Ein Weihnachten unter ganz besonderen Vorzeichen steht in diesem Jahr vor der Tür. Maske tragen, Abstandhalten, Hygienekonzepte beachten. Wie finden unter diesen Bedingungen die Weihnachtsgottesdienste in den evangelischen und katholischen Kirchen statt und wird es Krippenspiele für die Kinder geben?  GSCHWÄTZ hat sich umgehört.

„Wir bieten mehr Gottesdienste als sonst an“

„Wir schauen auf die Vorzeichen, wie sich die Situation aktuell entwickelt“, sagt Pfarrerin Sabine Focken von der evangelischen Kirchengemeinde in Dörrenzimmern. „Wir bieten mehr Gottesdienste als sonst an.“ So können die nötigen Abstände gewahrt bleiben und trotzdem so viele Menschen wie möglich einen Gottesdienst besuchen. Auch während der Feiern müssen Masken getragen werden, Singen ist nicht erlaubt.

Singen ist nicht erlaubt

Am 24. Dezember 2020 wird es in Dörrenzimmern vier Gottesdienste geben: um 15 Uhr in der Halle Bürkert auf den Hochholzhöfen, um 16 Uhr bei der Firma Sprügel in Stachenhausen, um 17.30 Uhr im Dörrenzimmerner Sägewerk und schließlich um 21 Uhr in der Kirche in Dörrenzimmern. Alle diese Gottesdienste sind kürzer als sonst. An den beiden Weihnachtsfeiertagen wird es je einen Gottesdienst in der Kirche um 9.30 Uhr geben. Entgegen der vorherigen Jahre darf dabei der Männerchor in diesem Jahr nicht singen – es sind zu viele Sänger.

Krippenfeiern ohne Krippenspiel

„Bei den drei frühen Gottesdiensten an Heiligabend handelt es sich um Krippenfeiern“, erklärt Pfarrerin Focken. Krippenspiele wird es keine geben. Doch trotzdem haben sich die Organisatoren für die jeweiligen Gottesdienste etwas besonderes einfachen lassen. „Je ein Team bringt die Weihnachtsbotschaften kindgerecht rüber – beispielsweise anhand von Bildern, wie Tiere Weihnachten finden.“ In Stachenhausen treffen sich die Familien an einem Rondell und stellen sich wie Kuchenstücke auf. Außerdem darf jeder Haushalt eine Krippenfigur mitbringen.

Zwei Online-Filme

„An Heiligabend stellen wir außerdem auf unserer Homepage und YouTube zwei Filme unter dem Titel `Weihnachten bei uns 2020´ online“, erklärt die Pfarrerin weiter. „Einer der Filme ist für Erwachsene mit den Posaunenchören aus Weißbach-Crispenhöfen und Dörrenzimmern, mit Tönen von Bel Canto und Gedanken von mir sowie Pfarrer Müller.“ Der zweite Film soll für Kinder sein, ist aber im Moment noch im Entstehen.

Weihnachtsgottesdienste in Mulfingen

„In Mulfingen gibt es an Heiligabend einen Gottesdienst für Familien um 15.30 Uhr“, sagt Ute Herz, Pfarrsekretärin der katholischen Kirchengemeinde Mulfingen. „Treffpunkt ist am Weihnachtsbaum in der neugestalteten Ortsmitte.“ Diesen Gottesdienst leitet Pfarrer Ingo Kuhbach. Um 18 Uhr findet in der Mulfinger Kirche die Christmette mit Pfarrer Trang statt. Am ersten Weihnachtsfeiertag lädt Pfarrer Kuhbach um 6.30 Uhr zu einem Gottesdienst vor der St. Anna-Kapelle. Um 10.30 Uhr leitet Pfarrer Kuhbach eine Messe in der Kirche. Am zweiten Weihnachtsfeiertag gibt es wieder einen Gottesdienst – um 9 Uhr in der Kirche – und um 14.30 Uhr eine Weihnachtsandacht am Weihnachtsbaum in der Ortsmitte. Alle genannten Gottesdienste sind reine Wortgottesdienste. „Es ist kein Singen erlaubt und deshalb gibt es bei uns Musik von der CD“, betont Pfarrer Kuhbach.

Anmeldungen für die Gottesdienste

Während den Gottesdiensten müssen auch hier Masken getragen werden. Außerdem müssen sich die Besucher vorher anmelden. „Das geht telefonisch bei mir im Pfarramt bis zum 22. Dezember vormittags“, erklärt Ute Herz. „Wir müssen die Listen noch an die Ordner weitergeben, die dann ausmessen, wie wir die Leute am besten platzieren, um die Abstände einzuhalten.“

Text: Sonja Bossert

Landrat Dr. Matthias Neth (Mitte) mit Dekan Ingo Kuhbach (rechts) und Dekanatsjugendseelsorger Gerold Traub bei der Übergabe des Friedenslichts im Waldschulheim Kloster Schöntal im Dezember 2019 – damals noch ohne Maske. Foto: Landratsamt Hohenlohekreis

DörrenzimmernsPfarrerin Sabine Focken. Foto: GSCHWÄTZ/Archiv




Die Heilsbringer: Pharmafirmen in der Impfstoff-Rallye

Auf den Impfstoffen gegen das Corona-Virus ruhen zurzeit weltweit alle Hoffnungen. Schon im Dezember könnte es mit den Impfungen losgehen, versprechen die beteiligten Firmen. Zurzeit überbieten sie sich beinahe in Erfolgsmeldungen. Um das Verfahren noch zu beschleunigen hat die Bundesregierung sogar ein Sonderprogramm zur „Beschleunigung von Forschung und Entwicklung dringend benötigter Impfstoffe gegen SARS-CoV-2“ eingerichtet mit einem Volumen von 750 Millionen Euro (Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-3035.html). Und schon wird gestritten – über die Verteilung der Impfstoffe und welcher Personenkreis zuerst das Vergnügen haben wird. Doch wie wirken diese Impfstoffe überhaupt und wie sicher können sie sein angesichts der Kürze der Zeit, mit der sie auf den Markt kommen sollen? GSCHWÄTZ hat sich die beiden Kandidaten aus Deutschland der Firmen Biontech und CureVac genauer angeschaut.

Mehrere Testphasen vor der Zulassung

Zunächst einmal: Bevor ein Impfstoff in Deutschland eine Zulassung erhält, muss er mehrere Testphasen durchlaufen. So schreibt das Paul-Ehrlich-Institut, das in Deutschland für die Genehmigung klinischer Prüfungen sowie die Bewertung und Zulassung von Impfstoffen zuständig ist (https://www.pei.de/DE/home/home-node.html) auf seiner Homepage: „In Zellkulturen (z.B. mit Immunzellen des Menschen) und in Tierversuchen werden Wirksamkeit und Verträglichkeit des Impfstoffkandidaten getestet. Erst nach umfangreichen Untersuchungen und dem Nachweis, dass der Impfstoff in guter Qualität verlässlich hergestellt werden kann, wird er in klinischen Prüfungen der Phase I bis Phase III an freiwilligen Studienteilnehmenden nach deren Aufklärung erprobt. Liegen alle Ergebnisse der präklinischen und klinischen Prüfungen vor, kann ein Zulassungsantrag gestellt werden. Für Europa wird das Zulassungsverfahren für COVID-19-Impfstoffe durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA (European Medicines Agency) koordiniert (https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html?nn=169730&cms_pos=1).

Immunreaktion ohne Infektion

In Deutschland sind zurzeit zwei Firmen vorne mit dabei im Impfstoff-Rennen: die Mainzer Firma Biontech, die mit dem US-Pharmariesen Pfizer zusammenarbeitet. Deren Impfstoff hat bereits eine Zulassung in Großbritannien erhalten, wie das Unternehmen am Mittwoch, den 02. Dezember 2020, verkündete (https://investors.biontech.de/de/news-releases/news-release-details/pfizer-und-biontech-erhalten-weltweit-erste-zulassung-fuer-covid). Weit die Nase vorne hat auch das Unternehmen CureVac aus Tübingen, an dem im Frühjahr auch US-Präsident Donald Trump Interesse gezeigt haben soll. An weiteren Impfstoffen arbeiten der britische Pharmakonzern AstraZeneca mit der Universität Oxford sowie die US-Firma Moderna. Die Impfstoffe haben ein gemeinsames Ziel: Durch die Impfung soll eine Immunreaktion hervorgerufen werden, ohne dass eine Infektion stattgefunden hat, und durch die das Immunsystem dann Antigene bildet.

„Eine Integration vonRNA in DNA ist unter anderem aufgrund der unterschiedlichen chemischen Struktur nicht möglich“

Die mRNA-Impfstoffe von Biontech und CureVac enthalten genetische Informationen des Erregers. Mit deren Hilfe sollen die Körperzellen der geimpften Personen Oberflächenproteine des Corona-Virus entwickeln. Gegen diese wiederum bildet das Immunsystem die Antikörper. Vorteile der mRNA-Impfstoffe: Sie haben eine einfache Struktur und bieten die Möglichkeit, in wenigen Wochen viele Millionen Impfdosen herzustellen. Laut Paul-Ehrlich-Insitut besteht auch nicht die „Gefahr einer Integration von mRNA in das humane Genom. Beim Menschen befindet sich das Genom in Form von DNA im Zellkern. Eine Integration vonRNA in DNA ist unter anderem aufgrund der unterschiedlichen chemischen Struktur nicht möglich.“ Das Institut habe auch noch keinen Hinweis darauf gefunden, „dass die von den Körperzellen nach der Impfung aufgenommen mRNA in DNA umgeschrieben wird“ (https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html?nn=169730&cms_pos=2). Übrigens schreibt sich CureVac zugute, „das Potenzial der mRNA zur Behandlung von Krankheiten und zur Herstellung von Impfstoffen entdeckt“ zu haben: Unternehmensgründer, Dr. Ingmar Hoerr, habe als Doktorand herausgefunden, „dass das instabile Biomolekül mRNA bei direkter Verabreichung ins Gewebe als therapeutischer Impf- oder Wirkstoff eingesetzt werden kann, wenn es zuvor optimiert wird“. CureVac sei das weltweit erste Unternehmen, „das mRNA erfolgreich für medizinische Zwecke einsetzt“ (https://www.curevac.com/ueber-uns/).

„Wir werden unterschiedliche Impfstoffprodukte benötigen, um den weltweit hohen Bedarf decken zu können“

Andere Impfstoffe sind die sogenannten Peptid-Impfstoffe. Diese stimulieren „die T-Zell-Antwort, die Zellen des Immunsystems erkennen und SARS-CoV-2-infizierte Zellen zerstören“ heißt es auf der Homepage des Paul-Ehrlich-Institus. An einem solche arbeitet die Universität Türbingen. Für ihren Impfstoffkandidaten hat das Paul-Ehrlich-Institut Ende November die erste klinische Prüfung der Phase I eines Peptid-Impfstoffs gegen COVID-19 in Deutschland genehmigt. „Der Peptid-Impfstoff ergänzt das Portfolio der COVID-19-Impfstoffplattformen um einen weiteren vielversprechenden Ansatz“, so Professor Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, auf der Internetseite. „Diese Vielfalt ist wichtig, denn wir werden unterschiedliche Impfstoffprodukte benötigen, um den weltweit hohen Bedarf decken zu können.“ (https://www.pei.de/DE/newsroom/pm/jahr/2020/25-klinische-pruefung-uni-thuebingen-covid-19-impfstoff.html?nn=172068).

Wirksamkeit von 95 Prozent

Biontech verspricht bei seinem Impfstoff eine Wirksamkeit von 95 Prozent: „Die Entscheidung der Medicines & Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) des Vereinigten Königreiches basiert auf einer rollierenden Einreichung, die Daten aus der Phase-3-Studie enthält, welche einen 95-%igen Impfschutz (p<0.0001) in Probanden ohne vorherige SARS-CoV-2-Infektion (erstes Hauptziel der Studie) zeigen. Auch in Probanden mit oder ohne vorheriger SARS-CoV-2-Infektion konnte ein Impfschutz erreicht werden (zweites Hauptziel der Studie). In beiden Fällen wurde der Impfschutz sieben Tage nach der zweiten Dosis erzielt.“ (https://investors.biontech.de/de/news-releases/news-release-details/pfizer-und-biontech-erhalten-weltweit-erste-zulassung-fuer-covid). Um einen wirksamen Schutz zu erreichen, soll der Biontech-Impfstoff zweimal innerhalb von drei Wochen verabreicht werden. Bereits 28 Tage nach der ersten Impfung und sieben Tage nach der zweiten soll seine Wirksamkeit feststellbar sein, wie das Unternehmen auf Twitter mitteilte (https://twitter.com/BioNTech_Group). Der größte Nachteil des Biontech-Impfstoffs allerdings ist, dass er bei -70 Grad gelagert werden muss. Bei normalen Kühlschranktemperaturen ist er nur fünf Tage lang haltbar. Außerdem soll noch unklar sein, ob er vor schwereren Verläufen schützt, denn während der Testphase soll ein Geimpfter schwer an Covid-19 erkrankt sein.

Drei Monate Haltbarkeit bei fünf Grad Celsius

Das Unternehmen CureVac schreibt über seinen Impfstoff auf der Firmen-Homepage „Die zuvor bekanntgegebenen Interimsdaten zeigten, dass CVnCoV in allen geprüften Dosisstufen zwischen 2 und 12 Mikrogramm gut verträglich ist und hohe bindende und neutralisierende Antikörperlevel induziert. Zudem wurden Anzeichen einer T-Zellen-Aktivierung festgestellt. Die Qualität der Immunantwort entspricht der bei genesenen COVID-19-Patienten beobachteten Immunantwort und ist vergleichbar mit einer natürlichen COVID-19-Ansteckung.“ (https://www.curevac.com/2020/11/10/curevac-veroeffentlicht-detaillierte-interimsdaten-der-phase-1-studie-seines-covid-19-impfstoffkandidaten-cvncov/). Für die Produktion seines Impfstoffs hat CureVac eine Vereinbarung mit der Wacker Chemie AG unterzeichnet. Am Wacker-Standort in Amsterdam können laut Homepage „pro Jahr mehr als 100 Millionen Dosen des Impfstoffes von CureVac hergestellt werden. Der Standort bietet Erweiterungsoptionen, sodass zukünftig auch ein steigender Bedarf gedeckt werden kann“ (https://www.curevac.com/2020/11/23/curevac-und-wacker-unterzeichnen-vertrag-zur-produktion-des-covid-19-impfstoffkandidaten-cvncov-gemeinsame-pressemitteilung/). Eine großvolumige Produktionsanlage wird außerdem am CureVac-Standort in Tübingen aufgebaut. Der Impfstoffkandidat von CureVac soll bereits bei einer Kühlschranktemperatur von fünf Grad Celsius „mindestens drei Monate lang“, bei Raumtemperatur „bis zu 24 Stunden als gebrauchsfertiger Impfstoff stabil bleiben“ (https://www.curevac.com/2020/11/12/curevacs-covid-19-impfstoffkandidat-cvncov-fuer-logistik-bei-kuehlschranktemperatur-geeignet/). Noch in diesem Jahr soll für den Tübinger Impfstoff die letzte klinische Phase mit über 35.000 Teilnehmern in Europa und Südamerika starten. Mit einer Zulassung rechnet CureVac im Frühjahr oder Sommer 2021.

Text: Sonja Bossert