Aus dem Wahlkreis Schwäbisch-Hall-Hohenlohe wurde nicht nur Kevin Leiser für die SPD, sondern auch Valentin Abel für die FDP erstmals in den Bundestag gewählt. Auch mit ihm hat GSCHWÄTZ ein 100-Tage-Interview geführt, in dem er über Coronaregeln im Bundestag,
Coronaregeln im Bundestag
GSCHWÄTZ: Hallo, liebe GSCHWÄTZ Leser, Hörer und Zuseher, heute sitzt mir gegenüber Valentin Abel. Valentin Abel wurde am 25. September bei der Bundestagswahl für die FDP in unserem Landkreis erstmals in den Bundestag gewählt. Hallo Valentin!
Valentin Abel: Matthias, freut mich sehr, bei Euch sein zu dürfen.
GSCHWÄTZ: Wir haben das Gespräch jetzt schon zweimal verschoben, wobei störe ich denn gerade?
Valentin Abel: Gerade ist Mittwoch, Mittwoch ist Ausschußtag im Deutschen Bundestag. Ausschusstag ist immer am spannendsten. Ich habe morgens zwei Ausschusssitzungen, zuerst Petition, dann Verkehr bis ungefähr Mittag. Jetzt ist Nachmittag. Jetzt läuft die Sitzung des Bundestags. Wir hatten gerade die Befragung von Bundeskanzler Scholz in der Bundesregierung und sind jetzt in innenpolitischen Gesprächen. Für mich wird es auch gleich nach dem Gespräch wieder zurück ins Plenum gehen. Bis heute Abend so zirka gegen acht.
GSCHWÄTZ: Heute gelten zum ersten Mal im Bundestag 2G plus Regeln, sofern ich das richtig weiß.
Valentin Abel: Exakt richtig.
GSCHWÄTZ: Wie viele Abgeordnete konnten denn nicht in den Saal?
„Es ist eben anders als von der AfD geschildert“
Valentin Abel: In den Saal konnten alle, weil wir müssen uns zwar testen lassen oder geboostert sein. Ich für meinen Teil bin sowohl geboostert als auch getestet, aber in den Saal kommt jeder. Der Unterschied ist nur, dass diejenigen, die nicht geimpft, getestet, genesen sind oder ihren Zustand quasi nicht kundtun wollen, dass die oben auf die Tribüne müssen, abgeschottet von den anderen, aber sie können genauso an der Sitzung teilnehmen. Es ist eben anders, wie von der AfD geschildert. Die Leute dort können genauso Redebeiträge machen, sie können abstimmen. Sie sind halt räumlich ein Stück weit getrennt.
GSCHWÄTZ: Kommen wir mal zurück: Ganz neu in Berlin. Wie war die Eingewöhnungsphase?
„Für mich ist die Eingewöhnungsphase noch nicht ganz vorbei,
Valentin Abel: Das müssen Sie mich in einem Jahr noch mal fragen. Für mich ist die Eingewöhnungsphase noch nicht ganz vorbei, denn man muss schon sagen, als junger Abgeordneter lernt man halt extrem viel und man lernt extrem viel dazu jeden neuen Tag. Wir haben jetzt Anfang Januar, die Regierung steht, die Ausschüsse sind eingesetzt. Das ist jetzt die erste, sagen wir mal, richtige Woche, wo die Ausschüsse tagen, wo der Parlamentsbetrieb wie üblich von Mittwoch bis Freitag läuft. Also das lässt sich zum Beispiel mit einer Woche im Oktober gar nicht vergleichen. Ich für meinen Teil habe die letzten Wochen und Monate dafür genutzt, hier in Berlin ein schlagkräftiges, junges, sehr motiviertes Team aufzubauen, das dann auch für alle Fragen aus dem Wahlkreis Schwäbisch Hall-Hohenlohe bereitsteht. Wir werden auch bald hoffentlich dann unsere Dependance im Wahlkreis haben und das war so das Ziel der ersten Zeit. Also einerseits gute Leute zu finden, die mich unterstützen, andererseits auch ganz viel Organisatorisches. Ich meine, jeder kennt, der schon mal den Job gewechselt hat. Das ist das Ganze noch mal potenziert. Da stehen ganz viele organisatorische Dinge mit der Bundestagsverwaltung an. Es gibt Dinge, die man im Privaten Regeln muss, alles Mögliche. Da reden wir von der Wohnsituation, von Krankenversicherung. Es hört nicht auf und es ist sehr viel los. Aber jetzt wirklich, da die Ausschüsse eingesetzt sind, da ich im Verkehrsausschuss auch richtig Fahrt aufnehmen kann im wahrsten Sinne des Wortes, geht halt noch mal eine andere Phase der Abgeordnetentätigkeit los. Und zwar eine, auf die ich mich sehr freue.
„aktuell ist das Hotel eine ganz gute Unterkunft für mich“
GSCHWÄTZ: Wie war es denn mit der Wohnungssuche in Berlin?
Valentin Abel: Die Wohnungssuche in Berlin ist gerade bei allen, von denen ich weiß, eine sehr komplizierte Angelegenheit und auch leider keine günstige. Deswegen haben wir uns als Koalition darauf ja verständigt, gerade auch in den Ballungszentren, aber eben nicht nur dort, das Bauen zu vereinfachen und zu beschleunigen. Unabhängig davon habe ich mich entschieden, jetzt gerade in der Anfangszeit eher so der Hotelabgeordnete zu werden. Ich bin in der Nähe vom Hauptbahnhof in einem Hotel untergekommen. Es hat für mich einfach auch den Vorteil, dass ich sehr viel flexibler bin. Ich kann nach Berlin kommen, wenn ich hier vor Ort sein muss. Und ich kann im Wahlkreis sein, wenn ich dort besser aufgehoben bin. Und die Flexibilität, die bietet mir das Hotel jetzt gerade schon. Klar, es ist was anderes, wenn man auf das eigene Sofa sich setzen kann und die Füße hochlegen. Aber ganz ehrlich, für mich passt es aktuell besser. Und jetzt schaue ich mal, wie es dann so die nächsten Monate sich alles einspielt. Aber aktuell ist das Hotel eine ganz gute Unterkunft für mich.
Michael Schenk, Valentin Abel und Florian Toncar (v.l.) bei einer Wahlkampofveranstaltung in Künmzelsau. Foto: GSCHWÄTZ
GSCHWÄTZ: Das Thema Wahlkreisbüro hast du kurz angesprochen. Wo soll das sein?
Wahlkreisbüro wahrscheinlich in Schwäbisch-Hall
Valentin Abel: Da sind wir gerade noch dabei zu gucken, wo wir es am sinnvollsten machen. Mir ist es wichtig, dass es irgendwo ist, wo es zentral ist, wo man auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut hin kann, wo möglichst viele Wählerinnen und Wähler im direkten Umfeld sind. Deswegen long story short: Ich werde zu allererst mal probieren, in Schwäbisch Hall was Schönes zu finden.
GSCHWÄTZ: Die erste politische Aktion in der Legislaturperiode war ja wohl die Verabschiedung des Koalitionsvertrags. Warst du da beteiligt?
Valentin Abel: Bei den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag war ich nicht direkt beteiligt. Wenn man sich mal vorstellt, wie sich diese Verhandlungsgruppe aufgebaut haben, dann waren es in aller Regel die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker der letzten Wahlperiode, die also über vier Jahre Ausschussarbeit da schon drin waren in der Materie. Und wir haben uns dazu entschlossen, zusätzlich – anstatt quasi die neuen Abgeordneten damit rein zu tun, die ja selber erst damit beschäftigt sind, wie beschrieben ein Büro aufzubauen, um hier anzukommen – stattdessen noch Kolleginnen und Kollegen aus den Landtagen, aber auch aus kommunalen Vertretungen, wie zum Beispiel Dr. Lukas Braun, Bürgermeister von Lauda-Königshofen, mit reingenommen haben, damit wir nicht hier in Berlin was beschließen und hinterher innerhalb der vier Jahre merken, dass wir da Dinge nicht bedacht haben. Ich war mittelbar oder quasi dabei, habe also immer mal so ein bisschen rumgehört, was gerade die Themen sind. Aber, und das haben ja viele nicht geglaubt, dieser neue Verhandlungsstil, der auch sehr diskrete Verhandlungsstil hat sich nicht nur nach draußen so dargestellt: Es war auch in der Koalition so, man wusste, so viel man wissen muss. Aber es war nicht so, dass da alles im Vorfeld schon klar war.
GSCHWÄTZ: Was sind denn die aus FDP Seite wichtigsten Punkte, die aus dem FDP Programm in den Koalitionsvertrag rüberkamen?
Bahnreform, Digitalisierung, Rentenpolitik
Valentin Abel: Es sind glaube ich, einige und ich würde sie mit der Überschrift des Koalitionsvertrags überschreiben, nämlich „Mehr Fortschritt wagen“. Wir haben sowohl bei der wichtigen Modernisierung der Infrastruktur, was für mich als Verkehrspolitiker natürlich maßgeblich relevant ist, neue Akzente setzen können. Wir haben zum Beispiel im Bereich der Deutschen Bahn jetzt im wahrsten Sinne des Wortes die Weichen gestellt für eine Reform, die die Deutsche Bahn kundenorientierter, effizienter und auch wirklich attraktiver machen soll als Verkehrsträger. Wir haben ganz große Schritte in die Wege geleitet, oder werden das jetzt in den nächsten Monaten und Jahren tun, wenn wir in Richtung Digitalisierung blicken. Ein Feld, wo Deutschland im europäischen, aber auch im weltweiten Vergleich immer noch sehr weit abgeschlagen ist. Und was sowohl für die Unternehmen in unserer Region als auch für jeden einzelnen daheim auf dem Sofa, wenn er Probleme hat, Netflix in 4K zu streamen, ein großes Problem ist. Wir haben gleichzeitig aber auch geschafft, in Themengebieten, wo wir im ersten Moment gar nicht daran denken, neue Konzepte einzuführen: Also wenn ich nur mal das Thema Rentenpolitik ansprechen darf, haben wir mit der gesetzlichen Aktienrente jetzt zum ersten Mal zwischen den Koalitionsparteien ein Agreement hergestellt, dass wir eine kapitalgedeckte Komponente da einbauen wollen, damit eben die Menschen, frei durch die Gesellschaft durch, an den Gewinn der Kapitalmärkte profitieren können. So wie es übrigens in vielen skandinavischen Ländern auch schon erfolgreich gemacht wird. Und das sind alles FDP- Kernanliegen, die wir in den letzten Jahren immer wieder vor uns her getragen haben. Deswegen freut es mich, dass wir hier mit SPD und Grünen Mitstreiter in diesen Sachen finden konnten.
GSCHWÄTZ: Was fehlt denn, was die FDP gerne gehabt hätte?
„Im steuerrechtlichen Bereich ist es klar, dass wir nicht die großen Reduktion machen können“
Valentin Abel: Es ist ganz klar, dass jeder Koalitionsvertrag immer ein Kompromiss ist dessen, was politisch zwischen den Parteien machbar ist. Ich mache keinen Hehl daraus. Es gibt Punkte, da hätte ich mir natürlich mehr gewünscht, wenn es zum Beispiel an die Entlastungen geht. Da ist es uns gelungen, zusätzliche Belastungen abzuwenden. Wir konnten teilweise im Bereich der Gebühren, wenn ich jetzt zum Beispiel an die Stromkosten denke, die aktuell auch immer weiter steigen, mit der Abschaffung der EEG-Umlage einen wichtigen Schritt gehen, der die Bürger entlastet. Aber zum Beispiel im steuerrechtlichen Bereich ist es klar, dass wir nicht die große Reduktion machen können, die ich vielleicht auch privat gerne sehen würde in der Politik. Uns ist es wichtig, dass wir bei allem, was wir machen, das immer nachhaltig machen. Und uns ist klar, dass wir die große Herausforderung haben, als Reformkoalition ein Balanceakt zu schaffen zwischen Haushalterischer Solidität, zwischen Entlastung der Bürger, wo es möglich ist und gleichzeitig zu investieren, wo es nötig ist. Und das sind sehr viele Punkte, wo wir investieren müssen, sei es bei der Energiewende, sei es bei der Infrastruktur, sei es bei Digitalisierung und Bildung. Und ich glaube, unter Abwägung all dessen muss man sagen: Das, was rausgekommen ist, stimmt mich als Liberalen, stimmt mich aber auch als Bürger sehr glücklich. Und ich freue mich darauf, Teil der Umsetzung sein zu dürfen.
GSCHWÄTZ: Auf so ein paar Punkte kommen wir sicherlich noch mal zurück, wenn wir in die Details gehen. Viele sagen, die FDP ist überrepräsentiert im Koalitionsvertrag. Kannst du das bestätigen oder siehst du das anders?
Valentin Abel: Ich weiß nicht. Zu mir sagen es die Leute nicht. Sie lesen sich den Koalitionsvertrag durch und sie sehen, da ist eine starke liberale Handschrift drin. Das erwarte ich aber von jedem Koalitionsvertrag, der hinterher von der FDP unterschrieben wird. Und deswegen haben wir auch sehr fleißig verhandelt, dass möglichst viel von dem, für das wir uns im Wahlkampf eingesetzt haben, da auch den Niederschlag findet. Ich habe jetzt noch von niemandem gehört, der gesagt hat, er sei zu viel drin, zumindest nicht zu mir. Ich habe tatsächlich eher von,teilweise sogar Unionsanhängern gehört, dass das, was da drinsteht, gar nicht so schlecht ist. Und jetzt gilt halt auch, das umzusetzen, denn das ist die große Herausforderung. Verhandeln ist das eine, Umsetzen das andere. Und wir wollen beweisen, dass beides geht.
GSCHWÄTZ: Du hast Deine deine zwei politischen Bereiche, in denen du hauptsächlich tätig bist, angesprochen, nämlich im Petitionsausschuss und im Verkehrsausschuss. Den Petitionsausschuss lassen wir vielleicht im Moment mal unter den Tisch fallen, der Verkehr ist sehr interessant, auch natürlich gerade für die Region. Wir haben ja das eine oder andere Projekt im Wahlkreis, was sehr akut ist. Fangen wir an bei der A6, gehen wir weiter über die B 19, dann haben wir die Kochertalbahn, die Hohenlohebahn und auch die Murrbahn ist noch ein Stück im Wahlkreis. Was ist da zu erwarten?
Schienennetz im ländlichen Raum „nicht engmaschig genug“
Valentin Abel: Wir haben uns als Bundesregierung ja dazu verpflichtet, in der Verkehrspolitik Investitionen zu treffen, gerade auch in den Bereichen, die in der Vergangenheit ein bisschen zu kurz gekommen sind. Dazu gehört, und das habe ich schon mal gesagt, vor allem das Schienennetz. Deswegen freut es mich, dass ich FDP-seitig im Verkehrsausschuss hauptsächlich auch Schienenthemen beackern werde. Wenn wir über den Schienenverkehr reden, reden wir meiner Meinung nach erstens darüber, wie dicht das Netz ist. Das ist meiner Meinung nach noch nicht engmaschig genug, gerade im ländlichen Raum. Da reden wir natürlich von der Kochertalbahn. Wir reden aber auch davon, wie wir gerade unsere Gemeinden, die nicht an den Bahnstrecken liegen und auch in Zukunft nicht an Bahnstrecken liegen werden, an selbige anschließen.
Abel: NVH und Bahn müsen aufeinander abgestimmt sein
Denn das muss immer im Fokus aller Bemühung sein, dass wir Mobilität ganzheitlich denken, dass wir nicht sagen, wenn die Deutsche Bahn alles gut macht, dann passts. Und wenn der NVH alles gut macht seinerseits, dann passts. Und zum Schluss ist beides nicht aufeinander abgestimmt. Das darf nicht sein, das ist das eine. Zum anderen geht es aber nicht nur um die Dichte des Netzes, es geht auch um dessen Qualität. Und da reden wir beim Bahnbereich zum Beispiel Engstellen zu beseitigen. Also gerade was die Zweigleisigkeit betrifft, haben wir ja bei Züttlingen in der Nähe von Möckmühl noch das Problem, dass die Brücke dort eingleisig ist, was zu Verzögerungen führt. Wir haben das Problem, dass die Tunnelquerschnitte entlang der Bahnstrecke zwischen Schwäbisch Hall und Nürnberg teilweise da noch nicht im richtigen Maß sind, dass man effektiv elektrifizieren kann. Und vor allem die Elektrifizierung ist im deutschen Schienennetz bei weitem noch nicht so fortgeschritten, wie sie sein soll. Da müssen wir investieren und es werden wir auch. Mir ist es aber auch wichtig aus aktuellem Anlass, dass wir auch ein bisschen über die Straßen Infrastruktur reden. Denn ich weiß nicht, ob es der eine oder andere mitbekommen hat: Aber wenn die A 45 einer wesentlichen Stelle bei Lüdenscheid an der Rahmeder Talbrücke aktuell unterbrochen ist, weil die Brücke am bröckeln ist, dann ist das nicht nur etwas, was die Region Lüdenscheid und das Sauerland betrifft. Das betrifft auch vor allem unsere Mittelständler, die darauf angewiesen sind, zu den Häfen, Zeebrügge, Rotterdam etc. eine gute Anbindung zu haben. Also müssen wir – und da hatte ich gestern auch einen Termin im Verkehrsministerium – dafür sorgen, dass wir möglichst schnell bei den ingenieurstechnischen Anlagen, Brücken, Tunneln etc. den Überblick kriegen, wo wir investieren müssen, wo auch in der Vergangenheit vielleicht evaluiert worden ist, aber nicht so gründlich, wie man es machen sollte. Die Brücke, die jetzt gesperrt werden musste, hatte vor wenigen Jahren noch eine 3,0 bekommen in der Bewertung, das ist offensichtlich sehr großzügig gewesen. Und deswegen heißt es für mich auch:
Wegen maroder Infrastruktur: „Wir müssen den Bestand des Straßennetzes ins Auge fassen.“
Wir müssen den Bestand des Straßennetzes ins Auge fassen. Und da, wo wir immer noch Engpässe haben im Netz – und da ist die A6 zwischen Weinsberger Kreuz und der Landesgrenze zu Bayern eindeutig so eine -, da müssen wir auch nachsteuern, da müssen wir den Ausbau vorantreiben. Wie machen wir das? Ich glaube, das Entscheidende an der ganzen Sache ist, dass wir uns im Klaren sind, dass das Hemmniss in Deutschland häufig auch Bürokratie ist. Wenn jetzt zum Beispiel, – ich nehme die Talbrücke wieder, die einsturzgefährdete – ein Ersatznneubau an gleicher Stelle bedeutet, dass ich einmal noch einmal durchs komplette Planfeststellungsverfahren muss, das gleiche Umweltverträglichkeit verfahren, als wenn ich die Brücke irgendwo bauen würde, wo vorher keine war, dann frage ich mich schon, ob es da nicht Möglichkeiten gibt zu sagen da stand vorher eine Brücke, da steht nachher eine. Ich kann da gewisse Teile überspringen. Das sind alles Fragen, die wir uns jetzt stellen müssen. Wir haben Planungsverfahren in Deutschland, die teilweise im Bereich von fünf bis sieben Jahren sind, die andernorts in einem Jahr vonstatten gehen. Und ich glaube, wenn wir hier anpacken, dann haben wir einen großen Schritt gemacht, dass das Straßennetz auch in unserer Region wieder besser wird.
GSCHWÄTZ: Gehen wir aufs Schienennetz zurück, zum Thema Kochertalbahn. Wir haben ja jetzt gerade gesehen, dass die Bottwartalbahn zwischen Marbach und Heilbronn, die ja bei den ersten Übersichten eine der erfolgversprechendsten Strecken war, die es wiederherzustellen galt, bei ihrer integrierten Bewertung einen Faktor von kleiner als eins erzielt hat. Jetzt sagt man, und das sagt man schon seit seit die Kochertalbahnbahn auch in der Diskussion ist, dass vom Bund neue Anforderungen an diese Bewertungen gestellt werden, die auch ökologische Entlastung et cetera besser mit einbeziehen. Wann wird was kommen?
„Wir haben in den bisherigen Kosten-Nutzen-Rechnungen ungenügend berücksichtigt, welche Kosten durch die Alternative zustande kommen.“
Valentin Abel: Das ist etwas, was gerade im Bundesverkehrsministerium tatsächlich eine relativ hohe Priorität genießt, gerade im Bahnverkehr. Ich möchte auch kurz mal erläutern, was da in die Überlegungen noch mit einfließen muss. Es geht ja nicht nur darum, Du hast es gerade schon angesprochen, welche Kosten im Projekt verursacht und was dann direkt, sagen wir mal durch Nutzerzahlen, wieder reinzukriegen ist. Wir wollen in Zukunft das Ganze ein bisschen breiter denken und uns auch mal die Alternativen angucken. Ich möchte das an einem Beispiel ein bisschen plastisch machen, wo es vielleicht deutlicher wird als beim Personentransport. Das ist nämlich beim Gütertransport. Wir rechnen beim Gütertransport zum Beispiel, wenn wir bei den Schienen rechnen, häufiger Kosten-Nutzen. Aber wir haben in den bisherigen Kosten-Nutzen-Rechnungen ungenügend berücksichtigt, welche Kosten durch die Alternative zustande kommen. Wenn ich also eine Bahnstrecke zum Beispiel nicht baue und deswegen die Güter über die Straße schicken muss, dann habe ich halt die Situation, dass ein einziger 40-Tonner eine Brücke genauso belastet wie mehrere 10.000 Autos, weil dieses Gewicht geballt in einem Moment drauf ist. Das Bundesverkehrsministerium ist gerade dabei, diese Anforderungen dergestalt zu überarbeiten, dass bei allen Infrastrukturprojekten gerade die Frage nach „Welche Kosten habe ich?“, „Welchen Nutzen habe ich?“, aber auch „Welche Kosten verursacht es, wenn ich ein Projekt nicht durchführe?“ evaluiert wird. Das Ministerium ist jetzt nicht völlig ausgetauscht, da sind viele Mitarbeiter auch drin, die vorher schon drin waren. Von daher ist das Ministerium arbeitsfähig und ich hoffe, dass wir da im Laufe des Jahres erste Vorstöße sehen. Genauen Zeitplan kann ich heute leider noch nicht liefern, aber ich liefere den natürlich sehr gern nach, wenn da was entsteht.
GSCHWÄTZ: Beim Thema Bahn hatte ich mir noch etwas notiert: Bei der Güterbahns sind ja inzwischen auch viele, viele Anlagen gerade in den Städten und Industriegebieten schlicht und einfach nicht mehr verfügbar. Andere, wie die Mittelrhein-Strecke sind jetzt schon total überlastet. Also ist die einzige Folgerung: Wenn ich Verkehr von der Straße auf die Schiene bringen will, muss ich Schiene ausbauen und nicht nur mehr Waggons kaufen. Wie ist da der Zeithorizont, wie man planungsmäßig rechnen kann?
„Wir leiden aktuell darunter, dass wir mit Planungsverfahren in diesem Land leben, die jenseits von Gut und Böse sind.“
Valentin Abel: Auch hier gilt ähnlich wie für die Straße, wir leiden aktuell darunter, dass wir mit Planungsverfahren in diesem Land leben, die jenseits von Gut und Böse sind. Deswegen ist für mich in dem ganzen Koalitionsvertrag einer der wichtigsten Punkte, aber auch einer der herausforderndsten, diese Verfahren zu beschleunigen. Wir fangen jetzt an zu gucken, wo wir hier nachschärfen können, damit wir möglichst schnell hier auch zum Erfolg kommen. Was gerade beim Güterverkehr meines Erachtens nach wichtig ist, Was wir auch nicht vergessen dürfen: Grad im Bereich Schwäbisch Hall und Hohenlohe ist, dass wir, du hast es ja gerade schon angesprochen, nicht überall in die Städte mit den Waggons reinkommen. Natürlich würde jetzt niemand auf die Idee kommen, sagen wir mal nach Michelbach oder nach Dörzbach oder nach Kirchberg mitten ins Dorf, in irgendein Industriegebiet Gleise zu legen. Deswegen brauchen wir auch an strategischen Stellen Verlademöglichkeiten von der Schiene auf die Straße und umgekehrt, damit wir möglichst schnell und effizient zwischen den Verkehrsträgern hin und her wechseln können. Und damit wir auch den ländlichen Raum in der Breite gut anschließen können.
GSCHWÄTZ: Wir haben jetzt vier Abgeordnete aus dem Wahlkreis Schwäbisch-Hall Hohenlohe im Bundestag. Das gab es glaube ich noch nie.
Valentin Abel: Das hatten wir noch nicht.
GSCHWÄTZ: Das ist eine ganz enorme Macht, die man hat, parteiübergreifend. Gibt es da Berührungspunkte, dass man sich für lokale Projekte vorher bespricht?
Valentin Abel: Die gibt es auf jeden Fall. Ich möchte auch mal mit einer meiner Meinung nach Fehlwahrnehmung aufräumen, und zwar, dass Politiker den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als sich gegenseitig zu bekabbeln. Klar, unsere Aufgabe ist es, im Wahlkampf die Unterschiede zwischen unseren Positionen klar zu machen, damit der Wähler, damit die Wählerin weiß, wo die Unterschiede sind zwischen den demokratischen Parteien. Aber in dem Moment, in dem wir hier in Berlin sitzen, haben wir eine Verpflichtung. Einerseits natürlich gegenüber unserer Partei und den Inhalten, für die wir gewählt worden sind, aber auch unserer Region. Und wenn es darum geht, die Interessen unserer Region zu vertreten, ist da auch ein vitaler, lebendiger Austausch da zwischen Harald Ebner und Kevin Leiser und mir, die wir in der Koalition miteinander sitzen. Aber auch mit Christian von Stetten ist da eine sehr gute Arbeitsgrundlage. Und ich muss mal sagen, mit allen dreien kann ich sehr gern und sehr gut zusammenarbeiten. Und ich glaube, das gilt für uns alle vier. Und es kann für die Region gut sein.
Valentin Abel. Foto: FDP Hohenlohe.
GSCHWÄTZ: Gehen wir mal ein Stück auf die FDP selber ein. Die FDP vermittelt im Moment ein etwas diffuses Bild, was das Thema Begriff der Freiheit, den Begriff der Liberalität angeht. Es gibt da zum einen den Herrn Kubicki und den Herrn Lindner, die eine sehr, ja, wie soll ich sagen, eine sehr egoistische Liberalität predigen und auf der anderen Seite hat Gerhart Baum, der ehemalige Innenminister, der vielleicht letzte große alte Mann in der FDP, jetzt kürzlich in einem Beitrag eine Rückbesinnung auf eine Liberalität, wie sie zu Zeiten der sozialliberalen Koalition war, gefordert. Also eine Liberalität, die Freiheit der Gesellschaft und daraus folgend die Freiheit des Menschen sieht und nicht, wie es heute gerne propagiert wird, die Freiheit des Menschen im Vordergrund und die Gesellschaft im Hintergrund. Wie stehst Du da? Wie siehst Du da die Entwicklungen innerhalb Deiner Partei?
„Wir haben in der Vergangenheit immer gepredigt, dass Freiheit mit Verantwortung einhergeht.“
Valentin Abel: Ich sehe das insofern nicht diffus und ich sehe es auch nie als egoistisch an. Also ich habe jetzt noch von keinem das Gefühl gehabt, weder im persönlichen Gespräch noch in der Äußerung, dass das in Richtung Ellbogengesellschaft geht. Es wäre auch etwas, was mit meinem Verständnis von Liberalismus nicht vereinbar ist. Ich glaube, ein ganz entscheidender Punkt an der Stelle ist, dass wir die Balance finden müssen in der Pandemie zwischen effektiver Krisenbewältigung und Bürgerrechten. Und ich glaube, da ist es durchaus wichtig, im politischen, im demokratischen Spektrum eine Partei zu haben, die sehr wohl sich bewusst ist, dass in der Pandemiebekämpfung auch schwierige Entscheidung getroffen werden müssen, die es aber nicht willfährig macht, sondern die durchaus hinterfragt: Was ist nötig und was ist vielleicht auch nicht mehr verhältnismäßig? Wir haben in der Vergangenheit immer gepredigt und da nehme ich mich nicht aus, dass Freiheit mit Verantwortung einhergeht. Das gilt in normalen Zeiten und das gilt in Zeiten der Pandemie umso mehr. Es ist eine große Verantwortung, die wir als diejenigen, die die Regeln jetzt machen müssen, haben, zu entscheiden, wie wir maßvoll Bürgerrechte in der Pandemie einschränken müssen, um gleichzeitig sicherstellen zu können, dass die Sicherheit der Bevölkerung, das auch wirklich die Gesundheit der Bevölkerung nach wie vor nicht gefährdet ist.
„… wie das Individuum in der Gesellschaft möglichst viel Freiheit haben kann, ohne die Freiheit der anderen zu tangieren.“
Wir leben in einer Zeit, in der wir in Berlin-Mitte, wo ich gerade bin, eine Inzidenz von knapp unter 1.000 haben. Das heißt natürlich auch, dass man maßvolle Mittel finden muss, um der Pandemie Herr zu werden. Da sind wir als FDP auch durchaus offen dafür. Wir fragen vielleicht einmal mehr als andere nach, ob es evidenzbasiert ist, ob die Maßnahme verantwortbar ist, ob sie verhältnismäßig ist. Und wir haben in der Vergangenheit, wenn wir – übrigens nie alleine, sondern auch mit Verfassungsexperten und auch mit Medizinern – zu dem Schluss gekommen sind, dass nicht verhältnismäßig sind, da auch mahnend unseren Zeigefinger erhoben. Ich denke da zum Beispiel an die nächtlichen Ausgangssperren, die wir letztes Jahr hatten. Aber das heißt nicht, dass Liberalismus irgendwas ist, dass die Gesellschaft außen vor lässt und nur aufs Individuum guckt, sondern schaut, wie das Individuum in der Gesellschaft möglichst viel Freiheit haben kann, ohne eben, und das ist das Wichtige, die Freiheit der anderen zu tangieren.
GSCHWÄTZ: Und gerade bei den Entscheidungen über die Ausgangssperren hat ja das Verfassungsgericht sehr differenziert und detailliert die einzelnen Punkte der Antragsteller, von denen ja auch viele FDP-Abgeordnete waren, abgelehnt. Und zum Beispiel mit der Begründung abgelehnt, dass der Staat an dieser Stelle das gesellschaftliche Wohl vorangestellt hat und das auch gut abgewogen gewesen sei, die Maßnahmen. Das ist ja eigentlich ein sehr deutlicher Hinweis des Verfassungsgerichts, den man auch berücksichtigen sollte.
Eindämmung der Pandemie: „Das gelingt uns aktuell den Umständen entsprechend, wenn wir gerade die Situation mit dem europäischen Ausland vergleichen, relativ gut.“
Valentin Abel: Natürlich, aber deswegen prüfen wir Dinge und wir prüfen die natürlich aus der Opposition heraus, wir prüfen sie aber jetzt umgekehrt in Regierungsverantwortung genauso. Deswegen war es uns wichtig, dass wir mit der Novelle des Infektions-Schutz-Gesetzes, die wir jetzt gemacht haben Ende November, dass wir hier Maßnahmen in diesen Maßnahmenkatalog mit aufgenommen haben, die dazu abzielen, die Pandemie einzudämmen. Und ich muss auch dazu sagen, das gelingt uns aktuell den Umständen entsprechend, wenn wir gerade die Situation mit dem europäischen Ausland vergleichen, relativ gut. Wir sehen natürlich, dass die Inzidenzen durch die Decke gehen. Wir sehen auch, dass die Situation keineswegs entspannt ist. Wir haben es aber in Deutschland immerhin bislang geschafft, in der Omikron-Welle mit relativ verhältnismäßigen Mitteln. Und ich bitte jeden, zurück zu erinnern, in welcher Situation wir zum Beispiel vor einem Jahr waren, welche Einschränkung wir da hatten. Dass wir hier eine Dynamik haben, die bislang deutlich niedriger ist als in Frankreich, als in Italien, als im Vereinigten Königreich, als in den Vereinigten Staaten. Wir haben nach wie vor hohe Reproduktionszahlen, da müssen wir auch runterkommen. Da haben wir auch Maßnahmen entsprechend umgesetzt, zum Beispiel mit 3G im öffentlichen Nahverkehr und auch im öffentlichen Fernverkehr. Aber insgesamt sehe ich, dass der Anstieg der Zahlen in Deutschland aktuell noch langsamer vonstatten geht als im Ausland. Und wir haben es geschafft, ohne gravierende Grundrechtseinschränkungen, wie wir es vor einem Jahr hatten. Und das ist schon mal ein Fortschritt, meiner Meinung nach.
GSCHWÄTZ: Gehen wir mal aus dem Gedankengang raus auf ein anderes Gebiet der Politik, nämlich den Klimaschutz. Da haben wir ja eigentlich ein ähnliches Problem: die Freiheit des Einzelnen, der heute lebt und die Freiheit dessen, der heute sehr jung ist. Du bist jetzt 20 Jahre jünger als ich. Und wir haben so Themen wie Tempolimit. Gerade jetzt als Verkehrspolitiker – was spricht gegen ein Tempolimit?
„Ich frag mich, warum wir jetzt zum Thema Klima das Thema Tempolimit holen?“
Valentin Abel: Das Tempolimit ist eine Frage, die man debattieren kann, aber ich frag mich, warum wir jetzt zum Thema Klima das Thema Tempolimit holen? Tempolimits sind 0,7 Prozent ungefähr der Treibhausgasemissionen. Gleichzeitig habe ich keine Podiumsdiskussion erlebt, wo es nicht die eine Frage zum Klimaschutz war. Ich selber bin jetzt kein Fan vom Tempolimit, sage ich gleich dazu. Ich glaube auch nicht, dass die individuelle Freiheit sich nach einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen definiert. Da gibt es, glaube ich, andere Punkte, die wichtiger sind. Da reden wir über Aufstieg durch Bildung und vieles andere. Ich glaube aber, dass dieses ganze Thema in der öffentlichen Debatte eine Bedeutung hat, die eigentlich seiner fachlichen, seiner wissenschaftlichen Situation nicht gerecht wird. Du hast gerade eins ganz richtig angesprochen, und zwar die Freiheit des Einzelnen und die Freiheit der Gesellschaft. Als Liberaler habe ich ein Grundprinzip, aber eigentlich können wir sogar zwei sagen Das eine ist, ich hab’s gerade schon mal erwähnt: Meine Freiheit endet da, wo sie die Freiheit anderer einschränkt. Allein deswegen ist es, glaube ich, ein Grundpfeiler des Liberalismus, dass man da Umweltschutz auf die Fahnen schreiben muss. Du hast gerade schon Gerhart Baum erwähnt, übrigens der, der es in Deutschland in der Bundespolitik als erster gemacht hat. Der zweite Aspekt, den ich hier erwähnen will, dDie zweite Maxime ist: Wir haben als Liberale noch ein anderes Credo. Und das ist, „wer bestellt, der bezahlt“, nämlich das der Verantwortung.
„In der Umweltpolitik sehe ich ein großes Spielfeld für den Liberalismus, weil die Grundgedanken des Liberalismus Verantwortung für das Handeln, Freiheit gegenüber der eigenen Person, aber auch gegenüber kommenden Generationen sind.“
Und ich glaube, es ist alles, nur nicht verantwortlich gegenüber kommenden Generationen, wenn wir jetzt heute sagen „Nach uns die Sintflut“. Deswegen … in der Umweltpolitik sehe ich ein großes Spielfeld für den Liberalismus, weil die Grundgedanken des Liberalismus Verantwortung für das Handeln, Freiheit gegenüber der eigenen Person, aber auch gegenüber kommenden Generationen sind. Das sind zwei ganz wichtige Punkte und vor dem Hintergrund finde ich es persönlich auch sehr gut und sehr wichtig, dass dieser Koalitionsvertrag im Hinblick auf den Schutz unserer natürlichen Ressourcen, aber auch im Kampf gegen den Klimawandel ganz wesentliche Punkte mit ins Spiel gebracht hat, die wir in Vorgängerregierungen nicht hatten. Wir haben gestern jetzt vom Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz den Plan vorgestellt bekommen, wie wir die Treibhausgasemissionen in Deutschland runter bekommen wollen.
„Wir reden da zum ersten Mal in diesem Land wirklich darüber, Klimaschutz breiter zu denken als zwischen einzelnen Sektoren“
Und weil wir es vorhin davon hatten, auch da sehe ich eine stark liberale Handschrift. Wir reden da zum Ersten Mal in diesem Land wirklich darüber, Klimaschutz breiter zu denken als zwischen einzelnen Sektoren, also zum Beispiel in der Wärme, in der Stromerzeugung, im Verkehr, sondern wir machen es integrativ. Hier schauen wir, wie wir sektorenübergreifend dafür sorgen können, mit möglichst wenig Mitteleinsatz möglichst viel Effekt fürs Klima rauszuholen. Und das ist, glaube ich auch was: Man fragt ja immer so, was so eine Koalition zusammenhält. Das ist auch was, was diese Koalition zusammenhält, weil der Glaube daran, dass effektive Umweltpolitik, Klimapolitik eine der Verantwortung ist, die wir heute haben gegenüber den Menschen, die jetzt hier leben, aber auch die in Zukunft hier leben. Das ist, glaube ich, etwas, was von allen Koalitionspartnern geteilt wird. Und das werden wir in den nächsten Jahren auch umsetzen.
GSCHWÄTZ: Wird das denn auch von der klassischen Klientel der FDP, cih sags mal etwas überspitzt, der Wirtschaft so getragen? Denn wenn Klimaschutzmaßnahmen kommen, heißt es da sofort, der Standort Deutschland ist gefährdet, Arbeitsplätze sind gefährdet. Wie will man die Menschen, die Menschen der Zukunft, die heutige Wirtschaft und die zukünftige Wirtschaft unter einen Hut bringen? Wenn man auf der anderen Seite sagt, wir wollen die Belastungen verringern und dem Staat dadurch wichtiges Geld, das er für solche Maßnahmen braucht, wegnehmen.
„Wir wollen der Wirtschaft helfen bei der Transformation in neue Technologien rein.“
Valentin Abel: Also ich würde vielleicht mal zuerst sagen, die klassische Klientel der FDP, die ich kenne, sind Handwerker, Studierende, Landwirte, Angestellte, Arbeiterinnen. Da ist alles dabei. Ich kenne relativ wenige Leute aus der Wirtschaft, da sind wir ein Querschnitt der Gesellschaft. Wir haben natürlich gewisse Forderungen, einfach auch aus Überzeugung, die sich auf die soziale Marktwirtschaft stützen. Die werden wir auch weiter prominent voran tragen. Aber es ist jetzt nicht so, dass die FDP nur ein Haufen von Wirtschaftsvertretern wäre. Wir sind ganz bunter Haufen aus allen Ecken. Warum glaube ich, dass das gerade aber auch kein Entweder-Oder ist, sondern dass es in aller Interesse ist, dass wir jetzt diese Dinge in die Wege leiten? Wir haben in Deutschland europaweit die höchsten Strompreise. Wir haben sie unter anderem auch deshalb, weil wir eine Klima und Energiepolitik in den letzten Jahren gemacht haben, die eben nicht über den Tellerrand geguckt hat, die an den nationalen Grenzen geendet hat, die sehr viel von Aktionismus getrieben war und die sehr viel, ich nenne es mal Planwirtschaft in den Vordergrund gestellt hat. Ich sage nur die Art und Weise, wie der Kohleausstieg 2038 zustande gekommen ist. Wir wollen dem was entgegensetzen. Wir wollen dem entgegensetzen, dass wir, ich habe es gerade schon erwähnt, das ganze sektorübergreifend machen. Und wir wollen vor allem, wenn wir jetzt über das Thema Energie reden, im Bereich der Speicherung, im Bereich der Netze, im Bereich der Wasserstoffwirtschaft … wenns gerade auch für die Industrie darum geht, diesen Strom quasi in diese Energiewende nutzbar zu machen, da wollen wir Fortschritte liefern. Wir wollen der Wirtschaft helfen bei der Transformation in neue Technologien rein. Ich denke an die Automobilwirtschaft, wo Deutschland in der Vergangenheit übrigens auch großartige Entwicklung, großartige Entdeckungen in Sachen Elektromobilität gemacht hat, die aber im großen Maßstab dann andernorts quasi vermarktet worden sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Schlechteste, was wir unserer Wirtschaft antun können, jetzt ist, zu sagen: Wir machen weiter wie bisher. Denn wer sind denn unsere Kunden? Die sitzen ja nicht nur in Deutschland, die sitzen nicht nur in Europa, die sitzen weltweit. Und der Klimawandel ist etwas, auf das wir weltweit reagieren müssen, wo weltweit die Entwicklung hingeht, wo weltweit die Nachfrage hingeht. Und deswegen geht es, glaube ich, für uns darum, unsere Wirtschaft, unsere Unternehmen auf diesem Wandel zu begleiten, dafür zu sorgen, dass wir mit den Technologien des 21. Jahrhunderts genauso erfolgreich sind wie mit denen des 20. Jahrhunderts.
„Das Schlechteste, was wir unserer Wirtschaft antun können, jetzt ist, zu sagen: Wir machen weiter wie bisher.“
Und das ist für mich auch moderne Industriepolitik: einerseits da zu entlasten, wo es geht, Stichwort Stromkosten, dass wir da gegensteuern, aber andererseits dann auch gucken, wie wir mit Wirtschaft, mit Forschung, mit Technologie dabei helfen, diese Transformation zu schaffen, die unabhängig davon, wer in Berlin regiert, stattfinden wird.
GSCHWÄTZ: Werden dazu auch altbekannte Subventionen angegriffen, um alte Industrien dazu zu bewegen, sich nicht mehr im alten Bereich zu bewegen, sondern nach vorne zu schauen in neue Technologiebereiche?
Valentin Abel: Subventionen haben immer dann Sinn, wenn es darum geht, in der Industrie zum Anschub zu verhelfen, damit sie dann möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen kann, um florieren kann.
GSCHWÄTZ: Aber Subventionen haben natürlich auch die Tendenz, nie mehr abgeschafft zu werden, weil sie so schön sind.
„Diese Ansicht, dass Subventionen so schön sind, teilen wir als Liberale nicht.“
Valentin Abel: Genau. Und diese Ansicht, dass sie so schön sind, teilen wir als Liberale nicht. Und deswegen sind wir auch ein Freund, möglichst schnell abzuschaffen. Wenn es dann in Industrien geht, wo man weiß, dass das eigentlich keine Zukunftstechnologie mehr ist, dass es einen strukturellen Wandel geben muss, dann sind wir auch die letzten, die danach Verlängerung von Subventionen schreien.
GSCHWÄTZ: Das ist natürlich eine Politik, die vielleicht mit der SPD schwer zu machen ist?
Valentin Abel: Wir haben einen Koalitionsvertrag, der sehr gute Leitplanken festgelegt hat, wie wir gerade auch im Bereich der Industriepolitik in den nächsten Jahren vorgehen wollen. Und wir haben ein ganz klares Bekenntnis dazu gemacht, dass wir, wenn es um Technologien geht, wenn es auch um die Wirtschaftspolitik geht, den Wandel hinkriegen wollen, in moderne Technologien hinein. Da reden wir ja nicht nur von der Automobilindustrie. Da reden wir zum Beispiel vom Aufbau neuer Industrien, wie zum Beispiel der Wasserstoff Industrie. Da reden wir davon, wie wir die digitale Industrie in Deutschland, die teilweise noch unterentwickelt ist, voranbringen. Da reden wir drüber wie wir im Bereich Venture Capital für Start-ups, für jung gegründete Unternehmen, die Arbeit erleichtern. Und für all diese Bereiche haben wir ganz gute Kompromisse gefunden im Koalitionsvertrag mit der SPD. Und deswegen glaube ich, dass man mit dem Team, das wir auch als FDP in die Regierung schicken, da weiter drauf pochen werden und das auch gut umsetzen können.
GSCHWÄTZ: Du hast jetzt einige Industriebereich genannt und da hab ich bei allen gedacht, oh, die hatten wir doch schon mal! Wasserstoff Industrie: Ich glaube, vor 30 Jahren hat BMW Wasserstoff Autos gebaut, im Versuchsmaßstab, aber funktionsfähig. Die kamen aber nicht in die Welt. Digital Industrie: Deutschland war mit führend im in dem Computermaus. Glasfaser als Stichwort: Deutschland hat die ersten Glasfaser verlegt und dann wieder Kupferleitungen. Warum? Ich glaube, das ist irgendwo ein spezifisch deutsches Problem: Man ist ganz vorne dabei, bringt das aber nicht in den Markt. Warum?
Valentin Abel: Das ist tatsächlich ein guter Punkt. Ich glaube, man muss ein bisschen differenzieren. Ich hatte, ich glaube gestern auf Twitter entdeckt, ein Screenshot von der Tagesschau von vor 20 Jahren. Wo vermeldet wurde, dass deutsche Handys in der Welt immer besseren Absatz finden, also zum Beispiel Siemens Handys …
GSCHWÄTZ: Hatte ich damals auch.
„Das Erschreckende war (…), dass man nicht erkannt hat, in welche Richtung der Trend geht“
Valentin Abel: Ja, ich war eigentlich damals Team Nokia, aber da war Siemens schon auf dem absteigenden Ast. Aber die gibt es ja jetzt beide nicht mehr. Da haben wir einfach auch einen Trend gehabt, dass die Produktion in Europa sich einfach von den Kosten nicht gelohnt hat, dass sich das verlagert hat. Das Erschreckende war aber – und da ist Nokia ein gutes Beispiel, zwar nicht in Deutschland, aber auch in Europa und Siemens wäre es genauso gegangen – dass man nicht gesehen hat, in welche Richtung der Trend geht, dass man diesen Quantensprung, zum Beispiel jetzt beim Handy waren es die Apps, dass man das den anderen überlassen hat. Übrigens auch nicht wirklich aufgeschlossen hat, wenn es darum geht, solche digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln.
„Da geht es nämlich darum, dass kleine Unternehmen, dass Startups, dass gerade Ein-Mann-Uunternehmen, sich auch über diese Anfangszeit hinaus, wenn sie eine geniale Idee haben finanzieren können.“
Da reden wir zum Beispiel davon, kommt mam im ersten Moment gar nicht drauf, wie solche solche jungen Start-Ups Zugang zu Finanzierung haben? Deswegen habe ich das Thema Venture Capital gerade angesprochen. Da geht es nämlich darum, dass kleine Unternehmen, dass Startups, dass gerade Ein-Mann-Uunternehmen, sich auch über diese Anfangszeit hinaus, wenn sie eine geniale Idee haben finanzieren können. Da sind wir in Deutschland lange abgeschüttelt worden. Wir müssen ja nicht nur in die USA und nach China gucken. Das machen zum Beispiel auch unsere Nachbarn in Holland besser. Von Israel rede ich gar nicht. Also das ist der eine Punkt, dass wir hier gucken müssen, wie wir die jungen Player im Markt so aufstellen können, dass Ideen, kreative Ideen, in diesem Land tatsächlich auch realisiert werden können und dass die nicht woanders gemacht werden. Das andere ist, Du hast es gerade angesprochen, Thema Wasserstoff: Wir müssen glaube ich auch gucken, welche Technologie, wir wo sinnvoll einsetzen. Ich erinnere mich noch dran, das ist noch gar nicht so lange her, ich glaube, der letzte Wasserstoff-Verbrenner den BMW mal auf einer Autoshow vorgestellt hat, das werden dann vielleicht 10 15 Jahre gewesen sein. Da müssen wir halt gucken, was funktioniert wo. Ich glaube, die Wasserstoff Technologie hat in Deutschland ein großes Potenzial. Ich weiß nicht, ob BMW der klassische Anwendungsfall ist, denn man muss halt schon sagen, in der Gesamt-Energiebilanz gibt es bessere Konzepte. Allerdings es natürlich Punkte, da könnten wir Wasserstoff einsetzen, da können wir mit Batterien gar nicht anfangen. Denken wir an den Luftverkehr, denken wir an den Schiffsverkehr, denken wir auch an den Schwerlastverkehr – oder an Heizung, das sind alles Bereiche, wo dieser Einsatz relevant werden kann.
„Es geht aber auch darum, es Menschen möglichst einfach zu machen, Dinge umzusetzen.“
Und ich glaube, wichtig bei einer intelligenten Forschungspolitik ist auch zu gucken, welche Technologie für welchen Anwendungsfall ideal. Und da kommt man dann vielleicht zum Schluss – und so geht es ja: Es muss ja nicht mal unbedingt die Politik entscheiden. Das machen ja gerade die Kunden, das machen gerade die Hersteller – dass es vielleicht für den normalen Privat-PKW andere Konzepte gibt, die vielversprechender sind. Ich glaube, wenn wir über solche neue Technologien reden, dann geht es einerseits darum, die es gerade schon erwähnt, private Leistungsfähigkeit zu entfesseln. Es geht aber zum anderen auch darum, es Menschen möglichst einfach zu machen, Dinge umzusetzen. Das heißt einerseits, dass Gründerinnen und Gründer nicht schon in Bürokratie ersaufen. Es geht ja auch darum, dass man möglichst einfach macht, dass solche Ideen sich durchsetzen. Ich habe gerade die finanzielle Seite angesprochen, da geht es aber auch sehr darum, Gründerinnen und Gründer soweit es geht, gerade in den Anfangsjahren von Bürokratie zu entlasten. Und deswegen freut es mich auch, dass wir mit Bettina Stark-Ratzinger eine ganz tolle Bildungs- und Forschungsministerin haben. Es geht darum, Forschung, Lehre, Entwicklung an den verschiedenen Instituten mit der Wirtschaft zu vernetzen. Wir haben zum Beispiel im Bereich der Batterietechnik in Deutschland in den letzten 10 bis 15 Jahren großartige Entdeckung gemacht, die dann aber im Ausland vermarktet werden, weil bei uns quasi diese Lücke bestand zwischen Entwicklung und zwischen gangbar machen am Markt. Und da müssen wir ansetzen.
GSCHWÄTZ: Wie kann man da ansetzen?
„Wir merken, dass wir lange Zeit essenzielle Schlüsseltechnologien schon ein bisschen verschlafen haben,“
Valentin Abel: Das hat zum einen zum Beispiel damit zu tun, wie wir – nennen wirs die Fraunhofer-Institute – mit der Wirtschaft vernetzen, das geht eng damit zusammen, wie wir die Universitäten mit einbinden, welche Kontakte die Universitäten in die lokale Wirtschaft hinein haben. Da geht es um Forschungspolitik, welche Themenbereiche oder welche Forschungsfelder wir in den Fokus stellen und mit entsprechenden Programmen fördern. Und ich glaube, wir sind da gut aufgestellt. Denn Deutschland war nie eine Nation von Investmentbankern oder von was weiß ich, was wir waren. Wir waren eine Nation von Ingenieuren und Ingenieurinnen. Das merken wir jetzt. Wir merken, dass wir lange Zeit essenzielle Schlüsseltechnologien schon ein bisschen verschlafen haben, Du hast gerade komplett zu Recht des Kupferkabel angesprochen. Anfang der 80er hat die sozialliberale Koalition noch ein Glasfaserausbau angestrebt. Das war dann mit der CDU nicht mehr machbar. Die Zeche zahlen wir heute. Das hat unsere Digital Industrie nicht gut getan, aber wir merken auch, dass wir sehr schnell aufholen. Wir haben das Thema Elektromobilität in diesem Land, ich will jetzt nicht sagen verschlafen, aber wir haben es sehr spät angegangen, weil wir in unterschiedliche Richtung unsere Unternehmen hatten, die sich da orientiert haben. Da hat zum Beispiel VW gesagt, sie gehen jetzt in Richtung Elektromobilität. Daimler hat dann irgendwann jetzt nachgezogen. Und wenn wir sehen, wo weltweit am meisten investiert wird, wo am meisten entwickelt wird, wo am meisten patentiert wird: da ist Deutschland schon relativ gut dabei. Jetzt geht es darum, dass wir die Leistung, die wir quasi haben, auch auf die Straße bringen. Und die Aufgabe der Bundesregierung der Neuen, ist es, durch die intelligente Forschungs und Wirtschaftspolitik dabei zu helfen. Dabei geht es wie gesagt nicht darum, Klimaschutz gegen die Wirtschaft auszuspielen. Das würde auch gar keinen Sinn ergeben. Weil, wenn ich mich umhöre in der Wirtschaft habe ich noch niemanden gehört, der gesagt hat, so wie wir bislang gearbeitet haben, können wir weitermachen. Also diese Erkenntnis, dass ein gesellschaftlicher Wandel vonnöten ist, dies allenthalben da.
GSCHWÄTZ: Wir haben ja in Deutschland schon viele Industrien verloren.
„Da geht es darum, nicht in Abhängigkeit von Ländern wie China zu geraten, die es geopolitisch nicht wirklich gut mit uns meinen.“
Valentin Abel: Es ist normal, es ist ein Stück weit normal, dass Industrien kommen und gehen. Diese Verlagerung, die ist in jedem Land da. Wir haben auch jetzt ganz andere Industrien, wie wir sie vor 50 Jahren hatten. 50 Jahre davor hatten wieder andere. Das Entscheidende ist, glaube ich, aus deutscher Sicht, dass wir bei den Industrien, die in 10, 20, 30 Jahren relevant sind, auch weiterhin vorne dabei sind. Da geht es ja nicht nur um materiellen Wohlstand. Da geht es ja zum Beispiel auch darum, Standards zu setzen. Da geht es darum, nicht in Abhängigkeit von Ländern wie China zu geraten, die es geopolitisch nicht wirklich gut mit uns meinen. Und deswegen ist es, glaube ich, schon wichtig, dass wir mit diesem Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zu umweltfreundlichen Technologien haben, zu Automatisierungstechnologie, zur Elektromobilität, zu klimafreundlichen digitalen Technologien im Allgemeinen. Und ich glaube, dass man damit auf einem ganz guten Weg sind, diesen Spitzenplatz der deutschen Wirtschaft zu verteidigen.
GSCHWÄTZ: Sollen wir das als Schlusswort nehmen oder gibt es noch etwas, was Dir besonders auf dem Herzen liegt?
Valentin Abel: Das ist ein sehr gutes Schlusswort, aber wenn es etwas gibt, das mir auch am Herzen liegt, dann noch mal wirklich Grüße in die Heimat aus Berlin und vor allem gerade in diesen schwierigen Covid-Zeiten mit Omikron um uns rum: Bleibt bitte alle gesund, lasst euch boostern, ich habe es neulich auch machen lassen. Und ich hoffe einfach, dass wir diese Welle gut überstehen, dass wir möglichst bald in eine endemische Situation kommen und dann endlich auch unser normales Leben, wie wir es 2019 mal hatten, wieder zurücklegen.
GSCHWÄTZ: Ok, dann sage ich Dankeschön!
Valentin Abel: Vielen Dank für die Einladung, Matthias.
Die Fragen stellte Matthias Lauterer