Der Förderverein der Klinik für Kinder Jugendliche in Schwäbisch Hall schlägt Alarm und schreibt einen Offener Brief an die Minister Lucha und Lauterbach zum Erhalt des Versorgungszentrums für Risikoschwangerere, Früh- und Risikogeborene. Das Versorgungszentrum soll geschlossen werden, da die Mindestfallzahlen nun von Bund und Ländern hochgesetzt werden und dadurch Schwäbisch Hall zu wenig Fallzahlen hätte und damit geschlossen werden würde.
Medizinische Versorgung extrem kleiner Frühchen
Anbei veröffentlichen wir diesen Brief in voller Länge:
Sehr geehrter Herr Bundesminister,
sehr geehrter Herr Landesminister,
für die medizinische Versorgung extrem kleiner Frühchen wurde die Fallzahl von 14 auf 25 Frühchen pro Jahr ohne wissenschaftlich fundierte Begründung angehoben. Dieser Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sorgt aktuell dafür, dass in Baden-Württemberg 8 von 21 Perinatalzentren Level 1 darüber informiert wurden, dass sie die Mindestanzahl im laufenden Jahr voraussichtlich nicht erfüllen können. Ihnen droht ab dem 1. Januar 2024 ein Versorgungsverbot durch die Kostenträger. Diese Umsetzung wäre eine fatale Fehlentscheidung – sowohl für die Familien als auch für die werdenden Mütter und Frühchen.
Fordern einen offenen Diskurs
Auch unser Zentralversorger und Lehrkrankenhaus der Universität Heidelberg, das Diak Klinikum in Schwäbisch Hall, wäre davon betroffen. Dazu zählt auch die Klinik für Kinder und Jugendliche am Diak Klinikum in Schwäbisch Hall.
Als beuteltigerstarker Förderverein der Kinderklinik und mit weiteren Unterstützerinnen und Unterstützern setzen wir uns aktiv für den Erhalt des Perinatalzentrums mit dieser höchsten Versorgungsstufe 1 ein und befürworten dazu einen offenen Diskurs mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss, den Kostenträgern und allen daran Beteiligten. Wir rufen auf zahlreichen Wegen auf, sich aktiv für den Erhalt dieser ausgezeichneten Qualitäts- und Versorgungsstruktur im Flächenlandkreis Schwäbisch Hall und dem angrenzenden Hohenlohekreis sowie der Mitversorgung großer Teile westlichen Frankens und bis weit nach Bayern stark zu machen.
Bald keine Klinik mehr zwischen Heilbronn und Nürnberg?
Wir fordern von den politischen Entscheidungsträgern eine Neudefinition der Versorgungslevels. Denn hinter jeder Fallzahl steht ein Kind und eine dazugehörige Familie. Deshalb fordern wir die Streichung der Erhöhung der geplanten Mindestfallzahlen und die Berücksichtigung der zu versorgenden Flächenregion. Sollte das Diakoneo Diak Klinikum Schwäbisch Hall und auch die anderen mit einem „blauen Brief“ angeschriebenen Kliniken ihren Level 1 Status verlieren, gäbe es KEINE Klinik mit diesem Level zwischen Heilbronn und Nürnberg sowie zwischen Würzburg und dem Ostalbkreis.Dies wäre eine katastrophale Entwicklung für alle Familien, Schwangeren und Frühchen in unserer Flächenregion. Denn das Diak-Klinikum ist auch für die Versorgung der z.T. umliegenden Landkreise zuständig. Hier werden Frühchen auf höchster Stufe versorgt, mit hervorragenden Langzeitergebnissen, die auch unabhängig positiv bescheinigt wurden. Dies würde für die Frauen und Kinder sehr lange Wege, die im schlimmsten Fall sogar lebensbedrohlich sein können, bedeuten. Ferner hieße dies lange Abwesenheitszeiten von zu Hause, gerade auch bei
Geschwisterkindern.
„Sehr lange Wege, im schlimmsten Fall lebensbedrohlich“
Ein Verlust des Level 1-Status würde ebenfalls eine Verschlechterung für die umliegenden Geburtskliniken in Crailsheim und Öhringen bedeuten. So stellt sich die Frage, ob die Geburtskliniken in Crailsheim und Öhringen weiter von den Haller Neonatologen angefahren werden können. Rund einmal pro Woche sind die Experten des Diak Klinikums dort bei Risikogeburten und auch Hausgeburten im Einsatz – entweder vor Ort oder die Kinder werden nach Schwäbisch Hall zur Weiterbehandlung gebracht. Ebenso wäre auch die Frauenklinik betroffen. Hier könnten Frauen mit einer Risikoschwangerschaft oder einer drohenden Frühgeburt etc. möglicherweise nicht mehr behandelt werden. Auch haben die umliegenden Kliniken, die dann die Frühchen behandeln sollten, oft nicht die personellen Kapazitäten für eine geforderte 1:1 Betreuung, denn der Fachkräftemangel ist überall präsent.
Schwangerschaftskomplikationen
Daher fordern wir die Sicherung der zuverlässigen und wohnortnahen medizinischen Versorgung besonders bei Früh- und Risikogeburten sowie bei Schwangerschaftskomplikationen. Das Einzugsgebiet reicht über den Flächenlandkreis Schwäbisch Hall bis weit in den Hohenlohekreis, große Teile Frankens, weit nach Bayern und bis zum Ostalbkreis. Künftig ist laut Experten aufgrund von tendenziell älteren Müttern, mehr Mehrlingsgeburten und auch durch mehr übergewichtige Frauen mit einer Zunahme der Risikogeburten zu rechnen.
Zunahme von Risikogeburten
Mit der Hochsetzung der Mindestfallzahl würden bewährte, zuverlässige Strukturen, interprofessionelles Zusammenarbeiten und andere wichtige Netzwerke zerstört werden, die in jahrelangem Engagement mit großer Expertise zur verlässlichen medizinischen Versorgung für Ausnahmesituationen – wie es eine Risikoschwangerschaft oder die Geburt eines Frühchens ist – aufgebaut wurden. Dieses wertvolle und heimatnahe Wissen ist Gold wert und kann Menschenleben retten. Daher fordern wir den Erhalt dieses oft lebensrettenden Experten-Wissens und spezialisierten Personals sowohl in der Geburtshilfe als auch in der Neonatologie vor Ort im Diakoneo Diak Klinikum Schwäbisch Hall.
Denn wie auch bei einem Hausbau dauert es lange Zeit und braucht viel Erfahrung und Können, bis das Haus steht. Ein Abbruch hingegen erfolgt innerhalb von Stunden. Mit Sorge betrachten wir die ausschließliche Orientierung an sogenannten Fallzahlen bei extrem frühgeborenen Kindern. Die Annahme ist, wer etwas oft tut, macht weniger Fehler. Doch Menge ist nicht alles! Bei der Versorgung von Frühchen sieht das beispielsweise der Präsident des Verbandes leitender Kinder- und Jugendärzte, Prof. Dr. Andreas Trotter, sehr viel differenzierter und setzt sich dafür ein, die Versorgungsgrenze anders zu definieren. So würden
neuere Daten aus Deutschland zeigen, dass sich wirkliche Effekte für die Frühchen erst ab einer Fallzahl von 100 zeigen und keinesfalls bei einer Anhebung der Mindestmenge von 14 auf 25. Das ergibt aus Expertensicht keine messbare Verbesserung. Damit fehlt eine wissenschaftlich fundierte Begründung für die Erhöhung dieser Mindestmenge. Die Möglichkeit für das Diak Klinikum nach einem Entzug der höchsten Versorgungsstufe als Perinatalzentrum Level 2 weiterzuarbeiten, ist realitätsfremd. Denn die Anforderungen an ein solches Zentrum sind nahezu dieselben. D Erlöse fallen jedoch sehr viel geringer aus und damit lässt sich hochtechnisierte Medizin und wertvolles Personal mit Spezialwissen nicht auskömmlich finanzieren. Es droht also eine schlechtere medizinische Versorgung bei annähernd gleichbleibenden Kosten.
Mensch steht im Mittelpunkt
Diese fatale Fehlentscheidung kann nicht das Ziel sein. Denn der Mensch steht im Mittelpunkt, erst Recht zu Beginn seines wertvollen Lebens. Was wir brauchen, ist eine zuverlässige, wohnortnahe und flächendeckende medizinische Versorgung, besonders für Risikoschwangere, Früh- und Risikogeborene. Hier muss erst Recht die Maxime „kurze Beine, kurze Wege“ erhalten bleiben. Daher fordern wir Sie auf, hier umsichtig zu handeln, gerade im Hinblick auch auf die Menschen unseres Flächenlandkreises und unserer großen Flächenregion.“
Der Förderverein hat zur Erhaltung der Versorgung für Frühchen und Risikoschwangere eine Petition ins Leben gerufen:
https://www.openpetition.de/!lcftd