Das Online-Magazin ExoMagazinTV hat in dem Videobeitrag „Scripted Reality – Das dritte Jahrtausend ’61“ auf seinem Youtube-Kanal die Statistiken des DIVI-Intensivregisters unter die Lupe genommen. „Ein Jahr nach der Pandemie scheint das deutsche Gesundheitssystem doch noch an seine Belastungsgrenze zu kommen“, stellten die Macher der Sendung fest und fragten: „Wie konnte es dazu kommen?“. Das DIVI-Register zeige ansteigende Patientenzahlen auf den Intensivstationen. „Die Situation scheint bedrohlich“, heißt es in dem Beitrag.
„Die Zahlen sind überhaupt nicht verlässlich“
Der Informatiker Tom Lausen aus Niedersachsen hat als Kopf eines unabhängigen Rechercheteams – rund ein Dutzend anderer Informatiker, Ingenieure, Notärzte und Anwälte die Situation in den Krankenhäusern auf der Grundlage offizieller Daten analysiert. Jeden Tag besorge sich Lausen die aktuellen Rohdaten, die von den Krankenhäusern gemeldet werden und wertet diese mithilfe eines eigens geschriebenen Programmes aus. Lausen kommt zu dem Ergebnis, dass die Zahlen des DIVI-Registers „überhaupt nicht verlässlich sind“. Weil das DIVI „überhaupt nicht weiß aufgrund der Eingaben der Krankenhäuser, wie viele Patienten jemals mit Covid in den Intensivstationen gelegen haben“.
Aus eins mach zwei oder drei
„Wenn ein Patient in einer Intensivstation liegt, dann zählt er als ein Fall. Wenn er verlegt werden sollte, gilt er als ein weiterer Fall“, nennt er ein Beispiel. So werde ein Patient zu zwei Fällen. „Er könnte auch zu drei Fällen werden, wenn er weiter verlegt wird.“ Lausen schlussfolgert: „Somit sind die Zahlen, die vom DIVI genannt werden, falsch.“ Selbst schreibt auch das DIVI in seinen täglichen Veröffentlichungen: „Aufgrund von Verlegungen von Patient*innen von einer ITS zur Weiterbehandlung auf eine andere ITS kann pro Patient mehr als eine Behandlung gemeldet werden (Mehrfachzählung möglich).“
„Es liegen wohl weniger Patienten auf den Intensivstationen als gemeldet“
Das ExoMagazin fragt: „Wie oft kommt das vor?“ und stellt fest: „Dazu gibt es nur Schätzungen.“ Es zitiert einen Bericht aus dem Deutschen Ärzteblatt, in dem es heißt, dass „anhand von AOK-Daten bis Juli 2020 analysiert wurde, dass 10,8 Prozent aller stationären Covid-19-Fälle auf den Intensivstationen mindestens einmal verlegt wurden.“ Unter den beatmeten Patienten seien es sogar 31,9 Prozent gewesen. Diese Patienten seien demnach mehrfach in die Statistik eingegangen, was bedeute, dass „wohl weniger Patienten auf den Intensivstationen liegen, als gemeldet wird.“ Wie viele es allerdings wirklich sind, wisse das Intensivregister nicht.
„Wir zählen nur die Betten“
Lausen wollte auch wissen, wie die Krankenhäuser die Zahlen an das DIVI-Register melden. Laut dem Informatiker geben diese ihren Covid-19-Status in eine Eingabe-Maske ein. Dabei werden nur Zahlen eingegeben aber nicht, ob beispielsweise ein schwerer Verlauf vorliegt. „Ich bekam die Antwort, sie würden nur Betten zählen, sie würden niemals die schweren Verläufe wissen wollen“, sagt er. „Der klassische Fall dabei ist möglicherweise, dass eine ältere Dame oder ein älterer Herr sich im Pflegeheim beim Sturz den Oberschenkelhals bricht, was ein sehr häufiger Vorfall ist, und in die Intensivstation kommt nach der Operation, um noch beobachtet zu werden, und natürlich abgestrichen wird. Wenn der Test Covid-19-positiv ist, dann ist das ein Covid-Patient.“
„Die Covid-19-Patienten belasten die Intensivstationen nicht zusätzlich“
Das ExoMagazin interessierte sich auch dafür, „wie stark die Covid-19-Patienten das Geschehen auf den Intensivstationen“ beeinflussen? Ein Blick in die Statistiken zeige, dass sie nur einen relativ kleinen Anteil ausmachen. Die Gesamtzahl der belegten Intensivbetten sei seit Beginn der Pandemie „mehr oder weniger konstant geblieben, obwohl die Anzahl der positiv getesteten Intensivpatienten zuweilen deutlich zunahm.“ Das ExoMagazin kommt deshalb zu dem Schluss, dass die Corona-Patienten die Intensivstationen nicht zusätzlich belasten. Auch Lausen sagt: „Die Auslastung der Intensivstationen verändert sich insgesamt nicht.“ Der Anteil der Covid-19-Patienten habe keine Bedeutung auf die Gesamtauslastung der Intensivstationen.
„Die Gesamtzahl der verfügbaren Intensivbetten hat sich fast halbiert“
Deutlich verändert habe sich aber die Gesamtzahl der verfügbaren Intensivbetten, heißt es in dem Video weiter: „Seit November 2020 hat sie sich fast halbiert, obwohl die Auslastung der Intensivstationen fast gleich geblieben ist.“ Aufgrund des Krankenhausentlastunggesetzes von März 2020 hätten die Krankenhäuser im Bereich der Intensivbetten aufgerüstet, gewöhnliche Behandlungen wurden abgesagt, denn „jedes freie Bett bedeutet mehr Geld“. Außerdem wurden damals die Personaluntergrenzen von der Regierung außer Kraft gesetzt, was bedeutete, dass „sich weniger Personal um mehr Betten gleichzeitig kümmern darf“. So standen 10.000 bis 12.000 Betten für Intensivpatienten bereitgestanden.
„Mehrere tausend Intensivbetten sind in der Notfallreservekapazität verschwunden“
Die Personaluntergrenzen wurden im August 2020 wieder in Kraft gesetzt, „sodass tagsüber pro Pfleger nur noch maximal zweieinhalb Intensivbetten erlaubt sind“. Die Folge laut ExoMagazin: „Die Krankenhäuser lassen mehrere tausend Intensivbetten in der sogenannten Notfallreservekapazität verschwinden. Betten, die eigentlich zur Verfügung ständen, wenn es Jens Spahns Personaluntergrenzen nicht gäbe.“ Es gelte also wieder Spahns Losung: „Wer zu wenige Pflegekräfte für zu viele Patienten hat, muss Betten abbauen.“ Zum 30. September habe die Regierung auch die Freihaltepauschale beendet. Freie Intensivbetten brachten nun kein Geld mehr und wurden deshalb von den Krankenhäusern wieder in Betten der Normalstation umgewandelt. Die Folge: „Noch weniger freie Intensivplätze.“
„Das hat zu weiterem Abbau geführt“
Am 18. November 2020 habe das Parlament außerdem das Krankenhausfinanzierungsgesetz geändert. Das solle Krankenhäuser für Ausfälle entschädigen, die ihnen wegen der Pandemie entstanden sind – laut Tom Lausen ein weiterer Fehlanreiz, der „zum Abbau von Bettenkapazitäten führte“. „Ein Krankenhaus bekommt durch das Gesetz jetzt nur noch Geld, wenn sie mindestens 75 Prozent Intensivstationsauslastung haben“, sagt der Informatiker. Er nennt als Beispiel Lübeck: „Ich weiß nicht, ob die das so machen, aber es ist auffällig, dass die kurz vor dem 19.11. Betten abgebaut haben und dann auf einmal die Auslastung immer über 75 Prozent halten.“ Das sei vorher nicht so gewesen. Er habe auch festgestellt, dass das bei sehr vielen Krankenhäusern so sei.
„Krankenhäuser machen ihre Betten nach Belieben auf und zu“
Das bringt das ExoMagazin zu der Frage, ob die Kapazitäten an Intensivbetten „künstlich verknappt wurden“. In großen Städten wie Berlin oder Köln sei die Auslastung auch vor dem neuen Gesetz schon hoch gewesen. Hier sei kein Effekt zu erkennen. Das sehe in vielen Kreisen und Gemeinden anders aus – beispielsweise in Bottrop oder Goslar, wo Betten abgebaut wurden, genau wie in Leipzig oder Eisenach. Doch laut Tom Lausen gebe es auch Hinweise, dass die Krankenhäuser ihre Kapazitäten nötigenfalls wieder hochfahren können. Er zeigt als Beispiel die zwei Krankenhäuser im Kreis Pinneberg, „die nach Belieben ihre Betten auf und zu machen“. So würden sie „nahezu immer die 75 Prozent“. Das sei auch im Erzgebirgskreis oder in Starnberg so.
„Die Pressesprecherin war verblüfft“
Tom Lausen sagt, dass er alle seine Auswertungen an das Intensivregister geschickt hat und mit der Pressesprecherin telefonisch zwei Stunden durchgegangen sei. Die Frau sei hoch verblüfft gewesen über das Präsentierte. Er schließt daraus, „dass diese Sachen nicht zu einer bevölkerungsweiten Maßnahmensteuerung eingesetzt werden dürfen“. Denn diese Zahlen seien nicht valide.
Damit kann man kein Urteil begründen
Die fragwürdigen Zahlen dürften bald auch Justizia interessieren. Immer wieder hätten Gerichte zur Entscheidungsfindung die Zahlen des DIVI-Registers genutzt. Der Anwalt Dr. Alexander Christ von der Organisation Anwälte für Aufklärung e.V. sagt denn auch: „Offensichtlich ist es für die Krankenhäuser wichtig, ganz bestimmte Meldehöhen zu erreichen und die Kurve anzupassen an die Intensivpatienten.“ Er schließt daraus, „dass das nichts mit der tatsächlich vorhandenen freien Bettenzahl zu tun hat“. Dementsprechend könne ein Gericht seiner Meinung nach nicht sagen, „ein einfacher Blick auf das DIVI-Register genügt und damit begründe ich jedes Urteil“. Das gehe nun nicht mehr.