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Er erzählte ihr ziemlich schnell, bevor sie überhaupt richtig zusammen waren, von seinen früheren Freundinnen, die allesamt „nichts taugten“.

Cover des neuen Romans von Dr. Sandra Hartmann.

Im ersten Kapitel dieses bizarren Gesellschaftsromanes über eine Beziehung, die es zu oft immer noch gibt im 21. Jahrhundert, lernen wir Georg und Nina kennen. Georg, ein Mister Charming, wie er im Buche steht und Nina, stets bemüht. Doch leider macht sie in Georgs Augen vieles immer noch falsch. Da sind die Wassertropfen auf der Küchenzeile, die Nina manchmal in der Hektik des Familienallages übersieht, oder dass die Badewanne nur bis zu einem bestimmen Punkt gefüllt werden darf. Warum provoziert sie Georg mit ihrem Verhalten jeden Tag aufs Neue? Warum hält sie Abstandsregeln zu Georgs Freunden und zu seinem Vater nicht immer ein? Warum hat sie den Arbeitsvertrag für Georgs neuen Mitarbeiter nicht sofort geschrieben? Die Coronapandemie macht ihr mit homeschooling und home office völlig den Gar aus. Sie sei einfach zu nichts zu gebrauchen, sagt Georg. Unfähig. Dankbar müsse sie sein, dankbar, bei ihm und seinem Vater sein zu dürfen. Und irgendwann, ganz allmählich, auch durch fantastische Menschen, die in ihr Leben treten, erkennt Nina, dass nicht sie das Problem ist. 

 

Kapitel 2. Begeben wir uns zurück an den Anfang.

Bevor wir schauen, welche Lawine auf Nina zurollt nach ihrer Trennung von Georg (>>> Kapitel 1 nochmal lesen), spulen wir zurück auf den Anfang. Nein, nicht auf Adam und Eva. Soweit nicht. Wir drehen die Zeit 15 Jahre zurück und stellen fest: Nina und Georg haben sich ziemlich schnell kennen- und lieben gelernt. Nina steckte mitten in einer Beziehung, in der sie nicht wirklich glücklich war. Georg war Single. Sie lernten sich über Freunde kennen. Nina erzählte Georg von ihrem Freund, mit dem sie zwar viel Spaß hatte, aber darüber hinaus plätscherte die Beziehung oberflächlich so dahin. Gespräche über Themen wie Politik und Wirtschaft konnte sie mit ihm nicht führen. Bei einem weiteren Treffen in größere Runde sahen sie sich ein paar Wochen später wieder und Georg tat ausführlich seine Meinung über den Gazastreifen und die politisch hochproblematische Lage dort kund. Nina war begeistert. Im Nachhinein, wenn sie nun mit etwas Abstand zurückblickte und ihre Beziehung Revue passieren lässt, gefühlt 10 Bücher über narzisstische Strukturen gelesen hatte, war ihr vollkommen klar, was damals ablief. Das war nicht der Georg, der sich wirklich für Politik interessierte, das war der Georg, der Nina damals haben wollte und der sich exakt so präsentierte, wie Ninas Vorstellungen von einem Traummann waren. Er eignete sich dieses Wissen bewusst an, um sie zu beeindrucken, interessierte sich aber letztendlich nicht wirklich für Politik außer für die üblichen Stammtischparolen. Im Laufe ihrer Ehe waren es die immergleichen Sätze, die Georg auf Lager hatte über den Gazastreifen, über Flüchtlinge, vor denen er Angst hatte, dass sie ihm etwas wegnahmen, obwohl er selbst ein Flüchtling war. Konstruktive Diskussionen gab es nicht, nur Wut und Hass.

Er präsentierte sich als ihr Traummann, nur leider hielt dieser Zustand nicht lange an

Zu ihrem ersten Date lud Georg sie zu sich nach Hause ein und kochte für sie. Sie hätte ihn nie als Mann eingeschätzt, der in der Küche stand und kochte. Sie selbst war keine große Köchin und hatte ihm das damals auch erzählt. Sie stand weder gerne am Herd, noch buk sie freiwillig Kuchen. Et voila, nun hatte sie einen Mann, der für die kochte. Das geschah genau einmal in ihrer gesamten Beziehung und Ehe und zwar, als sie zusammenkamen. Später, als sie Kinder hatten, buk er für die Kinder, wenn wieder einmal etwas vorgefallen war und er sehr wütend wurde, am nächsten Morgen, Pfannkuchen zum Frühstück. Heilewelt-Pannkuchen mit Bananenscheiben obendrauf. Die Kinder strahlten vor Glück. Ansonsten eignete sich Nina im Laufe ihrer Ehe alles Wissenswerte rund um die Küche an, damit Georg zufrieden und glücklich war. Das war gar nicht so einfach. Sein Geschmack war meilenweit von dem entfernt, was sie gerne aß. Er aß gerne deftige Hausmannskost, Schweinebraten, Fettäugleinsuppen, sie eher fleischlos. Auf die kleinen Zutaten kam es dabei an. Wenn er dann in die Küche kam und feststellte, dass sie das falsche Öl verwendete oder das Essen zu wenig gewürzt war, wusste sie schon jetzt, dass er die Nase rümpfen und nichts oder nicht viel essen würde. Und die Kinder dementsprechend auch nicht. Man fand relativ schnell eine Lösung. Nicht selten aß er dann das, was seine Mutter gekocht und vor die Tür gestellt hatte oder er ging nach dem Essen zu seiner Mutter, aß dort richtig und brachte das übriggebliebene Essen von ihr mit. Später dann, als die Kinder schon da waren, stellte seine Mutter das Essen einfach vor die Tür. Nina wurde gar nicht mehr gefragt. Auch die Küche galt es dementsprechend nach dem Kochen ordentlich zu hinterlassen. Das Schlimmste für Georg waren Wasserstropfen auf der Küchenzeile, die sie übersehen hatte. „Das macht das ganze holz kaputt“, mornierte er jedes Mal, wenn er einen Tropfen fand und griff zum Geschirrtuch, um die Tropfen damit zu entfernen. „Es ist doch nicht viel, was ich von Dir verlange, Nina. Ein paar Kleinigkeiten, mehr nicht. Das muss doch möglich sein“, seufzte er und sie schämte sich immer mehr, dass sie anscheinend zu nichts zu gebrauchen war.

Er erzählte ihr ziemlich schnell, bevor sie überhaupt richtig zusammen waren, von seinen früheren Freundinnen, die allesamt „nichts taugten“.

Er erzählte ihr ziemlich schnell, bevor sie überhaupt richtig zusammen waren, von seinen früheren Freundinnen, die allesamt „nichts taugten“. Nina aber sei anders, einzigartig. Sie würde ihn glücklich machen. Nina schwebte auf Wolke sieben. Ja, sie würde ihn glücklich machen. Sie kam sich vor wie die Außerwählte. Er sagte ihr, wie wichtig ihm auch seine Freunde seien. Daher bemühte sie sich ganz besonders, einen guten ersten Eindruck zu machen bei den anfänglichen Treffen, locker zu sein. Ihm viel Freiraum zu lassen. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Georg war zufrieden. Sie war es auch. Bereits nach einem Jahr Beziehung war sie schwanger, sie hatten nicht mehr verhütet und ließen dem Schicksal seinen Lauf. Lars kam auf die Welt. Und Georg schien alles andere als glücklich, eher entsetzt zu sein. „Was soll ich jetzt nur tun?“, jammerte er seiner Schwester vor. Kurz vor der Geburt zog sie bei ihm und seinen Eltern ein. Er wollte keine Kinder, er sei ein „Lebemann“, wie er nie müde wurde zu betonen, auch sollte sie bei jeder Schwangerschaft abtreiben. Das zumindest verlangte er von ihr. „Wie soll ich denn noch ein Kind ernähren, Nina? Wie stellst du dir das vor? Weißt du eigentlich, wie teuer Kinder sind?“, fragte er sie die ganze Zeit, als sie mit Ida schwanger war. Damals standen sie gerade am Anfang der Selbstständigkeit für seine Firma. Seine Sätze trieben ihr Schweißperlen auf die Stirn und bereiteten ihr unruhige Nächte. Was, wenn er recht hatte? Wenn sie das finanziell nicht schaffen werden?

Treib das Kind ab

Während ihrer ersten Schwangerschaft hatte sie bereits durchgearbeitet, nun gab sie noch mehr Gas in ihrer zweiten Schwangerschaft – neben Lars als Kleinkind. Da Büroarbeit keine wirkliche Abeit war, weigerte sich Georg, die ersten frei Jahre noch jemaden einzustelle, der Nina entlastete, als die Firma größer und die Aufträge mehr wurden. Rechnungen, Mahnungen, Werbung, E-Mails, Telefonate, monatliche Auswertungen, Steuerabschlüsse, Gerichtsverfahren mit unzufriedenen Kunden. Ninas Elternzeit bestand aus einem unbezahlten Vollzeitjob für ihren Mann und der Erziehung ihrer beiden Kinder.

Du bist nicht krank, nur schwanger

Sie sei ja schließlich auch nicht krank, sondern nur schwanger und später war sie eben „nur“ Mutter, das könne sie ja wohl mit links, wie Georg nie müde wurde zu betonen. Der Kundenstamm vergrößerte sich, sie bekamen bessere Aufträge, immer wieder kehrende Kunden. Sie versuchte, so viel Geld in der Verwaltung wie nur möglich zu sparen, indem sie am Anfang fast alles selbst machte, obwohl das bedeutete, eigentlich nie fertig zu sein. Georg war dadurch manchmal auch unzufrieden mit ihr, etwa, wenn sie nicht sofort seine Wünsche umsetzte. „Ich habe dir doch gesagt, ich brauche den Arbeitsvertrag für den neuen Mitarbeiter in der Werkstatt heute noch.“ – „Ich habe es leider nicht geschafft, Georg. Morgen ist er fertig. Das verspreche ich dir, Georg.“ – „Nina, ich glaube, du verstehst das nicht. Ich bin die alleinige Fratze der Firma. Ich in die alleinige Fratze. Es gibt nur einen Chef. Du oder ich“, Georg schaute sie wütend an. Nina schaute ihn verdutzt an und dachte, sie hätte sich verhört. Natürlich war er der Chef. Das hatte sie auch nie in Frage gestellt, nur weil sie den Arbeitsvertrag nicht pünktlich fertiggestellt bekam. Seine Wortwahl war mehr als eigenartig. Bezeichnete er sich gerade selbst als Fratze? Sie antwortete nicht, um nicht unnnötig wieder einen Streit zu provozieren. „Ich entscheide, ich bestimme. Ich hoffe, das ist jetzt klar. Ansonsten fliegst du.“ Es hatte keinen Zweck, weiter mit ihm zu diskutieren, auch wenn seine Aussagen sehr absurd waren. Nina gab auf, schwieg und machte sie an den Arbeitsvertrag.

Georg präsentierte sich stets als fantastischer Unterhalter

Als Lars auf der Welt war, war bei ihnen Zuhause stets offene Tür. Seine Eltern, seine Verwandtschaft und seine Freunde waren zu dieser oft bei ihnen Besuch, um den kleinen Lars zu betrachten. Nina mochte jeden einzelnen von ihnen, aber sie hatte kaum eine Minute für sich und den kleinen Lars alleine. Zum Stillen ging sie in das Schlafzimmer, wenn Gäste da waren. Seine Familie gab ihr Tipps, wie man optimal stillte, eine optimale Kindererziehung ausschaut und was sie noch besser machen konnte. Nach den Tipps bewirtete Nina die Gäste. Georg war stets gut gelaunt, wenn Besuch da war und er irgendwann zu später Stunde nach Hause kam, wenn er mit arbeiten fertig war, was teilweise erst nach Mitternacht der Fall war. Er war nun doch stolz auf seine kleine Familie, auf seinen Thronerben. Er war auch großzügig. Nina wäre zwar gerne häufiger alleine mit ihren Kindern direkt nach der Geburt gewesen, aber es hatte auch einen großen Vorteil, wenn sie Besuch hatten: Georg war dann gut gelaunt, zeigte sich von seiner besten Seite und war der Unterhalter des Abends. Ihr graute immer schon davor, wenn sich der Abend dem Ende zuneigte und sie mit ihm am Schluss wieder alleine war. Denn wenn sie alleine waren, kam die Unzufriedenheit und seine Aggression zurück, er fand immer etwas, dass sie im Umgang mit seiner Familie oder seinen Freunden falsch gemacht hatte, was ihr aber in dem Moment nicht auffiel, erst, als er sie danach darauf aufmerksam machte. Wenn sie sich in den Gesprächen mit seiner Familie, besonders gegenüber seinem Vater nicht so verhielt, wie er es als angemessen empfand, begann er damit, ihr einen Vortrag darüber zu halten, dass sie es leider anscheinend in ihrer Kindheit nicht gelernt habe, der älteren Generation den nötigen Respekt und Anstand entgegenzubringen und endete nicht selten mit wüsten Beschimpfungen, die häufig immer gleich endeten: „Verschwinde doch mit deinem Balg.“ Oder: „Hau ab, du Fotze. Verpiss dich aus meinem Haus. Ich halte das mit dir einfach nicht mehr aus.“ Manchmal steigerte er sich derart in seine Wut hinein, dass er am Ende weinte. Irgendwann verzichtete sie daher immer mehr darauf, sich zu verteidigen oder irgendetwas zu erwidern. Das machte das ganze noch schlimmer. Wenn er mal wieder irgendwann nach Mitternacht nach Hause kam, machte sie sich keine Sorgen mehr, war sie nicht mehr traurig, dass sie mit den Kindern wieder alleine zu Abend essen musste, fragte sie nicht mehr, wo er gewesen ist. Sie wollte seine Lügen nicht mehr hören. Irgendwann war sie sogar froh, wenn er immer weniger zu Hause war, wenn er nicht mehr neben ihr im Bett lag oder sie bereits schlief, wenn er nach Hause kam.

„Du bist nichts und du kannst nichts“

Worte können grausam sein. Wie Messerstiche. Und wenn man diese Worte immer wieder zu hören bekam, glaubt man sie irgendwann selbst. „Du bist nichts und du kannst nichts. Du bist zu blöd zu allem, Nina“, herrschte sie er sie immer wieder an, wenn ihr Fehler passierten. Wenn sie ihm wiederum von Kunden Kritik weitergab, dass irgendetwas an seiner Arbeit nicht gepasst hatte, trat sie nicht selten einen Tornado damit los, obwohl sie nur die Übermittlerin der Botschaft war. Dieser Kunde, so Georg, sei einfach nur blöd, unfähig, würde die gelungene Arbeit nicht wertschätzen. „Wenn er nicht bereit ist, zu zahlen, mahnen wir erst ab, dann klagen wir, Nina.“ Das war dann auch ihr Job, gemeinsam mit der Anwaltskanzlei.  Sein Vater, der ebenfalls von Beginn an mit in der Werkstatt als Handwerker arbeitete, erhielt von Beginn an monatlich ein vierstelliges Gehalt. Aber das war in Ordnung. Sie war seine Frau. Sie brauchte keine Bezahlung. Man machte es ja schließlich für die Familie.

„Ich werde dich überleben“

„Du kannst dir sicher sein, ich werde dich überleben, Nina. Ich werde dich nicht um Stich lassen, wie dein Vater … und dann starte ich vielleicht nochmal durch“, sagte er im Kreis von Freunden manchmal, fasste ihr dabei mit seiner Hand auf die Schulter und lachte. Nina lachte auch, war sie doch froh um Georg, froh um diese Aussage. Georg, der sie nie alleine lassen würde, der immer für sie sie da sein würde, bis zu ihrem Tod, der nach ihr starb, damit sie im Alter nicht alleine war. Damit sie auch jetzt nicht alleine war. Sie hatte eine absolute intakte Großfamilie geheiratet. In der man sich immer umeinander kümmerte und in der man nie alleine war. Niemals.

„Ein Glück, dass beide Kinder optisch nicht nach dir kommen“, sagte ihre Schwiegermutter

Rückzug und Privatsphäre gab es in ihrem Haus nicht. Als sie einmal darum bat, dass sein Vater klingeln möge, bevor er zu ihnen eintrat, schließlich könnte sie auch gerade aus der Dusche steigen und nackt herumlaufen, sprachen er und sein Vater fast zwei Wochen nichts mit ihr. Selbst Wochen später poppte diese in den Augen seines Vaters lächerliche Forderung immer wieder im familiären Kreis auf. Wie unverschämt und unerhört sie sich benehme und was sie sich überhaupt erlaube und einbilde. Etwas mehr Respekt wäre angebracht. Aber das läge wohl wiedermal an ihrer Erziehung, die offensichtlich gründlich misslungen sei. Als Ida zur Welt kam, seufzte seine Mutter und sagte zu Nina: „Ein Glück, dass beide Kinder optisch nach meinem Sohn kommen.“ Nina schluckte und lächelte brav.

Die Urlaube waren ihre besten Zeiten als Familie. Seine Eltern waren weit entfernt – und sie machten grandiose Ferien mit den Kindern – Fernreisen, Kreuzfahrten, Rundreisen. Der Alltag war weit weg. Aber irgendwann fiel Nina auch hier immer mehr auf, dass kein Tag verging, an dem Georg nicht trank. Sie erinnerte sich noch gut an einen Urlaub in Amerika und das erste, was sie besichtigten mit ihrem Mietwagen, war ein Supermarkt, in dem sie 24 Dosen Budweiser kauften und in den Kofferraum luden. Erst ab diesem Zeitpunkt war Georg entspannt.

Sein Sohn war sein Partner

Und dass im Urlaub kaum eine Nacht verging, in welcher Georg nicht mit einem Kind im Bett schlief, eng aneinandergedrückt die ganze Nacht. Meist mit Lars. Es war nicht etwa so, dass Lars zu ihnen ins gemeinsame Ehebett geschlüpft wäre, weil er sich nach ein paar Kuscheleinheiten sehnte, sondern dass Georg sich abends selbst zu Lars in sein Einzelbett legte und dort auch blieb, nicht, weil Lars darum gebeten hätte, sondern weil Georg das wollte. Während Ida und Nina morgens am Frühstückstisch auf sie warteten, schauten sich Georg und Lars immer öfter morgens im Bett noch einen Film an und erschienen dann pünktlich zum Mittagessen. Das war ihr Urlaub. Am Anfang, als die Kinder kleiner waren, war das noch ganz süß, aber irgendwann, als sie immer älter wurden, fand Nina sein Verhalten immer merkwürdiger. Das war keine Ehe, sondern eine Zweckbeziehung. Und so innig das Verhältnis zu seinem Vater als seinem besten Freund war, so innig schien auch Georg es mit seinem Sohn haben zu wollen. Sein Sohn war sein Partner. Nicht sie.

Aus der Nase ihres Sohnes lief Blut

Einerseits diese große Intimität durch intensive, stundenlange Streicheleinheiten, es konnte auch vorkommen, dass Georg Lars am Essenstisch auf seinen Schoß nahm und mit seinem Mund an seinem Ohr herumknabberte. Da war Lars schon elf. Andererseits kein Lob, keine anerkennenden Worte. Im Gegenteil, Abwertungen, und manchmal auch Schläge, weil das Naturell von Lars seiner Meinung nach Schläge brauche, wenn dieser sich hin und wieder traute, aufzubegehren, seinem Vater zu widersprechen – so wie Georg, wie er selbst sagt, als Junge auch Schläge von seinen Eltern gebraucht habe, um seinen Charakter zu formen und in die richtigen Bahnen zu lenken. Als Nina Georg während der Coronapandemie bat, ihr beim Homeschooling mit den Kindern zu helfen, Nina war bei Ida, er sollte Lars unterstützen, hörte sie nach kurzer Zeit auf einmal einen dumpfen Knall aus Lars‘ Zimmer. Als sie hineinging, um nachzuschauen, tat sich vor ihr ein abstruses Bild auf. Georg, wie er links von Lars stand. Lars wie er auf dem Schreibtischstuhl hinter seinem Schreibtisch saß und sie anschaute. Vor ihm lagen seine Aufgaben. Aus seiner Nase lief Blut. „Was ist passiert?“, fragte Nina erschrocken. „Ich warne dich, Nina“, zischte Georg sofort, sein Zeigefinger auf sie gerichtet. „Unterstell mir jetzt bloß nichts. Ich habe nichts getan. Ich habe nur ausgeholt, weil er wieder mal keine Lösung gefunden hat und wollte so tun, als ob ich ihn schlage, damit er endlich mal fertig wird. Aber ich habe ihn nicht geschlagen.“ Daraufhin habe sich Lars geduckt aus Angst davor, tatsächlich wieder geschlagen zu werden, und sei dabei mit dem Kopf auf Tischplatte geknallt. Selbst wenn das stimmte, was Georg da erzählte, war es erschreckend, wie er derart kalt und empathielos neben seinem Jungen stand, während diesem das Blut aus der Nase lief und rote Flecken auf dem Schreibtisch hinterließ. Kein Gefühl von Mitgefühl, an eine Entschuldigung erst gar nicht zu denken. Im Gegenteil. Lars sei schließlich schuld, er bemühe sich nicht richtig.

„Ich bin der Fehler“, dachte Nina über viele Jahre

Lars würde über kurz oder lang auf die schiefe Bahn geraten, wenn Nina nicht bald ebenfalls härter durchgreife, das garantiere er ihr, sagte Georg immer wieder, wenn Lars nicht so lief wie gewünscht. Lars habe überhaupt keinen Respekt vor ihr, würde ihr auf der Nase herumtanzen und wenn er letzten Endes auf die schiefe Bahn gerate, habe das dann ganz allein Nina zu verantworten. Im Nachhinein konnte sie darüber nur den Kopf schütteln. Aber wenn dir das jeder ständig sagt, Ninas Ehemann, ihre Schwiegereltern, ja sogar die Geschwister von Georg, irgendwann glaubte Nina, was man ihr immer wieder vorkaute. Sie bekam Angst, dass Lars auf die schiefe Bahn gerät und sie schuld daran war. du dich im Nachhinein immer schämen wirst. Irgendwann lebt man in einer Glaskugel mit Menschen um einen herum, die alle dieselbe Einstellung hatten, nur man selbst nicht. „Ich bin der Fehler“, dachte Nina dann immer wieder. „Ich bin der Fehler im System.“ Weil doch alle anderen um sie herum im Gleichklang sprachen. Nur sie nicht. Sie war irgendwann irgendwie aus dem Takt geraten. Dabei versuchte sie doch nur, möglichst konfliktfrei mit den anderen zusammenzuleben. Doch es gelang ihr immer weniger.

Hatte Georg sie vor Freunden und bei Familientreffen bislang stets gelobt, wie viel sie arbeite und was für eine gute Mutter sie sei, verkehrte sich im Laufe der Jahre auch sein Verhalten ihr gegenüber in der Öffentlichkeit allmählich ins Gegenteil. Er fühlte sich von ihr gegängelt, eingeengt, sie mache Fehler bei der Arbeit, sie sei zu lax mit den Mitarbeitern, mit Lars, sie verhalte sich falsch in der Öffentlichkeit. Zu Festen gingen sie noch gemeinsam hin, aber er ging dann direkt zu Bekannten und Freunden, trank und verirrte sich erst, als er nach Hause wollte, wieder zu ihr.

Sie wurde irgendwann zu seinem Schwarzen Peter

Rückblickend wurde sie irgendwann zu seinem öffentlichen Schwarzer Peter. Er der Good Guy, Mister Charming. Und sie das Gegenteil. Sie bestritt die Gerichtsverfahren für ihn gegenüber Mitarbeitern, von denen er sich trennen wollte. Sie versuchte konsequenter und strenger mit Lars zu sein. Er wurde dadurch immer mehr zum best daddy ever, auch wenn er fast nie zu Hause war. Sie wurde immer angespannter, genervter und gefrusteter.

Auch privat schien er förmlich nach Fehlern zu suchen, um ihr zu sagen, dass sie nichts tauge. Bereits Kleinigkeiten wurden zu einem Elefanten aufgeblasen. Einmal hatte sie das Auto anscheinend nicht ordnungsgemäß auf einem Parkplatz vor dem Haus von Freunden abgestellt. Er kam zwei Stunden später – angeblich von der Arbeit – angefahren. Anstatt ihre Freunde zu begrüßen, kam er direkt auf sie zu und raunzte sie an: „Sag mal, spinnst du? Bist du besoffen oder was?“ Nina schaute Georg verdutzt an. „Wie scheiße hast du denn da geparkt? Da kommt ja keiner mehr vorbei an unserem Auto. Du stehst ja quasi mitten in der Straße. Jetzt würde ich mich aber beeilen, nochmal ordentlich einzuparken, sonst bleibt garantiert jemand daran hängen.“ Kreidebleich ging Nina zum Auto. Doch das war eigentlich ganz gut eingeparkt. Entweder hatte sie langsam Wahrnehmungsstörungen oder er hatte vielleicht wieder zu viel getrunken oder nur einen Grund gesucht, um mit ihr einen Streit anzufangen oder beides. Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass er nun wieder den restlichen Tag nichts mit ihr sprach.

Sie schämte sich und begann zu dieser Zeit tatsächlich immer mehr an ihrer eigenen Erinnerung und Wahrnehmung zu zweifeln.

Wenn Nina zu Hause am Essenstisch etwas erzählte und Georg auch anwesend war, drehte er sich demonstrativ weg, hörte nicht zu oder fing parallel mit anderen ein Gespräch an. Sie hoffte, dass sich alles wieder bessern würde, aber das Gegenteil war der Fall.

Als sie wieder einmal gemeinsam auf einem Dorffest waren, unterhielt sie sich sehr nett mit einem langjährigen Freund von ihm. Sie war froh, dass sie jemandem zum Reden hatte. Am nächsten Tag redete Georg zunächst mal wieder kein Wort mit ihr. Das kannte sie ja schon. Dennoch fragte sie sich, was sie nun schon wieder falsch gemacht hatte. Irgendwann schließlich nannte Georg ihr den Grund: „Sag mal, Nina, merkst Du eigentlich gar nichts mehr? Weißt du, wie du dich auf dem Fest aufgeführt hats? Wie ein billiges Flittchen.“ Sie habe mit einem seiner besten Freunde geflirtet, sei viel zu nah bei ihm gestanden. Das habe jeder gesehen. Und obendrein: Was habe sie sich bei ihrem Outfit gedacht?  Man habe direkt von ihrem Ausschnitt in ihre Vagina schauen können. Sie schämte sich und begann zu dieser Zeit tatsächlich immer mehr an ihrer eigenen Erinnerung und Wahrnehmung zu zweifeln. Sie habe sich doch einfach nur normal mit ihm unterhalten. „Ich sage es dir jetzt mal so, wie es ist: Die Menschen reden über dich, Nina, und sie schütteln nur noch den Kopf. Sie fragen sich, wie ich es eigentlich überhaupt noch mit dir aushalte.“ Nina ging daraufhin immer weniger aus. Die Angst war zu groß, sich falsch zu verhalten. Eigentlich spielte sich ihr Leben die letzten Jahre ihrer Ehe nur noch in den eigenen vier Wänden ab, im Büro oder bei Elternabenden. Als Freundinnen sie überredeten, doch mit ihnen einmal wieder mit ins Kino zu gehen, riefen ihre Kinder alle fünf Minuten an, da Georg, der eigentlich zugesichert hatte, derweil auf die Kinder aufzupassen, auch gegen 22 Uhr noch immer nicht zu Hause war und ihre Schwiegermutter, die eigentlich solange für Lars und Ida da sein wollte, vor dem Fernseher saß und selbst als eine Glasflasche zu Bruch ging, nicht kam, um die Scherben im Kinderzimmer wegzuräumen. Lars und Ida weinten ins Telefon. Von dem Film bekam Nina kaum etwas mit, ihr Telefon klingelte unentwegt. Wäre sie nicht gemeinsam mit ihren Freundinnen gefahren, wäre sie mit Sicherheit früher nach Hause gekommen und nicht bis zum Ende des Filmes geblieben. Als sie nach Hause kam, räumte sie erstmal die Glassplitter auf dem Boden neben Idas Bett weg, während Ida mittlerweile in ihrem Bett schlief und ausschaute wie ein kleiner Engel. Nina streichelte ihr über den Kopf und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Georg freute sich auf die Zeit, wenn er mit seinem Sohn gemeinsam um die Häuser ziehen und trinken konnte

Georg und Nina gingen generell selten zu zweit aus oder unternahmen zu zweit etwas, in den Jahren ihrer Ehe. Wenn sie gemeinsam ausgingen, dann gemeinsam mit den Kindern und in der Regel nur auf irgendwelche Dorffeste. Georg trank sich durch den Abend, wurde dadurch in der Regel entspannter, gut gelaunt, wenn nichts dazwischenkam, was ihn störte, und hing nur ab und an am nächsten Morgen kotzend über der Kloschüssel. Nina begann, Alkohol allmählich zu verabscheuen und trank selbst so gut wie nichts mehr. Wenn Georg erzählte, er freue sich schon auf die Zeit, wenn er mit Lars um die Häuser ziehen und trinken konnte, drehte sich ihr der Magen herum.

Das letzte Mal, als sie gemeinsam mit Georg unterwegs gewesen ist, hat es dann so richtig geknallt.

Der Grund war auch hier der Alkohol gepaart mit seiner grundlosen Eifersucht. Auch dieses Mal hatte sie sich zu lange mit einem Freund von ihm unterhalten. Eigentlich hatte Nina nur mit Mark gesprochen, weil Georg den ganzen Abend im Festzelt mit seinen anderen Freunden unterwegs war. Sie hatte ihn schon seit Stunden nicht mehr gesehen. Doch das war nicht weiter schlimm. Im Gegenteil. Irgendwann hat sich Mark zu ihr gesellt und sie hatten sich wirklich gut unterhalten. Am Ende wollten sie lediglich noch etwas frische Luft auf dem Festplatz schnappen und sind ein wenig herumgelaufen.

Als es Zeit war, zu gehen, war der private Partybus, den Nina für alle gebucht hatte und mit welchem sie alle gemeinsam angereist waren, weg. Da Georg Ninas Handy hatte,rief Mark Georg an. Dieser grölte lautstark und betrunken ins Telefon, dass Mark und Nina nun zusehen könnten, wie sie nach Hause kämen. Sie seien zu spät am Treffpunkt gewesen. Nina schaute auf ihre Uhr. 10 nach Mitternacht war es. Georg hatte Recht. Sie waren 10 Minuten später eingetroffen als geplant. Der Bus war weg. Aber hätte man da nicht noch kurz warten können oder sie zumindest anrufen? Sie waren über 200 Kilometer von zu Hause entfernt. Ihr Herz begann, schneller zu schlage. Nina hatte weder Geld noch Jacke oder ein Handy dabei. Sie begann zu frieren, während sie auf Georg einredeten, er möge dem Busfahrer sagen, dass er wieder umdrehen solle. Doch das Gegenteil war der Fall, wie Nina im Nachhinein von Freunden erfahr, die mit in dem Bus gesessen sind. Der ansonsten chronische Zuspätkommer Georg habe wohl mit Nachdruck veranlasst, dass der Bus pünktlich ohne Nina und Mark von Festgelände rollte, obwohl diverse gemeinsame Freunde ihn versucht haben, zur Vernunft zu bringen und auf Nina und Mark noch kurz zu warten. Dabei soll er wohl so wütend geworden sein, dass er Ninas Handy gegen die Scheibe des Busses geworfen hat.

Er ließ sie einfach stehen und fuhr weg. Sie hatte weder eine Jacke, noch Geld oder ein Handy

Mark und sie haben sich dann ein Taxi genommen, das Mark bezahlt hat. Über 200 Euro kostete der Spaß schließlich. Florian, ebenfalls ein guter Freund von Georg, hat Nina ein paar Tage später ihr Handy wiedergegeben. Es war völlig kaputt. Nina hat es aufbewahrt, als Erinnerung, daran, was alles passieren kann, wenn man Georg wütend machte und sich nicht an seine Regeln hielt. Da war sie wieder an diesem Punkt, die Frage, ob sie gehen sollte oder bleiben. Wie damals, er die Badezimmertüre aufgebrochen hat, als sie sich bei einem Streit mit Lars im Badezimmer einschloss aus lauter Angst vor Georg. Sie fragte Florian, der ihr ihr Handy wieder brachte, was er von der Aktion hielt. Sie wollte wissen, ob sie sich wieder falsch verhalten hatte. „Nina, ich kann dir nur sagen, dass du ganz allein wissen musst, ob du dich so behandeln lassen möchtest.“ Sie war also nicht verrückt. Selbst Florian sah Georgs Verhalten als das an, was es war: nicht normal.

Das war einer von diesen Sätzen, welcher ihr letztendlich rückblickend wahnsinnig geholfen hatte, in dieser Ehe nicht völlig verrückt zu werden. Das können Außenstehende kaum nachvollziehen, die niemals Erfahrungen mit dem Prinzip Dr. Jekill und Mr. Hyde gemacht haben. Georg war nach außen ein fantastischer Mann. Für viele sicherlich ein Traummann. Er war auch eine sehr lange Zeit ihr Traummann gewesen. Sie hätte alles, wirklich alles für ihn getan. Niemand, der nicht idealerweise einmal auch seine andere Seite hautnah mitbekommen hat, seine Ausraster, seine Beleidigungen, seine Abwertungen, konnte sich auch nur annähernd vorstellen, dass er ein wahnsinnig extremes Wechselspiel-Prinzip beherrschte, das unglaublich anstrengend für alle Beteiligten auf die Dauer war. Heute konnte er einen auf Händen tragen und das Gefühl geben, der beste Mensch zu sein und gemeinsam mit ihm alles zu erreichen, morgen konnte nur ein Satz ihn derart aus der Fassung bringen, dass man nur noch Dreck wert war, zu nichts nütze, zu blöd zu allem, zu nichts zu gebrauchen. Dieser Mensch konnte dich in den Himmel heben mit allen dazugehörigen Glücksgefühlen. Er konnte dich aber auch von einer Sekunde auf die nächste zu Fall bringen. Er kannte schlichtweg keine Skrupel. „Entschuldigung“ hatte er, wie sein Vater, noch nie über die Lippen gebracht und es schien auch, dass er bei all seinem Tun auch nie mit sich haderte, nie Skrupel hatte, nie Fehler im Nachhinein einsah oder ein schlechtes Gewissen hatte. Schlichtweg weil er, wie er selbst auch nicht müde wurde zu betonten, stets korrekt handelte. Dieser Mensch machte keine Fehler. Nur alle anderen. Das war zumindest sein Selbstverständnis.

„Ich würde mich an deiner Stelle wirklich schämen, Nina“

Daher sprach sie lange mit niemandem über die Vorkommnisse in ihrer Ehe. Aus Unsicherheit, ob nicht doch alles an ihr lag und sie tatsächlich eine völlig falsche Wahrnehmung der Dinge hatte, aus Angst, dass man ihr nicht glaubte, das andere die Begebenheiten als gar nicht so schlimm erachteten und natürlich aus Furcht, dass Georg letztendlich davon erfuhr. So etwas wäre Hochverrat für hin.

Aber das Florian als enger Georgs Freund ein ähnliches Bild der Situation hatte, welches auch sie hatte, stimmte sie zum ersten Mal wieder mutiger, sie begann, ihrem Bauchgefühl mehr zu trauen. Auch Mark fand keine Worte für das Verhalten von Georg. Georg kam etwas später in der Nacht zurück, schlief auf der Couch anstatt im Bett. Am Morgen sprach er kaum etwas mit ihr, am Nachmittag ergossen sich dann die Anschuldigungen wieder über sie, wie peinlich sie sich wieder einmal aufgeführt hatte, das gehe gar nicht. Jeder im Bus habe den Kopf über ihr Verhalten geschüttelt. Betrogen habe sie ihn mit Mark.  „Ich würde mich wirklich schämen, Nina. Das geht gar nicht. Ich weiß gar nicht, wie das noch mit uns weitergehen soll“, sagte er abschließend und dass er sich nun mal wieder gut überlegen müsse, ob diese Ehe überhaupt noch Sinn mache. Er schaute sie dabei ernst an. Sie schaute ihn ebenfalls lange an und entschuldigte sich dieses Mal nicht für ihr Verhalten, denn sie wusste, dass sie nichts falsch gemacht hatte. Und auch andere wussten die Situation einzuschätzen. Sie war nicht mehr allein. Und das war so unglaublich viel wert.

Nun begann sie, nicht nur ihr Verhalten zu betrachten, sondern auch seines zu hinterfragen

Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis sie sich endgültig von ihm trennte. Aber schon jetzt änderte sich einiges. Im Wesentlichen ihre Selbstwahrnehmung. Bislang hatte sie nahezu immer den Fehler bei sich gesucht und sich versucht, zu verbessern und nichts zu machen, was irgendjemand in dieser Familie als Kritik oder Provokation verstehen konnte. Sie lief quasi wie auf Eierschalen durchs Leben. Nun begann sie allmählich, nicht nur auf ihr Verhalten zu schauen und dieses zu hinterfragen und zu optimieren, damit alle zufrieden mit ihr waren, sondern sie schaute nun mehr auf sein Verhalten bei den weiteren Dramen, die noch folgen sollten. Bestärkt wurde sie von Sätzen wie die von Florian und weiteren Freunden, die ebenfalls Kommentare begannen zu ihr zu sagen, die sie in ihrer Wahrnehmung bestärkten. Sätze wie: „Das geht gar nicht, wie der dich behandelt, Nina.“, wenn er Nina mal wieder vor allen Leuten lächerlich machte. Und allmählich begann sie sich zu öffnen und diesen Personen zaghaft zu vertrauen und peux-a-peux zu erzählen, was noch so alles hinter den Kulissen dieses Hauses passierte.

Sie war nicht verrückt, sie war nicht irre, wie Georg sie immer hinstellte. Die Außenwelt, zumindest mit den Personen, die sie sprach, urteilte genauso über sein Verhalten. Das war nicht normal. Das machte man nicht. Auffällig jedoch war dabei, dass das zunächst vorwiegend Menschen erkannten und sie darauf ansprachen, die selbst bereits Erfahrungen mit derartigen Beziehungen gemacht hatten.

Irgendwann war sie sich absolut sicher: Gar nichts würde besser werden, denn sie würde in seinen Augen nie gut genug sein, keiner würde jemals gut genug sein für Georg, außer vielleicht sein Vater.

Nina wurde in dieser Zeit getragen von einem Gefühl der Solidarität und es bestärkte sie auch im Bezug auf ihre Kinder, sich zu trennen.  Hätte sie diese Stimmen von außen nicht gehabt, wäre sie vermutlich nicht aus dieser Ehe ausgebrochen, weil sie immer noch denken würde, dass sie der einzige Fehler in seinem System ist. War sie ja auch. Irgendwie. Und dieser bescheuerte Glaube, wenn sie sich nur noch ein wenig mehr noch anstrengte, würde alles gut werden. Was für ein Schwachsinn. Gar nichts würde besser werden, denn sie würde in seinen Augen nie gut genug sein, keiner würde jemals gut genug sein für Georg, außer vielleicht sein Vater.

Nun wusste sie sicher: Auch er musste sich ändern, um diese Ehe, diese Familien zu retten. Sie würde sich nicht länger so behandeln lassen. Sie würde künftig für sich einstehen. Sie würde ihrer Tochter ein besseres Vorbild sein, denn sie wünschte sich für sie eine bessere Ehe. Und wer weiß? Vielleicht änderte sich dann etwas. Vielleicht änderte er sich. Ein Versuch war es zumindest wert.

„Er wertet dich ständig vor anderen ab, um sich selbst aufzuwerten“

Zum ersten Mal hörte sie dieses Wort von einer Bekannten, dieses Wort, das am Ende alles erklärte, sein Verhalten, das seines Vaters, seiner Mutter, Georgs Verhalten gegenüber den Kindern. „Georg ist doch ein Narzisst. Das ist so etwas von offensichtlich“, sagte einmal bei einem Schwimmbadbesuch Helene zu ihr. Helene war eine weitläufige Bekannte. Der Zufall hatte sie wieder zueinander gebracht über mehrere Freundesecken. Seitdem sah man sich regelmäßig bei Geburtstagen von Freunden. „1. Er wertet dich ständig vor anderen ab, um sich selbst aufzuwerten. 2. Georg kann anderen nichts gönnen, nur sich selbst. 3. Der prahlt doch ständig mit allen, was er hat oder auch nur so tut, als ob. Das ist ein totaler Blender.“ Helene hatte Recht. Das wusste Nina. Ihr kamen die Tränen bei diesen Sätzen, weil sie wie eine Erlösung für sie waren. Sie war keine grauenhafte Person, die ihrem Ehemann das Leben schwer machte, sondern ihr Ehemann verhielt sich teilweise unmöglich. Nina verschlang in kürzester Zeit alle möglichen Bücher zum Thema Narzisssmus und toxische Beziehungen und verstand dabei immer mehr. Sie verstand irgendwann auch, warum Helene als weitläufige Bekannte ihn durchschaute und andere, die täglich mit ihm zu tun haben, nicht. So wie sie selbst letztendlich lange Zeit nicht gesehen hat, was da vor sich ging. Es war ein langer Prozess zur Erkenntnis und lief parallel zu ihrer Scheidung ab, die ihr noch einmal alles abverlangte. Denn: Trenn dich nie von einem Narzissten. Es könnte dein Untergang sein. Genau das prophezeite ihr Georg vor ihrem Auszug.

Auf der Suche nach einer guten Scheidungsanwältin empfahl ihr eine Geschäftspartnerin, es zunächst nochmal mit einer Familientherapie zu versuchen als letztes Mittel, diese Ehe und damit ihre Familie zusammenzuhalten. Georg hielt davon nichts. Er meinte zu ihr lapidar, ich gehe hin, wenn du mir unseren Besitz überschreibst. Sie dachte, sie hatte sich verhört. Aber nein, er meinte es ernst. Also ging sie letztendlich alleine hin, heimlich, versteht sich. Sonst könnte sie sich wieder anhören, wie labil sie angeblich in seinen Augen sei.

„Ich habe Angst vor seiner Reaktion“

Dr. Sybille Knörzer hörte sich Ninas Geschichte vom Anfang bis zum Ende an und fragte am Ende: „Warum wehren Sie sich nicht, wenn er ihr Ihnen zum Beispiel den Mund verbietet vor den Kindern und zu Ihnen am Essenstisch sagt, Du darfst gerne eine andere Meinung haben als ich, aber behalt sie für dich“?

Nina überlegte kurz: „Na, weil ich Angst vor seiner Reaktion habe. Ich weiß, was dann kommt.“

Dr. Sybille Knörzer: „Was kommt dann?“

Georgs Augen wurden in der Regel schmal, wenn ihm jemand Widerworte leistete, dann drehte er sich weg, ignorierte einen, verließ den Raum, sprach eine Weile nicht mehr mit einem, oder sie brach damit eine Diskussion vom Zaun, in der er sie wiedermal abwertete oder beschimpfte, gerne auch vor den Kindern. Dabei streckte er ihr vorzugsweise seinen ausgetreckten Zeigefinger ins Gesicht und kam ziemlich dicht an sie heran. Er neigte dazu, erst seine Worte herauszuzischen, bevor er ins Brüllen überging. Die Kinder weinen dann im schlimmsten Fall und betteln, dass sie aufhören mögen zu streiten. Darum sagte Nina häufig nichts mehr, sondern blieb stumm. Vernünftige Diskussionen waren mit Georg ohnehin nicht möglich, denn er antwortete nicht auf Fragen, sondern begann dann wieder mit gänzlich neuen Themen, oft mit vermeintlichen Fakten, die er in an den Kopf schmiss, die aber völlig absurd waren. Nina war jahrelang nur damit beschäftigt, sich zu verteidigen bezüglich seiner teilweise abstrusen oder überzogenen Anschuldigungen. Sie versuchte, logisch zu argumentieren, aber dann begann er mit einem völlig anderen Thema und das Spiel startete von neuem.

Finde zu dir selbst zurück

Dr. Sybille Knörzer vertrat die Meinung, dass Nina wieder mehr zu sich selbst finden müsse und ihm auf Augenhöhe begegnen müsse. Als Erwachsene und nicht als Kind. Sein Beleidigtsein gelte es dann einfach auszuhalten. Ihn solle sie auch stets im Erwachsenenmodus „abholen“, wenn er wieder wegen einer Kleinigkeit in seinen Kindmodus verfalle und mit seinem Spielzeug um sich wirft, wenn ihm etwas nicht passe. Oder aber oberlehrerhaft zu ihrer herunterschaue und sie versuche, zu belehren.

Sprechen Sie im Erwachsenenmodus mit ihm

Also gut. Sie schaltete ihre Emotionen bei den kommenden Kommentaren und Streitereien so gut es ging aus und versuchte, mit ihm von einem Erwachsenen zum anderen Erwachsenen zu sprechen. Das klappte nicht immer, aber immer öfter. Und es wirkte tatsächlich deeskalierend. Aber Georg wirkte dadurch nicht irgendwie glücklicher, sondern eher wütender, wie wenn er innerlich schier zu platzen drohte. Wenn er sie beleidigte, nahm sie das fortan nicht mehr persönlich, sondern empfand Mitgefühl mit ihm, dass er anscheinend keine andere Möglichkeit gelernt hatte, zu kommunizieren und sich auszudrücken in Konfliktsituationen. Sie blieb ruhig. Er wurde aber dadurch, so schien es, nicht ebenfalls glücklicher, ohne die ständigen Streitereien, sondern im Gegenteil, immer unzufriedener und unruhiger. Er schien diese ganzen tagtäglichen Dramen förmlich zu suchen und auch zu brauchen. Wenn sie versuchte, ihm wieder nahe zu sein, ihn zu umarmen oder ihm etwas Nettes zu sagen, konnte er es nicht annehmen. Er hingegen schien kein Interesse daran zu haben, dass es ihr gut ging, indem er etwas Nettes zu ihr sagte oder sie einfach nur so, ohne sexuelle Hintergedanken, in den Arm nahm.

Um diese Ehe zu retten, hätten Sie sich beide bewegen müssen. Einer allein reicht nicht.

Als er an einem Abend wieder einiges mit einem Freunde trank und sie mal wieder sagte, dass sie das nicht gut findet, wenn es ständig nur darum gehe, auf einem gewissen Pegel zu sein, liefen ihm wieder Tränen über die Wangen, als sie abends im Bett lagen. „Weißt Du, Nina, ich kann das mit Dir einfach nicht länger. Verschwinde mit deinen Bälgern aus meinem Haus, verschwinde und lass mich einfach nur in Ruhe. Du zerstörst mein Leben. Ich kann einfach nicht mehr“, schluckte sie nicht mehr, war nicht mehr wie gelähmt, schlief nicht mehr schweißgebadet ein vor lauter überwältigender Angst, ihn zu verlieren, wollte nicht mehr kämpfen für eine Ehe, die sowieso nicht mehr zu retten war, wenn einem wirklich zu keinerlei Kompromiss bereit war und nur alle Fehler bei dem anderen suchte. Um diese Ehe zu retten, hätten sie sich beide bewegen müssen, einer allein reicht einfach nicht. Sie wollte weder Lars noch Ida dieses Modell einer Steinzeitehe weiter vorleben. Sie wollte auch ihre Kinder dazu ermutigen, dass eine Verbindung zu einem Menschen etwas Schönes ist, etwas, dass beiden Menschen einen Mehrwert bringt, bei der sich beide besser und nicht schlechter fühlen und in welcher man es nicht nötig hat, den anderen abzuwerten. Und dass ein Leben in Frieden und Harmonie nicht nur möglich sein sollte, sondern selbstverständlich. Sie bettelte nicht mehr darum, bei ihm bleiben zu dürfen, sie strengte sich die folgenden Wochen nicht noch mehr an, damit er blieb.

Sie antwortete nur: „Ok. Wir ziehen aus.“

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Wie erkennt man einen Narzissten, wenn er vor einem steht?

 Der Psychologe Dr. med. Pablo Hagemeyer hat mehrere Bücher über das Phänomen des Narzissten geschrieben. Er selbst bezeichnet sich ebenfalls als Narzissten, aber als „netten“, der erkannt hat, dass er einer ist, was eher die Ausnahme als die Regel bei derartigen Persönlichkeitsstörungen ist. Einfacher Narzissmus tut in der Regel erst einmal niemanden weh. Der einfache Narzisst findet sich selbst schlicht wunderbar und sucht stets Aufmerksamkeit und Bewunderung. Seine Bedürfnisse stehen für ihn im Mittelpunkt. Er kann sich empathisch nicht wirklich in andere hineinversetzen, sondern „kopiert“ Gefühle wie Anerkennung und Mitgefühl für andere und deren Leistungen. Dies macht der Narzisst nie grundlos, sondern möchte damit ein Ziel erreichen. Grundsätzlich hat dieser Typus ständig mit Neid, Angst und Minderwertigkeitskomplexen zu kämpfen.

Es gibt jedoch unterschiedliche Ausprägungen von Narzissmus – ähnlich anderer Krankheiten wie Autismus. Die harmlose Variante, wie soeben beschrieben, bis hin zu einer bösartigen, so genannten malignen und damit destruktiven Form, nicht selten auch gepaart mit Aggression. Diese Form des Narzissmus zerstört grundlos ohne Rücksichtnahme, wenn er seine Ziele bedroht sieht, etwa wenn Menschen die Maske durchschauen, die er trägt. Der Narzisst wird enttarnt, kann das aber in seiner Welt nicht verwinden und versucht, die Person, die ihn durchschaut hat, etwa durch gezielten Rufmord zu diskreditieren, aus seinem Leben zu verbannen, finanziell und/oder persönlich zu „zerstören“, damit seine heile Welt, in welcher er der König ist, wieder hergestellt ist. Dabei ist der malignen Form des Narzissten nahezu jedes Mittel recht, wie etwa lügen, Manipulation, aggressives Auftreten, emotionale Erpressung und gezielte Beleidigungen und Abwertungen. Aussagen wie: „Das kann er doch nicht machen“ oder „Das wäre aber nicht rechtens“ interessieren derartige Persönlichkeitsstrukturen grundsätzlich nicht. Sie machen ihre eigenen Regeln und erwarten, dass diese Regeln jeder akzeptiert – auch vor Gericht bekommen sie mit dieser dreisten Vorgehensweise nicht selten auch noch Recht, wie diverse Gerichtsverfahren und -urteile im Familiengericht in Deutschland belegen.

Besonders perfide Narzissten bedienen sich hier einem Wechselspiel. Gegenüber anderen Personen verhalten sie sich dabei extrem höflich, großzügig und hilfsbereit, während sie gleichzeitig die Person, die ihr falsches Spiel erkannt hat, massiv bei anderen Menschen abwerten.

Eine Liebesbeziehung zu einem Narzissten läuft fast immer nach demselben Muster ab:

  1. Phase: Das Opfer glaubt, den Traummann / die Traumfrau gefunden zu haben, da der Narzisst sich genau so präsentiert, wie sich das Opfer seinen/ihren Traummann vorstellt. Durch gezieltes „Abfragen“ von Wünschen werden diese schnell erfüllt. Der Traumpartner präsentiert sich etwa als leidenschaftlicher Koch, als Diskussionspartner in politischen Themen, als kunst- oder sportbegeistert, als spendabel, als erfolgreich, obwohl er es gar nicht ist. Diese Menschen sind vergleichbar mit einem Chamäleon. Sie passen sich in jeder Umgebung bestmöglich an. Obwohl sie ein verkümmertes empathisches System haben, haben sie sehr feine Antennen dafür, was andere Menschen mögen und passen sich dementsprechend an, um ihre Ziele zu erreichen. Darum sind Narzissten in der Geschäftswelt häufig ebenfalls äußerst erfolgreich. Sie bekommen so fast immer von dem gegenüber, was sie wollen.

 

  1. Phase: Wenn der Köder geschluckt und der Fisch gefangen wurde, hält die Traumbeziehung nicht lange an, da der Narzisst über einen längeren Zeitraum seine Maske nur schwer aufrechterhalten kann. Daher sind Narzissten sehr daran interessiert, in Windeseile Nägel mit Köpfen zu machen, das heißt, es wird auffallend oft sehr schnell geheiratet und/oder ein oder mehrere Babys gezeugt und/oder eine Immobilie gekauft und so die finanzielle Abhängigkeit des Opfers eingeläutet.

 

  1. Phase. Isolation und Manipulation. Schritt für Schritt wird das Opfer von seinen Vertrauenspersonen wie Freunden und / oder der eigenen Familie isoliert, sprich, man pflegt im Alltag lediglich Umgang mit Menschen, die dem Narzissten wohlgesonnen sind, wie etwa die Eltern des Narzissten, die Verwandtschaft des Narzissten, Freunde des Narzissten. Potenzielle „kritische“ Geister werden verbannt, in dem der Narzisst sie bei seinem Opfer schlecht redet, sich etwa permanent über sie lustig macht, sie abwertet oder dem Opfer erzählt, dass sie schlecht über das Opfer geredet haben – was aber nur weitere Lügen des Narzissten sind. Das Opfer glaubt dem Narzissten diese Lügen, weil Menschen generell normalerweise erst einmal vom Guten im Menschen ausgehen und nicht jeden Satz hinterfragen und anzweifeln. Die meisten gehen von sich selbst aus und sind eben keine chronischen Lügner. Narzissten zeigen überdies niemals Skrupel bezüglich ihrer Lügen oder Methoden. Entschuldigungen hört man nur dann, wenn sie damit ein bestimmtes Ziel verfolgen und nicht, weil sie ehrlich gemeint sind.

  1. Phase. Manipulation. Schritt für Schritt, nach der Salamitaktik, verwandelt sich der vermeintliche Koch in jemanden, der sein Opfer anleitet, so zu kochen, wie er es mag. Der Kunstliebhaber hängt auf einmal immer mehr in Kneipen ab und versucht, sein Opfer für seine vermeintlich neuen Interessen ebenfalls zu begeistern oder dass das Opfer diese zumindest schweigend akzeptiert. Das ab und zu wird zur Regelmäßigkeit. Der Narzisst ist immer häufiger unterwegs, erwartet aber von seinem Opfer nicht selten, zuhause auf ihn zu warten. Bei dem Opfer, dem nahezu jeder soziale Kontakt von seinem früheren Leben weggebrochen ist, dreht sich das Leben nur noch um den Narzissten. Es freut sich, wenn man es schafft, den Narzissten gut gelaunt zu stimmen. Das bereitet enorme Glücksgefühle. Wenn man es nicht schafft, indem man sich nach Meinung des Narzissten nicht korrekt verhält, in dem man sich zum Beispiel beschwert oder Kritik äußert, wird man abgewertet: Man gönne dem Narzissten nicht, dass er weggeht. Man sei schlimm zu ihm. Er halte das nicht mehr aus. Es ist dabei in der Regel nur selten möglich, auf einer Erwachsenenebene mit dem Narzissten zu kommunizieren, entweder redet man mit einem Oberlehrer (Elternebene) oder mit einem dreijährigen Kleinkind (Kindebene), das seine Schaufel wiederhaben möchte. Das Opfer bekommt in der Regel dann ein sehr schlechtes Gewissen gegenüber dem Narzissten, weil es sich vermeintlich egoistisch verhalten hat. Also strengt sich das Opfer künftig noch mehr an, dem Narzissten zu mehr Glück zu verhelfen in Form von Freiheit, Geld, Ruhm etc.

 

  1. Phase. Das Opfer wird gebrochen. Grenzüberschreitende Handlungen in Form von physischer und psychischer Gewalt treten punktuell zu Tage. Das Opfer ist in den Augen des Täters in der Regel immer Schuld, da es den Täter „provoziert“ hat. Diese grenzüberschreitenden Handlungen nehmen im Laufe der Beziehung zu, bis sie irgendwann im Alltag fest verankert sind und das Opfer nur noch um Schadensbegrenzung bemüht ist, das heißt, sich möglichst so konform zu verhalten, dass es keine dieser Handlungen auslöst – was aber letztendlich nicht gelingt, da der Narzisst Dramen braucht. So wird er selbst bei einem völligen Rückzug des Opfers Gründe finden, um missmutig und abwertend zu agieren. Merke: Einen Narzissten kann man NIE zufriedenstellen. Das Opfer ist am Ende in der Regel handlungsunfähig, ohne Selbstwert und möglicherweise finanziell abhängig von dem Narzissten.

 

  1. Phase. Das Erkennen. Wenn das Opfer erkennt, was hier geschieht und nicht mehr länger die ganze Schuld bei sich sucht, hat es zwei Möglichkeiten: auszuharren in der Situation, zu versuchen, die Situation zu ändern oder zu gehen. In der Regel ändern sich Narzissten nicht, da sie kein Einsehen in ihr Verhalten haben. Entweder das Opfer akzeptiert das und fügt sich und lebt in dieser Beziehung weiter oder es trennt sich von dem Narzissten. Eine Trennung ist für den Narzissten fürchterlich, nicht wegen der Gefühle, die er nicht hat gegenüber seinem Opfer, sondern wegen der Außenwirkung. Wie kann sich das Opfer erdreisten, diesen fantastischen Menschen zu verlassen? Narzissten werden das nicht auf sich sitzen lassen und alles dafür tun, das Opfer nach der Trennung entweder für sich zurückzugewinnen mit all ihrem Charme, um dann doch wieder in ihr altes Verhaltensmuster überzugehen, sobald das Opfer wieder zurück in der Beziehung ist, oder, sollte das Opfer nicht wieder zurückkommen, es auf allen möglichen Ebenen im wahrsten Sinne „zu vernichten“. Experten, Psychologen und Sachverständige empfehlen in der Regel, nach einer Trennung eine größtmögliche Distanz zu dem Täter zu schaffen. Dies ist mit Kindern in der Regel nicht möglich und erschwert extrem die Trennung, wird den Opfern, sobald sie versuchen, ihre Kinder zu schützen, dies nicht selten vor Gericht als Entfremdung gegenüber dem Narzissten ausgelegt und zu ihren Ungunsten in Sorgerechtsfällen geurteilt. Narzissmus ist in Deutschland nach wie vor kein anerkannter Krankheitsbegriff. Anwälte raten den Opfern nicht selten, vor deutschen Gerichten das Wort „Narzisst“ nicht zu benutzen, da Richter, Sachverständige und Jugendamtmitarbeiter nicht selten ebenso geblendet werden von der Art des Narzissten und letzten Endes zu seinen Gunsten urteilen. Es gilt: Narzissten benutzen Kinder, um weiterhin Macht und Kontrolle auszuüben über den Expartner sowie die Kinder. Alle Menschen sind für den Narzissten Mittel zum Zweck. Ein Narzisst kann keine Liebe empfinden, nicht mal für sich selbst und auch nicht für seine Kinder, lediglich, wenn sie versuchen, eine Kopie von ihm zu sein, ist er zufrieden mit ihnen. Narzissten wünschen ihren Kindern kein eigenständiges, unabhängiges und manchmal auch völlig anderes Leben als sie selbst, sondern sie sollen abhängig von ihnen sein, in Form finanzieller Kontrolle und/oder durch Gewalt, diese kann auch allein auf emotionaler Ebene stattfinden, wie etwa durch Einschüchterung. Kinder sind sich dieser Mechanismen häufig nicht bewusst, glauben sie doch stets an die guten Absichten insbesondere ihrer Eltern. Die schlimmste und wohl auch am schwersten zu tragende Erkenntnis stellt als Erwachsener die Erkenntnis dar, dass ein Elternteil oder manchmal auch beide eben nicht zum Wohl des Kindes gehandelt haben und immernoch handeln. Dies ist bei (emotionalem) Missbrauch der Fall. Aber diese Erkenntnis ertragen auch viele Erwachsene nicht und verharren daher auch als Erwachsene in der Rolle des abhängigen Kindes zu diesem Elternteil, das sie in dieser Form missbraucht hat. Diesen Opfern wird eines immer fehlen und danach werden sie sich immer sehnen und bereit sein, einiges dafür zu tun und zu ertragen: das ist die Liebe des narzisstischen Elternteils. Daher muss das Opfer, um zu gesunden und ein eigenständiges, unabhängiges Leben zu führen, irgendwann den Gedanken akzeptieren, dass Narzissten nicht lieben können. Aber das das nicht an ihnen liegt, sondern dass Narzissmus eine Krankheit ist.

 

  1. Phase. Die Trennung. Man sollte sich niemals unvorbereitet von einem Narzissten trennen, denn diese Menschen werden alles daran setzen, das Opfer danach im wahrsten Sinne zu „vernichten“, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Hierfür stellen Narzissten nicht selten eine ganze „Armada“ an Menschen als ihre Handlanger zusammen. Diese werden von Experten auch als „flying monkeys“ bezeichnet. Ohne es zu wissen, werden diese Menschen – wie beispielsweise neue Partner – benutzt, um im Rahmen von Sorgerechtsverfahren die Kinder zu bekommen, obwohl die eigenen Kinder für Narzissten letztendlich nur Statussymbole sind und Macht und Kontrolle bedeuten. Wen der Narzisst die Kinder hat, wird er sich nicht adäquat um die Kinder kümmern, sondern anderen diese Rolle zuweisen, wie etwa dem neuen Partner oder der Mutter oder er wird sie schlimmstenfalls einfach sich selbst überlassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




„Alles ist möglich“

Founder, entrepreneur, author, key note speaker, consultant

Dr. Sandra Hartmann wurde am 08. Oktober 1983 in der hohenlohischen Kreisstadt Künzelsau in Baden-Württemberg geboren. Nach dem Abitur am Ganerben-Gymnasium studierte die damals 19-jährige Medienwissenschaften, Christliche Publizistik und Psychologie an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg.

Mit 23 Jahren schrieb sie ihre Promotion zum Thema Presserecht und Staatsrecht, Parallel dazu volontierte sie bei der Heilbronner Stimme. Mit 25 Jahren bekam die Journalistin ihren ersten Sohn, mit 27 Jahren ihren zweiten, zwei Jahre später folgte ihr Mädchen. Parallel zu ihrer Elternzeit baute sie mit ihrem Ehemann drei Firmen auf, HARTMANN Sonderteile (Maschinenbau), HARTMANN Wohnmobile (Wohnmobilverleih) sowie das Nachrichtenportal GSCHWÄTZ, welches zum Verlag Hohenlohe Medien gehört.

Die Unternehmerin berät Selbstständige und Unternehmen in den Bereichen SEO / Reichweitenoptimierung im digitalen Bereich.

Mit 39 Jahren gründete Dr. Sandra Hartmann das deutschlandweit größte META-Netzwerk LÖW:INNEN gegen Narzissmus. Sie berät Betroffene, setzt sich für Kinderrechte sowie für den Naturschutz ein.

„Alles ist möglich“, lautet das Credo der LÖW:INNEN-Gründerin.

 

SCHMUTZIGE WÄSCHE ist nach MAMATSCHIE – TRAUERPFERDE MOCHT‘ Ich NIE und BLEIB FÜR EINE KLEINE EWIGKEIT MEIN das dritte Buch von Dr. Sandra Hartmann. Es wurde 2023 erstmals veröffentlicht und beschreibt in einem Roman, wie eine Frau aus einer toxischen Ehe flüchtet.

Cover des neuen Romans von Dr. Sandra Hartmann.

Kontakt via WhatsApp: 0172/68 78 474.

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„Du solltest einfach nur dankbar sein, mit uns leben zu dürfen“

 

In Dr. Sandra Hartmanns drittem Roman „Entschulde dich“ geht es um toxische Beziehungen und den Weg hinaus aus einer Hölle, die sich Ehe nennt. „Narzisstische Strukturen sind heutzutage leider noch immer weit verbreitet in unserer patriarchisch aufgebauten Welt und werden sogar als ,normal‘ angesehen. Mir ist es ein Anliegen, mit diesem Roman darauf hinzuweisen, was emotionaler Missbrauch bedeutet und dass Abwertungen und Manipulation kein Mensch verdient hat“, so Buchautorin und Journalistin Dr. Sandra Hartmann. Die 39-Jährige hat in den vergangenen Jahren immer wieder Artikel über diese Themen veröffentlicht, Interviews mit dem Weißen Ring geführt, über Frauenhäuser geschrieben und über Betroffene, die vor Gericht gegangen sind. Mit der Gründung des Netzwerks LÖW:INNEN möchte Dr. Sandra Hartmann gemeinsam mit Expert:innen auf diesem Gebiet, deutschlandweit Frauen und Kinder unterstützen, die Opfer emotionalen Missbrauchs geworden sind.

Wir veröffentlichen auf dem Nachrichtenportal GSCHWÄTZ 1 Kapitel aus diesem Roman. Die gebundene Ausgabe kann man via WhatsApp: 0172/68 78 474 oder E-Mail bestellen: gschwaetz@gschwaetz.de.

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Epilog.

Begeben Sie sich mit mir auf eine Reise in eine idyllische Kleinstadt im Süden Deutschlands mit pittoresken bunten Fachwerkhäuschen und einem alten Rathaus, das Gott mitten in die Hauptstraße hat plumpsen lassen. Kommen Sie mit in den anthrazitfarbenen Bungalow mit den verspiegelten Fenstern und den Überwachungskameras, an dem Besucher:innen vergeblich eine Türklingel suchen.

Treten Sie ein ins 21. Jahrhundert. Und staunen Sie, wie viel sich nicht verändert hat im Laufe von Hunderten von Jahren.

Sie lesen eine Geschichte, Diese Geschichte ist leider kein Einzelfall.

Alle Personen in dieser Geschichte sind natürlich rein fiktiv. Etwaige Übereinstimmungen mit realen Begebenheiten sind bloßer Zufall.

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Kapitel 1.

Manchmal kommt man an einen Punkt im Leben, an dem man nicht weiß, ob man untertauchen oder auftauchen muss. Man weiß nur, dass das Wasser, das um einen herum ist, blau ist. Doch nicht mal das ist so, wie es scheint.

Foto: Frau Wasser. Quelle: freepic

 

Nina saß in der Badewanne und fror. Das Wasser bedeckte nicht mal mehr ihre dünnen Beine.

Sie hörte bereits am Aufschließen der Tür, als er nach Hause kam, dass er nicht gut gelaunt war. Er war viel früher zu Hause als gewöhnlich. Meistens kam er erst, wenn die Kinder im Bett waren oder noch viel später. „Hallo“, hörte sie ihn rufen. „Hallo“, antwortete sie gleich. „Wir sind hier, im Badezimmer.“ Die Tür öffnete sich nur Sekunden später. Kühle Luft wehte in den Raum.

„Jetzt hast Du die Wanne schon wieder so voll gemacht. Ich weiß gar nicht, was du dir dabei immer denkst“, fuhr Georg sie an. „Das ist nicht gut, wenn du die Wanne so voll machst.“ Noch ehe er fertiggesprochen hatte, öffnete seine Hand bereits den Drehknauf, wodurch das Wasser langsam ablief. Als das Blau ihre Beine nur noch zur Hälfte bedeckte, drehte er den Ablauf wieder zu. „Achte doch bitte einmal auf das, was ich dir sage“, seufzte er, tätschelte Ida und Lars, die mit ihr in der Wanne saßen, kurz den Kopf und verließ wieder den Raum. Nina füllte ein kleines gelbes Glas mit dem noch übrig gebliebenen warmen Wasser in der Wanne und goss es vorsichtig über die kleinen Rücken ihrer Kinder, damit sie nicht froren, und wusch den restlichen Badeschaum, der an ihren zarten, kleinen Körpern hing, ab. Dann stieg sie aus der Wanne und hob erst Lars, dann Ida heraus.

Georg war ein Mann, der sich kümmerte. Ihr Ehemann. Und der Vater ihrer Kinder. Er war sehr beliebt, konnte gut reden, mit jedem Witze reißen, sponsorte Fußballklubs mit dem Geld, dass die Firma, die sie in ihren Ehejahren aufgebaut hatten, generierte. Wenn er den Raum betrat, drehten sich alle nach ihm um. Und Georg liebte den großen Auftritt. Sie konnte sich glücklich schätzen, ihn zu haben.

„Du kannst dich glücklich schätzen, mich zu haben, Nina“, sagte Georg beim Abendessen, als er mit seiner Gabel die Spaghetti in die Höhe hielt und kritisch betrachtete. „Dass ich nicht schon schreiend davongerannt bin bei deinem Essen, ist ein Wunder“, sagte er. Es sollte wohl ein Scherz sein, doch er lachte nicht. Stattdessen verzog er angewidert das Gesicht, ließ die Gabel sinken, ohne auch nur einen Bissen versucht zu haben, schob den Teller mit Spaghetti Bolognese von sich und lehnte sich zurück. Lars machte es ihm nach. Nur Ida ließ sich davon nicht stören: „Ich mag Mamas Essen“, sagte sie. Georgs Augen wurden kurz zu schmalen Schlitzen, dann weiteten sie sich wieder, seine starken Arme griffen nach der kleinen Ida, hoben sie auf seinen Schoß und er flüsterte er ins Ohr: „Später kochst du und du wirst bestimmt fantastisch kochen. Darauf freue ich mich schon.“ Er kitzelte sie kurz, sie kreischte begeistert auf, dann hob er sie wieder von seinem Schoß und gab ihr einen Klaps auf den Po als Zeichen dafür, dass das Abendessen nun offiziell beendet sei und sie springen dürfe. Sie rannte lachend mit Lars in ihr Zimmer. Nina stand auf und begann, alle noch fast voll gefüllten Teller einzusammeln und in die Küche zu bringen. Auch dieses Abendessen hätte sie sich sparen können.

„Ich kann dir sagen, das war heute ein Tag“, begann Georg mit einem tiefen Seufzer, während er am Esstisch begann, seine Fußnägel zu schneiden. „Bruno hat gestern so viel Mist gebaut, als ich auf einem Auswärtstermin war, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Der ist so bescheuert wie ein Stück Brot. Ich habe heute erstmal Klartext mit ihm geredet. Wenn das so weitergeht, kann er sich nächsten Monat einen neuen Job suchen. Heute kann er Überstunden dranhängen, um seine Fehler wieder gutzumachen. Das kostet uns richtig Kohle, wenn er die Teile nicht mehr retten kann.“ Die Automobilindustrie war ein hartes Pflaster. Da sie Georg in der Verwaltung half, hatte auch sie selbst in den vergangenen Jahren schon etliche Diskussionen mit Kunden geführt, als diese aufgrund angeblicher Mängel der Ware nicht bereit waren, zu zahlen. Manchmal endeten diese kleinen Dramen auch vor Gericht.

Georg erzählte noch viel mehr, von weiteren Mitarbeitern, deren Fehler er reihenweise ausbaden konnte und die „alle einfach nichts drauf haben“, von einem Kunden, die nicht zufrieden war und nun die ausgelieferte Ware der Teile nicht bezahlen wolle. „Den musst du morgen sofort abmahnen, Nina. Da ziehen wir vor Gericht. Das geht gar nicht, was der sich erlaubt“ Sie bewunderte Georg für seine Klarheit, seine Geradlinigkeit und sein konsequentes Vorgehen. Das, was er erzählte über das Verhalten von faulen oder in seinen Augen schlichtweg dummen Mitarbeitern und dreisten Kunden, ging wirklich gar nicht und Georg war am Ende immer der Leidtragende und musste sich um die Scherbenhaufen kümmern. Natürlich half sie ihm dabei, so gut sie konnte. Sie war gut im Schreiben, im Abmahnen, bei Gerichtsprozessen gegen Kunden und Mitarbeiter. Sie half Georg, wo sie nur konnte, im Kampf gegen so manche vermeintliche Ungerechtigkeit gegen ihn. So zumindest sah sie viele Jahre die Welt. Durch seine Augen. Sie glaubte ihm alles, was er sagte. Warum sollte ein Mensch auch permanent lügen?

Er sprach weiter, von einem Großauftrag, der sich anbahne, von seinen Plänen, demnächst die Automatisierungsprozesse noch mehr zu digitalisieren. Nina versuchte, interessiert zuzuhören, sagte auch in den richtigen Momenten „ja“, „hmm“, „das verstehe ich. Als sie aufstand, um das Geschirr wegzuräumen, breitete sich jedoch eine ungeheure Müdigkeit in ihrem Kopf aus. Derweil legte sich Georg mit einem Seufzer auf die Wohnzimmercouch und schaltete den Fernseher ein. Nina hatte kaum geschlafen. Seit 4 Uhr morgens war sie nun schon wieder wach. Sie hatte die aktuellen Einnahmen und Ausgaben der Firma zusammengestellt, Werbe-E-Mails an Kunden versendet und die Firma durch geschicktes SEO bei Google höher gerankt, bevor sie die Kinder weckte. Aber die finanzielle Schieflage war mehr als offensichtlich und wurde immer extremer. Sie würde nachher, wenn die Kinder im Bett lagen und schliefen, noch weiterarbeiten. Rechnungen mussten geschrieben werden, Mahnungen. Werbemails. Das Fernsehprogramm verschob sie mal wieder auf den Sankt-Nimmerleinstag.

Dennoch hatte sie heute definitiv nicht mehr die Kraft, das Thema Finanzen anzusprechen, da sie genau wusste, wie aufbrausend Georg jedes Mal bei diesem Thema wurde. Natürlich gab es schönere Themen, über die auch Nina abends lieber sprechen würde. Aber die Zahlen eines Unternehmens waren eben wichtig. Dann kamen stets dieselben Sätze angeflogen: „Was soll das Nina? Willst du mir jetzt wieder eine Predigt halten? Mich unter Druck setzen? Ja, das kannst du gut, das ist aber auch das Einzige, was du kannst. Einmal im Monat mit dem Rotstift kommen und sagen, was anscheinend nicht läuft. Ihr habt doch keine Ahnung im Büro, wie hart wir arbeiten. Ihr trinkt den ganzen Tag Kaffee und tragt doch rein gar nichts zum Umsatz bei. Ihr kostet einfach nur.“ Das war so nicht ganz richtig, zumindest in ihrem Fall. Die ersten drei Jahre hatte sie völlig umsonst gearbeitet, danach wurden ihr 400 Euro im Monat für 40 Arbeitsstunden wöchentlich zugestanden. Seinem Vater hatte er von Beginn an monatlich vierstellige Summen überwiesen. Aber sei’s drum. Sie machte das alles schließlich nicht wegen der Bezahlung, sondern weil sie ihn liebte.

„Du bist einfach zu nichts zu gebrauchen, Nina“, fuhr er dann in der Regel wütend fort. „Stell du dich doch mal acht Stunden an die Maschine. Mal sehen, wie jämmerlich du dabei ausschauen würdest.“ Natürlich würde sie dabei jämmerlich ausschauen. Das war ja auch kein Wunder. Sie hatte schließlich auch nicht gelernt, mit derartigen Maschinen umzugehen. Er dagegen schon. Was sollte immer dieser schiefe Vergleich zwischen Büro und Handwerk? Georg konnte nicht mal einen Satz fehlerfrei schreiben. Darüber machte sie sich schließlich auch nicht lustig. Im Gegenteil. Es war verblüffend, wie sie sich ergänzten. Wie Ying und Yang. Feuer und Wasser. Himmel und Erde. Unterschiedlicher konnten zwei Menschen nicht sein und passgenauer auch nicht. Er war mutig, führte aus, zumindest nach derartigen Krisengesprächen riss er sich wieder für ein paar Wochen zusammen, bevor es ihn wieder öfter in die Kneipen zog. In guten Zeiten verkaufte Georg jedem Kunden einfach alles. Sie arbeitete hinter den Kulissen, organisierte, bereitete vor, erstellte Verträge, korrigierte und kontrollierte , unterstützte, so gut sie eben konnte. Nur der Alkohol, der allmählich immer mehr in der Werkstatt floss, bereitete ihr Sorgen.

Kistenweise standen dort mittlerweile nicht nur Bierflaschen herum. Im Kühlschrank fand sie mehr hochprozentigen Alkohol als Essen. Als sie Georg darauf ansprach, dass das sicher nicht besonders gut wirkte, , wenn Kunden oder Bankvertreter vorbeischauten, winkte er ab und verwies auf den ein oder anderen Mitarbeiter, der „massive Alkoholprobleme“ habe und nur so vernünftig arbeite beziehungsweise überhaupt arbeite, wenn er seinen „Pegel“ hatte. „Lass da mal etwas passieren, bei der Arbeit. Das wäre ja furchtbar“, antwortete Nina nur und war innerlich schockiert über diese suchtkranken Mitarbeiter. Alkohol bei der Arbeit sei in dieser Branche normal, meinte Georg dann jedes Mal und murmelte dann noch etwas von Fachkräftemangel. Auch Georg kam nicht selten mit glasigen Augen nach Hause. Eine Fahne hatte er aber nie. Manchmal irritierten sie seine Aussagen. Etwa wenn er erzählte, dass ein Geschäftsführer und enger Freund von ihm immer Grey Gooze trank, da man das nicht roch. Ob das stimmte, wusste sie nicht. Sie wusste nicht mal, was Grey Gooze war. Vermutlich Wodka. Früher war sie immer froh, wenn er über andere sprach und den Kopf über deren übermäßigen Alkoholkonsum schüttelte und sich somit davon distanzierte. Irgendwann fiel ihr auf, dass auch er immer häufiger an dem Tisch mit den größten Trinkern zu finden war, dass er bei keinem Fest zumindest einigermaßen nüchtern bleiben konnte, und am nächsten Tag nicht selten mehr Zeit vor der Kloschüssel verbrachte als vor dem Fernseher, um dann weiterzufeiern.

Nicht nur einmal hatte er sogar wegen Alkohol geweint. Sie erinnerte sich an ein sehr einschneidendes Ereignis vor zwei Jahren. Es war sein runder Geburtstag, den er eigentlich nicht feiern wollte. Nina hatte ihn des Öfteren danach gefragt, um zu planen, eine Location zu suchen, alles zu organisieren. Georg hat immer abgewunken. Eine Woche vor dem Tag der Tage hat er sich dann doch spontan umentschieden und wollte auf einmal groß feiern in seiner Autowerkstatt. Nina organisierte innerhalb einer Woche noch schnell Getränke, Essen und verschickte Einladungen per WhatsApp – neben ihren Verwaltungsaufgaben, ihren Kindern und dem Haushalt. Doch viele seiner Freunde waren zu diesem Zeitpunkt schon anderweitig verplant. Es kamen daher auch nicht so viele Gäste wie geplant, so dass am Ende noch kistenweise Alkohol übrig war. Als Nina beim Aufräumen nach der Feier die vollen Kisten wieder in den Anhänger des Getränkehändlers laden wollte, versuchte Georg sie aufzuhalten, stellte sich ihr in den Weg, als sie mit einer vollen Bierkiste bepackt auf den Getränkewagen zusteuerte, er bat sie mehrmals, die Kisten stehenzulassen. Auf einmal begann er wie aus dem Nichts heraus zu weinen. Sie solle den Alkohol doch bitte, bitte da lassen. „Warum? Ihr seid doch hier, um zu arbeiten und nicht, um zu trinken“, sagte sie irritiert und konnte nicht glauben, dass er vor ihr stand und weinte. Er weinte doch nicht tatsächlich wegen dem Alkohol, den sie zurück in den Getränkewagen trug? Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Gleichzeitig raste ihr Herz, als sie ihm widersprach, denn dann erhielt sie in der Regel einen Hurrikan als Antwort. „Ja, klar, Nina, aber weißt Du, mir ist das so peinlich vor dem Getränkehändler, dass fast kein Alkohol getrunken wurde. Daher lass doch bitte, bitte den Alkohol da. Er wird doch nicht schlecht.“ Nina schaute Georg immer noch irritiert an, versuchte dann aber, sich weiter ihren Weg mit der Kiste zum Getränkeanhänger zu bahnen und sich an Georg vorbeizuschieben.

Sie hasste es, dass in der Firma ständig getrunken wurde. „Was erzählst du da, Georg? Der Getränkehändler macht sich doch darüber keinen Kopf, wie viel Deine Partygesellschaft getrunken hat. Das ist dem völlig egal.“ Im Übrigen sollte man die Qualität einer Feier nicht danach bemessen, wieviel Alkohol getrunken wurde, dachte sie, sprach ihre Gedanken aber besser nicht aus.

Das war auch besser so. Denn Georg hatte sich bereits eine volle Bierflasche aus der Kiste geschnappt und warf sie vor ihr auf den Boden, dann noch eine. Die Splitter und das Bier trafen sie an ihren Beinen. „Jetzt hör endlich auf damit, die Sachen wegzutragen, verdammt nochmal“, brüllte er mit verheultem Gesicht. Nina erschrak. Er nahm ihr die Kiste aus der Hand und trug sie wieder zurück in die Werkstatt. Danach räumte er auch alle anderen Kisten wieder heraus, bis auf zwei. Die durfte der Getränkehändler wieder mitnehmen. Alles andere trank Georg die folgenden Tage und Wochen. Ob allein oder in Gesellschaft, das wusste Nina nicht. Sie sah nur immer diesen glasigen Blick, wenn er nach Hause kam.

„Also wie gesagt, ich hoffe, dass das mit dem Großauftrag etwas wird“, hörte Nina ihn aus dem Wohnzimmer sagen, während er immer noch auf dem Sofa lag und fernschaute. Sie war nun fast mit dem Abwasch fertig. Hoffentlich klappt das wirklich mit diesem Großauftrag. Ansonsten müssten sie ihr restliches privates Sparguthaben in die Firma stecken, um die Rechnungen bezahlen zu können, dachte sie innerlich und ihr Magen zog sich bei diesem Gedanken zusammen. Sie musste dringend jetzt selbst noch etwas essen, sonst kam sie bestimmt nicht mal mehr auf ihre 48 kg. Aber ihr war schon wieder einfach nur schlecht.

„Maaaama“, drang es auf einmal an ihr Ohr. Ida schrie aus ihrem Kinderzimmer. Georg schaute immer noch fern, ohne Anstalten zu machen, nach den Kindern zu schauen. Also ließ Nina das Geschirr in der Küche erst einmal stehen und lief zu Ida ins Kinderzimmer. „Mama, Lars hat mich gehauen und wieder ganz böse Wörter zu mir gesagt. Du Schlampe und du Fo…“, Nina unterbrach Ida, die mit verheulten Augen auf dem Boden saß, schnell, bevor sie das zweite böse Wort auch noch herausbrüllte. Lars war bereits nicht mehr zu sehen, vermutlich hatte er sich wieder mal in seinem Zimmer verbarrikadiert. Dieses Mal sah man auch die Spuren des Geschwisterstreits deutlich. Idas linke Wange war knallrot und leicht geschwollen. Das kam eindeutig nicht vom Weinen. „Oh Schatz“, das tut mir aber leid. Habt ihr gestritten? Soll ich mal mit Lars sprechen? Lars, kommst Du mal, bitte“, rief sie. Niemand rührte sich. „Lars?“ Beim dritten Mal rufen stand auch Georg in Idas Zimmertüre, gleich hinter Lars. „Was ist denn hier los gewesen bei euch?“, fragte sie Lars. „Gar nichts“, antwortete Lars und zuckte mit den Schultern. „Das stimmt nicht“, sagte Nina. „Ida hat eine knallrote Wange. Du hast ihr eine Ohrfeige gegeben. Das geht gar nicht, Lars. Schlagen geht gar nicht.“ Georg legte währenddessen seine großen Hände auf Lars‘ Schultern. „Ida, du darfst Lars aber auch nicht provozieren“, sagte Georg und schaute seine Tochter streng an. „Ich habe ihn nicht provoziert“, nun weinte Ida noch doller. Ihr Gesicht wurde puterrot. „Naja, provoziert hin oder her – schlagen ist tabu, Lars“, sagte Nina mit etwas mehr Nachdruck und schaute dabei Lars an, obwohl sie auch Georg meinte. „Und das Sch… und das F-Wort möchte ich auch nie wieder hören.“ Das F-Wort hatte Lars nun schon öfter zu Ida im Streit gesagt und Nina konnte sich denken, wo er es aufgeschnappt hatte.

„Verpiss dich, du Fotze“, hatte Georg das letzte Mal zu ihr selbst gesagt, als sie mit seinem Vater darüber sprechen wollte, warum dieser Nina zweimal geschubst und an ihre Brust gefasst hat. Dieser Vorfall ereignete sich vor ein paar Monaten. Ihre Kinder bekamen leider oft mit, wie Georg sie beleidigte, wie sie sich wieder vermeintlich falsch verhalten hat. In diesem Fall gegenüber seinem Vater.

„Hau ab aus meinem Haus. Sonst vergesse ich mich. Verschwinde. Hau ab, hau ab mit deinen Bälgern. Du kannst einfach gar nichts. Du bist nichts ohne mich und meinen Vater, Nina. Nichts. Nur ein Haufen Scheiße. Ich kann nicht mehr. “, brüllte Georg Nina weinend im Hausflur an, während die Kinder danebenstanden – Lars stand staunend mit weit aufgerissenen Augen da, während Ida weinend auf der Treppe saß. Dann ging Georg aus dem Haus und fuhr davon. Vermutlich – wie so oft – in seine Stammkneipe.

Ninas Herz raste damals. An diese Szene im Hausflur und wie sie sich dabei fühlte, konnte sie sich noch genau erinnern. Sie schluckte, kratzte in diesem Moment, als sie wieder mal nur noch Dreck wert war – in seinen Augen und damit auch oft in ihren eigenen Augen – ihren letzten Rest Mut zusammen und tat es ohne ihn. Sie ging zu seinen Eltern und sprach mit seinem Vater über das, was geschehen war. Sie wollte die Situation klären, wollte kein Feigling mehr sein. Sie wollte wissen, warum man so miteinander umging, warum Georgs Vater sie geschubst hatte, warum er sie mehrmals begrabscht hatte. Warum ihr Mann nun schier durchzudrehen schien, nur weil sie mit seinem Vater über den Vorfall sprechen und alles klären wollte. „Ihr hattet eine Meinungsverschiedenheit. Du hast ihn provoziert. Du bist zu nah an ihn herangetreten, Nina“, erklärte ihr Georg damals wütend. „Herrgott nochmal Nina, Du solltest doch wissen, wie man sich gegenüber anderen Menschen zu verhalten hat.“ Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Du musst dich endlich mal zusammenreißen.“ Sie schluckte. Sie musste sich endlich zusammenreißen.

Sie hatten vor vier Wochen eine Meinungsverschiedenheit gehabt, das war richtig. Nina hatte Georgs Vater bereits den Rücken zugewandt und wollte gehen, weil es einfach nichts brachte, mit ihm zu diskutieren. Da wurde Georgs Vater immer lauter, brüllte ihr irgendwelche Dinge nach, bis  Nina beschloss, sich das nicht mehr länger gefallen zu lassen. Sie drehte sich wieder um, ging auf ihn zu und sagte zweimal langsam und ruhig: „Ich möchte nicht, dass du mich anschreist.“ Als sie vor ihm stand und ihm in die Augen sah, schubste er Nina plötzlich nach hinten, wobei seine rechte Pranke dabei großflächig auf ihrer linken Brust lag. „Hör auf“, sagte Nina zu ihm. Er schubste sie noch einmal. Wieder lag seine rechte Pranke großflächig auf ihrer linken Brust. Nina war wie gelähmt. Tränen schossen ihr in die Augen. „Du solltest dich glücklich schätzen, in diesem Haus mit uns leben zu dürfen“, hörte sie ihn daraufhin mit erhobenem Zeigefinger sagen. „Du faules Stück mit deinem falschen Lächeln.“ Nina war fassungslos und brachte kein Wort mehr heraus. Sie konnte sich in diesem Moment nur noch umdrehen und gehen.

Warum war sein Vater so? Warum war Georg so? Warum war sie so? Warum ließ sie sich das alles gefallen? War sie wirklich an allem alleine Schuld? Sie wollte keinen ständigen Dramen in ihrem Leben mehr, keine Übergriffe mehr. Sie wollte nur noch ihre Ruhe. Und Antworten.

In diesem Gespräch mit seinem Vater sollte es weder um Anschuldigungen noch um Entschuldigungen gehen. Sie wusste, dass sein Vater sich noch nie bei jemanden entschuldigt hatte und dass das von ihm auch noch niemals jemand erwartet hatte. Nina sollte sich stattdessen bei ihm entschuldigen. Es war schon ein großer Schritt von ihm, dass er überhaupt mit ihr über den Vorfall sprach. Sie saßen sich im Wohnzimmer gegenüber. Ninas Schwiegermutter machte ihnen einen Kaffee. „Also“, Nina räusperte sich. „Ich wollte mir dir darüber sprechen, was vor kurzem passiert ist“, begann Nina mit einem großen Kloß im Hals das Gespräch. „Und ich wollte gleich vorneweg sagen, dass es hier nicht um Schuld oder Unschuld geht“, hob sie abwehrend die Hände, als er bereits zu einer abwiegelnden Antwort ansetzen wollte. „Ich möchte nur sagen, dass es schön wäre, wenn wir uns alle künftig mit Anstand und Respekt begegnen.“ – „Ja, das sehe er genauso“, antwortete ihr Schwiegervater auf ihr Friedensangebot bei ihm im Wohnzimmer. „Weiß Du, Nina. Ich halte nicht viel von dir. Aber zumindest hast du dafür gesorgt, dass mein Sohn weniger trinkt. Und du bist eine gute Mutter.“ Das waren die ersten und einzigen Komplimente, die Nina je von ihrem Schwiegervater gehört hatte. „Hast Du Georg eigentlich jemals gelobt?“, fragte sie ihn und wunderte sich gleichzeitig über ihren Mut, ihm diese Frage zu stellen. Aber irgendwie ahnte sie in diesem Moment schon, dass es das erste und letzte Mal sein würde, dass sie so offen miteinander sprachen. Er überlegte nicht lange. „Nein.“ Auch er sei nie gelobt worden von seiner Stiefmutter, erzählte er mir. Sie sei eine böse Frau gewesen. „Aber er hat immer sehr eng mit unserem kleinen Georg im Bett gekuschelt, wenn er krank war“, warf Ninas Schwiegermutter in das Gespräch ein. „Mein Vater ist mein bester Freund, Nina. Mein bester Freund“, betonte Georg immer wieder, auch und vor allem nachdem sein Vater Nina geschubst und an ihre Brust gefasst hatte. Sein Vater, der ihn sein Leben lang nie gelobt hatte, aber dafür mit ihm eng und intensiv im Bett gekuschelt hat, war noch immer sein engster und bester Freund. Und besten Freunden verzieh man vieles, auch wenn sie die eigene Ehefrau schubsten und angrabschten.

Die Zuckerbrot-und-Peitsche-Taktik zwischen Georg und seinem Vater kam Nina bekannt vor. Georg lobte Lars ebenfalls nie, sondern schlug ihn auch mal, wenn dieser nicht parierte. Dann gab es wieder Momente, in denen er ihn manchmal stundenlang, wirklich stundenlang streichelte. Georg legte sich am liebsten eng umschlungen neben Lars, wenn sie gemeinsam einen Film anschauten. Es kam vor, dass er ihn den gesamten Film über streichelte, an den Armen entlang über seinen Körper bis zu seinen Beinen und wieder zurück. Manchmal knabberte Georg auch an Lars‘ Ohrläppchen herum. Das Nie-loben auf der einen Seite fand Nina schon schlimm, aber dieses extreme Kuscheln auf der anderen Seite war noch merkwürdiger. Immerhin war Lars bereits 12 Jahre alt. Im Bett lagen sie meistens zu dritt, mit einem Kind in der Mitte, an das sich Georg eng schmiegte und im Optimalfall die ganze Nacht innig umarmte. Manchmal kam sie sich richtig deplatziert vor. Als sie von ihrer Schwiegermutter erfuhr, dass das Verhältnis zwischen Georg und seinem Vater ähnlich geprägt war, wunderte sie hingegen gar nichts mehr. Georg kannte es schlicht nicht anders und dachte, das wäre normal. Das Kind als Partnerersatz.

Als Nina ihm während eines Filmes einmal sagte, dass sie diese intensive Streicheleien schon etwas merkwürdig fand, reagierte Georg gewohnt aufgebracht: „Was willst du mir jetzt unterstellen, Nina? Dass ich ein Pädophiler bin? Ein Kinderschänder?“ – „Nein, natürlich nicht“, wiegelte sie schnell ab. „Aber…“ – weiter kam sie mit ihrem Erklärungsversuch nicht. „Mir reicht es wirklich mit dir, Nina. Du bist ja krank. Ich halte das einfach nicht mehr aus. Du bist so irre.“ Daraufhin zog er sich an und stürmte wieder einmal aus dem Haus, vermutlich in eine Kneipe. Als er nach Hause kam, trank er noch zwei große Flaschen Bier und schlief auf dem Sofa. Er sprach danach eine ganze Woche lang kaum ein Wort mit ihr. Das war des Öfteren so nach einem Streit. Die einzigen Sätze, die sie hörte, waren in der Regel: „Wir sind nun langsam wirklich an einem Punkt in unserer Ehe angelangt, wo das so nicht mehr so weitergeht. Du bist einfach nur irre.Entweder du reißt dich langsam zusammen oder ich verlasse dich.“ Er halte diese Ehe mit ihr einfach nicht mehr aus. Er gehe daran kaputt. Er brauche nun erst einmal Abstand und werde daher für ein paar Tage in der Werkstatt übernachten. Nach diesen Sätzen, die sie oft nach ihren Auseinandersetzungen zu hören bekam, machte sich stets dieselbe Panik in ihr breit: dass sie ihn verlieren könnte. Warum hatte sie auch nur so reagiert? Warum hatte sie überhaupt etwas gesagt? So schlimm war das doch alles gar nicht. Sie wusste ihr Glück einfach nicht zu schätzen mit diesem Mann. Sie war tatsächlich irre. Er hatte Recht. Sie reagierte völlig über. Nach seinen deutlichen Worten, dass er sie verlassen würde, wenn sie so weitermache und sich nicht bald „am Riemen riss“, versuchte Nina in den Tagen darauf, noch mehr Gas zu geben als gewöhnlich, noch fleißiger in der Firma zu sein, sich noch besser um die Kinder zu kümmern, besser zu kochen und besser zu putzen. Damit er sah, dass auch er sich glücklich schätzen konnte, sie zu haben.

Noch immer sah man auf der Küchenzeile manchmal vereinzelte Wassertropfen, nachdem sie diese gereinigt hatte und das mochte Georg gar nicht. Er zeigte ihr dann, wie sie sich verbessern konnte, auch beim Badezimmer putzen. Denn auch in diesem Bereich hier übersah sie einiges. Sie sollte spezielle Mittel benutzen, zum Putzen der verschiedenen Böden, zum Wäsche waschen und auch zum Duschen kaufte er Duschgel für sie und Ida ein, die ihm besonders gut rochen. Oft schüttelte er nur den Kopf vor der Verwandtschaft und den Kindern über sie, da die Wäsche nach dem Waschen noch immer nicht so roch, wie er es sich vorstellte. Es war einfach nur zum Fremdschämen mit ihr. Manchmal bekam sie dann Instruktionen und Anleitungen von seiner Schwiegermutter, wie sie es besser machen konnte.

Nicht nur sein Vater, uch Georg war schon handgreiflich ihr gegenüber geworden. Aber das war lange her. Als Nina mit Lars hochschwanger war, eskalierte ein Streit zwischen den beiden derart, dass Nina auf Georg zugehen wollte, er sich dadurch jedoch bedroht fühlte und ihr schließlich in den kugelrunden Bauch trat. Ein andermal hatte sich Nina während eines Streits mit dem damals dreijährigen Lars im Badezimmer eingeschlossen aus Angst vor dem tobenden Georg. Dieser brach jedoch die Holztür mühelos auf. Sie rief ihre Mutter weinend an und frage sie, ob sie mit Lars zu ihr kommen könne. Aber ihre Mutter hatte zu diesem Zeitpunkt einen Mann an ihrer Seite, der sehr schnell hohen Blutdruck bekam. Daher meinte ihre Mutter zu Nina, dass es besser sei, sie bleibe erstmal bei Georg. So schlimm werde es schon nicht sein. Das werde sich alles wieder beruhigen. Morgen sehe die Welt schon wieder ganz anders aus. „Siehst du, nicht mal deine Mutter möchte dich haben, Nina“, sagte Georg und schnaubte verächtlich.

Während die körperlichen Übergriffe Ausnahmen blieben, gab es fast täglich psychische Abwertungen. Bereits bei ihrer Hochzeit vor dreizehn Jahren eskalierten die Vorbereitungen, als Nina eine andere Tischordnung haben wollte, als ihr Schiegervater in spe. Daraufhin sagte dieser, er werde nicht zu dieser Hochzeit kommen. Georg zog sich aufgrund dessen ebenfalls  von den Hochzeitsvorbereitungen komplett zurück und saß stattdessen in seiner Stammkneipe, anstatt Nina bei den Vorbereitungen für die in einer Woche stattfindende Hochzeit zu helfen. Am Ende taten sowohl Georg als auch sein Vater am Tag der Hochzeit so, als wenn nie etwas gewesen wäre. Beide betranken sich am Hochzeitstag und feierten.

Ein oder zwei Jahre nach Gründung der Autowerkstatt rief eine Mitarbeiterin Nina weinend an. Georgs Mutter habe sie soeben angeschrien, weil sie mit den neu ausgehandelten Stromverträgen, die nicht nur die Firma, sondern auch den privaten Haushalt der Schwiegereltern betrafen, unzufrieden gewesen war. Nina ging zu ihrer Schwiegermutter, um mit ihr darüber zu sprechen, dass sie Mitarbeiter nicht derart angehen könne. Daraufhin mischte sich ihr Schwiegervater ein: „Weißt Du, Nina, Du solltest einfach nur dankbar sein, mit uns leben zu dürfen. Du bist nichts. Und du kannst nichts. Was willst du eigentlich?“, fragte er sie und breitete dabei seine Arme aus, wie wenn er sie zu einem Boxkampf auffordern wollte. Sie ließ noch weitere Beleidigungen fassungslos über sich ergehen und konnte auch an dieser Stelle nur mit Sprachlosigkeit antworten.

Du bist nichts und du kannst nichts. Diese Sätze hörte sie oft in ihren 13 Ehejahren. Von ihrem Schwiegervater und von ihrem Ehemann. „Du bist nichts ohne mich und meinen Vater.“ Richtig. Sie war auch längst ein nichts mehr. Sie löste sich auf. Sie hatte keine Freunde mehr von früher, sie waren nur noch mit seinen Freunden unterwegs, mit seiner Familie, mit seiner Firma beschäftigt, beziehungsweise mittlerweile war sie eigentlich fast nur noch zu Hause, arbeitete am PC für seine Firma, hütete die Kinder, schmiss den Haushalt und er war alleine weg. Sie hatte ihren Beruf nach der Elternzeit gekündigt, um ihm beim Aufbau der Firma verwaltungstechnisch zu helfen. Es war einfach nichts mehr übrig, dass sie auszeichnete. Im Grunde wusste sie nicht mal mehr selbst, wer sie war. Vielleich hatten ja er und seine Eltern Recht. Vielleicht war sie wirklich ein Nichts. Zu nichts nutze. Zu blöd zum Kochen und Putzen. Unhöflich. Ohne Respekt vor der älteren Generation. Undankbar.

Nachdem sie damals das Gespräch mit Georgs Vater suchte, Georg daraufhin einen Wutanfall bekam und Nina und die Kinder nicht zum ersten Mal aus dem Haus werfen wollte, kam Georg ein paar Stunden später wieder zurück, setzte sich in den Wohnzimmersessel, nahm Ida auf seinen Schoß und fragte munter: „Na, was habt ihr Schönes gemacht?“ Diese Szene hatte schon etwas von Dr. Jekyll-und-Mister-Hyde. Während er noch wenige Stunden zuvor allesamt vor die Tür setzen wollte, sie bis aufs Mark beleidigte, war er nun wieder der fürsorgliche Familienvater, als ob nie etwas passiert war. Früher wäre sie dankbar gewesen dafür, dass er sich wieder beruhigt, hatte und bei ihnen blieb. Allmählich machten seine konträren Verhaltensweisen Nina allerdings wirklich Angst. Zudem konnte Nina die furchtbaren Worte und Sätze, die man ihr ständig bei Wutausbrüchen an den Kopf warf, nicht so einfach abschütteln. Sie blieben kleben wie Honig an ihrer Haut.

Georg wollte weder wissen, ob und was genau Nina nun mit seinem Vater gesprochen hatte, noch, ob man nun wieder Frieden habe. Warum Georg so wütend wurde und letztendlich weggerannt war, sie wusste es nicht. Ihr kam der Verdacht, dass Georg vor diesem Gespräch nicht geflüchtet war, weil er Nina die ganze Schuld in die Schuhe schob, dass sein Vater ihr gegenüber handgreiflich wurde, sondern aus purer Angst vor seinem Vater. Er rannte vor einem offenen Gespräch mit seinem Vater weg, weil er vermutlich ein solches Gespräch noch nie mit ihm geführt hat. Wenn das so war, tat er ihr schon wieder leid. Aber es war auch nicht wirklich abwegig. In seiner Familie sprach man nie über Konflikte. Es gab keine Konflikte. Man hatte einfach nur den Mund zu halten und zu den Anweisungen zu folgen. Ganz einfach.

Machte man das nicht, war man selbst schuld. Als Georg nicht einmal hinter ihr stand, als sein Vater sie derart angegangen war, war das für Nina der Turning point. Der Punkt, an dem Nina schlagartig und eindeutig begriff, dass sich Georg und dieses Familiensystem nie ändern würden. Übergriffigkeiten waren erlaubt, wenn man provoziert wurde. Und provoziert fühlten sich Georg und sein Vater manchmal nur durch Kleinigkeiten. Es ging daher ab diesem Zeitpunkt nur noch um die Frage, ob Nina in diesem System blieb oder ging. Ihre Entscheidung hatte sie bereits getroffen. Sie hatten zwei Kinder. Und sie wollte weder, dass Lars ein Täter wurde, noch Ida das Opfer. Sie wollte, dass beide die Chance bekamen, in einem gesunden Umfeld aufzuwachsen – ohne Abwertungen, Beleidigungen, Erniedrigungen, ohne Übergriffe.

Aber vereinzelte Übergriffe gab es bereits bei den Kindern. Und damit meinte sie nicht nur die ausgiebigen, intensiven Streicheleinheiten bei Lars, sondern auch die Schläge, die er erdulden musste, wenn er nicht so funktionierte, wie Georg sich das vorstelle. Auch hier hatte sie vieles übersehen, bis Lars sich eines Tages kurz vor seinem 12. Geburtstag im Esszimmer an die Seite von seiner Mutter stellte, Georg anschaute und sagte: „Ich habe Angst vor Dir, Papa.“ Nina schaute Lars an, dann Georg. Und hielt die Luft an. Allein dieser Satz von Lars musste die pure Provokation für Georg sein. „Warum hast du denn Angst vor mir, Lars?“ Georgs Augen verengten sich. Lars war schon immer sehr mutig gewesen: „Weil du mich manchmal schlägst.“ Nina schaute erst zu Lars, dann zu Georg, dann wieder zu Lars. „Neulich habe ich meine Schuhe nicht schnell genug gefunden. Da hast du mich geschlagen. Und ein andermal…“ – „-Ich gebe zu, dass ich dich manchmal geschlagen habe“, unterbrach ihn Georg und richtete seinen Zeigefinger auf Lars: „Aber dazu stehe ich, hörst du. Es gibt nichts, was ich anders machen würde. Ich würde alles genauso wieder machen.“ – „Du hast ihn geschlagen?“, krächzte Nina. „Nina, ich sag dir was. Manche Charaktere sind nur so zu bändigen. Ich weiß das am besten. Ich bin auch so wie Lars. Immer Grenzen austesten. Ich habe auch Grenzen gebraucht. Er wird dir ansonsten auf der Nase herumtanzen. Er wird irgendwann auf die schiefe Bahn geraten, wenn auch du nicht härter durchgreifst.“

Nina wusste, dass Georg und seine Geschwister regelmäßig geschlagen worden waren in ihrer Kindheit. Das war quasi normal in dieser Familie. Darüber sprach Georg auch ganz offen. Teilweise erfolgten die Ohrfeigen ohne ersichtlichen Grund, wenn man nur nicht schnell genug an einem Elternteil vorbeilief. Mittlerweile lachten sie darüber, wenn sie sich daran erinnerten. Aber sie lebten jetzt nicht mehr im Mittelalter, sondern im 21. Jahrhundert. Georg konnte doch nicht ernsthaft glauben, dass Schläge den Charakter zu etwas Besserem formten. Noch dazu hatte ihr Ehemann eine sehr kurze Zündschnur. Dabei konnte ihm schneller die Hand ausrutschen, als man bis drei zählen konnte. Im Urlaub spielten sie einmal mit Freunden ein Kartenspiel auf der Terrasse, Georg hatte schon einiges getrunken an diesem Tag. Lars war vielleicht zehn Jahre alt gewesen, musste auf die Toilette und vergaß, die Fliegengittertüre zu ihrer Ferienwohnung zu schließen, obwohl Georg es ihm kurz zuvor noch gesagt hatte. Daraufhin zischte Georg: „Der ist so dämlich“, stand, rannte hinter Lars her und Nine hörte es nur noch knallen. Sie saß wie angeklebt auf ihrem Stuhl. Lief nicht hinterher. Tröstete Lars danach nicht. Was war sie nur für eine Mutter? Sie hatte Lars nicht beschützt.

Die Coronajahre machten die Sache nicht besser. Während in der Werkstatt wie bei vielen anderen Firmen die Mitarbeiter in Kurzarbeit gingen und auch in der Verwaltung Mütter in dieser Zeit wegbrachen, weil sie sich um ihren Nachwuchs kümmern mussten, als die Schulen geschlossen waren und der Unterricht von zu Hause stattfinden sollte, versuchte Nina, home office und home schooling wie viele andere Frauen in Deutschland in dieser Zeit irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Sie war weder Pädagogin noch Lehrerin, aber sie gab ihr Bestes, machte mit Ida die Deutsch- und Matheblätter der Grundschule, half Lars in Englisch, schrieb Angebote für Georgs Kunden, beantwortete E-Mails, versuchte, überall alles zu geben, übernahm Aufgaben von Mitarbeiter:innen in der Verwaltung, die ebenfalls Kinder hatten und mit home schooling beschäftigt waren. Während Ida relativ mühelos ihre Sachen erledigte, machte sich bei Lars nun ganz deutlich seine bereits bekannte Konzentrationsschwäche bemerkbar. Es fiel ihm deutlich schwerer, als Ida, dem digitalen Unterricht zu folgen, seine Aufgaben zu erledigen und sich zu organisieren. Er verpasste in dieser Zeit unheimlich viel und es war anstrengend, ihn zum Lernen zu motivieren. Das gelang eigentlich nur, wenn man neben ihm so lange sitzenblieb und ihn anspornte, bis alles fertig war. Aber selbst dann kam es vor, dass Nina und ihr Sohn an den Matheaufgaben Stunden zubrachten. Während Ninas Freundin ihr entspannt erzählte, dass das alles super klappen würde bei ihnen zu Hause mit den Kindern und dem home schooling – sie sprach von Arbeitsteilung mit ihrem Mann im Haushalt und vielem mehr – fragte Nina sich, wo Georg eigentlich den ganzen Tag steckte. In der Firma wurde Kurzarbeit gefahren, die Auftragslage war mau. Er war trotzdem so gut wie nie zu Hause. Als sie wieder einmal bis spät abends mit Lars versuchte, die Matheaufgaben zu Ende zu machen, kam Georg nach Hause. Als Nina ihm berichtete, dass sie immer noch an den Matheaufgaben saßen und das nun schon seit Stunden, ging er in Lars‘ Zimmer, stach ihm mit seinem Zeigefinger in den Nacken und raunzte ihn an: „Mach jetzt endlich deine Hausaufgaben fertig, hörst du?“ Kein „hallo“. Kein „wie geht es dir?“ Nina blieb wie gelähmt in der Zimmertüre stehen und bereute mal wieder zutiefst, überhaupt etwas zu Georg gesagt zu haben.

„Hör auf, Georg. Was soll das? So lernt Lars auch nicht schneller“, hörte sie sich selbst sagen. Georg hörte auf, schaute sie mit schmalen Schlitzen an und erwiderte nur: „Nina, du bist so schlecht. Glaubst du, mit deinem Kuschelkurs wird er es jemals zu irgendetwas bringen? Der ist doch genauso irre wie du. Du und Deine ganze Familie. Ihr seid doch alle irre. Lars, ich sage dir jetzt mal etwas.“ Dabei drehte Georg den Schreibtischstuhl von Lars herum, so dass Lars, der bislang kein Wort zu seinem Vater gesagt hat, ihn anschauen musste. „Du bist ein Versager, Lars. Du bist ein Versager. Du bist nichts und du kannst nichts ohne mich. Du wirst mich dein ganzes Leben lang brauchen – so wie ich meinen Vater mein ganzes Leben lang brauchen werde.“ Nina hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. WAS FÜR EINEN QUATSCH redest du da eigentlich?, hätte sie ihn am liebsten angebrüllt. Das ist dein Sohn. Er ist kein Versager. Er ist ein fantastischer Junge, der es verdient hat, von dir einfach so geliebt zu werden, wie er ist. Ohne Bedingungen. Aber sie blieb wieder einmal stumm.

Als der Ukrainekrieg Corona nach fast zwei Jahren aus dem deutschen Alltag allmählich verdrängte und die Kinder wieder zur Schule durften, besuchte sie mit Lars wieder den Physiotherapeuten, damit er lernte, sich mit speziellen Lernmethoden und Entspannungsübungen besser konzentrieren zu können. Der Physiotherapeut betonte immer wieder, wie wichtig ein ruhiges familiäres Umfeld auch zuhause wäre. Nina bat daher Georg, dass er auch einmal mitgehe, damit der Physiotherapeut mit ihm sprach. Als Nina sich bei diesem Dreiergespräch überwand und nur ansatzweise andeutete, welche Sündenbockrolle ihr Sohn manchmal zuhause hatte, meinte der Physiotherapeut nur zu Georg: „Wir sind hier nicht im wilden Westen, Herr Konz.“ Solche Methoden seien heutzutage weder üblich, geschweige denn effektiv. Aber die ganzen Geschenke, die er uns allen immer machen würde, die tollen Urlaube, die wir uns nur leisten konnten, weil er jeden Tag so hart arbeite, das sei doch auch etwas wert, antwortete Georg. Der Physiotherapeut meinte daraufhin nur lapidar: „Geld ist nicht alles, Herr Konz.“

In der Schule wurde Nina immer häufiger darauf angesprochen, ob sie es nicht doch einmal mit Medikamenten versuchen wolle bezüglich Lars und seiner Konzentrationsschwäche. Aber sie sah ihn einfach nicht in diesem Bereich. Dennoch gab sie irgendwann nach, nachdem der äußere Druck immer mehr zunahm. Lars sollte einen Konzentrationstest sowie einen Persönlichkeitstest machen und dann eingestuft werden. Dabei stellte sich heraus, dass Lars stark suizidal war. Das zumindest urteilte der Kinderpsychologe, der den Test ausgewertet hatte. „Ich bin einfach zu blöd, ich kann das nicht“, sagte Lars des Öfteren, wenn er mal wieder einen Tag hatte, an dem es mit seiner Konzentration nicht so gut lief. Dann konnte es schon mal sein, dass er seinen Kopf an die Wand hämmerte oder auf die Tischplatte schlug und auch sagte, dass er nicht mehr leben wolle.

Im Rahmen der ADHS-Untersuchung berichtete Nina dem Kinderpsychologen von der schwierigen Situation zu Hause und welche Rolle Lars hier manchmal einnahm. „Du bist doch zu blöd zu allem“, hatte Georg schon des Öfteren zu Lars gesagt. Lars hatte diesen Satz mittlerweile so sehr verinnerlicht, dass er, wenn er etwas nicht sofort hinbekam, sagte: „Ich bin eben zu dumm zu allem.“ Kinder, denn das Etikett ADHS auf die Stirn geklebt wurde, waren oftmals hypersensibel. Das heißt, sie bekamen mehr als andere Kinder Alltagsdramen mit und brauchten eigentlich ein harmonisches, ruhiges Umfeld. Das hatten sie derzeit nicht vorzuweisen, aber Nina war sicher, wenn Lars dieses Umfeld hätte, bräuchte er keine Medikamente. Sein Verhalten war schlichtweg ein Symptom für diese ganzen Dramen, die sich bei ihnen zu Hause abspielten.

Schweißperlen rollten ihr über ihre Schläfen. Denn sie wusste genau, wenn Georg erfuhr, dass sie erzählte, welcher Film bei ihnen in der Familie hinter den Kulissen manchmal ablief, konnte sie sich warm anziehen. Aber sie wollte auch erklären, dass Lars nicht einfach so war, wie er war, sondern dass es dafür vielleicht ganz andere Gründe gab. Lars saß schweigend neben ihr, als sie von ein paar Vorfällen berichtete und erwähnte, dass der Vater die Ansicht vertrat, dass Lars Schläge brauche wegen seines schwierigen Charakters und dass er sich öfter mal anhören dürfe, dass er nichts tauge, nichts könne ohne ihn und dass er ein Versager sei. Der Kinderpsychologe sagte nicht viel dazu. Bei einem Telefonat Wochen später erklärte der Kinderpsychologe Nina dann in aller Deutlichkeit, dass er darauf aufmerksam machen wollte, dass das, was bei ihnen zuhause passierte, vermutlich höchst kindeswohlgefährdend sei und dass er daher dringend zu einer räumlichen Trennung zwischen dem Sohn und dem Kindsvater rate. Das war für Nina nur eine weitere Bestätigung dafür, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie musste mit den Kindern weggehen.

Der Alkohol machte die Sache nicht besser. Auf einer Geburtstagsfeier seines Vaters wurde mal wieder derart viel Alkohol konsumiert, dass Georg stark angetrunken war, als sie die Kinder ins Bett brachten. Eigentlich war Georg gut gelaunt, bis Lars sich vor seinem Vater aufbaute und sagte: „Du hast doch schon wieder zu viel getrunken.“ Daraufhin schubste Georg seinen Sohn in seinem Kinderzimmer nach hinten gegen das Bett. „Lass das, Georg. Du hast zu viel getrunken“, sagte Nina daraufhin reflexartig ohne zu Überlegen und stellte sich zwischen Lars und Georg. „Was soll das nun schon wieder heißen, Nina? Was willst du? Willst du damit etwa sagen, ich hätte ein Alkoholproblem?“, fuhr Georg sie an. „Nein, natürlich nicht“, antwortete Nina. Georgs Augen füllten sich mit Tränen. „Weißt du, ich halte das hier einfach nicht mehr aus hier. Mit Dir und mit euch. Wie du mich wieder hinstellst. Als wenn ich das Allerletzte wäre. Ich muss hier raus. Ich kann das alles nicht mehr. Ich werde euch verlassen“, sagte Georg weinend, zog seine Jacke an und griff nach seinem Schlüsselbund. „Jetzt bleib doch hier, Georg“, sagte Nina beschwichtigend. „Nein, Papa, geh nicht“, weinten die Kinder. „Georg.“ Aber Georg lief bereits leicht taumelnd Richtung Ausgang. „Georg, du kannst so nicht mehr Autofahren.“ – „Ich werde auch nicht fahren. Ich laufe.“ – „Aber wohin denn?“ – „Papa, komm zurück“, bettelten die Kinder weiter. Aber Georg ließ sich nicht aufhalten. Es war schon spät. Die Dunkelheit hatte sich bereits über ihre Straße gelegt. „Mama, Papa soll zurückkommen. Mama, sag Papa, dass er zurückkommen soll!“, schrien nun Ida und Lars panisch im Chor. Eigentlich hätte sie ihren Ehemann einfach ziehen lassen sollen. Besser ein betrunkener Ehemann irgendwo auf der Straße als zuhause. Aber die Kinder flehten sie an. Also setzte sie kurzerhand ihre Kinder ins Auto. Im Schritttempo fuhren sie neben ihm her. „Nun steig endlich ein, Georg, komm schon. Komm nach Hause.“ Aber es war nichts zu machen. Er ging weiter, heulend, Sätze wie „ich halte das nicht mehr aus“ trieften aus seinem Mund, und irgendwann ließ sie ihn ziehen. Die weinenden Kinder im Auto. „Euer Vater wird schon wieder zurückkommen.“ Zuhause angekommen brachte sie Ida und Lars ins Bett. Die beiden kuschelten sich gemeinsam in eines und Nina las ihnen noch eine Gutenachtgeschichte vor.  Irgendwann waren sie endlich eingeschlafen. Und irgendwann in der Nacht kam auch Georg zurück. Am nächsten Morgen machte er für alle Pfannkuchen zum Frühstück, als ob nie etwas gewesen wäre. Die Kinder freuten sich, Ida saß auf dem Schoß ihres geliebten Papas und gemeinsam aßen sie Pfannkuchen mit Nutella.

Er und seine Prinzessin. „Du bist meine kleine Prinzessin“, sagte Georg stets zu Ida. Und Ida strahlte dabei immer über das ganze Gesicht. Er legte Wert auf ein gutes Äußeres, nicht nur bei sich selbst. So war es nicht verwunderlich, dass Idas kleine Füße schon früh in den teuersten Markenschuhen steckten oder in einem Designerkleid von Ralph Laurent Kids, ausgesucht von Georg für seine kleine Prinzessin. Und er mochte es, wenn sie gut roch. Er kaufte Nina und Ida daher immer Duschgel und Shampoo, dass er im wahrsten Sinne ebenfalls gut riechen konnte und erklärte der kleinen Ida, wie sie sich richtig und ausgiebig wusch, auch „untenherum“, damit sie „nicht stinkt“. Georg stellte sich dann vor die Dusche und sah seinem Mädchen zu, ob sie alles richtig machte. Irgendwann stand Ida fast täglich unter der Dusche und wusch sich an allen Stellen ausgiebig, damit sie „nicht stinkt“, wie sie selbst sagte. Ihre Mutter beobachtete die Entwicklung mit Sorge.

Nina wusste, auch ohne die klare Aussage des Kinderpsychologen, dass zu gehen der einzig mögliche Weg war, ihren Kindern noch einmal eine Chance zu geben, einigermaßen in Ruhe und Frieden aufzuwachsen. Aber dieser Weg war nicht einfach. Der Wohnungsmarkt war wie leergefegt und die wenigen Wohnungen, die es gab, völlig überteuert. Zudem war die finanzielle Abhängigkeit, in die sie sich selbst in den vergangenen 13 Jahre ihrer Ehe manövriert hatte, nicht zu leugnen. Die Kinder hingen zudem sehr an ihrem Zuhause, ihren Freunden. Georg sprach immer öfter davon, dass sie sich mit den Kindern „doch endlich verpissen sollte“, wenn wieder einmal der Haussegen schief hing. Er würde niemals ausziehen. Das wusste sie. „Und vergiss nicht, Nina, wenn du gehst: Die Kinder sind dann ganz allein Dein Problem.“ Er bezeichnete die Kinder damals regelmäßig als „Problem“. Für sie waren es Geschenke Gottes, um die sie sich gerne kümmerte, für die sie bereit war, alles zu opfern und sich freute, dass er sie nicht für sich beanspruchte, sondern dass sie mit ihr gehen durften. Schon als sie schwanger war, sollte sie stets abtreiben.  Georg mochte vielleicht nach außen so gewirkt haben, wenn er mit Lars auf den Fußballplatz ging oder Ida auf seinen Schoß hob, aber eigentlich war er kein Familienvater, sondern, wie er selbst sagte, ein „Lebemann“. Ständig auf Achse, ständig am Feiern, gerne in Hamburg auf der Reeperbahn unterwegs. Nina wusste auch, dass er ihr, wenn sie blieb, ihr das Leben immer mehr zur Hölle machen würde, bis sie nicht mehr konnte. Es sei denn, sie wurde wieder still, fügte sich, passte sich an.

Schon jetzt sprach er kaum mehr ein Wort mit ihr. Wenn sie am Wochenende zusammen aßen und Nina etwas sagte, drehte er sich demonstrativ in die andere Richtung. Bei Treffen mit Freunden reagierte er gar nicht mehr auf das, was sie sagte oder lachte nur über ihr „dummes GESCHWÄTZ.“ Vor den Kindern wies er sie zurecht: „Nina, du kannst gerne anderer Meinung sein als ich, aber dann behalte sie einfach für dich. Keiner interessiert sich dafür.“

Als sie endlich eine Wohnung gefunden hatte für sich und ihre Kinder, war sie innerlich so erleichtert, dass sie glaubte, schweben zu können. Sie würde wieder in Ruhe schlafen können, musste keine Angst mehr haben, in welchem Zustand er nach Hause kam, musste sich keine Sorgen mehr machen, dass er täglich mit ihr oder den Kindern aneinander geriet. Sie sehnte sich nach nichts mehr als nach Ruhe und Frieden. Sie würde Lavendel auf ihrer Terrasse anpflanzen. Und sich ins Gras legen, die Augen schließen und Gott danken, dass nun alles vorbei war.

Nina hatte keine Ahnung, dass nach dem Auszug nicht vorbei war. Im Gegenteil. Es war erst der Anfang. Und wenn sie gewusst hätte, welche Lawine danach auf sie zurollte und dass sie nicht nur ihr Zuhause verlieren würde, sondern noch so viel mehr, wäre sie nie gegangen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


2022: Häusliche Gewalt nimmt drastisch zu

Auch vor den Coronapandemiejahren war klar: Es gibt noch immer zahlreiche Fälle von häuslicher Gewalt in Deutschland. Auf dem Land, in der Stadt, quer durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch.[1]

Experten befürchteten einen dementsprechend starken Anstieg häuslicher Gewalt während der Corona-Lockdowns und den damit verbundenen Ausgangssperren. Die offiziellen Zahlen ergaben dann jedoch überraschenderweise ein anderes Bild: Mitarbeiter:innen von Organisationen wie etwa dem Weißem Ring oder von Frauenhäusern verzeichneten nicht wirklich mehr Notrufe in dieser Zeit, obwohl dies eigentlich zunächst befürchtet vermutet wurde.  Experten erklärten dieses letzten Endes überraschende Ergebnis damit, dass es vermutlich nicht weniger häusliche Gewalt gab, sondern dass die Opfer schlichtweg viel weniger Gelegenheit hatten, um Hilfe zu rufen, da sie mit dem Täter in einer Wohnung festsaßen. [2] 2022 kam dafür dann der Zahlenschock:

Nach dem Ende der Coronapandemie, ab dem Jahr 2022, schnellten die offiziell gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt um satte 10 Prozent nach oben. Das geht aus einem offiziellen Bericht des Bundeskriminalamtes hervor.[3] Als Gründe wurden unter anderem die Coronapandemie, die ihre Spuren hinterlassen hat, genannt, der aktuell tobende Ukrainekrieg sowie die hohe Inflation und der schnell voranschreitende Klimawandel. Noch nie gab es so viele große Krisen gleichzeitig. Überforderung, Ängste, vermeintliche Handlungsfähigkeit, Kontrollverlust und finanzielle Sorgen – manche Menschen greifen aufgrund derartiger Gefühle zur Flasche und / oder üben psychische oder physische Gewalt aus.

Die überwiegende Mehrheit der Täter ist männlich. Nach wie vor gibt es aber eine hohe Dunkelziffer an nicht gemeldeten Gewalttaten im häuslichen Umfeld.

Während es für Betroffene oft nicht nur schwierig ist, sich aus einer Partnerschaft, in der häusliche Gewalt herrscht, finanziell zu befreien – insbesondere, wenn Kinder mit im Spiel sind – ist es überdies für Betroffene schwierig, diese Beziehungstaten nachzuweisen. Täter lügen und manipulieren nicht selten vor Gericht und bei Sachverständigen, um selbst als Opfer wahrgenommen zu werden. Nicht selten findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, wodurch das eigentliche Opfer praktisch auch per Staats wegen nochmal abgestraft wird, etwa in Form von Kindesentzug. Das Problem ist nach wie vor eine große Unerfahrenheit hinsichtlich noch immer weit verbreiteter toxisch-narzisstisch männlich geprägter Familienstrukturen. Nicht selten leben Richter, Sachverständige, Anwälte und Gutachter selbst noch in einem derartigen Familienmuster. Dadurch werden solche Strukturen als „normal“ empfunden und die Person, die sich dagegen wehrt, als „sensibel“, wenn nicht sogar als „labil“ eingestuft.

Es gibt nach wie vor zahlreiche Gerichtsurteile deutschlandweit, in welchen Frauen abgestraft wurden und werden, wenn sie versuchen und versucht haben, sich selbst und ihre Kinder vor derartigen Verhaltensmustern zu schützen. Ihnen wurde und wird unter anderem Entfremdung hinsichtlich der krankhaft narzisstischen Peron vorgeworfen und teilweise dafür sogar in letzter Instanz das Sorgerecht entzogen.[4]

Ein gängiges Argument im Rahmen derartiger Sorgerechtsverfahren vor Familiengerichten lautet etwa: Wenn sich der Partner gegenüber dem Ehepartner gewalttätig verhalten und / oder diesen emotional missbraucht hat, muss er das nicht unbedingt bei den gemeinsamen Kindern tun. Daher sollten Kinder einen „normalen“ Umgang mit diesem Menschen pflegen (Fall Tina Windisch / Interview Bednarek oder Carola Wilcke).

Experten, die sich auskennen mit einem krankhaft-destruktivem, der so genannten malignen Form von Narzissmus, also der bösartigsten, weisen jedoch immer wieder darauf hin, dass es sich hier um ein kaum heilbares Krankheitsbild handelt. Diese Meschen handeln nicht nur krankhaft gegenüber ihrem Partner, sondern es ist ein gängiges Handlungsmuster zur Aufrechterhaltung von Beziehungen. Sie haben gelernt, durch Macht und Kontrolle andere Menschen an sie binden. Dieses Verhalten ist höchst kindeswohlgefährdend und sollte lediglich durch eine strikte Umgangsregelung in Form eines dauerhaften begleiteten Umgangs mit Sachverständigen gelöst werden. Absolut schädlich hiergegen ist, wenn derartig krankhafte Menschen ein massives Umgangsrecht erhalten beziehungsweise zu häufig sogar das alleineige Sorgerecht. Denn entweder verwahrlosen die Kinder bei derartigen Persönlichkeitsstrukturen und/oder werden isoliert in einem machtzentrierten autoritären Umfeld großgezogen, verlieren langfristig fast vollständig den Kontakt zu dem gesunden Elternteil, dessen Familie und Freunde und werden später entweder selbst zu Opfern oder Tätern, da das die einzige Überlebensstrategie ist, die sie gelernt haben. Dadurch weitet sich diese Familienform in der Gesellschaft noch weiter aus. Narzissten arbeiten bezüglich ihrer Kinder massiv mit Manipulation und Entfremdung gegenüber dem anderen Elternteil.

Es tut daher dringend Not, dass Jugendämter, Sachverständige, Gutachter und Richter die vermeintlich toxischen Strukturen frühzeitig erkennen und dementsprechende Lösungen in die Wege leiten, um Kinder optimal zu schützen. Die Kinder leben vermutlich ebenfalls mit einer hohen Wahrscheinlichkeit schon diese massive Form der Zuckerbrot-und-Peitsche-Beziehung mit dem kranken Elternteil. Hier ist es besonders wichtig, den Kindern wieder Selbstwert zu vermitteln und dass ihre Stimme und ihr Bauchgefühl wichtig ist, dass sie sich trauen, sich kritisch oder eigene Gedanken laut zu äußern, die nicht dem Willen des toxischen Elternteils entsprechen und dass sie darüber hinaus wundervolle, eigenständige Persönlichkeiten sind und kein Abziehbild des toxischen Elternteils, auch wenn dieser das gerne hätte.

Wenn man an häusliche Gewalt denkt, denken die meisten Menschen zunächst an Schläge, blaue Flecken, blaue Augen. Doch viel häufiger und mindestens genauso schädlich ist die psychische Gewalt, die in der derartigen Beziehungsmistern tagtäglich gelebt wird in Form von Unterdrückung, Abwertungen, dem Extremen Ausüben von Macht und Kontrolle, Erniedrigung und emotionaler Erpressung.

Emotionale Gewalt ist jedoch zum einen in der Regel schwerer nachzuweisen als physische Gewalt. Hinzu kommt, dass Außenstehende kaum nachvollziehen können, wie belastend diese Form von Gewalt für Opfer ist. „Wehr dich doch“, heißt es schnell. Oder: „Das würde ich mir nicht gefallen lassen.“ – „Die ist doch selbst schuld, wenn sie das mit sich machen lässt.“ Ich wähle hier bewusst die weibliche Form, weil Frauen prozentual häufiger betroffen sind von emotionaler Gewalt als Männer.

Experten raten Opfern nach einer Trennung von einem hochtoxischen Partner, idealerweise die größtmögliche Distanz aufzubauen und einen Kontaktabbruch. Viele ziehen weg. Wenn man Kinder mit einem solchen Menschen hat, ist das kaum möglich, droht durch einen derartigen Wegzug nicht selten erst recht der Verlust der Kinder, da Gerichte nach wie vor oftmals das konstant bleibende soziale Umfeld als wichtiger erachten als das Wohl des Kindes (siehe Fall Tina Windisch und Fall Eva Reinhardt, Frau zog weg und verlor deswegen beide Kinder), mit gesunden Menschen aufwachsen zu dürfen, ohne Manipulation und dem massiven Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip. Eine Beziehung zu einem toxischen Elternteil löst immer eine Achterbahnfahrt der Gefühle aus. Das Zuckerbrot-und-Peitsche-Spiel ist zwar nicht gut für die kindliche Psyche, aber bindet ungemein an den toxischen Menschen. Dadurch stellt sich mittelfristig das Gefühl ein: „Die Welt ist Chaos, es sind böse Menschen unterwegs. Aber bei Papa beziehungsweise Mama bin ich sicher. Auch wenn dieser / diese manchmal übergriffig wird / mich ständig abwertet / beleidigt / ausrastet und / oder mich häufig alleine lässt.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser wollte nach der Veröffentlichung der BKA-Zahlen bezüglich Häuslicher Gewalt im Jahr 2023 Opfer von Gewalt ermutigen, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber Betroffene wissen, dass das kaum möglich ist, ohne dass massive Konsequenzen des toxischen  Expartners drohen wie Strafanzeigen, Drohungen, Rufmord oder schlimmeres. Denn: Ein toxischer Mensch setzt (fast) alles daran, seinen polierten Ruf nach außen aufrechtzuerhalten. Dafür ist ihm fast jedes Mittel Recht.

Auch Familiengerichte werten den Gang in die Öffentlichkeit häufig als negativ und letztendlich schädlich für das Kindeswohl, etwa in dem schier unglaublichen Fall einer Akademikerin aus Bayern, der 2022 ihre beiden Kinder, darunter ein Säugling entzogen und dem Vater übergeben wurden, weil diese vehement behauptet hat, seine Frau, di sich von ihm getrennt hat, sei labil. Alleine diese Behauptungen, die alle mit diversen Gutachten widerlegt werden konnten, reichten aus, um dem Vater das Sorgerecht für beide Kinder zu übertragen. Die Frau ging mehrfach vor Gericht und wandte sich an die Presse. Dafür wurde sie jedes Mal gerügt. Und damit steht sie nicht alleine da. (Der Fall Margarethe Katz).[5]

Hinzu kommt, dass es nach wie vor auch im Jahr 2023 in Deutschland nach viel zu wenig Frauenhausplätze in Deutschland gib. Rund 14.000 Plätze fehlen laut dem ZDF bundesweit bereits aktuell im Jahr 2023.[6] Bundesinnenministerin Nancy Faeser setzt sich für weitere Plätze ein, doch bis diese geschaffen werden, wird es noch Jahre dauern. Zudem sind diese Plätze für die Hilfe suchenden Frauen auch nicht kostenlos. Frauen, die mit Kindern vor solchen Menschen flüchten, dürfen in der Regel nicht in ein Frauenhaus, das mehrere hundert Kilometer entfernt ist, sondern müssen in dem Kreis bleiben, in dem sie leben. Dadurch gibt es häufig mittelfristig eben doch kein Entkommen und damit keine Chance auf einen Neuanfang. Auf dem Dorf ist das häufig ein Problem. Denn: Anonym ist hier letztendlich niemand. Mit Kindern in ein Frauenhaus zu flüchten, das weiter entfernt ist, kann damit enden, dass der toxische Partner eine Strafanzeige wegen Kindesentzuges stellt und schlimmstenfalls am Ende dadurch das Sorgerecht zugesprochen bekommt.[7] Wir sprechen hier quasi von einem Teufelskreis. Das Opfer möchte mir ihren Kindern vor dem psychisch auffälligen Täter flüchten, darf aber dabei nicht zu weit weg gehen, sonst kann es sein, dass sie als Täterin gesehen wird, die ihrem Expartner die Kinder vorenthält.

Hinzu kommt: Bei Frauen, die im wahrsten Sinne grün und blau geschlagen wurden, ist die häusliche Gewalt offensichtlich. Bei emotionaler Gewalt herrscht teilweise noch große Unsicherheit, inwieweit Frauenhäuser hier Schutz bieten dürfen. Denn nachweisbar ist emotionale Gewalt kaum. Wir haben diverse Frauenhäuser bundesweit zu Recherchezwecken für dieses Buch im Jahr 2022 angerufen. Sieben von zehn Frauenhäusern waren zu diesem Zeitpunkt voll, konnten weder einen Platz anbieten, noch eine Alternative nennen. Ein Frauenhaus verwies auf einen freien Platz in voraussichtlich drei Tagen. Die Mitarbeiterin war sich aber nicht sicher, ob emotionale Gewalt „ausreiche“, aufgenommen zu werden. Wenn ein anderer „Fall“ dazwischenkommt mit einer „höheren Dringlichkeit“ werde man sich vermutlich diesem annehmen.  Eine Sachbearbeiterin eines weiteren Frauenhauses verwies darauf, dass ein Platz frei sei, dass man jedoch, wenn man Kinder mitbringe, in das Frauenhaus direkt in dem Kreis, in dem man wohnt, gehen müsse. Sonst könnte es rechtliche Probleme und Probleme mit dem Kindsvater geben. Eine Sachbearbeiterin eines weiteren Frauenhauses nannte, weil sie aktuell keine freien Plätze habe, weitere Kontakte, Anlauf- und Beratungsstellen für eine schnelle Lösung. Die möglichen Anlauf- und Beratungsstellen deutschlandweit werden am Ende dieses Buches ebenfalls gelistet. Das Problem: Es gibt zahlreiche Anlauf-, Beratungs- und Kontaktstellen für Frauen in Not, aber viele davon sind entweder ganz allgemein gehalten wie etwa Sorgentelefone oder aber so spezifisch, dass sie nur für einen bestimmten Kreis in einem Bundesland Ansprechpartner sind. Eine flächendeckende, einheitliche, erste Anlaufstelle mit einer guten Vernetzung zu den Angeboten in den einzelnen Bundesländern und Kommunen täte hier Not.

[1] https://www.gschwaetz.de/2020/03/09/doerrenzimmern-eine-frau-wurde-zu-boden-gestossen-getreten-und-gewuergt-andrea-buehler-spricht-ueber-haeusliche-gewalt-auch-auf-dem-land-ein-thema/

[2]  https://www.gschwaetz.de/2020/06/09/weniger-gelegenheit-sich-hilfe-zu-holen/

 

[3] https://www.gschwaetz.de/2023/07/11/kein-hartz-4-problem/

[4] https://www.gschwaetz.de/2023/05/03/hier-versagt-ein-ganzes-system/

[5] https://www.gschwaetz.de/2023/06/28/unglueckliche-kettenreaktion-loeste-vermutlich-derart-grossen-polizeieinsatz-aus/

[6] Zu wenig Plätze: Frauenhäuser am Limit – ZDFheute

[7] https://www.gschwaetz.de/2023/06/09/wenn-der-partner-die-kontrolle-ueber-den-anderen-partner-verliert-gibt-er-ihn-zum-abschuss-frei/