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Heilige oder Hure?

Kommt man in das Büro des Dekans des Hohenlohekreises, Dr.Friedemann Richert, in Künzelsau fallen einem nicht zuerst die vielen Bücher in der Bücherwand auf, sondern der menschliche Schädel, der da mittendrin thront. Echt ist er. Ein Geschenk, sagt Richert. Dieser Schädel habe ihn schon als Kind fasziniert. Schließlich durfte er das Ausstellungsstück mit nach Hause nehmen. Friedemann lächelt. Der menschliche Schädel. Der menschliche Geist. Eine Faszination für sich. Und so wie er sich fasziniert für diesen Schädel, so biblisch gelehrt ist Richert in diversen Themen die Kirche betreffend. Nun könnte man sagen, dass ist auch sein Job. Aber Richert liest nicht nur die Bibel, sondern auch Platon. Er ist geschichtlich bewandert. Und genau deswegen wollen wir von ihm wissen:

Wie steht er zu dem großen Artikel im Spiegel über Maria Magdalena als 12. Apostolin, als Gefährtin Jesu Christi, wenn nicht sogar Ehefrau und die jahrhundertelange Degradierung zur Hure seitens der Kirche?

Es gibt nichts Historisches über Jesus, weil es keine Rolle spielt

Nun, Herr Richert, was sagen Sie zu diesem Artikel?

Richert: „Wir müssen Folgendes verstehen: Die biblischen Schriften wurden im Jahr 302 in der Synode zu Rom zusammengelegt zu einem Kanon, die so genannte Synapse. Das sind die Schriften über Jesus Christus, Geschichten über ihn als Wunderheiler beispielsweise. Unter anderem steht darin, wie er aus Ton echte Täubchen zaubern konnte. In der Synode wurde gefragt: Was bringt den Glauben an Christus voran? Die Antwort: keine Texte, die soziogische oder kulturelle Dinge formulieren. Im Paulusevangelium finden Sie zum Beispiel überhaupt nichts Historisches über Jesus Christus, weil für den Glauben die Historie keine Bewandtnis hat.

Aber würden ein paar Fakten über das Leben von Jesus Christus nicht auch die Glaubwürdigkeit solcher Geschichten stärken?

Richert: Die Historie hat immer einen subjektiven Klang. Es gibt keine objektive Historie, weil auch Zahlen einer Interpretation bedürfen. Nehmen Sie nur einmal die Kreuzzüge. Damals im 12. / 13. Jahrhundert war es eine heilige Handlung. Aus Sicht der Muslime war es eine unheilige Handlung. Wer hat nun Recht? Das Wesen der Heiligen Schrift bestand nicht darin, zu beschreiben, wie groß Jesus Christus war, sondern es geht um den auferstandenen Christus. Es geht um die Wahrheit, die Botschaft, und nicht um die Wirklichkeit, um die Zahlen und Fakten.

Während der Regelblutung zogen sich die Frauen aus dem öffentlichen Leben zurück

Wieviel Wirklichkeit steckt denn in der Bibel?

Richert: Adam und Eva zum Beispiel sind keine realen Personen, sondern ein Sinnbild menschliches Lebens. Adam ist der aus der Erde gemachte Mensch, der sterben wird. Eva ist eine Lebensspenderin. Die Frau trägt die Gabe der Fruchtbarkeit in sich. Das zieht sich bis in die Neuzeit. In biblischer Tradition waren Frauen hoch geachtete Personen, die einer besonderen Hegung und einen besonderen Schutz benötigt haben. In der Antike gab es bei allen Völkern den Brauch, dass Frauen gestohlen wurden, um den Stamm ohne Inzucht zu erhalten und den Frauenmangel auszugleichen. Das siebte Gebot (Du sollst nicht stehlen) rührt daher. Durch die Regelblutung war der Frau die Möglichkeit eröffnet, sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen.

Geschah dies freiwillig?

Richert: Das war eine gewisse Form des Bestimmens, nicht, um sie auszugrenzen, sondern um sie vor Missbrauch und Arbeitslast zu schützen. Das war eine Achtung vor der Frau als Lebensspenderin. Eine hoch angesehene Frau konnte sich in ihre Gemächer zurückziehen. Die anderen versammelten sich in Hainen und wurden dort während ihrer Periode versorgt.

Nur Männer haben die Auswahl getroffen, welche Texte in die Bibel aufgenommen wurden und welche nicht

Wie sehen Christen Frauen?

Richert: Christen sagen, die Frau ist als Gottes Ebenbild genauso geschaffen wie der Mann. Die Gleichberechtigung kam durch die Aufklärung in der Neuzeit auf. Ein Beispiel, wie sehr das Christentum zur Ehrerbietung der Frau beigetragen hat: Das Sprichwort „Sitten wie im alten Rom“ kommt daher, dass die Frau damals verliehen werden konnte und zwar als Gebäherin anderer Kinder. Die Ehe war damals ein reines Versorgungsinsitut. Durch Kaiser Augustus kam die Ein-Ehe, die Monogamie wurde gesetzlich verankert. Die Frau wurde im Christentum immer als eigenständige, würdige Person beschrieben und nie funktionalisiert.

Maria Magdalena wurde aber schlechter gemacht, als sie eigentlich war. Sie soll laut dem Spiegel keine Hure gewesen sein, wie es in der Bibel steht.

Richert: Im Zuge des Frauenverleihens wurden damals Protestgeschichten geschrieben. In der Synode wurden viele Texte nicht in den biblischen Kanon aufgenommen, weil sie nicht dem biblischen Glauben dienlich sind. Sie sind unnütz. Da gibt es noch viel mehr Texte. Die sind aber alle frei zugänglich.

Hat man Jesus Christus in den biblischen Texten dann bewusst a-sexuell gehalten?

Richert: Es ist völlig belanglos, ob er verheiratet war. Denn es ist der Wahrheit nicht dienlich und zwar, dass Jesus Christus auferstanden ist, um uns von unseren Sünden, unserer Sterblichkeit zu erlösen.

Wer hat das damals entschieden? Männer?

Richert: Es waren tatsächlich nur Männer.

Wurde die Auswahl dann nicht unter einem sehr männlichen Blick getroffen?

Richert: Dieser geschlechtsspezifische Blick ist nicht dienlich. Die Gemeinschaft der Heiligen setzt sich aus beiden Geschlechtern zusammen. Bei der Frage nach der Dreieinigkeit (Vater, Sohn, Heiliger Geist) haben Frauen mitdiskutiert und die Männer haben es dann umgesetzt.

Die Sprache im Markus-Evangelium kann mit der Sprache der Bildzeitung vergleichen

Aber nochmal zurück zu der Frage nach Maria Magdalena. Wurde sie letzten Endes durch die Texte nicht schlechter gemacht als sie war?

Richert: Dieser Text wurde als Fälschung von der Wissenschaft festgestellt.

Der Artikel im Spiegel sagt etwas anderes. Aber gut. Wenn Sie sagen, dass historische Fakten nicht dienlich sind, um die Geschichte von Jesus Christus zu erzählen, warum wird dann Maria Magdalena als Freudenmädchen tituliert? Das hätte man doch dann ebenso weglassen können?

Richert: Im Paulus- und Johannesevangelium gibt es keine Anspielung dieser Art. Markus hingegen hatte ein sehr holpriges Griechisch, so eine Sprache könnte man heute mit der Bildzeitung gleichsetzen. Lukas hingegen wollte die Gebildeten der griechischen Gemeinde ansprechen. Er greift am meisten Frauenthemen auf. Das Problem bei den Texten über Maria Magdalena ist schlicht und ergreifend, dass es um Maria Magdalena geht und nicht um Jesus Christus.

Was wissen wir denn überhaupt über den historischen Jesus? War er verheiratet?

Richert: Über den historischen Jesus weiß man nicht sehr viel, ausser dass er Zimmermann war und aus einem gebildeten Elternhaus kommt, da er lesen und schreiben konnte. Er war Wanderprediger in Israel und Galiläa, was aber damals keine Seltenheit war. Auch Menschen zu heilen, war kein Alleinstellungsmerkmal.

Menschen zu heilen war kein Alleinstellungsmerkmal

Woher weiß man, dass er Gottes Sohn war?

Richert: Das ist der Glaube. Es ist keine Wirklichkeitsbeschreibung, sondern eine Wahrheitsbeschreibung.

Dekan Dr. Friedemann Richert war seit Oktober 2011 Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Künzelsau. Davor war er 13 Jahre Gemeindepfarrer in Singelfingen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter, darunter Zwillinge. Am 30. Juli 2023 wird er 64.