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Der Papst stirbt und keinen interessiert’s

Papst Franziskus ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Kardinal Kevin Farrell teilte am Ostermontag mit: „Heute Morgen um 7.35 Uhr ist der Bischof von Rom, Franziskus, in das Haus des Vaters zurückgekehrt. Sein ganzes Leben war dem Dienst des Herrn und seiner Kirche gewidmet.“

Treue, Mut und Liebe

Farrell weiter: „Er hat uns gelehrt, die Werte des Evangeliums mit Treue, Mut und universeller Liebe zu leben, insbesondere für die Ärmsten und Ausgegrenzten. In großer Dankbarkeit für sein Beispiel als wahrer Jünger des Herrn Jesus empfehlen wir die Seele von Papst Franziskus der unendlichen, barmherzigen Liebe Gottes, des Einen und des Dreifaltigen.“

Noch am Sonntag hatte Papst Franziskus auf dem Petersplatz in Rom den traditionellen Ostersegen „Urbi et Orbi“ gespendet. Zehntausende hatten sich versammelt, um ihrem Oberhaupt ganz nah zu sein.

Schwere Lungenentzündung

Der gesundheitlich schwer angeschlagene Papst wurde im Rollstuhl auf den Balkon am Petersplatz gefahren. Er litt seit Wochen an einer schweren Lungenentzündung und hatte auf einen Großteil der Osterfeierlichkeiten verzichtet.

Der Argentinier stand seit 2013 an der Spitze der katholischen Kirche mit weltweit 1,4 Milliarden Gläubigen. Er war der 266. Amtsträger. Er war bekannt für seine Hinwendung zu den Armen, Schwachen und Ausgegrenzten. Kurz vor seinem Tod besuchte er noch Häftlinge.

Fußwaschung für Häftlinge

Trotz seiner Schwäche, trotz seiner angeschlagenen Gesundheit lässt es sich der 88-Jährige nicht nehmen, zu denjenigen zu gehen, die am Rand der Gesellschaft stehen, die Außenseiter sind. In den Jahren zuvor hatte Franziskus Häftlingen stets die Füße gewaschen, der Ritus erinnert an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Die Fußwaschung war ihm in diesem Jahr nicht mehr möglich, aber dennoch war er dort, im Gefängnis.

Der Papst stirbt an Ostern – welch ein Sinnbild – und doch, scheint es die große Masse, zumindest wenn man auf social media schaut, nicht wirklich zu interessieren. Hier regieren auch nach dem Tod des katholischen Kirchenoberhauptes die Themen Osterausflüge, Trump und Urlaub.
Er wandte sich denen zu, die am Rande der Gesellschaft stehen
Das liegt mitnichten an Franziskus, der wie kaum ein anderer, sich wieder den am Rand stehenden zugewendet hat – in der heutigen Zeit würde man sich das auch von der Politik verstärkt wünschen. Und doch gingen viele seiner Taten unter, weil sich immer mehr Menschen von der katholischen Kirche abwenden. Ausschlaggebend für viele: Die zahlreichen Missbrauchsskandale und die nur notdürftige Aufarbeitung dergleichen. Auch eine Reform des Kirchenrechts für Gleichberechtigung stünde an, so dass auch Frauen Priesterinnen und – ja, sogar Päpstin werden könnten. Auch das Zölibat ist so veraltet wie die gesamte katholische Kirche.
So wird der Mitgliederschwund weitergehen und damit die Bedeutungslosigkeit der katholischen Kirche.



„Mir wurde zwei Jahre lang nicht erlaubt zu sprechen, mich frei zu bewegen oder aus dem Fenster zu schauen.“

Paris Hilton (43) setzt sich weiter gegen Kindesmissbrauch ein. Am Mittwoch (26. Juni) sagte die Hotelerbin vor einem Komitee des US-Repräsentantenhauses auf dem Kapitol in Washington D.C. aus und berichtete von den verheerenden Erfahrungen, die sie in ihrer Jugend in einem Internat machte. Bei der Anhörung ging es um das Wohlergehen von Kindern im US-Pflegesystem und anderen Jugendeinrichtungen.

„Ich weiß aus eigener Erfahrung, welchen Schaden die Unterbringung in Heimen für Jugendliche anrichtet“

„Als ich 16 Jahre alt war, wurde ich mitten in der Nacht aus meinem Bett gerissen und über die Staatsgrenzen hinweg in die erste von vier stationären Einrichtungen gebracht“, sagte Hilton vor dem House Ways and Means Committee.

„Zwei Jahre lang wurde ich mit Medikamenten zwangsernährt und von den Mitarbeitern sexuell missbraucht. Ich wurde gewaltsam festgehalten, nackt ausgezogen und in Einzelhaft gesteckt“, fuhr sie fort. Weiter sagte sie, ihre Eltern seien von den Einrichtungen „komplett manipuliert“ worden und hätten nichts davon gewusst, wie sie behandelt wurde.

Sie wolle eine Stimme für Kinder sein, die nicht gehört werden

Hilton sprach sich für umfassende Reformen des Systems aus und forderte eine Verbesserung der Standards für Jugendliche im Pflegesystem. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, welchen Schaden die Unterbringung in Heimen für Jugendliche anrichtet“, sagte sie. „Diese Programme versprechen Heilung, Wachstum und Unterstützung, aber stattdessen wurde mir zwei Jahre lang nicht erlaubt, zu sprechen, mich frei zu bewegen oder aus dem Fenster zu schauen.“ Sie wolle eine Stimme für Kinder sein, deren Stimme nicht gehört wird, so Hilton, die bei der Anhörung in einem glamourösen babyblauen Spitzenkostüm mit weißem Kragen gekleidet war.

Paris Hilton hat bereits mehrfach offen zu ihren Erfahrungen geäußert. Erstmals erhob sie die Anschuldigungen gegen die von ihr besuchte Provo Canyon School in Utah im September 2020 in ihrer YouTube-Dokumentation „This Is Paris“. Im Februar 2021 sagte sie zudem vor Gericht gegen die Einrichtung aus. In einem Video für die „New York Times“ erhob sie im Oktober 2022 erneut schwere Vorwürfe, beschuldigte unter anderem Mitarbeitende der Schule des sexuellen Missbrauchs.

Paris Hiltons erschütternde Offenlegung vor Gericht über Zwangsernährung mit Medikamenten und sexuellem Missbrauch verdeutlicht einmal mehr, welchen Stellenwert junge Frauen und ihr Körper in den 1990er Jahren noch hatten. Auch Britney Spears steht stellvertretend für die Nicht-Selbstbestimmung der Frau zu dieser Zeit nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Damals war es noch legal, wenn Ehemänner ihre Frau vergewaltigten. Auch Wolfgang von Stetten als damaliger Hohenloher Bundestagsabgeordneter sah Mitte der 1990er einen Unterschied darin, ob ein Fremder eine Frau vergewaltigt oder der eigene Ehemann, als es um mögliche Strafen für ein derartiges Vergehen ging.




„Emotionale Gewalt findet trotz ihrer verheerenden Auswirkungen nicht die nötige Anerkennung in der Gesellschaft als das, was es ist: Gewalt“

Macht – Missbrauch – Abwertung – Beleidigung – Emotionaler Missbrauch – unsichtbare Gewalt – Erpressung – Manipulation – Entfremdung – toxische Strukturen – Narzissmus – Selbstermächtigung – all diese Themen sind hochaktuell in unserer Gesellschaft und all diese Themen vereint der neue Roman von Dr. Sandra Hartmann.

Erschienen ist der Roman erstmals im September 2023, über 180 Seiten, eine Mischung aus Roman und Ratgeber mit dem Fokus auf die Frage: Wann fängt Gewalt an?

Dr. Sandra Hartmann bei der Vorstellung ihres neuen Buches im September 2023: „Es war mir ein Anliegen einen Roman über das Thema emotionale Gewalt zu schreiben, weil diese Form der so genannten „unsichtbaren Gewalt“ zwar die höchsten negativen Auswirkungen auf die Betroffenen hat, laut einer aktuellen Studie der Bundesregierung sogar noch höher als physische Gewalt, aber nach wie vor in unserer Gesellschaft nicht die nötige Anerkennung findet, die wichtig wäre, um strukturelle Veränderungen zu schaffen.“

Dr. Sandra Hartmann

Unser Weihnachts-Geschenk an Euch: Für jeden neuen Abonnenten (Halbjahres- oder Jahresabo) gibt es den neuen Roman von GSCHWÄTZ-Herausgeberin Dr. Sandra Hartmann ENTSCHULDE DICH anstatt für 19,90 Euro KOSTENLOS dazu. Das Angebot gilt bis 15. Januar 2014. Einfach nach Abo-Abschluss eine Mail (gschwaetz@gschwaetz.de) oder WhatsApp (0172/68 78 474) mit dem Stichwort: „Abo“ schicken. Dann erhaltet ihr das Buch.

Wer es ohne Abo kaufen möchte, schreibt einfach eine Mail an gschwaetz@gschwaetz.de oder eine WhatsApp (0172/68 78 474) mit dem Stichwort: „Entschulde Dich“

Inhalt

Nina verlässt Georg nach Jahren von Abwertungen, Beleidigungen, Manipulationen und Übergriffen. Doch mit dem Auszug beginnt erst der wahre Albtraum. Ein Roman über emotionalen Missbrauch vom Feinsten.

Rezensionen:

Beziehungscoach Claudia Herberger aus Hamburg: „“SICH AUS DER MANIPULATION ZU BEFREIEN, IST EIN ENORMER
KRAFTAKT, DENN ALLES, WAS MAN ÜBER EIN LIEBEVOLLES
MITEINANDER GELERNT HAT, FUNKTIONIERT BEI NARZISSTEN
NICHT. TROTZDEM GIBT ES WEGE, EINER FÜHRT ÜBER DIE
SELBSTERMÄCHTIGUNG. DR. SANDRA HARTMANN GELINGT EIN
ERSCHRECKENDER UND GLEICHZEITIG BERÜHRENDER BLICK
HINTER DIE NACH AUSSEN STRAHLENDE KULISSE EINER FAMILIE
IN DER HAND EINES GESTÖRTEN MANIPULATORS.”

 




„Wenn man sich trennt von einem Narzissten beginnt der Albtraum oftmals erst so richtig“

Innerhalb kürzester Zeit hat es Erika Schewsky geschafft, sich auf Instagram einen Namen als Narzissmus-Expertin zu machen. Über 18.000 Follower lesen Ihre Ratschläge und Tipps im Umgang mit Narzissten. Die 42-Jährige ist Mentaltrainerin und Buchautorin. Begonnen hat alles mit toxischen Strukturen in ihrem privaten Umfeld und der Lösung von diesen Strukturen, die auch mit schmerzhaften Verlusten verbunden war. Dr. Sandra Hartmann hat im Video-Interview mit Erika Schewsky über die grundlegenden Fragen rund um Narzissmus gesprochen: Woran erkenne ich einen Narzissten? Wie merke ich, dass meine Kinder manipuliert werden? Und: Können sich Narzissten ändern?

Kinder mit einem Narzissten – eine der größten Herausforderungen

Dr. Sandra Hartmann: Erika, zunächst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast für dieses Interview zu dem großen Thema Narzissmus. Das ist ja ein sehr weites Feld und wir werden heute sicher nicht alle Themen ansprechen können. „Kinder mit einem Narzissten“ – zu diesem Thema hast Du ja schon einiges veröffentlicht. Wenn man sich von einem Narzissten trennt und Kinder um Spiel sind, werden Kinder diese fast immer als Machtinstrument missbraucht. Sie werden häufig manipuliert und im schlimmsten Fall von dem anderen Elternteil entfremdet. Wir haben viele Betroffene in unserem LÖWINNEN-Netzwerk, die seit Jahren keinen oder nur noch minimalen Kontakt zu ihren Kindern haben. Woran erkennt man denn, wenn Kinder entfremdet werden oder wurden und wie kann man dagegen vorgehen?

Erika Schewsky: Eine sehr gute und sehr wichtige Frage, denn man glaubt immer, man würde das dann schon irgendwann merken. Das sei ein schleichender Prozess ist. Dem ist aber nicht so. Das Kind ist dem Vater oder der Mutter gegenüber dann auf einmal sehr negativ gestimmt. Es lässt nichts mehr an sich heran, möchte sich auch nicht mehr in den Arm nehmen lassen. Es ist kein Gespräch mehr möglich. Man merkt das auch, wenn die Kinder vom Umgang zurückkommen. Das Kind verhält sich frech, beleidigend, empfindet regelrecht Wut oder sogar Hass gegenüber dem anderen Elternteil. Sätze vom narzisstischen Elternteil werden übernommen und auch die Vorwürfe, die von diesem gegen einen selbst erhoben wurden. Wenn man versucht, den Sachstand richtigzustellen, stößt man beim Kind auf taube Ohren. Dann bekommt man, wenn überhaupt, nur als Antwort: „Du willst mir nur was einreden, mich belügen und mich täuschen. Du willst mich manipulieren. Ich glaube dir nicht. Ich will nichts hören von dir und“. Und natürlich sind diese Kinder auch häufig über das Handy ganz eng und beständig vernetzt mit dem narzisstischen Elternteil.

Dauerthema Manipulation und Entfremdung

Dr. Sandra Hartmann: Wenn Was kann man gegen derart massive Manipulationen tun?

Erika Schewsky: Wenn das Kind schon dicht gemacht hat, wird es sehr schwer werden, an das Kind wieder ranzukommen oder wieder Nähe zu schaffen. Und da hilft leider, leider, leider oft nur: akzeptieren und loslassen. Es bringt nichts, wenn man versucht, um ein Kind zu kämpfen, das schon entfremdet wurde, das eigentlich schon auf ja Gegenwehr oder gegen einen ist. Wenn man daran festhält und versucht zu kämpfen und zu kämpfen, geht man nur selbst daran kaputt. Man muss loslassen und Vertrauen haben in das Kind, dass es seinen Weg gehen wird, seine Erfahrungen machen muss und sich irgendwann auch wieder von selbst meldet, weil es sich Fragen stellt. So wie wir auch heute in unserer Generation. Wir stellen uns ja auch Fragen.

Dr. Sandra Hartmann: Manche Kinder lassen sich schnell manipulieren und entfremden, andere scheinen geradezu immun dagegen zu sein. Woran liegt das?

Erika Schewsky: Mit dieser Frage habe ich mich auch schon beschäftigt. Ehrlich gesagt bin ich da nicht wirklich so gezielt auf eine Antwort gekommen. Meine Hypothese war, dass viel eher die erstgeborenen Kinder manipulierbar sind. Ich habe eine Umfrage gestartet und auch aus meiner Arbeit mit Betroffenen stelle ich fest, dass das aber nicht so ist. Viel eher ist es so, dass narzisstische Menschen ihren Kindern emotionale Wunden zufügen und später dann genau an diesen Wunden lecken und diese Wunde mit Aufmerksamkeit stillen und ihnen dann einreden: Du bist die Nummer eins und ich bin für dich da. Die Kinder bekommen auf einmal Zuwendung und Geschenke, vielleicht all das, was sie bislang nicht vom narzisstischen Elternteil bekommen haben. Deswegen ist es so wichtig, sich vorher schon mit diesem Thema als Mutter oder Vater zu beschäftigen und vorbeugend präventiv zu arbeiten und sich wirklich von außen, auch von Experten oder Kinderpsychologen, Hilfe zu holen, um Kinder bestmöglich unterstützen zu können. Denn hinterher, wenn die Manipulation erstmal gegriffen hat, wird es sehr schwer werden, ein Kind wieder aus diesem Manipulationsnebel herauszuholen.

Begleitete Umgänge wären ideal bei derartigen Persönlichkeitsstörungen

Dr. Sandra Hartmann:  Wir hören in unserem LÖW:INNEN-Netzwerk viele Geschichten von Sorgerechtsverfahren, in welcher die Betroffenen oftmals kläglich scheitern beim Versuch, ihre Kinder vor einem krankhaft malignen Narzissten zu schützen. Manche verlieren dabei sogar ihre Kinder. Wenn wir über Manipulation und Entfremdungsmethoden bei Kindern sprechen, wäre es dann nicht am sinnvollsten, dass der Umgang zwischen Kindern und dem narzisstischen Eltern begleitet erfolgen müsste, also mit ausgewiesenen Experten, damit eben nicht diese Manipulations- und Entfremdungstaktiken angewendet werden können?

Erika Schewsky: Ich denke schon, dass das eine gute Option wäre, Kinder auf diese Weise auch zu schützen. Nur müsste diese Umgangsbegleitung jemand machen, der diese Manipulationen sofort durchschaut und erkennt. Da müsste wirklich intensiv geschult werden und aufgeklärt werden über diese narzisstische Persönlichkeitsstörung. Vor Gericht ist das nicht so einfach, oder beim Jugendamt einen begleitenden Umgangskontakt zu bekommen. Es ist insgesamt im deutschsprachigen Raum so, dass man oftmals eher  Täterschutz betreibt, wenn man das so nennen möchte. Man kann einen Elternteil, der sich so verhält, nicht dazu zwingen, dass er an sich arbeitet. Deswegen liegt es hier auch in der Verantwortung des betreffenden Elternteil, der das Kind überwiegend betreut, sich Informationen einzuholen, sich beraten zu lassen, was man selbst tun kann. Denn man kann ein Kind natürlich auch selbst unterstützen und ein bisschen schützen, auch in diesem Trennungsprozess oder im Sorgerechtsverfahren.

Wenn man sich trennt von einem Narzissten beginnt der Albtraum oftmals erst so richtig

Dr. Sandra Hartmann: Ein gängiger Aberglaube ist auch: Wenn man sich getrennt hat von dem Narzissten, hat man das Schlimmste überstanden.

Erika Schewsky: Das ist so richtig typisch. Gerade nach der Trennung können Manipulation und Missbrauch sogar erst noch ihren Höhepunkt erreichen. Das ist ein ganz typisches Verhalten von Narzissten.

Dr. Sandra Hartmann: Was raten Sie Betroffenen nach einer Trennung von einem narzisstischen Partner?

Erika Schewsky: Kommunikation sollte nur noch in Bezug auf die gemeinsamen Kinder stattfinden und das auch nur schriftlich und per E-Mail. Diese Kommunikationsform ist am wenigsten manipulierbar. Alles andere, sobald es um Immobilien oder Unternehmen geht, würde ich an die Anwälte delegieren und gar nicht mehr mit dem narzisstischen Ex darüber sprechen. Die Kommunikation sollte im Allgemeinen kurz, knapp und sachlich bleiben und so wenig wie möglich Erklärungen und Rechtfertigungen enthalten.

Die Klügsten, die Schönsten und die Erfolgreichsten

Dr. Sandra Hartmann: Da haben wir ja nun schon einiges über Narzissmus erfahren und das Wort Narzisst ganz oft benutzt. Woran  erkenne ich jemanden, der eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat?

Erika Schewsky: Dieses Wort wird heutzutage sehr leichtfertig und auch verwendet. Es ist ja quasi schon ein Modewort. Es ist nicht ausreichend, wenn sich eine Person nur etwas egoistisch verhält, schon von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu sprechen. Es geht ja auch gar nicht darum, Diagnosen zu erstellen oder Labels zu verteilen, sondern es geht darum, diese Manipulationsmaschen bekannt zu machen, damit man diese erkennen kann. Diese Mechanismen und Verhaltensmuster sind immer dieselben. Diese Menschen verkraften es nicht, wenn man Kritik übt oder wenn man antworten möchte. Sie möchten sich niemals festlegen, aber den anderen, den möchten sie immer festnageln auf Aussagen oder sofort Antworten haben. Sie verkraften es auch nicht alles, wen etwas oder jemand an ihrem Ego kratzt. Sie haben keine Schwächen, keine Fehler. Sie sind unantastbar. Sie sind die Besten, die Klügsten, die Schlausten, die Schönsten, die Erfolgreichsten. Und alle anderen können ihnen nicht das Wasser reichen  und sie wissen einfach auch immer alles besser. Auch lästern, über andere herziehen, Gerüchte streuen. Schmierenkampagnen, das alles ist ebenfalls typisches nazistisches Verhalten.

Dr. Sandra Hartmann: Oft rutschen Betroffene auch wahnsinnig schnelle in derartige Beziehungen. Man bekommt schnell Kinder mit einem Narzissten, zieht schnell zusammen, wird schnell finanziell abhängig. Und auch bei Trennungen scheinen es Narzissten darauf anzulegen, alles schnell und zu ihren Gunsten abwickeln zu wollen.

Erika Schewsky: Die Manipulationsart, die du beschreibst, nennt sich fast forwarding. Sprich: Alles muss schnell gehen. Die Betroffenen fühlen sich dadurch nicht selten unter Druck gesetzt. Teilweise werden sie auch erpresst. Wenn man jemanden überrumpelt, ist derjenige ist ja oft völlig überfordert in der Situation und weiß überhaupt nicht, was er machen soll. Man sollte in jedem Fall auch nie Entscheidungen treffen, wenn man besonders traurig oder besonders glücklich ist. Da trifft man meistens die falschen Entscheidungen.

Und da kommen sie auch schon angeflogen: die berühmt-berüchtigten Flying monkeys

Dr. Sandra Hartmann:  Und Also lieber nochmal ein paar Nächte darüber schlafen. Ein beliebtes Mittel, das Narzissten nach einer Trennung einsetzen, sind ja auch so genannte Flying Monkeys. Das heißt, der Narzisst entsendet Freunde, Bekannte und/oder Verwandte, um seine Ziele durch seine verlängerten Arme irgendwie umzusetzen. Woran erkennt man denn als Betroffener, dass es sich da um einen Flying Monkey handelt?

Erika Schewsky: Das ist sehr schwierig. Deswegen wäre ich da auch sehr vorsichtig, wem ich mich anvertraue. Ich würde meinen Kreis sehr klein halten und mich generell dazu nicht groß äußern. Wenn sich jemand bei mir melden würde, würde ich das direkt abblocken, wenn da irgendetwas kommt. Stattdessen würde ich freundlich darauf hinweisen: ,Ich freue mich, wenn du dich bei mir meldest und du mir von deinem Leben erzählst. Ich würde mir aber wünschen, wenn wir das Thema um meinen Exmann oder die Trennungssituation aus unseren Gesprächen raushalten, denn das ist eine Sache zwischen ihm und mir.‘

Frau Schewsky, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 




„Staatsanwaltschaft drückt ihr Bedauern gegenüber den insoweit vom unzulässigen Zugriff auf die Daten Betroffenen aus und bittet darum, diesen Zugriff zu entschuldigen“

Die Mainzer Polizei hat bei Ermittlungen zu einem Sturz mit Todesfolge ohne rechtliche Grundlage auf Daten der Luca-App zugegriffen. Das haben SWR-Recherchen ergeben. Der SWR hat diese Recherchen am 07. Januar 2022 veröffentlicht.

Bitte des Gesundheitsamtes um Datenfreigabe

Eine verantwortliche Mitarbeiterin der Gaststätte bestätigte dem SWR, dass Beamte der Mainzer Kriminalpolizei sie nach dem Vorfall aktiv nach Daten aus der Luca-App gefragt hätten – offenbar, um mit an diesem Abend Anwesenden sprechen zu können.

Später, so die Mitarbeiterin, habe sie dann via Luca-App eine Bitte des Gesundheitsamtes Mainz um Datenfreigabe bezüglich der am 29. November anwesenden Gäste erhalten. Dieser habe sie stattgegeben. Ein Gast an jenem Abend, mit dem der SWR sprechen konnte, berichtete, er sei am 20. Dezember von der Polizei in Mainz kontaktiert worden, mit dem Hinweis, dass seine Kontaktdaten via Luca-App gewonnen worden seien.

Nicht zulässig

Die Nutzung von Daten der Luca-App, die in vielen Gaststätten und Restaurants zur Corona-Kontaktverfolgung eingesetzt wird, ist unter anderem laut Infektionsschutzgesetz aus datenschutzrechtlichen Gründen für die Strafverfolgung unzulässig. Auch die Landesregierung Rheinland-Pfalz wirbt auf ihrer Website ausdrücklich damit, dass die anhand der Luca-App gewonnenen Daten nicht für die Strafverfolgung verwendet würden.

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Mainz dem SWR in einer schriftlichen Stellungnahme die Datenabfrage mit Hilfe der Luca-App bestätigt. Insgesamt seien so 21 potentielle Zeugen ausfindig gemacht und angerufen worden. Dies sei mit der entsprechenden Polizeibehörde abgestimmt gewesen und aufgrund einer fehlerhaften Bewertung des Infektionsschutzgesetzes erfolgt.

Tatsächlich gebe es für die Datenabfrage „keine hinreichende rechtliche Grundlage“. Man habe bereits den Datenschutzbeauftragten der Behörde informiert und beabsichtige, auch den Landesdatenschutzbeauftragten zu unterrichten. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Staatsanwaltschaft würden hinsichtlich der Rechtslage sensibilisiert.

Wörtlich heißt es weiter: „Die Staatsanwaltschaft Mainz drückt ihr Bedauern gegenüber den insoweit vom unzulässigen Zugriff auf die Daten Betroffenen aus und bittet darum, diesen Zugriff zu entschuldigen.“ Es werde sichergestellt, dass die entsprechenden Daten nicht weiter genutzt würden. Zudem habe die Staatsanwaltschaft eine Prüfung veranlasst, inwiefern in weiteren Ermittlungsverfahren auf Daten der Luca-App zurückgegriffen worden sei. Bisher sei kein weiterer Fall bekannt.




„Das Leben ist kein langer, ruhiger Fluss“

Am 27. Oktober 2021 hatte Künzelsau prominenten Besuch. Michael Reh, der in den Vereinigten Staaten erfolgreich als Modefotograf arbeitet, stellte im Rahmen einer Lesung sein Buch Katharsis in der gut besuchten Stadthalle vor. Darin verarbeitet er den sexuellen Missbrauch, den er in sehr jungen Jahren durch seine Tante erfahren hat. GSCHWÄTZ-Chefredakteurin Dr. Sandra Hartmann hat er anschließend in einem Interview im Hotel Anne-Sophie in Künzelsau von den Auswirkungen, die dieser Missbrauch auf ihn hatte, erzählt. Im ersten Teil ging es um seine Kindheit und wie er seine Erlebnisse verarbeitet hat. Im zweiten Teil erzählt er von seiner letzten Begegnung mit seiner Tante, den Gesprächsversuchen mit seinem Vater und wie es für ihn heute ist, eine Beziehung zu führen.

Gil Ofarim ist ein guter Freund von Michael Reh. Foto: privat

Auf einem Apfelbauernhof, 10 Kilometer vom nächsten Edeka entfernt

Michael Reh: Diese Lesung ist seit einem Jahr geplant oder sollte letztes Jahr auch schon stattfinden. Da saß ich dann da im Corona-Lockdown in Deutschland mit einer kleinen Reisetasche und konnte auch nicht weg. Ich hätte nach Amerika zurückgehen können. Da wäre ich aber dann vom Regen in die Traufe gekommen, Miami war ja Hochburg von Covid. Also bin ich zu einem Freund auf einen Apfelbauernhof gefahren, wo der nächste Edeka zehn Kilometer entfernt war. Dann habe ich ein neues Buch geschrieben, anstatt auf eine Lesereise zu gehen. Ein Nord-Krimi namens Asta, der aber auch durchaus nach Süddeutschland passt. Es ist aber nicht nur ein Krimi, in dem ein Serienkiller sein Unwesen treibt, sondern da geht es auch wieder um familiäre Strukturen und wie sie sich verändern. Da müssen sich auch die fiktiven Charaktere Dingen stellen, die müssen sich auch entscheiden, wie sie weitergehen, indem sie mit diesen Morden konfrontiert werden. Sie müssen sich hinterfragen: Was habe ich damit zu tun? Wie reagiere ich darauf? Ändere ich mich? Katharsis und Asta haben durchaus was gemeinsam. Es geht immer um Selbstfindung. Meine Figuren müssen sich in irgendeiner Form finden.

Auch Pamela Anderson hatte Michael Reh schon vor seiner Linse. Foto: privat

„Du kannst noch so weit gehen, es bleibt in dir drin“

GSCHWÄTZ: War das auch eine Art Selbstfindung, als du beschlossen hast, in die Vereinigten Staaten auszuwandern?

Michael Reh: Das war unbewusst. Es ist ja schon lange her. Aber vielleicht habe ich Distanz gesucht.

GSCHWÄTZ: Vielleicht auch eine andere Kultur, eine vermeintlich leichtere?

Michael Reh: Das ist keine leichtere, bloß eine andere. Leichter ist die nicht, die kommt nur leichter rüber, weil die Amerikaner kommunikativer im ersten Miteinander sind. Auch wenn die Deutschen immer sagen, die Amis sind oberflächlich – was sie auch sind –  aber es macht ein erstes Miteinander einfacher. Ich bin nach Amerika gegangen, bestimmt unbewusst, unbewusst, um weit weg zu gehen. Um diese Sache vielleicht zu verarbeiten. Aber du kannst noch so weit weggehen – bis ans Ende der Welt. Es bleibt in dir drin. Das heißt, die Verarbeitung muss irgendwann stattfinden, aber vielleicht war die Distanz erstmal hilfreich. Amerika war bestimmt oder ist immer noch extrem wichtig.

Beim Power-Yoga findet Michael Reh Ruhe, aus der er Kraft schöpft. Foto: privat

„Ich kann aus dieser Ruhe eine gewisse Kraft schöpfen“

GSCHWÄTZ: Ich habe gelesen, dass Du Yoga machst, um zu entspannen.

Michael Reh: Ja, ich mache sowieso sehr viel Sport, immer schon, mein ganzes Leben lang. Ich konzentriere mich dann in dem Moment, ähnlich wie beim Schreiben, ganz auf ein Thema, was gut für mich ist, und ich kann da aus dieser Ruhe und aus dieser Konstellation eine gewisse Kraft schöpfen, um wieder an die Themen des realen Lebens heranzugehen. Ich mache sehr viel Power-Yoga mit schnellen Abläufen, das ist schon ein richtiger Sport. Nach 90 Minuten kannst du dich auch da in die Ecke stellen, weil es so anstrengend ist. Aber das ist genau richtig für mich. Für meine Seele und für meinen Körper.

 

„Da habe ich sehr viel Zeit mit mir verbracht“

GSCHWÄTZ: Dir schreiben ja auch viele Überlebende. Schaffst du das, all die Zuschriften zu beantworten?

Michael Reh: In der Pandemie ja, da hatte ich die Zeit und habe fast alle beantwortet. Aber das war schon auch ein emotionaler Kraftakt. In dieser Zeit war ich ja sieben Monate auf dem Apfelbauernhof mit einem Hund und zwei Freunden in Deutschland. Da habe ich auch nicht viele Leute gesehen und hatte wirklich viel, viel Zeit, was ich ganz gut fand, dass ich viel Zeit hatte und Ruhe. Dann bin ich nach Miami zurück im September 2020 und dann war ich noch mal neun Monate durch Corona sehr by myself. Ich habe ein schönes Haus in Miami Beach mit einer Dachterrasse, das Meer ist nur drei Straßen entfernt. Man konnte auch sehr viel Fahrrad fahren. Aber trotzdem war da die Pandemie, es war Lockdown, da habe ich sehr viel Zeit mit mit mir verbracht und hab jeden Tag sechs Stunden geschrieben.

„Das hat mich kaputtgemacht“

GSCHWÄTZ: Welche Emotionen hast du denn all die Jahre mit dir herumgetragen? Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit? Vielleicht auch das Wort verzeihen, das im Raum steht?

Michael Reh: Das ist eine ganz wichtige Frage und eine gute Frage. Du musst bedenken, dass all diese Emotionen in den vergangenen 30 Jahren da waren, nur immer unterschiedlich ausgeprägt. Über allem liegt erst mal, wenn Menschen wütend sind. Also da ist die Wut und die ist wichtig, dass man erst mal wütend wird und sagt: Da ist mir was passiert, das war ungerecht, das war übergreifend, das hat mich kaputt gemacht. Man muss erst mal wütend sein, um aus dieser Wut Energie zu schöpfen. Dann muss man schauen: Was liegt unter der Wut? Da liegt dann oft die Trauer darüber, was mit einem passiert ist. Und die Trauer beinhaltet Mitgefühl, auch für sich selbst empfinden. Mitleid ist kein gutes Wort, Mitgefühl ist ein besseres Wort. Wir müssen auch darauf achten, was für eine Sprache wir benutzen, wenn wir an diese Themen herangehen. Überlebender. Mitgefühl. Nicht Mitleid. Nicht Opfer. Es ist ein langsamer Prozess. Es geht nicht von heute auf morgen. Man braucht Zeit. Aber da wir in einer Zeit leben, in der sich das Thema ein bisschen öffnet für die Öffentlichkeit, weil man mehr Literatur hat. Man kann sich im Internet schlau machen. Es gibt Menschen wie mich, die öffentlich darüber reden. Ich hoffe – es ist wirklich mein tiefstes Anliegen – dass ich irgendjemandem helfen kann durch das, was ich mache und das, was ich erzähle. All das hätte mir damals extrem geholfen, hätte ich da irgendwie so jemand gehabt, der gesagt hat: Mir ist das auch passiert. Ich bin nicht alleine auf dieser Welt. Das ist so extrem wichtig, weil man in Scham, Schande in die Isolation getrieben wird.

Michael Reh arbeitet in New York als Fotograf. Foto: privat

 

„Natürlich ist das schmerzhaft“

GSCHWÄTZ: Du hattest auch innerhalb deiner Familie einen schweren Stand damit. Da gibt es bestimmt auch den ein oder anderen Gedanken, dass man seinen Eltern vielleicht auch Vorwürfe macht diesbezüglich, dass sie da nichts gemerkt haben oder die Augen verschlossen hatten. Dein Vater hat eine ganz spezielle Rolle dabei eingenommen. Ist das immernoch sehr schmerzhaft für dich?

Michael Reh: Natürlich ist es das. Wir reden ja über mein Leben und nicht übers Wetter. Natürlich ist das schmerzhaft. Ich finde das ganz, ganz furchtbar. Das Thema des weggeschmissen Lebens, also, dass man nicht miteinander kommuniziert und deswegen kommuniziere ich ja auch, weil ich das nicht kenne und nicht gelernt habe früher. Und ich finde das so furchtbar. Mein Vater war ein traumatisiertes Kriegskind, ein Nazivater, missbraucht von einem Nachbarsjungen, missbraucht von einem Knecht. Und dann wird er auch noch von der gleichen Frau missbraucht wie ich. Und dann sagt er dir: Es ist es nicht passiert, du lügst. Was mein Vater Anfang der 90er Jahre gesagt hat, weil er es gar nicht aushalten konnte, der musste sich schützen davor und hat gesagt: Das gibt’s nicht. Der Junge ist schwer erziehbar. Und so weiter.

„Was glaubt ihr denn, was in der Pandemie los war?“

GSCHWÄTZ: Zweifelt man in einer solchen Situation nicht an seinem eigenen Verstand?

Michael Reh: Ich habe erst kurz nach seinem Tod erfahren, dass seine Schwägerin, meine Tante, die 18 Jahre älter war als er, ihn auch missbraucht hat. Nicht so wie mich. Nur kurz und ich glaube, es war auch nur ein- oder zweimal. Und dennoch, das hat damit nichts zu tun. Missbrauch bleibt Missbrauch. Also der Vater muss seinen Sohn opfern in dem Sinne, um seine Ruhe zu behalten. Es ist so ein schmerzhaftes Thema und es ist so, weil es eben die Familie betrifft, und der meiste Missbrauch findet innerhalb der Familie statt. Ganz ehrlich, was glaubt ihr denn, was in der Pandemie los war? Was wir noch gar nicht wissen. Die Weltgesundheitsorganisation geht von einer Million Überlebenden von sexuellem Missbrauch aus. Das wären heruntergebrochen zwei Kinder in jeder Schulklasse, die das erfahren.

„Man muss sich hinterfragen: Warum habe ich nicht zugehört?“

GSCHWÄTZ: Ich möchte gerne nochmal kurz auf deinen Vater zurückzukommen. Hast du dich jemals mit deinem Vater aussprechen können?

Michael Reh: Ich habe es versucht, ja. In den 1990ern das erste Mal. Da hat er gesagt: Das denkst du dir aus. 2004 ist er nicht gekommen. 2005 hatten wir eine Möglichkeit und haben uns getroffen, dann waren wir kurz in Kontakt. Dann ebbte das aber sehr schnell wieder ab, weil mein Vater auch merkte, dass ich natürlich auch eine Bedürftigkeit hatte nach einem Vater, obwohl ich ein erwachsener Mann war. Aber man bleibt ja Kind. Das konnte er nicht erfüllen. Und dann hat er mich besucht und das uferte dann so weit aus, dass ich wissen wollte, warum haben wir diesen Kontakt? Und er hat dann wieder angefangen und sagte: Du bist ein ungewolltes Kind deiner Mutter. Meine Mutter war bereits 15 Jahre tot. Also Eigenverantwortung übernehmen. Das ist ja auch schwierig. Und wenn jemand in der Familie einen Überlebenden hat, muss man sich hinterfragen: Was habe ich falsch gemacht? Warum habe ich nicht zugehört?

„Ich bin nicht mehr wütend“

Der erfolgreiche Modefotograf Michael Reh wurde als Kind jahrelang von seiner Tante missbraucht. Foto: GSCHWÄTZ

GSCHWÄTZ: Also er hat eigentlich versucht, durch psychische Abertung von seinen Problemen abzulenken?

Michael Reh: Einmal das und ich glaube, der konnte das alles überhaupt nicht aushalten. Das ist genau das gleiche, was meine Schwester jetzt macht. Ich habe eine Schwester, die ist ein Jahr älter, die macht das gleiche. Sie erträgt es nicht.

GSCHWÄTZ: Es ist bewundernswert, wieviel Verständnis du trotz allem noch für deinen Vater und deine Schwester hast.

Michael Reh: Das ist aber auch eine Geschichte, die sich entwickelt hat. Verstehen, Strukturen Prozesse erkennen. Warum handelt jemand, wieso handelt jemand so? Akzeptieren ist eine andere Sache. Bin ich wütend drüber? Nicht mehr. Ich weiß, ich kann was, warum soll ich wütend auf meinen Vater sein? Warum soll ich wütend auf meine Schwester sein? Es bringt ja nichts.

„Ich wusste, ich lass dich gehen“

Heute ist er nicht mehr wütend auf seinen Vater. Foto: privat

GSCHWÄTZ: Du hast mit deiner Tante abgeschlossen, es gab kein Gerichtsverfahren.

Michael Reh: Nein, das war damals verjährt. Ich konnte nicht zivil- oder strafrechtlich gegen sie angehen. Deswegen habe ich das Familiengericht angerufen. Da war kein einfacher Weg. Ich  weiß nicht, ob es Karma gibt, aber ich glaube an Energien zwischen Menschen, dass wir alle energetisch sehr miteinander verbunden sind. Ich komme aus einem kleinen Ort im Ruhrpott und da habe ich sie 2009 oder 2010 nochmal gesehen, an ihrem Schlafzimmerfenster, in dem Raum, wo sie mich missbraucht hat. Sie saß da, ich wusste, sie war im Rollstuhl, sie war auch schon leicht dement. Irgendwie kreuzten sich unsere Blicke und keine Ahnung, ob sie mich erkannt hat oder nicht. Aber das war der Moment, wo ich dachte. Nein, ich wusste, ich fühlte, ich lass dich gehen, weil ich kann dich nicht in mir behalten, wenn ich dich in mir behalte, frisst mich das auf und es ist wie Krebs und das möchte ich nicht. Ich lass dich gehen. Sie ist sieben oder acht Jahre später gestorben. Ich habe in der Nacht, bevor sie starb, geträumt, sie stirbt. Ich bin dann auch ein halbes Jahr darauf in in meinen Heimatort gegangen und wollte in diese Wohnung, in dieses Haus. Ich wusste nicht wie, denn sie war tot und ich kannte die Erben nicht. Das hat aber funktioniert, weil ich die Erbin dann traf. Zufällig an dem Tag, an dem ich in dem Ort war, vor dem Haus. Ja, das war schon a very spooky Situation. Ich habe also das ganze Haus noch mal mit ihr sehen können, weil ich wissen wollte, ob meine Bilder stimmen. Und die stimmten alle hundertprozentig.

„Du gehst aus dir raus, weil du es nicht erträgst“

GSCHWÄTZ: War das nicht auch so ein bisschen eine Schreckensbefreiung, noch mal da hinzugehen?

Michael Reh: Das war eine Bestätigung. Ich wollte wissen, ob meine Bilder stimmen von der Wohnung, von dem Gefühl, was die Wohnung hatte, wo was stand. Oder auch mein Unterbewusstsein, ob das mir Streiche spielt, das hat es aber nicht. Ich bin ja ein sehr visueller Mensch, bin ja Fotograf geworden, und es war alles noch genau so. Da stand das Telefon an der gleichen Stelle, die Couch, das Kreuz an der Wand. Es prägt sich alles ein. Du gehst ja, wenn das passiert, aus deinem Körper raus und projizierst dich im Gegenstand oder ein Objekt. Du gehst aus dir raus, weil du es nicht erträgst. Und ich hatte mich in so eine Puppe oder in das Kreuz mit Jesus an der Wand projiziert. Das heißt, da passierte nichts mit mir, sondern ich war abgespalten. Vereisung, Abspaltung, auch ein ganz ein großes Thema bei Missbrauch.

„Das hat mich extrem beeinflusst“

GSCHWÄTZ: Inwieweit hat es dann deine Sexualität geprägt danach?

Michael Reh: Da antworte ich mit einer Gegenfrage. Was glaubst du, wie deine Sexualität sich geprägt hätte, wenn du mit fünf oder sechs Sexualität als kriminell übergreifend, als Vergewaltigung und Todesdrohung empfunden hättest?

GSCHWÄTZ: Da ist vermutlich schon die Einordnung schwer: Was ist normal? Und wie müsste es sein? Auch wenn die Liebe der Eltern fehlt, dann in eine Beziehung zu starten und prinzipiell alles neu zu lernen.

Michael Reh: Wenn man es überhaupt lernen kann? Es gibt ja Liebe und Sexualität und Beziehung und Freundschaft. Das sind ja alles sehr unterschiedliche Begriffe. Ich würde mal sagen, es hat mich so beeinflusst, dass es natürlich schwierig war, Vertrauen zu fassen. Sexualität hat für mich unendlich viel mit Vertrauen zu tun. Früher konnte mich keinervon hinten umarmen. Da bin ich schon ausgeflippt. Beeinflusst hat mich das natürlich extrem.

„Das Leben ist immer Bewegung, Veränderung“

GSCHWÄTZ: Konntest du dann oder kannst du Beziehungen langfristig führen?

Michael Reh: Kurzfristig geht schon mal super (lacht). Langfristig ja, das geht auch. Ich bin seit neun Jahren allein und denke mir, schauen wir mal, was noch kommt. Das Leben ist kein langer, ruhiger Fluss. Das Leben ist immer Bewegung, immer Veränderung und und das ist das, was mir jeden Tag Hoffnung gibt oder meinen Pragmatismus nährt. Jeder Tag und das meine ich wirklich ernst. Ich stehe morgens auf und denke mir aber: Treffe ich auf was, das mich heute berührt? Das ist eine ganz große Lebensquelle für mich. Da muss man nicht durch die Welt touren oder jeden Tag in einer anderen Stadt sein. Das ist eher stressig. Sondern was passiert heute? Wenn es nur ein ganz kleiner Moment ist. So kleine Momente, bei denen ich denke: Ah! Was gelernt, was gefühlt, was verändert.

GSCHWÄTZ: Michael, ich danke dir für deine Zeit, die du dir für uns genommen hast, für das Interview. Und wenn Sie, liebe Leser:innen und liebe Zuschauer:innen, noch mehr erfahren möchten über das Thema oder wenn Sie selbst Hilfe brauchen oder Fragen haben, dann gibt es in Künzelsau eine Beratungsstelle, die heißt Infokoop. Die befindet sich am oberen Bach in Künzelsau und da stehen die Mitarbeiter:innen Ihnen immer zur Verfügung. Trauen Sie sich, haben Sie Mut.

Bücher von Michael Reh

Michael Reh hat bislang zwei Bücher geschrieben. Das erste heißt Katharsis. Darin verarbeitet der Fotograf den sexuellen Missbrauch in Romanform. Das zweite Buch von ihm heißt Asta. Es ist ein Kriminalroman, der ebenfalls innerfamiliäre Beziehungsebenen beleuchtet.

 

Der zweite Roman von Michael Reh, Asta, ist ein Krimi.

Ganz entspannt: Autor und Fotograf Michael Reh im Dialog mit dem Publikum. Foto: GSCHWÄTZ

Gut besucht: Lesung von Michael Reh ind er Künzelsauer Stadthalle, Foto: GSCHWÄTZ




Bild dir deine Meinung: Bild-Chef Reichelt missbraucht seine Macht – Das Spiel mit den jungen Praktikantinnen

Das Nachrichtenmagazin der Spiegel titelte am Dienstag, den 19. Oktober 2021: „Warum Julian Reichelt gehen musste.“

Persönliche Freude

Vorausgegangen waren Recherchen und Veröffentlichungen der US-amerikanischen Zeitung New York Times, die die Machtstrukturen hinter den Kulissen des wohl mächtigsten Boulevarblatts Deutschlands öffentlich machte. Dabei soll der nunmehr  vom Springer-Verlag gefeuerte Bild-Chefredakteur unter anderem mit diversen Praktikantinnen seine persönliche Freude gehabt haben und damit seine interne Macht im Verlag missbraucht haben. Was da hinter den Kulissen abging, schien im Verlag und unter den Mitarbeiter:innen ein offenes Geheimnis gewesen zu sein. Wer mit Reichelt schlafe, solle danach eine dementsprechende Stellenaufwertung erfahren haben, heißt es.

Von Hollywood direkt in die deutschen Redaktionsstuben

Die #Metoo-Debatte ist damit von Hollywood direkt in die deutschen Redaktionsstuben gehupft. Doch man darf sicherlich nicht so naiv sein, zu glauben, dass Reichelt diese machtmissbräuchlichen Spielchen am Arbeitsplatz erfunden hat.

Der böse Bube

Der Unterschied zu den vergangenen Jahren: (Ehemalige) Mitarbeiter:innen und Führungskräfte packen aus oder zeigen sich auch öffentlich solidarisch gegenüber den Opfern. Der öffentliche Druck hat zugenommen. Ein Kopf musste schließlich rollen. Der Springerverlag feuerte den bösen Buben Julian Reichelt. Undenkbar, dass Reichelt heute, wenn er auf die Bühne gehen würde, Standing Ovations erhalten würde – (wie das immerhin die Who-is-who-Hollywoordriege vor einigen Jahren Brad Pitt bei einer Preisverleihung gezollt hat – sein erster öffentlicher Aufritt nach dem Skandal um sein übergriffiges Verhalten gegenüber seinem Sohn Maddox).

Von Anfang an stand Reichelt in der Kritik – und erhielt Rückendeckung unter anderem von Kai Diekmann

Interessant wäre es nun, und ehrlich noch dazu, würde der Springerverlag nun machen, was ihm ureigen ist: recherchieren, welche ehemaligen Chefredakteure ihre Spitzenposition noch so zu ihrem eigenen Vorteil genutzt haben, wie es Reichelt getan hat – oder vielleicht auch nicht? Sogleich denkt man an den berühmten Kai Diekmann, der zuvor jahrelang die Geschicke von Bild geleitet hat.

Diekmann zeigte sich zunächst verständnisvoll

In einem Interview vom März 2018 zeigte sich Dieckmann verständnisvoll mit der neuen Führung Reichelt und verteidigt ihn, obwohl er damals bereits in der Kritik stand: Es sei, so Diekmann, „normal, dass sich Dinge erst setzen müssen“. Was Diekmann wohl heute zu Reichelts Verhalten sagen würde?

Das Patrichat in Deutschland jedenfalls hat solche machtmissbräuchlichen Strukturen gegenüber Frauen schon immer begünstigt. Fortschritt sieht anders aus. Aber die kritische öffentliche Debatte über Reichelts Verhalten ist schon mal ein Anfang.

Text: Dr. Sandra Hartmann

 

 

 




Eine Schande

Es ist einfach nur unglaublich, welches Urteil die Richterin am Amtsgerichts Düsseldorf am Donnerstag, den 29. April 2021, über Christoph Metzelder gesprochen hat. Der ehemalige Fußballstar ist in einem Kinderpornografie-Prozess zu einer Bewährungsstrafe von 10 Monaten verurteilt worden. Da kann der Glaube an unser Justizsystem schon mal ins Wanken kommen.

„Echte Reue“

Die zuständige Richterin begründet ihr Urteil laut dem Spiegel zum einen damit, dass der Angeklagte „echte Reue“ gezeigt hat. Und zum anderen, dass er nun auch in der Öffentlichkeit gebrandmarkt sei.

Tränenreiches Teilgeständnis

Vorausgegangen war tränenreiches Teilgeständnis und Bilder sowie Videos von dem PC des Angeklagten, die unter anderem Kinder zeigen, wie sie vergewaltigt beziehungsweise werden. Eine Zeugin sagte des Weiteren gegen Metzelder aus, nachdem der ehemalige Fußballstar ihr gesagt hat, dass er gerne mit ihr und einer sehr jungen Person Sex haben würde. Vor Gericht nun sagte Metzelder, er sei nicht pädophil. Er sei ja schließlich auch zu keinen Handlungen gekommen. Er weint, seine Stimme wird brüchig. Soll man etwa noch Mitleid mit diesem Mann haben? Ja, er ist hoffentlich gebrandmarkt für eine sehr lange Zeit in der Öffentlichkeit. Aber 1. hat er sich das selbst zuzuschreiben und 2. geht das auch Nicht-Promineten so. Das als strafmildernd gelten zu lassen, ist absoluter Humbug. Zudem: Öffentlichkeitswirksame Inszenierungen sind ehemaligen Fußballstars auch nicht ganz fremd. Inwieweit Metzelder einfach nur sehr gut geschauspielert hat vor Gericht bei seinem Geständnis, ist daher ebenso kritisch zu betrachten.

Das Opfer heißt nicht Christoph Metzelder

Fakt ist: Es sind eindeutig Grenzüberschreitungen hier geschehen und diese passieren nicht einfach so. Jemand hat nicht ohne Grund derartiges Material auf dem PC. Metzelder ist nicht das Opfer in einem medienwirksamen Prozess, er ist  der Täter. Die Opfer sind die Kinder auf den Fotos und den Videos. Und allein für diese jungen Opfer hätte es ein Urteil, zumal von einer Frau gesprochen, bedurft, das wesentlich härter ausfällt als das. Schon allein als Abschreckung für Wiederholungstäter.

Nicht nur die Fotos und Videos, die gefunden wurden, löst einen Würgereiz aus, sondern auch das beschämende Urteil. So beschützen wir in unserem deutschen Rechtsstaat sicher nicht unsere Kinder vor Triebtätern. Aber Hauptsache, es wandern Kiffer wegen Cannabisbesitzes ins Gefängnis.

Ein Kommentar von Dr. Sandra Hartmann

Symbolfoto. Quelle: adobe stock

 

 




„Ich habe ihm schlichtweg vertraut“

Beim Blick ins Publikum schüttelt der Angeklagte den Kopf. Seine Augen sind glasig, sein Blick ist leer. Die Reihen des zweiten Sitzungssaals des Landerichts Heilbronn sind am vergangenen Mittwoch, dem 24. Februar 2021, voll besetzt. Ein Lehrer der Waldorfschule in Waldenburg ist wegen schweren sexuellen Missbrauchs in zwei Fällen angeklagt. Die Staatsanwaltschaft sprach im Prozessauftakt von Vergewaltigung. Es geht um vermeintliche Vergehen, weswegen sich derzeit ein ehemaliger Lehrer der Waldorfschule in Schwäbisch Hall vor dem Landgericht Heilbronn verantworten muss. Am zweiten Prozesstag am Mittwoch, den 24. Februar 2021, sagte unter anderem ein Jugendsozialarbeiter der Waldorfschule aus.

„Ich habe ihm schlichtweg vertraut“

Als erster Zeuge sagt der Jugendsozialarbeiter der Waldorfschule aus. „Am 27. Juli kamen vier Mädchen auf mich zu und haben um einen Termin gebeten. Sie haben von Grenzüberschreitungen berichtet, die sie mit ihrem Klassenlehrer über die Jahre erlebt haben.“ Die „Grenzüberschreitungen“ gingen, laut dem Schulsozialarbeiter, von Kitzeln gegen den Willen der Kinder, Streicheln von Bauch-, Brust- und Intimbereich eines Mädchens, das über Bauchweh klagte, bis hin zu Tonaufnahmen von Schülerinnen und Drohungen. Die Übergriffe gipfelten, nach Aussage der Mädchen, 2016 in einem Vorfall im Schullandheim in Obersteinach. Dort habe der 63-Jährige das Opfer im Schlaf schwer sexuell missbraucht. Ein Blitzeinschlag in der Turnhalle habe den Missbrauch unterbrochen und der Schülerin die Möglichkeit gegeben, sich aus der Situation zu befreien.

„Das Mädchen wollte nicht, dass anderen Schüler:innen dasselbe widerfährt“

Die Mädchen hätten zwar Angst vor der Reaktion des Lehrers gehabt, sollte er von dem Gespräch mit dem Schulsozialarbeiter erfahren, denn sie schätzten ihn als unberechenbar ein. Allerdings habe sich das Opfer nichtsdestotrotz dazu entschieden, sich in diesem Fall Hilfe zu holen, um zu verhindern, dass der Angeklagte im neuen Schuljahr wieder eine erste Klasse übernimmt. „Das Mädchen wollte nicht, dass anderen Schülerinnen dasselbe widerfährt. Außerdem wollte sie, dass der Angeklagte zu dem steht, was er gemacht hat“, so der Schulsozialarbeiter. Der Angeklagte scheint sich seiner Schuld durchaus bewusst gewesen zu sein, denn er habe rund zwei Jahre nach dem Übergriff das Opfer zweifach darauf angesprochen, ob sie jemals ein unangenehmes sexuelles Erlebnis mit einem älteren Mann gehabt habe. Vermutlich um herauszufinden, ob sie sich an den Vorfall erinnere. Außerdem berichtet der Schulsozialarbeiter von einem weiteren Missbrauchsfall, in dem der Angeklagte einer Schülerin gegenüber übergriffig geworden sei, der allerdings schon 20 Jahre zurückliege. Eine Frau, die mit 16 Jahren vom Angeklagten sexuell missbraucht worden sei, habe sich im Laufe der Ermittlungen offenbart, um die Mädchen zu unterstützen. An der Waldorfschule gibt es keinen Handlungsleitfaden für den Fall des sexuellen Missbrauchs von Schüler:innen.

Der Angeklagte scheint sich seiner Schuld durchaus bewusst gewesen zu sein

Als zweiter Zeuge ist der Vater eines der Opfer geladen. Der Witwer sagt, seine Tochter habe ihn noch nie angelogen. Als er von den Missbrauchsvorwürfen erfahren habe, sei er wie betäubt gewesen. Der 63-jährige Angeklagte sei, laut dem Vater nicht nur der Klassenlehrer des Opfers gewesen, sondern auch eine absolute Vertrauensperson der Schülerin. „Auch ich habe ihm schlichtweg vertraut“, erzählt der 46-Jährige. Das Verhältnis zwischen Schülerin und Lehrer habe sich nach dem Vorfall im Schullandheim schlagartig verändert, was auch dem Vater des Mädchens aufgefallen sei.

Nach einem Bootsausflug

Die dritte Zeugin ist die Mutter des zweiten Opfers. Die Heilpraktikerin gibt wieder, wie ihre Tochter den Missbrauch geschildert hat: Das Opfer habe nach einem Bootsausflug 2014 bei dem Beschuldigten übernachtet. Er habe sich in ihr Zimmer geschlichen und sie im Schlaf missbraucht. Das Mädchen sei aufgewacht, in eine Art Schockstarre verfallen, und unfähig gewesen, sich zu bewegen. Erst nachdem der Angeklagte das Zimmer verlassen habe, habe sie sich wieder rühren können. Anschließend sei der Lehrer in das Zimmer des Mädchens gekommen und habe sie gefragt, ob sie schlecht geträumt habe.

Angeklagter ist fünffacher Vater

Ein Muster ist dahingehend zu erkennen, dass der angeklagte fünffache Vater nach beiden Taten versucht haben soll zu prüfen, ob die Mädchen sich an die mutmaßlichen Taten erinnerten. Im Gerichtssaal versucht er immer wieder mit Beispielen zu belegen, dass er ein gutes Verhältnis zu seinen SchülerInnen gehabt habe. Er suchte den Kontakt und sprach die Eltern der Kinder mit Vornamen an.

Am dritten März 2021 wird die Verhandlung fortgeführt.

Text: Priscilla Dekorsi

 

 

 




„Schwanz ab“ – Kommentatoren fordern teilweise drakonische Strafen

Die Kommentatoren auf unserer Facebook-Seite sind sich einig wie noch nie: Das Strafmaß von fünfeinhalb Jahren Haft, das das Landgericht Heilbronn im Falles des vielfachen Kindesmißbrauchs durch den eigenen Großvater in Dörzbach (wir berichteten https://www.gschwaetz.de/2020/07/30/gestaendnis-wirkt-sich-positiv-aus/

für angemessen hält, sei viel zu niedrig ausgefallen, ist einhellige Meinung. Das Rechtsempfinden wird von den Gefühlen geprägt, die eine solche Tat auslöst .

Kommentatoren fordern teilweise teils drakonische Strafen

Die einen verstehen das einfach nicht, andere fordern drakonische Strafen, von „Schwanz ab“ und „Aufhängen“ ist die Rede, beides Strafen, die es in unserem Land glücklicherweise nicht gibt.

Extreme Tat löst extreme Gefühle aus

Es ist leicht nachzuvollziehen, dass eine solche extreme Tat auch extreme Gefühle auslöst. Und selbst Herbert Reul, der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, hat sich vor zwei Jahren zu der bemerkenswerten Aussage „Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen“ hinreißen lassen. Selbstverständlich hat er das bald wieder relativiert, denn ein Innenminister, der das Rechtsstaatsprinzip durch ein „Rechtsempfinden“ ergänzen will, wäre untragbar.

Das „Rechtsempfinden“ ist ein Begriff, der mich an das „gesunde Volksempfinden“ erinnert: Ein Begriff, mit dem die Nazis jeglichem Terror den Anschein von Rechtstaatlichkeit geben wollten.

Anpassungsfähiges Rechtssystem

Das Gute an unserem Rechtssystem ist, dass es für einen Straftatbestand einen festgeschriebenen Strafrahmen enthält, der eine willkürliche Strafe verhindert. Genauso gut ist es, dass die Gesetze nicht für die Ewigkeit festgeschrieben sind und im parlamentarischen Verfahren an neue gesellschaftliche Gegebenheiten angepaßt werden können. So ist zum Beispiel der §175, der sogenannte „Schwulenparagraph“, nach mehreren Anläufen seit 1994 komplett gestrichen.

Kindesmissbrauch hat mittlerweile einen anderen Stellenwert bekommen in unserer Gesellschaft

Die Diskussionen nach Mißbrauchsfällen zeigen, dass die Gesellschaft offenbar dem Kindesmißbrauch inzwischen einen anderen Stellenwert zumißt, als das vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Bundesjustizministerin Lambrecht kündigte daher vor 2 Monaten einen Gesetzentwurf an, der für Kindesmißbrauch  härtere Strafen vorsieht. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass der derzeitige Strafrahmen – §176 des Strafgesetzbuchs spricht von bis zu 10 Jahren Haft – regelmäßig von den Gerichten nicht ausgeschöpft würde.

Ob es für eine nur schwer vorstellbare Tat wie den vielfachen Mißbrauch eines Kindes über Jahre hinweg, überhaupt eine „angemessene“ Strafe gibt?

Ein Kommentar von Matthias Lauterer zu dem Urteil im Prozess um den schweren sexuellen Missbrauch eines Großbaters an seiner Enkeltocher.