Wer von Künzelsau nach Langenburg fährt, sieht sie schon von weitem: bunte Zelte, Wohnwagenanhänger, Gehege mit Trampeltieren und Dromedaren, Ponys, einem großen Pferd und Lamas. Hinter einer Hofstelle im kleinen Örtchen Laßbach hat der Zirkus Quaiser sein Lager aufgeschlagen. An diesem sonnigen Nachmittag dösen Löwenmännchen Marcej und seine Gefährtin Manuschka tiefenentspannt in ihrem Gehege in der Sonne. Ab und an verschafft sich der Zirkusesel mit lautem Iah Gehör, die kleine Ponyherde galoppiert über die Koppel und mittendrin kräht die einjährige Scarlett fröhlich aus ihrem Buggy.
„Die Löwen haben hier die allerbeste Haltung, die wir ihnen bieten können“
Als Manolito Quaiser ins Löwengehege geht, kommt Leben in die Raubtiere. Brummend gehen ihm die beiden entgegen, reiben sich an ihm wie zu groß geratene Hauskatzen und lassen sich kraulen. „Löwen muss man lesen können, sie zeigen schon Tage vorher, wenn sie ein Problem haben“, erklärt Manolitos Frau Nikita. „Hier haben sie die allerbeste Haltung, die wir ihnen bieten können.“ Um die Löwen halten zu dürfen, hat der Juniorchef eine einjährige Ausbildung mit Schulungen in Sachkunde, Praktika im Tierpark und anschließender Prüfung durchlaufen müssen. Auch ein polizeiliches Führungszeugnis musste er vorlegen. „Es wurde geprüft, ob dieser Mensch physisch und psychisch in der Lage ist, mit diesen Tieren umzugehen“, sagt Nikita Quaiser. „Es ist ein mächtiger Werdegang, bis man das hat“, ergänzt er. Aber er sei schließlich damit aufgewachsen. Fremden würde er einen Besuch im Löwengehege nicht empfehlen, auch wenn die Tiere noch so friedlich wirken. „Das wäre eine haarige Sache“, erklärt der 28-Jährige. Um die Löwen zu trainieren, sei „sehr, sehr viel Zeit und Futter nötig“. Jedes Tier habe seine Talente, auf die er bei der Dressur eingeht und daraus ergeben sich dann die jeweiligen Tricks: „Die Löwin ist so begabt, die muss man fördern. Aber der Löwe ist faul, mit dem mache ich eher Schmusetricks“. Täglich trainiert er mit den Löwen mindestens eine Stunde lang. Dafür gibt es eigens ein Trainingsrund, ansonsten verdösen die etwa 17 und 15 Monate alten Tiere 23 Stunden am Tag. „Die sind jetzt in einem lernwichtigen Alter, sind neugierig und wollen lernen“, so der Besitzer.
Stillstand seit Frühjahr 2020
Eigentlich war der Aufenthalt der Zirkusleute hier oben nur als Winterquartier gedacht. Die 13-köpfige Zirkusfamilie, die schon das vierte Mal auf dem Hof ist, wollte noch einen Weihnachtszirkus zeigen und im Frühjahr 2020 wieder auf Tournee gehen – durch Süddeutschland, den Schwarzwald und an der Schweizer Grenze entlang. Doch Corona machte alle Pläne zunichte. Seit Oktober 2019 nun hängen die Menschen und ihre Tiere hier fest und ein Ende ist nicht in Sicht. „Wir hatten ein teures Hygienekonzept erstellt und die entsprechende Ausrüstung eingekauft“, blickt Nikita Quaiser zurück, die selbst Luft-Akrobatik und eine Taubennummer zeigt. „Und obwohl das streng kontrolliert wird, konnten wir auch im vergangenen Sommer nicht auftreten.“ Nur für karge zwei Wochen hätten sie ihre Künste zeigen dürfen. Aber in der kurzen Zeit hätte sich das nicht wirklich gelohnt. Weil sie die ganze Zeit auf einen richtigen Re-Start hofften, hatten sie ihre Fahrzeuge, Lkw und Zugmaschinen nicht abgemeldet. „Wir wollten keine Zeit vergeuden mit Neuanmeldungen unserer Fahrzeuge, sondern gleich durchstarten, sobald es erlaubt ist.“ Im Moment leben Menschen und Tiere von Hartz 4. „Das reicht nicht zum Leben und nicht zum Sterben“, zieht Manolito Quaiser ein bitteres Fazit.
Sparen bei den Tieren kommt nicht infrage
Die beiden Löwen fressen jeweils 15 bis 20 Kilogramm Fleisch – täglich. Ein ausgewachsenes Löwenmännchen bringt es auf satte 300 Kilogramm Gewicht. Macaj wiegt momentan geschätzte 120 Kilogramm. Drei Rundballen Heu, Zuckerrübenschnitzel, Bruchmais und Quetschhafer bekommen die anderen Tiere jeden Tag. Hinzu kommen Lecksteine, die nach zwei Wochen auch schon wieder weggeschleckt sind. Doch sparen an den Tieren kommt für die Zirkusleute nicht infrage. „Diesen Standard sind die doch gewohnt“, erklärt der 28-Jährige. Überhaupt steht das Wohl der Tiere bei den Zirkusleuten an vorderster Stelle: „Wir bringen unseren Tieren nichts bei, was sie in der Natur nicht auch machen würden.“ Mit Zwang gehe gar nichts.
„Die Kinder machen von klein auf mit“
So sei es auch bei den Kindern. Zur Familie gehören noch Scarletts ältere Geschwister Roberto und Giuliana, die endlich wieder in den Kindergarten dürfen. „Die Kinder machen von klein auf mit, je früher, desto besser“, erzählt ihre Mama Nikita. „Doch das geht nicht von uns aus.“ Die Kleinen würden trainieren, ohne dass ihre Eltern viel mitbekommen. Dabei übt sich jedes in dem, was es interessiere. Wie jeder im Zirkus machen auch sie das, was sie können. „Sie sehen doch alles, erleben die verschiedenen Aspekte der ganzen bunten Zirkuswelt.“ Die Kinder imitieren die Erwachsenen. „Die müssen einfach machen.“
„Momentan ist alles in der Warteschlange“
Auch die Zirkusleute müssen jeden Tag trainieren. Doch es fehle die Manege, denn das große Zirkuszelt konnten sie aus Platzmangel nicht aufbauen. Training im Wohnwagen mache jedoch keinen Spaß, Luftakrobatik geht dort gar nicht, da landet man ganz schnell an der Decke. „In der Manege riecht es nach Sägespänen und man kann die Musik laufenlassen“, beschreibt Manolito Quaiser die so ganz andere Atmosphäre im Zirkusrund. „Da trainiert man zwei Stunden und merkt es gar nicht.“ Momentan sei alles in der Warteschlange. Die Arbeit staut sich, vor allem die Ausbildung der Tiere. „Die können sich in einem kleineren Zelt nicht richtig ausleben, der Bewegungsradius ist eingeschränkt und sie kapieren auch nicht, was ich von ihnen will“, so der Zirkus-Chef. Jetzt seien die Tiere halt viel draußen, um wenigstens ein bisschen Abwechslung und Bewegung zu bekommen. Langweilig wird es den Zirkusleuten trotzdem nicht – die Tiere machen auch neben dem Training viel Arbeit. Sie müssen gefüttert und die Ställe ausgemistet werden. Jetzt im Frühjahr steht der Fellwechsel an. „Sobald ich bei den Trampeltieren, Dromedaren und Lamas mehr Haare rausziehen kann, werden die Tiere geschoren“, sagt der Besitzer.
„Es gibt Gewinner und Verlierer in dieser Krise“
Vielleicht im Spätsommer, so hofft die Familie, können sie wieder auftreten. „Wir lieben es, unserem Publikum unsere Freude zu zeigen“, betont Nikita Quaiser. Aber leider sei der Zirkus das Ende der Nahrungskette: „Es gibt keine Hilfe für uns.“ Viele andere Zirkusse hätten schon aufgegeben – „da gehen ganze Existenzen zugrunde“. Hinzu kommt: Ohne das große Zirkuszelt können die Leute ihre Ausrüstung nicht restaurieren. „Sonst wird jedes Teil mindestens einmal in der Woche in die Hand genommen, da sieht man sofort, ob etwas repariert werden muss“, erklärt die dreifache Mutter. „Es gibt Gewinner und Verlierer in dieser Krise“, ist die 26-Jährige überzeugt und fragt sich: „Wieso dürfen alle ins Kaufland und andere dürfen nicht öffnen und nicht arbeiten?“
Aufgeben ist keine Option
Doch Aufgeben komme für sie nicht in Betracht: „Diesen Zirkus gibt es seit 200 Jahren“, sagt Manolito Quaiser. Damals war das noch ein ganz kleiner Zirkus, in das heutige Zelt passen rund 1.500 Zuschauer. „Wir sind jetzt in der neunten Generation, da hört man nicht so einfach auf.“ Er atmet tief durch und schaut etwas ratlos in die Ferne: „Was sollen wir sonst tun, wir haben doch nichts gelernt?“ Die einzige Alternative sei für ihn, den „Knecht im Tierpark zu machen“. Bis jetzt sei es immer weiter gegangen, auch wenn es schon vor Corona nicht immer einfach war. „Wir haben während der Tournee schon bei der Anfahrt zu einem neuen Ziel rund 3.500 Euro Ausgaben, bevor wir überhaupt auftreten“, erklären die Zirkusleute. Dazu gehören die Kaution für den jeweiligen Platz, Anschlusskosten für Strom und Wasser, Versicherungen für die Fahrzeuge, Reklame für die Auftritte: „Man fürchtet sich vor unerwarteten Kosten.“
Unterstützung von den Hohenlohern
Nikita Quaiser trotz der prekären Situation noch das Gute: die Unterstützung der Menschen aus dem Ort und der Umgebung. Immer wieder kommen Leute vorbei, die Sach- oder Geldspenden abgeben wollen. Sie zahlen keine Miete für den Platz auf dem Hof, lediglich Wasser und Strom. Bei ihrem ersten Aufenthalt in Laßbach sei sein Vater im Krankenhaus gewesen, musste operiert werden. „Wir wollten in der Nähe bleiben und waren auf der Suche nach einem Platz“, erinnert sich Manolito Quaiser. „Der Besitzer hat sofort ja gesagt.“ Jetzt sind sie zum vierten Mal in Folge hier. Beim ersten Mal hätten die Nachbarn noch Angst vor ihnen gehabt, doch dann hätten sie an den Festen im Ort teilgenommen und dem Hofbesitzer beim Aufbau einer Landwirtschaftshalle geholfen. So hätte man sich kennengelernt und es sei eine Art Gemeinschaft entstanden.
Spendenaufruf
Die Familie Quaiser kann es kaum erwarten, dass sie wieder auftreten dürfen. „Sobald es heißt, dass wir wieder dürfen, steigen wir ein und fahren los.“ Bis es so weit ist, ist jede Hilfe und Unterstützung willkommen. Vor allem ist die Familie auf der Suche nach einem Platz mit Wasser- und Stromanschluss, wo sie ihr großes Zirkuszelt aufstellen können. Die Tiere freuen sich über Spenden von Heu, Stroh, Kraftfutter und Mineralsteine. Fertig gepackte Beutel mit Äpfeln oder Karotten aus dem Supermarkt werden auch gerne angenommen. Wer nicht einkaufen gehen möchte, kann auch einfach Geld spenden. „Alles hilft“, erklärt Nikita Quaiser. Wer den Zirkus Quaiser unterstützen möchte, sollte vorher die Zirkus-Hotline 0157/5218 0315 anrufen.
Text: Sonja Bossert
Löwenmännchen Macaj ist noch in der Wachstumsphase. Foto: GSCHWÄTZ
Auch Trampeltiere und Lamas gehören zum Zirkus Quaiser. Foto: GSCHWÄTZ
Neben den Löwen ist der schwarze Hengst der ganze Stolz des Zirkus-Chefs. Foto: GSCHWÄTZ