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WM 2022: Die Welt verkauft sich an Katar

Eigentlich war es ein schönes Zeichen: Beim WM-Mannschaftsgruppenfoto von Deutschlands Nationalmannschaft vor dem Gruppenspiel gegen Japan hielten sich die Fußballer die Hand vor den Mund – als Zeichen einer nicht beziehungsweise kaufm existierenden Meinungsfreiheit in diesem Land, getreu dem Motto: „Wir lassen uns nicht den Mund verbieten.“ Aber eigentlich haben sie es doch getan.

„Wir lassen uns nicht den Mund verbieten“

Denn der Grund hierfür war, das Torwart und Mannschaftskapitän Manuel Neuer die One-Live-Binde beim Spiel gegen Japan tragen wollte als Zeichen gegen die Diskriminierung von Minderheiten und für  Tolanz gegenüber jedem, auch jedem Geschlecht, jeder Rasse und auch gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe. Das diesjährige WM-Austragungsland Katar verbot das Tragen dieser Binde unter Androhung von Kosequenzen. Neuer verzichtete daraufhin. Er und seine Mannschaft brachte aber als Reaktion darauf die auf ewig und vor der Weltöffentlichkeit zur Schau gestellte Geste mit der Hand vor dem Mund.

Auf ewig festgehalten

Auf Twitter, nach der Niederlage der Deutschen gegen den Underdog Japan, wurde daraufhin gespöttelt, dass Neuer auch gleich die Binde hätte tragen können. Dann wäre er eben schlimmnstenfalls gesperrt gewesen und Deutschland hätte schlimmstenfalls verloren. Denn letzten Endes haben die Deutschen das Spiel ja auch mit Neuer verloren.

Konsequenter wäre tatsächlich gewesen, die OneLove-Binde einfach zu tragen und nicht einzuknicken gegen ein Land, in dem Menschenrechte, die bei uns zu Lande gelten, nicht viel wert sind. Zu oft haben wir in der Vergangenheit unsere Werte schon durch die Hintertür verkauft, um im nächsten Moment durch Symbolpolitik etwas Schadensbehebung zu versuchen.

Keine Konsequenzen für niemanden

Konsequent wäre es gewesen, die WM erst gar nicht in einem solchen Land austragen zu lassen oder zumindest dafür zu sorgen, dass die Menschenrechte, etwa bei den Stadionbauten, verteidigt werden, bei welchen Tausende unter elenden Bedingungen starben. Konsequenzen? Keine. Aber die FIFA ist ja bekannt dafür, dass es keine Konsequenzen für gar niemanden gibt. Der Rubel muss rollen. Das scheint das einzige zu sein, was zählt.

Respekt für die deutsche Innenministerin Nancy Fraser

Man darf daher dieses Gruppenfoto auch nicht zu klein reden. Sicherlich gebührt der Mannschaft und dem Deutschen Fußballbund dafür Respekt, denn ansonsten versteckt sich der DFB gern hinter der FIFA, wenn es darum geht, eigene Entscheidungen zu treffen. Nun sind die Deutschen etwas ausgeschert. Sicherlich haben sie und der DFB dafür einem ordentlichen Druck hinter den Kulissen standhalten müssen. Während viele Politiker:innen auch anderer westlicher Nationen auf den Zuschauerrängen ebenfalls auf das Tragen der OneLove-Binde verzichtet haben, nachdem Katar diese verboten hat, hielt die deutsche Innenministerin Nancy Fraser daran fest. Auch dafür gebührt ihr Respekt.

Einwohner:innen Katars kritisieren Gruppenfoto der Deutschen

Auf Twitter indes äußern Fußballfans und Einwohner:innen von Katar Unverständnis für das deutsche Gruppenfoto, denn dem Austragungslang gegenüber sollte man schließlich Respekt zollen und die Werte, die dort vorherrschen, akzeptieren. Aber es sind nicht unsere Werte. Wir haben so lange für Gleichberechtigung, Gleichbehandlung und Toleranz gekämpft, dass wir doch jetzt nicht für einen rollenden Ball alles über Bord werfen werden, oder?

Ein Kommentar von Dr. Sandra Hartmann




Wen interessiert’s?

„Wir, Menschen auf der ganzen Welt, fordern Sie auf, der Forderung zahlreicher Menschenrechtsgruppen nachzukommen und die verheerenden Folgen der Fußballweltmeisterschaft in Katar für Hunderttausende von Migrant:innen anzuerkennen, einschließlich der unzähligen Menschen, die für die Profite der FIFA sterben mussten. Wir bitten Sie nicht nur um Worte, sondern um die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für die Opfer in Höhe von 440 Millionen Dollar – dem Betrag, den die FIFA an die Siegermannschaften auszahlen will“, heißt es in einer Online-Petition von diversen Menschenrechtsorganisationen mit dem Titel: „Lasst die FIFA nicht von Missbrauch profitieren.“ Insgesamt 698.515 Unterschriften aus der ganzen Welt sind bereits für diese Forderung zusammengekommen. 750.000 sollen erreicht werden.

So politisch war bislang noch keine WM

Am Sonntag, den 20. November 2022 startet die WM in Katar – eine außergewöhnliche WM, nicht nur, weil sie im Winter stattfindet und es statt Bier vielleicht mehr Glühwein zu trinken gibt. Sondern auch, weil wohl kaum eine WM so politisch war wie diese in Katar.

Mindestens 6.500 Tote

Vorausgegangen sind Stadionbauten, bei denen zahlreiche Menschen unter widrigsten Bedingungen gearbeitet haben ud teilweise auch dabei zu Tode gekommen sind. Mindestens 6.500 Menschen sollen unter den widrigen Arbeitsbedingungen gestorben sein. In der Petition heißt es hierzu: „Stellen Sie sich vor, Sie wären so verzweifelt auf der Suche nach Arbeit, dass Sie Ihre Familie zurücklassen, um in einem dreckigen Zeltlager zu leben und der Wüstenhitze für nur einen Euro pro Stunde zu schuften. Dann sterben Sie ganz allein und Ihre Familie erhält nichts. Stellen Sie sich vor, dass diejenigen, die Sie wie einen Sklaven behandeln, Milliarden scheffeln, während Ihre Hinterbliebenen immer tiefer in die Armt abrutschen.“

DFB Verweist auf FIFA, FIFA schweigt und sitzt aus – wie so oft bei schwierigen Themen

Sollte die Fifa sich der Idee nach einem Fonds zugunsten der Arbeitsmigranten in Katar verweigern, „so erwarten wir vom DFB, dass er seine Preisgelder eigenständig für Entschädigungszahlungen verwendet. Für den gleichen Zweck sollten die DFB-Nationalspieler etwaige Siegprämien spenden“, heißt es in einem Offenen Brief der Initiative BoycottQatar2022 und anderen Fanvertretungen. Der DFB sieht den Ball jedoch weiter im Feld der Fifa – wie auch Amnesty International.+

Daher fordern Menschenrechtsorganisationen von der Fifa einen Entschädigungsfonds über 440 Millionen Dollar, was der Höhe der Preisgelder entspricht, die der Fußball-Weltverband bei der WM ausschütten will.

Es gibt neben der oben genannten zitierten und vermutlich auch bekanntesten Petition noch weitere, unter anderem von Hoffnungszeichen e.V., die sich für die Rechte von Gastarbeiter:innen einsetzen:

Katar: Für die Rechte der Gastarbeitenden | Hoffnungszeichen e.V.

Amnesty Schweiz hatte ebenfalls eine Petition für die Rechte von Gastarbeiter:innen geschaltet, die jedoch mittlerweile zu Ende gegangen ist und sammelt nun Spenden für Menschenrechte in Katar: Abgeschlossene Petition: Fussball-WM 2022 FIFA: Zeit für gerechte Arbeitsbedingungen in Katar — amnesty.ch

Wie viel verdient die FIFA an der WM?

Rund vier Milliarden Fußballfans zählt die Welt, so viele wie für keine andere Sportart sonst. Und das Event, dass die meisten begeistert, ist die WM, ausgerichtet von der Fifa. Der Weltfußballverband hat sein Hauptgeschäft längst abgeschlossen. 4,6 Milliarden Dollar Einnahmen erwartet die Fifa im WM-Jahr 2022. Mehr als die Hälfte davon bringen TV-Rechte ein (2,6 Milliarden), gefolgt vom Sponsoring (1,3 Milliarden) und Lizenzrechten (140 Millionen) – die Verträge wurden lange vor Turnierbeginn und aufkochender Boykottstimmung ausgehandelt. Das geht aus einem Bericht des Nachrichtenportals RND hervor. Demgegenüber stehen Ausgaben von 1,7 Milliarden Euro. Also bereits jetzt ein absolutes Goldeselgeschäft mit ienem Gewinn von rund 3 Milliarden Euro für die FIFA.

Aber auch, wenn sich die FIFA bereits jetzt eine goldene Nase an diesem Geschäft verdient hat, hat die meiste Macht die Zuschauer:innen. Denn wenn diese jetzt ab- anstatt einschalten und damit Werbekunden unzufrieden sind ob der geringen Einschaltquoten, wird das mit Sicherheit Auswirkungen auf die Wahl der nächsten Spielorte haben. Quasi eine Watschen, die aber halt erst bei den künftigen Entscheidungen wirkt.

Das erste Spiel von Deutschland gegen Japan ist am Mittwoch, den 23. November 2022, 14 Uhr. Wie sagte man doch gleich im Römischen Reich, in welchem ebenfalls zahlreiche Menschen während der Spiele zu Tode gekommen sind: Lasst die Spiele beginnen.

Text: Dr. Sandra Hartmann