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„Manchmal wird es einfach nicht mehr gut“

Ingeborg Zeller aus Morsbach kann kein russisch. Aber einmal in ihrem Leben hat die 69-Jährige eine Strophe eines russischen Liedes gelernt. Für eine sterbenskranke Mama, die im damals noch existenten Krankenhaus in Künzelsau lag. Die Frau konnte kein Deutsch. Die gelernte Einzelhandelskauffrau und mittlerweile Rentnerin begleitete sie dennoch als Ehrenamtliche vom Hospizdienst Kocher-Jagst auf ihrem letzten Weg auf eine ganz spezielle Art und Weise.

von links: Jutta Knörle, Ingeborg Zeller und Margot Wiecharz arbeiten ehrenamtlich beim Hospizdienst und begleiten Menschen auf ihrem letzten Weg. Foto: GSCHWÄTZ

Am nächsten Tag schlief die Frau für immer ein

Ingeborg Zeller konnte sich mit der Frau nicht auf normalem Wege verständigen. Sie hörte sie nur stets dieselbe, für Zeller unbekannte, Melodie vor sich hinsummen. Sie sprach daraufhin den Ehemann der Frau an. Er konnte deutsch und erklärte Ingeborg Zeller, dass es sich dabei um ein russisches Lied von einem kleinen Birkenbäumchen handelt. Zuhause hat sich Ingeborg Zeller den russischen Text besorgt, die erste Strophe auf Russisch geübt und ihr dann schließlich im Krankenhaus vorgesungen. Am nächsten Tag schlief die Frau für immer ein. Noch heute rührt Ingeborg Zeller die Geschichte zu Tränen, wenn sie sie erzählt. Zeller hat damals auch ihren Schwiegervater bis zu seinem Tod gepflegt, so dass er am Lebensende in ihren Armen und den Armen ihres Mannes friedlich einschlafen durfte. Ihrer Oma sei dies leider nichtvergönnt gewesen, sie sei allein im Krankenhaus gestorben. Zeller wollte immer schon in einem sozialen Bereich arbeiten. Mit 14 Jahren hat sie im Diak in Schwäbisch Hall ehrenamtlich geputzt. Sie wollte sich als Krankenschwester dort bewerben, wurde aber wegen ihrer katholischen Konfession von der evangelischen Trägerschaft damals abgelehnt.

Hospizdienst sucht derzeit weitere Ehrenamtliche

Derzeit kann der Hospizdienst Kocher-Jagst auf 58 Ehrenamtliche zwischen Ende Dreißig und Anfang 80 Jahren zurückgreifen, vier davon sind Männer. Sie begleiten Menschen, die ihrem Lebensende entgegensehen, und besuchen sie im Durchschnitt zweimal wöchentlich für zwei oder vier Stunden – zu Hause, im Pflegeheim, im Krankenhaus oder im Heim für Menschen mit handicap. Durch das steigende Alter der Aktiven ist der Hospizdienst aktuell wieder auf der Suche nach weiteren Ehrenamtlichen.

Jutta Knörle möchte den Menschen und Angehörigen Entlastung bringen. Foto: GSCHWÄTZ

Wunscherfüller auf den letzten Metern

„Dieses Ehrenamt gibt einem mehr, als man gibt“, betonen Margot Wicharz aus Unterginsbach und Jutta Knörle aus Niedernhall. Wicharz ist, wie Ingeborg Zeller, ebenfalls seit knapp zwei Jahrzehnten für den Hospizdienst tätig. Jutta Knörle (64) kam durch eigene Schicksalsschläge vor drei Jahren zum Hospizdienst. „Ich war selbst zweimal schwer krank, habe Gesprächspartner gebraucht und gemerkt, dass Familienangehörige hier sehr schnell auch an ihre Grenzen kommen.“ Zuhören sei wichtig. Und die anderen reden lassen. „Es ist einfach schön, wenn man so helfen kann.“

§Es ist keine Sterbebegleitung, sondern eine Lebensendebegleitung“

„Es ist keine Sterbebegleitung, sondern eine Lebensendebegleitung“, betont Jutta Knörle. Denn: Man wisse nie, wann jemand gehe. So begleiten die Ehrenamtlichen manchmal Menschen nur wenige Tage, manchmal aber auch über Monate, in Ausnahmefällen sogar Jahre. Manchmal endet die Begleitung auch mit einer Gesundung. Bereits ihr erster Einsatz erstreckte sich über mehrere Monate. Die Industriekauffrau begleitete eine Frau, die nicht mehr aufstehen konnte. Ihr Bett stand im Wohnzimmer. Ihr Ehemann hat sie, so Knörle, rund um die Uhr gepflegt. Zweimal wöchentlich für jeweils zwei Stunden kam Jutta Knörle vorbei, damit er in dieser Zeit sich eine kleine Auszeit nehmen, Sport treiben oder einkaufen gehen konnte. „Ich habe der Frau gleich gesagt, dass sie mir das sagen muss, falls ich ihr unsympathisch bin“, erinnert sich Knörle rückblickend schmunzelnd. Denn es kann auch mal vorkommen, dass Angehörige jemanden vom Hospizdienst holen, aber die Person, die im Sterben liegt, das gar nicht möchte. Doch die Frau antwortete nur: „Nein, ich mag sie sehr.“ Gemeinsam hätten sie die Tour de France angeschaut, obwohl Jutta Knörle eigentlich kein Tour-de-France-Gucker ist. Aber die Frau erfreute sich an der schönen französischen Landschaft. Gemeinsam aßen sie Marmeladenbrote. Das größte Geschenk für Jutta Knörle war das Vertrauen, das diese Familie ihr entgegenbrachte. So gern hätte sie die Frau bis zum Schluss begleitet. Aber die Frau musste ins Krankenhaus. Dort musste sie es, so Knörle, „leider ganz allein schaffen“.

Margot Wiecharz ist dankbar für diese Aufgabe. Foto: GSCHWÄTZ

Jeder stirbt anders

Jeder stirbt anders, so wie jeder anders ist und lebt, erklären Carmen Landwehr und Christine Stumpf. Landwehr ist die hauptamtliche Leitung des Hospizdienstes, Christine Stumpf ihre Stellvertreterin. So ist denn auch jede Begleitung anders. Denn wichtig dabei ist, sich einzufühlen, was dieser Mensch in diesem letzten Lebensabschnitt braucht und möchte. „Im Mittelpunkt der Hospizarbeit stehen die Ehrenamtlichen“, weiß Landwehr. Mit ihnen stehe und falle alles.

Nicht-über-den-Tod-sprechen-können

Ähnlich wie Jutta Knörle ist auch die ehrenamtliche Mitarbeiterin Margot Wiecharz bereits zweimal in ihrem Leben schwer erkrankt. Beide Male an Krebs. Als die heute 71-Jährige damals Ende der 1990er Jahre im Krankenhaus deswegen behandelt wurde, lag eine sterbenskranke junge Frau neben ihr. Ihre Mutter habe sie bei ihrem letzten Besuch auf Banalitäten hingewiesen, etwa, warum sie ein T-Shirt anhabe und keinen Schlafanzug. Das Thema Sterben und Tod sei einfach totgeschwiegen worden. Die Mutter erschien Wiecharz hilflos und überfordert. Ein Tag nach dem T-Shirt-Gespräch sei die junge Frau gestorben. Diese Hilflosigkeit und das Nicht-Über-den-Tod sprechen-können sei schlimm gewesen.

Ingeborg Zeller begleitet seit knapp zwei Jahrzehnten Menschen auf ihrem letzten Weg. Foto: GSCHWÄTZ

Entlastung von pflegenden Angehörigen

„Manchmal wird es einfach nicht mehr gut“, sagt Carmen Landwehr. So einfach und doch so schmerzvoll ist dieser Satz. Dies zu akzeptieren und das Beste aus den letzten Momenten zu machen, dabei können die Ehrenamtlichen helfen.

Manchmal kommt es vor, dass die Ehrenamtlichen beim Sterben dabei sind. „Das ist ein heiliges Erlebnis“, sagt Margot Wicharz. Eine ältere Frau, bettlägrig, die nicht mehr gesprochen hat, habe kurz vor ihrem Tod immer in eine Ecke ihres Zimmer geschaut. Auf einmal habe sie sich hochgestreckt zu dieser Ecke. Dann sei sie gestorben. Ingeborg Zeller berichtet von einem ähnlichen Erlebnis. Einmal sei sie in der Nacht für zwei bis drei Stunden zu einer Patientin gekommen, um den Ehemann zu entlasten. Die Frau hat gefragt, was sie hier mache. Zeller erklärte ihr, dass sie für ein paar Stunden gekommen sei, um den Ehemann zu entlasten, damit dieser sich hinlegen und schlafen könne. „Und was machen wir jetzt?“, habe die Frau sie daraufhin gefragt. „Wir schlafen jetzt auch“, habe Zeller geantwortet. „Ok, dann schlafen wir jetzt auch“, sagte die Frau. Auf einmal habe sie Ingeborg Zeller am Arm berührt, strahlte sie an, schloss die Augen und starb.

Der Tod gehört zum Leben dazu

Der Tod gehört zum Leben dazu, aber oftmals wird das vergessen .Man müsse auch nicht sofort den Leichnam aus dem Haus schaffen, sondern könne und dürfe in aller Ruhe von dem oder der Gestorbenen Abschied nehmen.

„Man sieht danach die Wolken besser“

In der Coronazeit durften sich viele Angehörige nicht von ihren Lieben, die im Sterben lagen, verabschieden.“ Das könne einen noch jahrelang belasten, weiß Carmen Landwehr. Die intensiven Gespräche mit Angehörigen in ihrem palliativen Beruf lasse sie manchmal demütiger und dankbarer im Alltag sein. „Man sieht danach die Wolken besser und nimmt die Natur anders wahr.

Ausbildung zur ehrenamtlichen Lebensende-Begleiter:in

Am 22. und 23. April 2023 veranstaltet der Hospizdienst Kocher-Jagst für alle Interessent:innen ein Orientierungswochenende (Unkostenbeitrag für jede/n Teilnehmer:in für Essen/Trinken/Unterlagen von 40 Euro). Danach startet die Ausbildung. Sie findet über den Sommer 14-tägig immer mittwochs für zwei bis drei Stunden statt und endet mit einem Abschlusswochenende sowie einem Entsendungsgottesdienst im Herbst 2023. Themen während der Ausbildung sind unter anderem: Wahrnehmung, Selbstwahrnehmung, Palliativmedizin, Seelsorge, palliative Symptome. Patientenverfügung. Auch ein Besuch im Krematorium ist geplant. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Info und Anmeldung: 07940/93 950 12. Mail: c.landwehr@hospizdienst-kocher-jagst.de oder: stumpf@hospizdienst-kocher-jagst.de

Woran merkt man, dass ein Mensch stirbt?

Jeder stirbt anders und für sich allein. Manchmal ganz plötzlich und unerwartet, nicht selten aber doch mit gängigen Symptomen wie etwa: Nachlassen des Bewusstseins, der oder die Sterbende schläft viel, atmet unregelmäßig und hat weniger Appetit.

Text: Dr. Sandra Hartmann