Seit November 2020 kennt man das Bild: Die Innenstädte sind größtenteils leer, die Geschäfte geschlossen. Nur Geschäfte mit Lebensmitteln, Drogerie- und Gesundheitsartikeln dürfen geöffnet sein. Winterbekleidung gibt es in der Stadt nicht, dafür muss man zum Onlineversandhändler gehen. Zwar ist es den Einzelhändlern inzwischen wieder erlaubt, vorab bestellte Ware an Kunden abzugeben, aber dies ersetzt nicht das Geschäft mit der Laufkundschaft.
Modegeschäfte besonders stark getroffen
Viele Einzelhändler seien in ihrer Existenz gefährdet, ist in einem facebook-Post der „Aktion Freundschaftsdienst“, den das Ö-Center Öhringen geteilt hat, zu lesen. Insbesondere die Modehändler seien schwer betroffen: Die Winterware ist geliefert, musste bezahlt und eventuell vorfinanziert werden und liegt nun in den Regalen – ohne Aussicht darauf, verkauft zu werden. „Bei vielen unserer Kollegen sind die Reserven nach dem mehrfach wiederholten Lockdown restlos aufgebraucht“, ist in dem Post zu lesen.
„Bei vielen unserer Kollegen sind die Reserven nach dem mehrfach wiederholten Lockdown restlos aufgebraucht“
GSCHWÄTZ hat bei Thomas Grabert, Geschäftsführer des Ö Centers und selbst Inhaber eines Einzelhandelsgeschäfts, nachgefragt. Er bestätigt die Nöte der Einzelhändler und berichtet davon, dass nicht nur die Winterware drückt, sondern die Frühlingsware von den Produzenten demnächst in die Läden geliefert wird. Auch die Frühlingsware muss natürlich bezahlt werden, Stornierungen seien in der Regel nicht möglich. Viele Geschäfte hätten nicht einmal Lagerfläche für die unverkaufte Winterware.
Öffnungsszenario und Gleichstellung mit der Gastronomie gefordert
Die Einzelhändler fordern daher zuallererst die Wiedereröffnung, zumindest ein konkretes Wiedereröffnungsszenario für den lokalen Einzelhandel und sagen: „Wir können die Hygieneauflagen mindestens genau so gut wie ein Lebensmittelhandel erfüllen.“ Resigniert stellen sie fest: „Darüber kann man aber offensichtlich nicht mit unseren Politikern diskutieren“.
Gleichstellung mit der Gastronomie gefordert
Daher fordert der Einzelhandel, falls die Wiedereröffnung nicht beschlossen wird, als Alternative zur Öffnung angemessene Entschädigungen, zumindest eine Gleichstellung mit Staatshilfen für die Gastronomie, schnelle Hilfe durch Vorabzahlungen, einen unbürokratischen Antrags- und Genehmigungsprozess sowie faire und angemessene Ausgleichszahlungen. Eine reine Teilerstattung der Fixkosten könne das Problem nicht lösen: Der Warenbestand an „verderblicher Ware“ reiße ein Loch in die Reserven.
Unterschiedliche Behandlung von Handel und Gastronomie
Grabert geht ein wenig in die Details: „Die Gastro bekommt 75 Prozent vom Umsatz, der Handel einen Fixkostenzuschlag, abhängig vom Umsatzrückgang“. Wie er den Umsatzrückgang letztendlich gegenüber dem Wirtschaftsministerium nachweisen muss, wisse er derzeit noch gar nicht im Detail. Der Zuschuss für den Handel müsse buchhalterisch wie eine Einnahme verbucht werden und sei daher auch zu versteuern.
Onlineshop für kleinen Einzelhändler keine Alternative
Inzwischen dürfen die Einzelhändler ihren Kunden vorbestellte Waren per „Klick & Collect“ übergeben. Einen Webshop hat Grabert eingerichtet, seine Erfahrungen damit sind allerdings nicht positiv: „Das lohnt sich für den kleinen Einzelhändler nicht“, sagt er. Die Erstellung der Bilder und der Produktbeschreibungen für ein großes und wechselndes Sortiment sei sehr aufwändig. „Eine mögliche Alternative wäre, über Amazon zu verkaufen“, meint er. Den Rest des Satzes spricht er gar nicht erst aus, es ist klar, dass er Amazon nicht als Ergänzung zum lokalen Einzelhandel sieht.
Besonders betroffen
In seiner Funktion als Geschäftsführer des Ö Centers ist Grabert vom Lockdown doppelt betroffen, denn seine Mieter leiden ja ebenfalls unter den Einnahmeausfällen. „Wir reden mit unseren Mietern“, sagt er und berichtet, dass er mit Mietern bereits individuelle Absprachen getroffen hat.
Ö-Center hat an der Aktion Freundschaftsdienst teilgenommen
Die Webseite www.freundschaftsdienst.eu macht auf die Nöte und Forderungen der Einzelhändler aufmerksam und ruft Einzelhändler dazu auf, mit Aktionen die Aufmerksamkeit der Politik zu erregen. Die Initiatoren, ein Modehändler und ein Betreiber einer Kommunikationsagentur, weisen darauf hin, dass sie niemanden gesundheitlich gefährden wollen und daher auch nicht zu Demonstrationen oder zur demonstrativen Ladenöffnung aufrufen. Einer Vermischung ihrer Aktion mit der Aktion „Wir machen auf“ (GSCHWÄTZ berichtete) treten sie deutlich entgegen: Mit Rechtsextremismus, Coronaleugnung oder Querdenken habe ihre Aktion nichts zu tun. Daher wurden die Posts unter dem Hashtag #wirmachenAUFmerksam veröffentlicht.
Distanzierung zu Coronaleugnern
Grabert und seine Mieter haben sich der Aktion angeschlossen und haben sich am 01. Februar 2021 im und vor dem Ö-Center gezeigt und Fotos gemacht, die inzwischen veröffentlicht sind. Offenbar waren sie und ihre bundesweiten Mitstreiter erfolgreich, denn die „Aktion Freundschaftsdienst“ ist inzwischen beendet, auf der Webseite ist zu lesen, „Our job is done! Wir wollten AUF_merksam machen und werden nun gehört. Wir haben unsere Aufgabe erfüllt!“
Gespanntes Warten auf die Ministerpräsidentenrunde
„Die Mandatsträger unserer Branche, die Handels- und Interessensverbände sind sich bezüglich der zu stellenden Forderungen weitestgehend einig. Die Türen in der Politik stehen weit offen. Wir erwarten von den Verhandlungsführern und der Politik, dass sie die Steilvorlagen nutzen und zeitnah angemessene Ergebnisse präsentieren“, kann man jetzt auf der Webseite lesen. Am Mittwoch, 10. Februar 2021, findet die nächste Runde mit Kanzlerin und Ministerpräsidenten statt, in der es auch um die Bedingungen für eine mögliche Öffnung der Einzelhandelsgeschäfte gehen wird.
Text: Matthias Lauterer
Thomas Grabert, Geschäftsführer Ö-Center. Bild: T.Grabert
Einzelhändler des Ö-Centers in Öhringen machen auf ihre Situation AUFmerksam. Bild: T.Grabert
Distanzierung von Coronaleugnern und Querdenkern. Quelle: Screenshot www.freundschaftsdienst.eu 08. Februar 2021