Die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper, spricht das L-Wort aus: „Lehrermangel“. Diesen Lehrermangel diagnostizierte sie noch im Dezember 2021 im Rahmen der Haushaltsverhandlungen – und hatte damit Erfolg: Statt wie geplant 212 Stellen wurden ihr zusätzliche 150 Stellen genehmigt, darunter 50 für die Krankheitsreserve. Zufrieden ist sie damit nicht, sie hätte allein für die Krankheitsreserve 105 Stellen beantragt.
Auch Lehrer:innen können an COVID erkranken
Die Corona-Situation – auch Lehrer erkranken an COVID, werden positiv getestet oder begeben sich wegen eines Krankheitsfalls in der Familie in Quarantäne – tut sein Übriges: Können die Schulen, die teils ohnehin eine angespannte Personalsituation haben, ihre Aufgabe noch so wahrnehmen, wie sie das gerne tun würden? Ein Zeitungsbericht aus München legt nahe, dass das nicht mehr überall möglich ist. Diesem Bericht zufolge übernehmen bereits Eltern die Aufsicht in einer Klasse.
Selbst die Bundesregierung bietet Hilfe an
Selbst im politischen Berlin ist der coronabedingte Lehrermangel bekannt: Bundesfamilienministerin Anne Spiegel bot „angesichts emporschnellender Corona-Infektionszahlen“ Schulen und Kitas mit besonders angespannter Personalsituation temporäre Hilfe an. Fast 8000 pädagogische Fachkräfte aus speziellen Bundesprogrammen könnten sechs Wochen lang in den Einrichtungen bei der Betreuung der Kinder helfen, zitieren die Zeitungen der Funke Mediengruppe die Ministerin.
Das Kultusministerium sagt wenig
Da erscheint es doch merkwürdig, dass aus dem baden-württembergischen Kultusministerium zum Lehrermangel wenig zu hören ist. Eine Mitteilung auf der Homepage spricht am 28. Februar 2022 von knapp unter 2 Prozent oder 2.660 Lehrer:innen, die wegen Infektion oder Quarantäne keinen Unterricht erteilen können.
Brandbrief eines betroffenen Lehrers
Achim Vetter, ein Lehrer aus Baden-Württemberg, der im Februar an Corona erkrankte, schreibt in einem offenen Brief an seine „oberste Dienstherrin“, Kultusministerin Schopper: „Nur wir, wir an der Infektionsfront, wir erkranken massenhaft. Wir sind kein Einzelfall.“
Nicht nur COVID, sondern auch psychische Erkrankungen
Eine bundesweite Forsa-Umfrage aus dem Oktober 2022 unter Schulleiter:innen im Auftrag des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) ergab ein deutliches Ergebnis: 45 Prozent der Schulleitungen gaben an, die Zahl der Lehrkräfte, die wegen physischer Krankheiten länger ausfallen, habe in den vergangenen Jahren zugenommen. 41 Prozent meinten, dass auch die Ausfälle durch psychische Erkrankungen gestiegen seien. Fast alle Schulleitungen (96 Prozent) sind überzeugt, dass sich die Belastung der Pädagogen während der Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren erhöht hat.
In der Tat sprechen Lehrer offen darüber, dass die vielen unterschiedlichen neuen Aufgaben, vom Distanzunterricht über die Vertretung kranker Kolleg:innen bis hin zum Testen der Schüler:innen in der Schule, sie stark belasten, teilweise überlasten.
Aufrüttelnde Berichte aus dem Hohenlohekreis
Und auch aus dem Hohenlohekreis erreichen GSCHWÄTZ übereinstimmende und konkrete Berichte, dass die Personalsituation an einigen Schulen regelrecht besorgniserregend sei: Lehrer:innen würden mehrere Klassen parallel betreuen und es sollen auch schon Lehrer:innen von ihrer Schule an eine besonders von Lehrermangel betroffene Schule abgezogen worden sein.
GSCHWÄTZ fragt nach
GSCHWÄTZ hat bei Schulträgern, Schulen und dem Kultusministerium nachgefragt.
Die Schulträger, Landratsamt und die Städte Künzelsau und Öhringen, verweisen unisono auf das Kultusministerium und dessen nachgeordnete Behörden. Monika Pfau, Presseprecherin der Stadt Öhringen, erklärt:
„Die Städte und Gemeinden sind „Schulträger“ und damit für die „äußeren Schulangelegenheiten“ zuständig. Zu den „äußeren Schulangelegenheiten“ gehören:
– Errichtung der Schulen (Errichtung der Gebäude),
– Unterhaltung der Schulen (Beschaffung der Geräte, Materialien, Hilfsdienste und des Hilfspersonals)“
Die Schulen selbst sind nicht sehr auskunftsfreudig
Besonders auskunftsfreudig sind die angeschriebenen Schulen nicht: Drei Schulen haben die Beantwortung unserer Fragen kategorisch abgelehnt – möglicherweise ist das Thema zu politisch? Dass diverse Schulen bisher gar nicht geantwortet haben, mag aber auch an der Ferienzeit liegen.
Mit Organisation auf die Umstände reagiert
Geantwortet hat Wolfgang Roll, Rektor der gewerblichen Schule in Öhringen. Er sieht nicht den Krankenstand als größte Herausforderung: „Wir haben keinen coronaspezifisch signifikant höheren Krankenstand als in „normalen“ Wintern.“ Trotzdem sieht er coronabedingte Herausforderungen: „Unterrichtsorganisatorisch stellt das Präsenzunterrichtsverbot bei einzelnen KuK [Kolleginnen und Kollegen, Red.] die größte Herausforderung dar. Im Gegensatz zum Fernlernangebot, das für die zu Hause befindlichen SuS [Schülerinnen und Schüler, Red.] mit deren Equipment ganztägig stattgefunden hat, wäre jetzt ein ggf. stündlicher Wechsel zwischen Präsenz- und Fernlernunterricht nötig.“ Er begegnet diesen Herausforderungen mit Bordmitteln: „Wir haben die Stundenpläne geändert, so dass größere Blöcke für die einzelnen Unterrichtsformen entstehen und ein Ortswechsel zwischen den Blöcken möglich ist.“
„Selbst organisiertes Lernen“
Das Abziehen von Lehrern an andere Schulen erscheint ihm „nicht glaubhaft“. An seiner beruflichen Schule, wo die Schülerinnen meist über 15 Jahre alt sind, „steht eine Mitbeaufsichtigung nie im Vordergrund. Bei kurzfristigen Ausfällen – wenn es nicht mehr möglich ist, eine Klasse abzubestellen – versorgen wir die SuS mit entsprechendem SOL-Material“ [SOL – selbst organisiertes Lernen, Red.]
„Wir gehen davon aus, dass der Krankenstand innerhalb der Lehrerschaft durch die Corona-Pandemie erhöht ist.“
Bettina Hey, Leiterin des Schulamts Künzelsau, nennt keine Zahlen über den Krankenstand in der Lehrerschaft, sagt nur: „Wir gehen davon aus, dass der Krankenstand innerhalb der Lehrerschaft durch die Corona-Pandemie erhöht ist.“ Die Möglichkeit, Lehrkräfte an andere Schulen abzuziehen, bestätigt sie: „Wenn der Krankenstand seitens der Schule nicht mehr abzufedern ist, unterstützt das Schulamt die Schulen über Abordnungen oder Krankheitsvertretungen (KV-Verträge).“ Auf die konkrete Frage, ob derzeit in Hohenlohe die Möglichkeit der „Abordnung“ genutzt wird, antwortet sie ausweichend: „Alle Schulen und Schularten können vom Krankenstand betroffen sein. Bisweilen werden Abordnungen von Lehrkräften notwendig.“
Burn-Out: „Für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sind die Schulleitungen vor Ort die ersten Ansprechpartner.“
Auch auf die Frage, inwieweit Lehrer in der Pandemie überlastet sind und ob beispielsweise „Burn-Out“-Erkrankungen in der Pandemie zugenommen haben, antwortet Hey ebenfalls nicht konkret. Sie geht auf die Frage nach Zahlen und Entwicklungen gar nicht ein, verweist nur darauf, dass für die Prävention die Schulleitungen vor Ort verantwortlich seien und nennt Möglichkeiten: „Für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sind die Schulleitungen vor Ort die ersten Ansprechpartner. Das ZSL verfügt über Mittel, die seitens der Schulleitungen für den AGS beantragt werden können, um flankierende Maßnahmen zu ergreifen. Die schulpsychologische Beratungsstelle steht für Supervision und Intervisionsangebote, über die das Schulamt per E-Mail und in Dienstbesprechungen informiert hat, zur Verfügung.“
Eine regelmäßige Datenerfassung über berufsspezifische Erkrankungen scheint dem Schulamt nicht vorzuliegen.
Text: Matthias Lauterer