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„Die Zeugen wurden auseinandergenommen“

Nachdem am ersten Prozesstag im Verfahren gegen D. und H. wegen tätlichem Angriff auf Polizeibeamte (GSCHWÄTZ berichtete) im Umfeld einer Durchsuchung im Altenheim Alte Harmonie in Kocherstetten noch kein Urteil gefällt werden konnte, war für den 22. Dezember 2022 ein zweiter Verhandlungstag angesetzt. D. humpelt an diesem zweiten Tag deutlich stärker als am ersten Verhandlungstag, benutzt einen Schirm als Gehstock.

Rechtmäßigkeit der Durchsuchung war fraglich

Für die Verteidigerinnen der Angeklagten war die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung fraglich. Eine mündliche Durchsuchungsanordnung, vielleicht noch durch einen Staatsanwalt, ohne dass eine Eilbedürftigkeit vorgelegen hätte – das wäre in der Tat möglicherweise rechtswidrig gewesen. Vor allem, wenn sich die Anordnung nicht gegen die jetzt Angeklagte H. gerichtet hätte.

Doch schon nach den ersten Sätzen der Polizeibeamtin S., die damals den Einsatz leitete, war klar, dass die Durchsuchung vom zuständigen Bereitschaftsrichter angeordnet worden war, und zwar ganz konkret gegen die Angeklagte, deren Auto und deren Wohnung. Dies wurde H., so sagte S. aus, auch „eröffnet. Auch wenn es ein bisschen schwierig war, eine Unterhaltung zu führen.“

Mutter macht Tochter für die Anbringung der Kameras verantwortlich

H.s Mutter hatte laut S. selber ihre Tochter gegenüber der Polizei als Verantwortliche für das Aufhängen der Kameras benannt, so dass S. beim Bereitschaftsrichter konkret um einen Beschluss gegen „die Tochter“ nachgesucht habe. H. „wollte nicht, dass wir durchsuchen, sie wollte nicht glauben, dass durchsucht wird“. S. sprach von „viel Gezeter“ und bescheinigt H, dass sie „recht aufgebracht“ war.  Es sei soweit gegangen, dass S. ein zweites Mal beim Bereitschaftsrichter angerufen habe, damit dieser der H. den Beschluss selber mitteilen sollte. Der habe das aber verweigert, die mündliche Anordnung müsse ausreichen. S. erinnert sich auch noch daran, dass er etwas wie „so ein Affentheater“ gesagt habe.

Selbst Richter können sich nach einem Jahr nicht mehr an alles erinnern

Auch Richter Zanzinger vom Amtsgericht in Schwäbisch-Hall kann sich an diesen zweiten Anruf noch erinnern. „Wenns ein normaler BTM-Fall gewesen wäre, dann täte ich mich schwer, mich zu erinnern“, sagt er. Aber der außergewöhnliche Fall mit den Kameras blieb ihm noch einigermaßen in Erinnerung. Insbesondere kann er sich noch an den zweiten Anruf von S. erinnern und bestätigt damit deren Aussage. Er meint allerdings, etwas wie: „Bitte nicht, die mündliche Anordnung muss reichen“ gesagt zu haben. An einige Details, etwa die genaue Uhrzeit der Anrufe, erinnert er sich nicht. Aber er erinnert sich noch an ein „Hin und Her“ und dass er konkret eine Durchsuchung „der Tochter“ angeordnet habe.

Ping-Pong

Die Verteidigerinnen spielen Ping-Pong mit Zanzinger: Wenn die eine keine Fragen mehr hat, ist der anderen gerade noch eine Frage eingefallen. Immer wieder geht es um das Thema der Eilbedürftigkeit, die eine mündliche Durchsuchungsanordnung rechtfertigen würde. Warum er konkret die Eilbedürftigkeit erkannt habe, weiß Zanzinger nicht mehr, wahrscheinlich weil Daten hätten vernichtet werden können.

Richterin Rührich schließt nach diesem Zeugen die Beweisaufnahme, weitere Beweisanträge werden nicht gestellt.

Staatsanwalt fordert Gefängnisstrafe ohne Bewährung

Staatsanwalt Jakubek sieht die Vorwürfe der Anklageschrift bestätigt. Die Durchsuchung sei durch einen zuständigen Richter erfolgt und damit rechtmäßig gewesen. Er sieht mit der kurzen Absprache an der Türsprechanlage, nur das Handy und den Laptop herzugeben, einen „gemeinsamen Tatplan“, die Durchsuchung zu verhindern: „Der Durchsuchungswille war bekannt“. Daher müßten sich die Angeklagten die Taten – zwei Fälle von tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie zwei Körperverletzungen – gemeinsam zurechnen lassen. Für ihn ist erwiesen, dass D. beide Polizisten angegriffen hat. Und auch H. habe „aktiv gedrückt“.

Vorstrafenregister spricht gegen D.

Gegen D. spreche dessen Vorstrafenregister, für H. spreche, dass sie noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei. Eine Sozialprognose sei für beide Angeklagten nicht zu erstellen, da sie sich nicht eingelassen hätten. Bei D müsse allerdings eine negative Kriminalprognose angenommen werden, seine letzte Verurteilung liegt gerade etwas mehr als ein Jahr zurück.
So fordert Jakubek für D. eine  Haftstrafe von 8 Monaten, die wegen der negativen Kriminalprognose nicht zur Bewährung auszusetzen sei. Für H. fordert er eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen á 70 Euro.

Dagegen fordern beide Verteidigerinnen für ihre Mandanten Freisprüche. Bei H. sei keinerlei strafwürdige Handlung feststellbar, sie habe keine Körperverletzung begangen. „Einfach so“ sei die Streife hingefahren, auf einen Anruf, der Durchsuchungsbeschluß sei nicht rechtens gewesen. Dass der Anruf direkt aus dem Heim gekommen sein könnte und die Polizei eingelassen worden sein könnte, diese Möglichkeit nennt sie nicht.  H.s Verteidigerin sieht „Fehler der Strafverfolgungsbehörden, die zur Ungültigkeit führen“. Außerdem habe ihre Mandantin nicht aktiv eingegriffen, sie habe „nur durch ihr Körpergewicht gedrückt“ – und der Gewaltbegriff sei restriktiv auszulegen.

„Ich will nicht von Unfähigkeit der Beamten sprechen“

Die Verteidigerin von D., Susanne Bauknecht, fährt schweres Geschütz auf: „Wir befinden uns in einem Rechtsstaat“. Außerdem bedient sie sich einmal mehr manipulativer Stilmittel, indem sie beispielsweise den Polizeibeamten E. plötzlich 120 Kilo Körpergewicht im Vergleich zu den 70 Kilo ihres Mandanten haben lässt (E. selber nannte etwas mehr als 100 bei seiner Vernehmung) und bemüht wieder die angeblich unbestechliche Physik. Sie bezweifelt sogar die Aussage der verletzten Beamtin O.: Die Blutungen im Kniebereich müssten, so Bauknecht, bereits früher aufgetreten sein. „Ich will nicht von Unfähigkeit der Beamten sprechen“ ist ein weiterer Versuch, ins Unterbewußtsein vorzudringen. Auch dass E. inzwischen nicht mehr im Polizeidienst sei, sei ja „sein Bier“ – will sie damit etwas andeuten? Übertreibungen wie dass sich die Beamtin „mit Lichtgeschwindigkeit“ bewegt haben müsse, kommen dazu, auch verwischt sie einmal mehr Ereignisse und Abläufe.

Kein letztes Wort der Angeklagten

Die Angeklagten nehmen ihr Recht auf das letzte Wort nicht wahr.

Ein halbes Jahr auf Bewährung

Rund 20 Minuten benötigt Richterin Rührich, um zu ihrem Urteil zu kommen: D. wird zu einer Haftstrafe von 6 Monaten verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Zusätzlich muss er eine Geldstrafe von 2.000 Euro bezahlen, über die sich der DRK-Ortsverband Künzelsau freuen wird und trägt die Kosten des Verfahrens. Zu guter Letzt muss er an Adhäsionskläger E. 50 Euro Schmerzensgeld bezahlen.
H. muss eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 60 Euro bezahlen und die Kosten des Verfahrens tragen. Sie gilt damit nicht als vorbestraft.

Anklageschrift sei im Wesentlichen bestätigt

Im Wesentlichen folgt das Gericht der Anklageschrift. Die Angeklagten hätten verhindert, dass die Polizei in die Wohnung gehen kann. Richterin Rührich ist überzeugt davon, dass D geschubst hat und dass auch die Bagatellverletzung des Beamten E. – ein Kratzer – darauf zurückzuführen ist. Die Zeugenaussagen seien glaubwürdig, auch wenn sie nicht völlig übereinstimmten und die Zeugen am Ende der Vernehmung unsicher waren: „Die Zeugen wurden auseinandergenommen“. Und auch Rührich beruft sich auf die obergerichtliche Rechtsprechung: Eilbedürftigkeit sei gegeben gewesen, die Durchsuchung sei ordnungsgemäß angeordnet gewesen. Die Polizei habe die Eilbedürftigkeit nicht verursacht. Und nochmals nimmt sie Bezug auf Bauknecht: „Bei unserem Rechtstaat, der heute schon mehrfach genannt wurde“, sei es so, dass  einer Maßnahme zuerst einmal Folge zu leisten sei. Danach könne man zu Rechtsmitteln greifen.

Bei der Strafzumessung ist Rührich davon ausgegangen, dass H. „nicht die treibende Kraft“ gewesen sei und bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. 90 Tagessätze seinen angemessen. Obwohl H. sich als Journalistin bezeichnet hat, geht Rührich mit dem Verdienst einer Altenpflegerin aus und bemißt die Höhe des Tagessatzes mit 60 Euro. D. sei „der Motor dieser Tat“. Die letzten Straftaten seien kleinere gewesen: „In letzter Zeit wurden nur noch Geldstrafen verhängt“, weiß Rührich, daher sei eine Strafaussetzung zur Bewährung noch möglich.

Noch nicht rechtskräftig

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Als Rührich die Hinweise zu Berufung und Revision gibt, nicken beide Verteidigerinnen energisch mit dem Kopf. Es scheint wahrscheinlich, dass zumindest D. Berufung einlegen wird, möglicherweise nicht zuletzt, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen:

Weitere Ermittlungen gegen D. offenbar im Gange

Denn dass D. am Ende des vorigen Verhandlungstages zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung abgeholt wurde, läßt vermuten, dass gegen ihn weitere Ermittlungen laufen.

Text: Matthias Lauterer




„Besonderes öffentliches Interesse“

Fast zwei Jahre nach der Durchsuchung des Kocherstettener Pflegeheims Alte Harmonie (wir berichteten) wurde im Zusammenhang mit dieser Durchsuchung am 7. Dezember 2022 gegen zwei Personen verhandelt, die damals „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ geleistet haben sollen. Bei der Durchsuchung des Heimes wurden wohl Videokameras gefunden, mit denen – so wurde damals vorgeworfen – Angestellte bespitzelt worden sein sollen. Dieses Verfahren wurde inzwischen eingestellt, laut Aussage der Behörden, weil keine Beweise für eine tatsächlich durchgeführte Überwachung, also beispielsweise Datenträger mit Video- oder Tonaufnahmen, aufgefunden worden seien (GSCHWÄTZ berichtete).

Um diese Datenträger geht es

Und Datenträger stehen auch im Mittelpunkt des Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten vor, bei einer Wohnungsdurchsuchung, bei der nach Datenträgern mit Beweismitteln gesucht werden sollte, mittels körperlicher Gewalt Widerstand geleistet zu haben. Dabei seien ein Beamter und eine Beamtin verletzt worden. Da die Staatsanwaltschaft den Angeklagten ein „gemeinschaftliches“ Handeln vorwirft, könnte die Tat mit Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren bewehrt sein.

Angeklagt sind D., ein Automobil-Testfahrer und zur Tatzeit Lebensgefährte der Angeklagten H., einer Journalistin. Vor Gericht geben beide an, inzwischen verheiratet zu sein. Weitere Angaben zur Person und zur Sache wollen sie nicht machen, die Verteidigung werde jeweils eine Erklärung zur Sache abgeben. Die Staatsanwaltschaft stellt ein besonderes öffentliches Interesse fest.

Ein drahtiger Sportler

D. ist ein Mann mit Ausstrahlung. Fast graue Haare, ein akkurat gepflegter Bart, er wirkt drahtig und sportlich. Er schaut sich mit klaren Augen selbstbewußt im Saal um. Ein wenig scheint er zu humpeln. Auch H. legt Wert auf ihr Äußeres, ist perfekt geschminkt und trägt hochwertige Kleidung. Sie macht aber keinen so selbstbewußten Eindruck, wirkt eher bedrückt.

Ein mündlicher Durchsuchungsbeschluss wegen Eilbedürftigkeit

Am frühen Morgen des 21. Januar 2021 hatte die Staatsanwaltschaft, offenbar weil kurz zuvor eine Anzeige wegen der möglichen Bespitzelung eingegangen war, einen Durchsuchungsbeschluß für das Altenheim erwirkt. Die Nachtschicht der Polizei war vor Ort bereits aktiv, als die später beteiligte Streife eintraf. Der Beschluß wurde der Einsatzleitung vor Ort telefonisch vom zuständigen Bereitschaftsstaatsanwalt K. mitgeteilt. Ein Dokument, das die genaue Spezifikation der zu durchsuchenden Räume nennt, gab es wohl zu diesem Zeitpunkt nicht. Auch später soll es, so trägt die Verteidigung vor, weder ein Dokument noch eine notwendige Dokumentation mit Begründung der Maßnahme gegeben haben.
Bei Eilbedürftigkeit ist ein telefonischer Beschluß möglich, aber der muss – so erläutert die Verteidigerin – dokumentiert sein. Eine Eilbedürftigkeit könnte man durchaus annehmen: Datenträger können notfalls schnell zerstört werden.

Warnung über die Türsprechanlage oder nicht?

Aus den Zeugenaussagen geht hervor, dass F., Geschäftsführerin der Betreibergesellschaft des Heimes, offenbar gegenüber der Polizei ausgesagt hatte, dass ihre Tochter H., hinzuzuziehen sei. Diese kam gegen 7:00 an und fuhr später mit den Beamten zu einer Wohnung in Künzelsau, wo sie ihren Laptop und ihr Handy freiwillig übergeben wollte. Die Aussagen unterscheiden sich: Hat H. ihren Lebensgefährten D. über die Türsprechanlage gewarnt, die Polizisten nicht in die Wohnung zu lassen oder hat sie das nicht getan? Vor dieser Wohnung soll es dann zu Rangeleien zwischen der Streifenbesatzung, H. und auch D., der sich in der Wohnung aufhielt, gekommen sein. Der Polizist E. soll von D. am Oberkörper gestoßen worden sein, die Polizistin O. soll von D. so gestoßen worden sein, dass sie zu Boden gestürzt ist und sich dabei am Knie verletzt hat.

War die Durchsuchung rechtmäßig

Die Verteidigerin von D., Susanne Bauknecht, zweifelt bereits die Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses an, denn die Wohnung gehörte keinem der beiden Angeklagten, auch deren Namen standen nicht an der Tür, sagt sie. Andererseits hat H. die Beamten freiwillig zu der Eingangstür der Wohnung geführt und ihr Laptop wurde auch aus dem Wohnungsinneren übergeben. Auch ist Bauknecht der Meinung, dass der Beschluss gar nicht gegen H. ergangen sei, der Beschluss richte sich nur gegen F, deren Mutter. Eine wichtige Frage.

Verteidigung wird offensiv

Bauknecht geht in die Offensive und tief in die Details, läßt die Szene vor der Wohnungstür sogar im Gericht nachstellen. Sie will die Aussage des damaligen Polizeibeamten E. erschüttern. Und es scheint ihr auch zu gelingen. E.s Angaben werden während der Vernehmung unsicherer. Bauknecht fördert diese Unsicherheit, indem sie nach kleinsten Details fragt oder noch in den Satz des Zeugen die nächste Frage stellt, gerne auch gleich zu einem ganz anderen Thema. Dieses Mittel wendet sie auch später bei der verletzten Polizistin O. an, auch diese wird im Verlauf der Vernehmung unsicherer, muss öfter „das weiß ich nicht mehr“ sagen. Einem Zeitraum von geschätzten zehn bis 20 Sekunden, in denen die beiden Beamten unter Anspannung waren, widmet Bauknecht insgesamt fast eine Stunde Befragung.

Situation liegt lange zurück

Die Situation liegt nahezu zwei Jahre zurück, sie dauerte wenige Sekunden und war adrenalingeladen. Es ist daher zu erwarten, dass sich ein Zeuge nicht mehr an jedes Detail erinnern kann, beispielsweise ob der Laptop jetzt längs, quer oder doch etwa hochkant aus der leicht geöffneten Tür gereicht wurde.

Die Verteidigerin von H. muss nicht viel tun, um klar herauszuarbeiten, dass ihre Mandantin keine Handlungen gegen die Beamten vorgenommen hat. Keiner der Beamten berichtet schliesslich davon, dass H. geschlagen oder gestoßen hätte. Allenfalls hätte sie sich in den Weg gestellt oder im Weg gestanden. Dass sie das in einer aktiven Weise, als Widerstandshandlung, getan hätte, haben die Zeugenaussagen nicht ergeben.

Verteidigung beruft sich auf Physik

Der Polizeibeamte E. sagt aus, er habe bei der Übergabe des Laptops sofort den Fuß in die Tür gestellt, um die Tür offenzuhalten. Im Wesentlichen geht es Bauknecht dann darum, ob die Polizisten gegen die Tür gedrückt haben und ob D. eine Möglichkeit hatte, die Tür so weit zu öffnen, dass er herauskommen und die Beamten stoßen konnte. Beide Beamten sagen übereinstimmend aus, dass der Druck von innen „plötzlich“ nachließ und D. dann herauskam. Bauknecht bestreitet dies, das sei nicht möglich, „das ist Physik“.

Nicht so klar, wie die Verteidigerin meint

Für die Verteidigung ist mit dem Verweis auf die Physik alles klar, die Physik kann nicht beeinflußt werden. D. könne also gar nicht wie vom Polizeibamten E. beschrieben, gestoßen haben.
Den Zuhörer überzeugt sie damit nicht, denn leider vergißt sie die Hebelgesetze. Die lassen es durchaus naheliegend erscheinen, dass ein 78 kg schwerer, drahtiger und sportlicher Mann, der am Ende des Türblatts drückt, die Tür auch gegen einen schwereren Mann, der eher in der Mitte des Türblatts drückt und immer aufpassen muß, den Fuß in der Tür zu behalten, bequem zudrücken kann. Auch die übereinstimmende Schilderung der beiden Beamten, dass „plötzlich“ der Druck von innen weggefallen sei und D. so weit herauskam, dass er den Beamten E. und die Beamtin O. stoßen konnte, erscheint dem unbeteiligten Beobachter trotz der Bemühungen der Verteidigerin durchaus plausibel: Es gibt Sportarten, Boxen oder auch Tischtennis, wo die Beinarbeit für ein schnelles Zurückweichen und sofortigen Konterangriff trainiert wird.
Auch die Aussage der Polizistin O., dass sie auf die Knie gefallen ist, erscheint dem Zuhörer deutlich plausibler als die Verteidigerin dem Gericht glauben machen möchte. Jeder Sportler weiss, wie man sich bei einem Sturz so bewegen kann, dass man sich nicht schwer verletzt und schnell wieder einsatzfähig ist. In Kampfsportarten wie Judo wird das Fallen speziell geübt -und Polizeibeamte trainieren derartige Sportarten.

D. bleibt selbstbewußt

D. begleitet die Vernehmungen der beiden beteiligten Beamten hocherhobenen Hauptes, sein linker Mundwinkel zuckt wie bei einem Grinsen immer wieder nach oben und verharrt dort regelmäßig eine Weile. Ist es ein Grinsen oder eine ihm eigene unwillkürliche Bewegung? Jedenfalls macht er einen sehr selbstsicheren Eindruck. Auch H. bleibt fast immer ruhig, manchmal merkt sie auf, ändert schlagartig den Gesichtsausdruck. Man meint, dass sie jetzt gerne etwas einwerfen würde. Aber sie bleibt still und hält sich daran, keine Angaben zu machen.

Unklare Faktenlage

Aufgrund der unklaren Faktenlage bezüglich des Durchsuchungsbeschlusses will Richterin Rührich die Einsatzleiterin S. noch hören. Zu viele Punkte sind nicht klar: Welche Räumlichkeiten sollten durchsucht werden? Gegen welche Personen richtete sich der Beschluß? Wäre der Beschluss gegen eine Einzelperson gerichtet gewesen, wäre die Sachlage anders als wenn er gegen die Geschäftsleitung der GmbH gerichtet gewesen wäre: Laut Handelsregister (abgerufen am 6. Dezember 2022) ist H. nämlich ebenfalls als einzelvertretungsberechtigt für die Betreibergesellschaft eingetragen, gleichrangig mit ihrer Mutter.
Eine kurzfristige Ladung von S. ist nicht möglich, sie ist zu diesem Zeitpunkt nicht im Dienst. Es muss also ein weiterer Verhandlungstag angesetzt werden.

Verteidigerin Bauknecht äußert ihren Unmut über die Verhandlungsführung des Gerichts, sogar das Wort „unverschämt“ fällt, worauf sie von Richterin Rührich mit klaren Worten in die Schranken verwiesen wird.

Staatsanwalt kommt zu Wort

Die Staatsanwaltschaft widerspricht der Verteidigung und meint, dass eine eventuelle Unrechtmäßigkeit des Beschlusses an den angeklagten Taten nichts ändere, die Strafbarkeit der angeklagten Widerstandshandlungen mit Körperverletzung wäre davon nicht betroffen. Allenfalls könne sich aus einer eventuellen Unrechtmäßigkeit der Durchsuchung ein Verwertungsverbot herleiten lassen. Eventuell gefundene Beweismittel könnten also nicht verwendet werden. Aber davon, dass Beweismittel aufgefunden wurden, ist in der Verhandlung nicht die Rede.

Auch betont der Staatsanwalt, dass er die Anregung, das Verfahren gegen H. wegen erwiesener Unschuld abzutrennen, nicht akzeptieren kann: „Die Taten muss sie sich zurechnen lassen.“ Er geht also weiterhin von einer „gemeinschaftlich“ begangenen Tat aus, obwohl sich aus den Zeugenaussagen keine aktive Handlung von H., etwa Schlag oder Stoß, ergeben hat.

„Es ist nicht gängige Praxis, dass auf Lautsprecher gestellt wird.“

Zwei weitere Zeugen, Polizeibeamte aus Öhringen, die am Tag der Durchsuchung als Unterstützung herbeigerufen wurden, befragt Richterin Rührich ebenfalls nach dem Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses. Der Beamte R. ist während seiner Befragung nicht aus der Ruhe zu bringen und antwortet auf die Detailfragen, was Staatsanwalt und Einsatzleiterin denn besprochen hätten, trocken „es ist nicht gängige Praxis, dass auf Lautsprecher gestellt wird.“  Als Bauknecht einmal seine Aussage anzweifelt, entgegnet er: „Sie haben mich nach meiner Wahrnehmung gefragt, ich habe meine Wahrnehmung geschildert.“ Sein Kollege S. schildert, dass bei der später durchgeführten Durchsuchung „die Stimmung geladen“ war. Aggressiv sei D. nicht gewesen, wohl aber ständig in Bewegung:  „Er wollte nur immer wissen, was die Kollegen tun. Das ist sein Recht.“ Behindert habe er die Beamten nicht. R. bestätigt: „D. war verbal aufgebracht. Aber man konnte gut mit ihm sprechen. Es konnte alles verbal geregelt werden.“

Viele Fragen bleiben offen

Neben den Details zum Durchsuchungsbeschluss bleiben weitere Fragen offen: Wurde etwa auch die Meldeadresse von H. durchsucht? Wenn nein, besteht die Möglichkeit, dass dort Datenträger gelagert waren? Diese Fragen betreffen aber nicht diesen Prozess, sondern würden das inzwischen eingestellte Verfahren wegen der Überwachung der Mitarbeiter:innen betreffen.

Viele Vorstrafen

Warum Bauknecht so engagiert ist, wird spätestens bei der Verlesung der Zentralregisterauszüge erklärlich. Elf Einträge liest Richterin Rührich vor. Körperverletzung, Straßenverkehrsgefährdung, Nötigung und Betrug sind darunter. Mehrere Haftstrafen auf Bewährung sind verzeichnet. Würde es zu einer Verurteilung kommen, läge eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung für Bauknechts Mandanten im Bereich des Möglichen.

Bei der Verlesung der Vorstrafen schaut D. nicht mehr so selbstbewußt drein, er schaut plötzlich nach unten, auch der Mundwinkel geht nicht mehr nach oben.

Auf dem Flur wartet ein unerwartetes Ende des Verhandlungstags

Richterin Rührich beendet den Verhandlungstag, ein zweiter Verhandlungstag, diesmal soll die damaliger Einsatzleiterin der Polizei als Zeugin aussagen, ist für den  22. Dezember 2022 angesetzt.

Auf dem Flur warten bereits vier Polizeibeamte auf D. Sie nehmen ihn in Empfang und führen ihn einer polizeilichen Maßnahme zu.

Text: Matthias Lauterer

 

 

 




„Man kann da auch einen Prozeß über drei Instanzen machen“

Kein Ende in Sicht bei der Berichterstattung um das Altenheim „Alte Harmonie“ in Kocherstetten. GSCHWÄTZ berichtete unter anderem bereits über den Fund von Überwachungskameras in den Räumen der Mitarbeiter:innen und von teils relevanten Sicherheitsmängeln und von rechtlichen Schritten der Heimleitung gegen Internetkommentare.

Und über einen solchen Internetkommentar ging es in einem Prozess vor dem Landgericht in Heilbronn am 22. November 2022: Die Betreibergesellschaft der Alten Harmonie ging gegen den Verfasser einer Bewertung bei google vor, der seine Unzufriedenheit über die Leistung der Einrichtung in kurzen und deutlichen Worten geäußert hatte. Die Betreibergesellschaft verlangte Löschung des Kommentars und stellte eine Schadensersatzforderung in den Raum.

Der Beklagte, Gerd Z., ist der Schwiegersohn einer Frau, die kurz vor der Corona-Isolation in das Pflegeheim aufgenommen wurde. Er wirft dem Heim schlechte Kommunikation sowie Mängel bei der Pflege der alten Frau vor. Inzwischen wird die alte Frau in einem anderen Heim gepflegt.

Die Frage nach der Meinungsfreiheit

Richter Dr.Wolber weist zu Beginn des Prozesses darauf hin, dass in diesem Verfahren zu prüfen sei, ob die Internetbewertung eine -möglicherweise falsche- Tatsachenbehauptung sei oder ob sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Von Beginn der Verhandlung herrscht ein scharfer Ton im Saal, nicht nur zwischen den Parteien. Gleich zu Beginn mußte Dr. Wolber beide Seiten daran erinnern, dass er diese Verhandlung führt und selber entscheidet, mit wem er redet und wem er das Wort erteilt. Überhaupt wirkt der Richter auf den Zuschauer angriffslustig. Er sitzt nicht zurückgelehnt und zuhörend, sondern vorgebeugt und insistierend. Er insistiert beispielsweise auf die Vorgänge rund um die Kündigung des Heimvertrags durch den Betreiber:  „Warum haben Sie die Kündigung überhaupt akzeptiert? Sie hätten ja dagegen vorgehen können.“ Die Antwort von Z. „das Verhältnis war zerrüttet, es war kein Gespräch mit dem Heim möglich“, will er nicht hinnehmen. Dass eine Familie die alte pflegebedürftige Mutter und Schwiegermutter in ihren letzten Jahren nicht in der Obhut von Personen lassen möchte, gegen die man gleichzeitig juristisch vorgeht, mag der Richter nicht verstehen.

Emotionsreicher Vortrag

Z. ist voll von Emotionen und berichtet, dass die Schwiegermutter kurz vor der Corona-Isolation ins Heim aufgenommen wurde und dass während der Corona-Isolation kein Besuch möglich gewesen sei. „Kommunikation per Telefon war fast unmöglich, da die Schwiegermutter schwer hört.“ Von Seiten des Heimes habe die Familie nur wenig Unterstützung erfahren, sagt er aus. Das bezeichnet er als „unprofessionell“ und berichtet, dass das im neuen Heim ganz anders gehandhabt wurde. Und, das ist ein schwerer Vorwurf: Das Heim habe eine beginnende Demenz nicht richtig diagnostiziert, sondern die alte Frau als „schwierig“  bezeichnet. Genau diese „Schwierigkeiten“, so Z., seien aber Hinweise auf eine Demenz. Er ist der Meinung, dass ein Pflegeheim diese Symptome erkennen müsse.

„ich kenne ihn gar nicht“

Ständiges Kopfschütteln und Grinsen begleiten Z.s Vortrag von der Klägerbank. „Wenn man als Telefon isch, dann hat man alles besprochen“, erwidert die Geschäftsführerin des Heims, Frau Hess-Feldbach. Und: „Ich habe mit ihm nie telefoniert, ich kenne ihn gar nicht.“ Sie muss aber zugeben, dass sie mit Z. Mailkontakt hatte.

Ein Sturz oder kein Sturz?

Streitig ist ein angeblicher Sturz der alten Dame: Sie sei nachts aus dem Bett gestürzt und der Nachtdienst habe ihr gesagt, sie solle sich anstrengen und selber ins Bett kommen. „Ich wüßte nicht, dass sie gestürzt ist“, sagt Hess-Feldbach. Auf jeden Fall ist kein solcher Vorfall dokumentiert, es gibt kein Sturzprotokoll, keinen Arztbericht.

Von der Seite der Kläger kommen während Z.s Vortrag immer wieder Zwischenrufe wie „Quatsch“.

Beklagter will warnen

Richter Dr. Wolber will von Z. wissen, was er mit seiner Bewertung erreichen wollte: „Es geht nicht um die Einzelfälle, sondern um das Geschäftsgebaren der Klägerin, vor der zu warnen ist“, sagt er und betont nochmals: „Es hat keine Gespräche gegeben, wir haben keine gemeinsamen Lösungen gefunden.“

Bewertung hat keinen Bezug zu den Vorfällen

Diese Vorträge der Parteien beleuchten nur die Hintergründe, die zu der Bewertung geführt haben. Für die juristische Abwägung, ob die Bewertung stehen bleiben kann oder nicht, sind sie nicht unbedingt relevant. Dr. Wolber wirft daher ein: „Die Bewertung hat keinen Bezug zu konkreten Fällen, so ein Bewertungsportal kann auch als Pranger verwendet werden“, worauf Z. antwortet: „Ich darf doch reinschreiben, was ich empfinde.“

Genau das ist der Knackpunkt in diesem Verfahren, meint Dr. Wolber: „Überschreitet das die Grenzen der freien Meinungsäußerung? Man muss das abwägen mit den Rechten der Kläger, dem das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.“ Er redet den Parteien ins Gewissen: „Man kann da auch einen Prozeß über drei Instanzen machen. Ich weiß nicht, ob es eine Rechtsschutzversicherung gibt für solche Fälle“ und schlägt einen Vergleich vor: Z. möge die Bewertung löschen und keinen entsprechenden Beitrag mehr posten. Beide Parteien sollen ihre Kosten selber tragen.

Nach kurzer Beratungspause erklären sich die Parteien mit diesem Vorschlag einverstanden. Die Beklagten bestehen auf die Ergänzung, dass damit sämtliche Ansprüche aus diesem Streitgegenstand, also auch eventuelle Schadensersatzansprüche, erledigt sind. Die Verfahrenskosten dürften sich für jede Partei auf einen vierstelligen Betrag belaufen.

Regeln für Internetbewertungen

Aus den Aussagen des Richters läßt sich folgern, dass man bei Internetbewertungen eine gewisse Vorsicht an den Tag legen sollte: Man sollte stets einen Bezug zu einem konkreten Vorfall erwähnen und davon ausgehend eine Bewertung abgeben:  „Ein ganz miserables Lokal“ wäre als Bewertung also wohl justiziabel, „wir wollten am xx.xx. dort essen, mussten lange auf die Bestellung, noch länger auf das Essen warten – und dann war es kalt und versalzen. Wir haben es zurückgehen lassen“, wäre, wenn man Dr. Wolber interpretiert, wohl zulässig.

Der Schwiegermutter von Z. geht es „inzwischen gut, bis auf die Demenz.“

Text: Matthias Lauterer

 

 




„Einem im Sterben befindlichen Menschen den Kontakt zu seinen engsten Ange­hörigen zu untersagen, ist im höchsten Maße pietätlos.“

Eine scheinbar kleine Kostenentscheidung des Amtsgerichts Künzelsau in einem Rechtsstreit zwischen Robert Frisch*) und der Betreibergesellschaft des Altenheims „Alte Harmonie“ in Kocherstetten lässt aufhorchen:

Hintergrund ist, dass die Mutter von Robert Frisch in der Alten Harmonie längere Zeit gepflegt wurde und schließlich dort auch  verstarb. Aus welchen Gründen auch immer wurde von der Betreiberin des Altenheims einige Wochen vor dem Tod der alten Frau gegen Robert Frisch ein Hausverbot ausgesprochen, wogegen Robert Frisch eine einstweilige Verfügung erwirkte. Das Hausverbot wäre also gegenstandslos gewesen, hätte die Alte Harmonie GmbH nicht ein Hauptsacheverfahren angestrengt, um die Unwirksamkeit der einstweiligen Verfügung und die Gültigkeit des Hausverbots feststellen zu lassen.

Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt

Noch vor der Hauptverhandlung zog die Alte Harmonie GmbH ihr Rechtsmittel zurück. Fraglich war also nur noch, wer die Kosten zu übernehmen hat. Darüber hat das AG Künzelsau nun entschieden und daneben klare Worte geäußert.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte, also die Alte Harmonie

Die Beklagte, also die Alte Harmonie GmbH wurde verurteilt, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Aus der Begründung des Gerichts fallen mehrere Aspekte ins Auge:

Interessante Begründung

Der Sohn und Bevollmächtigte der alten Frau hat als solcher ein Umgangsrecht. „Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Mutter des Verfügungsklägers im Sterben lag“, schreibt das Gericht.
Außerdem habe die alte Frau als Mieterin eines Pflegezimmers ein eigenes Hausrecht, stellt das Gericht fest. Sie kann daher selber bestimmen – oder durch einen Bevollmächtigten bestimmen lassen -, „wer sie besuchen darf und wer nicht.“
Nicht zuletzt, so Richter Brückner, würde durch ein solches Hausverbot dem als Bevollmächtigten eingesetzten Sohn die „Erfüllung seiner Pflichten erheblich eingeschränkt“.

Hausverbot prinzipiell möglich

Auf der anderen Seite gebe es natürlich in Ausnahmefällen die Möglichkeit eines Hausverbots. Allerdings sei hier stets „eine umfassende Güter- und Interessensvertretung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen.“

Das Gericht sah daher das ausgesprochene Hausverbot als ungerechtfertigt an. Ungeachtet dessen, was möglicherweise vorgefallen sein mag, müsse „der Verfügungsbeklagten [der Alte Harmonie GmbH] als professioneller Heim­betreiberin der Ausnahmezustand des Verfügungsklägers als Sohn seiner im Sterben befindli­chen Mutter gegenwärtig“ gewesen sein.

Aus diesen Gründen hätte die Alte Harmonie GmbH voraussichtlich das Hauptsacheverfahren verloren und muss daher die Kosten des Verfahrens tragen.

Gericht mußte Hintergründe nicht aufklären

Ob dem Hausverbot nun tatsächliche Gründe – das Gericht sagt, die Gründe seien „wenig substantiiert“ vorgetragen – zugrundelagen oder ob man, wie es Frisch unterstellt, ihn als  „Unruhestifter“ loswerden wollte, darüber mußte das Gericht nicht mehr entscheiden. Frisch hatte Mißstände, die er im Heim festgestellt hatte, an die Behörden gemeldet.

Richter betrachtet aus dem Blickwinkel der im Sterben liegenden Frau

Mit einem klaren und deutlichen Wort, das zwar juristisch nach der Begründung nicht mehr relevant ist, wohl aber moralisch, beendet Richter Brückner seine Urteilsbegründung, indem er den Blickwinkel umdreht und das Empfinden der im Sterben liegenden Frau nachfühlt: „Einem im Sterben befindlichen Menschen den Kontakt zu seinen engsten Ange­hörigen zu untersagen, ist im höchsten Maße pietätlos.“

*) Der Name ist geändert, der Name der betroffenen Person ist der Redaktion bekannt.

Text: Matthias Lauterer




Immer noch Disharmonie in der alten Harmonie

Schon mehrfach mußte GSCHWÄTZ über das Altenheim Alte Harmonie in Kocherstetten berichten. Erst fühlten sich Mitarbeiter bespitzelt (die strafrechtlichen Ermittlungen hierzu wurden eingestellt), dann ging es um Abmahnungen von Internet-Rezensionen und zuletzt um eine Begehung der Einrichtung durch eine Gruppe hochrangiger Beamter von der Stadt Künzelsau und dem Landratsamt des Hohenlohekreises.

Stadt Künzelsau und der Hohenlohekreis tun sich allerdings sehr schwer mit Auskünften über das Ergebnis der Begehung des Altenheims Alte Harmonie in Kocherstetten (GSCHWÄTZ berichtete). Außer dass es Auflagen gab, wollen die Behörden nichts sagen. Sie berufen sich auf die Interessen des Betreibers, die zu schützen seien.

Gemeinwohl überwiegt hier die Interessen des Betreibers

Dabei ist wohl eher das Gegenteil richtig: Das Gemeinwohl, das öffentliche Interesse, dürfte an dieser Stelle Vorrang vor den Interessen der Betreibergesellschaft haben. Schließlich geht es an dieser Stelle um alte Menschen, die sich nicht mehr selber helfen können und um Angehörige, die in einer emotionalen Notlage sind: Wer seine Angehörigen in pflegerische Obhut gibt, der will vorab sicher sein, dass sie würdevoll leben können, pflegerisch in guten Händen, sicher und behütet sind. Das ist oft das Letzte, was die Familie für die alten Menschen tun kann. Es können also die Interessen von fast jedem betroffen sein – denn auf fast jeden kann die Situation zukommen, einen Angehörigen in ein Pflegeheim geben zu müssen.

Sicherheitsmängel

Gerade mit der Sicherheit soll es aber in der alten Harmonie nicht zum Besten stehen – das jedenfalls sagt eine umfangreiche Mängelliste, die GSCHWÄTZ vorliegt und die möglicherweise auch der Anlass zur hochrangig besetzten Begehung durch die Stadt Künzelsau und das Landratsamt geführt hat. Soviel geben die Ämter nämlich preis: Es liegt ihnen eine Anzeige vor, aufgrund der die Begehung angesetzt wurde.

GSCHWÄTZ liegt eine detaillierte Liste mit Mängeln vor, die eine Person in der Einrichtung festgestellt hat. Einige der Punkte auf dieser Mängelliste wurden GSCHWÄTZ inzwischen von einer weiteren Quelle, die nicht genannt werden will, verifiziert, insbesondere sind dies Mängel aus dem Bereich des Brandschutzes. Ob die Mängel zwischenzeitlich behoben sind, ist nicht bekannt, dazu wollen sich weder Ämter noch die Betreiber des Heimes äußern. Die Betreiber des Heims haben auf Anfragen überhaupt nicht reagiert. Die von unterschiedlichen Quellen bestätigten Mängel sind:

  • Zum Zeitpunkt, als die Mängelliste erstellt wurde, waren Erdgeschossfenster, die als Fluchtweg deklariert sind, teilweise abgeschlossen und für die Bewohner:innen nicht zu öffnen.
  • Die Flucht durch das Fenster wäre für die Bewohner:innen ohnehin nicht ungefährlich gewesen, da Elektroheizungen vor den Fenstern plaziert waren, die nicht kippgesichert waren.
  • Der Haupteingang war zu diesem Zeitpunkt nachts verschlossen und von innen nur mit einem Schlüssel zu öffnen – darüber, wo sich der Schlüssel befand, differieren die Informationen. Bewohner:innen, die im Brandfall selbständig das Haus verlassen wollten, hätten das also nicht einfach über den Haupteingang tun können. Das Öffnen der Haustür kann also nur durch eine Pflegekraft erfolgen.
  • Nachts sei aber, so übereinstimmende Informationen, zumindest zum damaligen Zeitpunkt, nur eine Pflegekraft im Haus anwesend gewesen – und die habe beispielsweise auch im Keller zu tun.
  • Mindestens eine Feuerschutztür war nicht funktionsfähig, da sie mit einem Keil offengehalten wurde, obwohl ein großes Schild sagt: „Brandschutztür geschlossen halten“.

Dass die Einhaltung der Brandschutzbestimmungen in einem Heim mit Bewohner:innen, die teils bettlägerig sind, besonders wichtig ist, zeigt die Tatsache, dass es auf dem Gelände Ende 2021 tatsächlich gebrannt hat.

Auch im Außenbereich nennt die Liste Sicherheitsmängel

  • So hat beispielsweise der Teich im Garten keine Absturzsicherung.
  • Auch waren Fluchtwege außerhalb des Gebäudes zugestellt. Davon konnte sich GSCHWÄTZ selbst ein Bild machen. Später konnte sich GSCHWÄTZ aber auch davon überzeugen, dass einige dieser Fluchtwege wieder frei waren.

Da sich sowohl die Betreiber der Einrichtung als auch die Behörden nicht über die Mängel, die Auflagen und die Erfüllung der Auflagen äußern, ist nicht klar, ob die genannten Mängel noch bestehen oder zwischenzeitlich behoben sind.

Pflegebetten ordnungsgemäß geprüft?

Pflegebetten sind das letzte Refugium eines alten Menschen, in manchen Fällen ist das Aufstellen der Rückenlehne der letzte Rest von Selbstbestimmung und Würde. Außerdem muß das Bett gegen Herausfallen schützen, ohne den Patienten in seiner Freiheit zu beeinträchtigen. Die Sicherheit der elektrischen Einrichtungen ist besonders wichtig: Bereits ein abgeknicktes Kabel kann nach einiger Zeit zu einem Matratzenbrand führen. Pflegefachmann Sascha Faber hat dieses Thema im GSCHWÄTZ-Video-Interview ausführlich besprochen.

Prüfsiegel an einem Bett der Einrichtung, aufgenommen im Jahr 2022 . Foto: privat

Aus diesen Gründen sehen die gesetzlichen Regelungen eine wiederkehrende Prüfung der Pflegebetten, insbesondere deren elektrischen Anlagen, vor – wie übrigens bei jedem ortsveränderlichen Elektrogerät im Pflegezimmer, von der Mehrfachsteckdose bis zum Radio. Die wiederkehrenden Prüfungen an Pflegebetten dürfen nach Medizinproduktgesetz (MPG) oder die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) nur durch qualifizierte Personen, die die Voraussetzungen nach §4 MPBetreibV erfüllen, durchgeführt werden. Diese Anforderungen sind höher als für die Elektrofachkräfte, die die Prüfung ortsveränderlicher Elektrogeräte durchführen.

An der ordnungsgemäßen Wartung und Prüfung der Pflegebetten bestehen laut Mängelliste und weiteren Informationen Zweifel.

Betreiber reagieren sehr sensibel

Auch wenn die Betreiber des Altenheims sich gegenüber GSCHWÄTZ nicht äußern wollen, scheinen sie dennoch sensibilisiert zu sein. Als sich der GSCHWÄTZ-Reporter vom Fortschritt der Räumung der Fluchtwege überzeugen wollte, wurde er anschließend von einem Auto, das vorher vor dem Heim abgestellt war, durch Kocherstetten verfolgt und aus dem fahrenden Wagen von dessen Fahrer mit dem Handy fotografiert.

Text: Matthias Lauterer




Auflagen für Altenheim Alte Harmonie

Das Altenheim Alte Harmonie in Kocherstetten bleibt im Blickpunkt der Öffentlichkeit und der Behörden. Zuerst untersuchten Polizei und Staatsanwaltschaft wegen möglicher Bespitzelung der Mitarbeiter durch die Heimleitung (GSCHWÄTZ berichtete 1, 2). Diese Ermittlungen wurden eingestellt. Danach wurden Abmahnungen im Auftrag der Betreibergesellschaft gegen Internetkommentatoren bekannt.

Jetzt werden Sicherheitsmängel bekannt

Nun sind es Sicherheitsmängel, die aus der Bevölkerung an GSCHWÄTZ herangetragen wurden. Sicherheitsmängel, die im Notfall das Leben der Bewohner:innen gefährden und/oder den Einsatz von Rettungskräften behindern könnten. Auch Sicherheitsmängel, die einen Notfall hervorrufen könnten, wurden uns genannt. Dass der Notfall schnell eintreten kann, zeigen Berichte, dass es im November 2021 in der Einrichtung gebrannt haben soll.

Hochrangig besetzte Begehung

„Anlaßbezogen“, so sagt es das Landratsamt in einer ersten Stellungnahme, führten mehrere Behörden am 28. April 2022 eine Begehung der Einrichtung durch, an der neben der Heimaufsicht auch ein Vertreter der Feuerwehr ein Vertreter der Gewerbeaufsicht und ein Mitarbeiter des Bauamts der Stadt Künzelsau teilnahmen. Es muss sich also um einen ganz besonderen Anlass gehandelt haben, dass an dieser Begehung so viele hochrangige Beamte aus so vielen unterschiedlichen Ressorts teilnahmen: „Die Teilnehmer der Begehung waren dabei aufgrund möglicher fachlicher Zuständigkeiten vertreten“, so die erste Erläuterung des Landratsamts. Später ergänzt das Landratsamt, dass der „Anlass der Begehung die Mitteilung eines Angehörigen zu Mängeln in der Einrichtung war.

Landratsamt sieht Beratungsbedarf

Diese Begehung, so führt das Landratsamt näher aus, „war eine Begehung der Stadt Künzelsau. Diese wurde begleitet durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kreisverwaltung, um die Stadt Künzelsau gegebenenfalls zu beraten.“

Mängel festgestellt

Sowohl dem Landratsamt als auch der Stadt Künzelsau liegt eine Anzeige einer betroffenen Person über diverse Mängel in der Einrichtung vor. „Ja, es wurden Mängel festgestellt und der Einrichtungsleitung mitgeteilt“, teilt das Landratsamt auf GSCHWÄTZ-Anfrage mit. Diese Mängel waren offenbar so gravierend, dass der Einrichtung Auflagen erteilt werden mußten:

„beratend und kontrollierend begleitet“

„Es wurden Auflagen erteilt. Die Einrichtung wird bei deren Umsetzung beratend und kontrollierend begleitet.“ Inwieweit erste Mängel bereits beseitigt sind, darüber sagt das Landratsamt in seiner ersten Stellungnahme noch nichts. Die Stadt Künzelsau sagt mit nahezu identischer Wortwahl: „Es wurden verschiedene Mängel festgestellt, die mit der Einrichtungsleitung besprochen wurden. Es wurde eine baurechtliche Anordnung erlassen. Bei der Umsetzung wird die Heimleitung fachlich begleitet. Die Umsetzung der Auflagen wird überprüft“. Dass die zuständigen Ämter die Umsetzungsphase der Auflagen „fachlich“, „beratend“ und „kontrollierend“ begleiten, ist eher ungewöhnlich.

Detaillierte Mängelliste

GSCHWÄTZ liegt eine umfangreiche und detaillierte Liste von Mängeln vor, die das Heim betreffen und auch dem Heim selbst vorliegen soll. Diese Liste enthält beispielsweise Mängel und Gesetzesverstöße beim Brandschutz oder bei der regelmäßigen Prüfung von  Einrichtungen, die der Pflege der Menschen dienen.

„Die konkreten Mängel sind bei der Einrichtungsleitung zu erfragen.“

Über die angefragten Details wollen Landratsamt und Stadtverwaltung bislang keine Auskunft geben, sondern verweisen auf Nachfrage an den Heimbetreiber: „Die konkreten Mängel sind bei der Einrichtungsleitung zu erfragen.“ GSCHWÄTZ hat der Heimleitung die Möglichkeit einer Stellungnahme geboten. Jedoch hat die Einrichtung – wie auch schon auf Anfragen zu den vorhergehenden Themen – bisher nicht geantwortet.

Unter anderem seien Mängel aus den Bereichen Betriebssicherheitsrecht und Arbeitsstättenrecht festgestellt worden, also aus dem Bereich der Gewerbeaufsicht, etwa „die Aufschlagrichtung einer Türe ist derzeit nach innen, diese müsste nach Arbeitsstättenverordnung allerdings nach außen aufschlagen“, benennt das Landratsamt einen Mangel, der auch auf der Mängelliste, die GSCHWÄTZ vorliegt, steht. Die überwiegende Mehrzahl der von GSCHWÄTZ abgefragten Mängel liege allerdings im Verantwortungsbereich der Stadt Künzelsau, meint das Landratsamt.

Öffentliches Interesse sollte das Privatinteresse überwiegen

GSCHWÄTZ ist der Ansicht, dass das öffentliche Interesse auf Auskunft in diesem Fall das private Interesse des Betreibers überwiegt. Schließlich sind viele Menschen betroffen: Bewohner:innen und deren Angehörige sowie alle Menschen, die darüber nachdenken, Angehörige in ein Pflegeheim zu geben. Auch die Mitarbeiter der Einrichtung wären ggf Leidtragende von Mängeln, beispielsweise im Brandfall. Die Stadt Künzelsau sieht das derzeit wohl anders und hat bislang Fragen über konkrete Mängel nicht beantwortet.

Pflegenotstand und würdevoller Abschied

In Deutschland herrscht Pflegenotstand. Das bezeichnet nicht nur den Mangel an qualifiziertem Personal, es bezeichnet auch den generellen Mangel an Pflegeplätzen, insbesondere in der Altenpflege und bei der Sterbebegleitung. Diese zu pflegenden Personen sind die hilfloseste Gruppe unserer Bevölkerung, die Betreuung dieser Menschen erfordert ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis, denn sie können oft nicht mehr selber für ihre elementaren Bedürfnisse eintreten. Genau deshalb ist es wichtig, dass die Behörden in Pflegeeinrichtungen ihre Aufgaben erfüllen und genau hinsehen, wie sich um die Menschen, die nicht mehr für sich selber sorgen können, gesorgt wird.

Nicht umsonst beginnt unser Grundgesetz mit den Worten:  „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ – das gilt auch und gerade, wenn es um die wehrlosesten Menschen unserer Gesellschaft geht.

Text: Matthias Lauterer




Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen Altenheim in Kocherstetten wegen mangelnder Nachweise ein

Laut Auskunft der zuständigen Staatsanwaltschaft in Schwäbisch Hall wurden die Ermittlungen gegen Personen im Umkreis eines Altenheims in Künzelsau-Kocherstetten eingestellt. Die Ermittlungen ergaben offenbar nicht „genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage“, wie es §170 StPO formuliert. Auf konkrete GSCHWÄTZ-Rückfrage bestätigte Oberstaatsanwalt Harald Lustig, bei der Staatsanwaltschaft Schwäbisch-Hall für die Pressearbeit zuständig, dass in Räumlichkeiten des Altenheims zwar eine Kamera installiert war, aber kein Nachweis geführt werden konnte, dass diese Kamera in Betrieb war und Aufnahmen der Beschäftigten erstellt wurden.

Man hat zwar eine Kamera, aber keine Aufnahmen gefunden

Kurz gesagt: Man hat bei den Ermittlungen keine Filme oder Fotos gefunden, die mit dieser Kamera gemacht worden wären. Allein mit dem Vorhandensein einer Kamera, ohne eine Bildaufnahme vorweisen zu können, ist es der Staatsanwaltschaft nicht möglich, Anklage zu erheben. So funktioniert nun einmal der Rechtsstaat, auch Beschuldigten steht ein Schutz zu – und das ist gut so.

Auch ohne strafrechtliche Konsequenzen: Vertrauensverhältnis beschädigt

Dass das Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiter:innen und Arbeitgeber allein durch das  Vorhandensein dieser Kamera und die Möglichkeit, dass mit dieser Kamera auch Aufnahmen gemacht worden sein könnten, getrübt ist, ist andererseits gut nachvollziehbar.

Nicht zum erstenmal im Visier

Nicht zum erstenmal stand dieses Altenheim im Zentrum von strafrechtlichen Ermittlungen. Aus dem Jahr 2016 ist ein Fall aktenkundig, wo eine Person erst auf Druck ihres Betreuers in ein Krankenhaus gebracht wurde. Die Gesundheit dieser Person sei dabei bereits so weit beeinträchtigt, dass ein Bein amputiert werden mußte. Das für die Heimaufsicht verantwortliche Landratsamt teilt dazu mit: „Die Heimaufsicht erhielt nach dem genannten Krankenhausaufenthalt von diesem Fall Kenntnis. Die Heimaufsicht hat den Fall nach fachlichem Austausch mit dem Gesundheitsamt an die Kriminalpolizei Künzelsau übergeben.“ Auch in diesem Fall wurde keine Anklage erhoben, denn „das Verfahren wurde eingestellt, da sich ein strafbares Verhalten nicht belegen ließ“, so eine Mitteilung der Polizei. Die betroffene Person wurde nach ihrem Krankenhausaufenthalt in ein anderes Heim verlegt.

Keine Auffälligkeiten festgestellt

Es fanden „sowohl im September 2015 als auch im März 2016 Heimschauen durch die Heimaufsicht statt. Dabei wurden keine Auffälligkeiten und keine Hinweise auf gefährliche Pflege festgestellt“, schreibt das Landratsamt: „Im Hinblick auf das Pflegeheim allgemein hat die Heimaufsicht im März 2016 eine Heimschau durchgeführt. Hinweise auf vergleichbare Vorkommnisse oder sonstige Beanstandungen gab es dabei keine, deshalb wurden keine weiteren Auflagen erteilt.“

Laufende Rechtsstreitigkeiten

Diese beiden strafrechtlichen Fälle sind also juristisch abgeschlossen, allerdings gibt es aktuell weitere laufende Rechtsstreitigkeiten:

GSCHWÄTZ berichtete von einem Anwaltsschreiben im Auftrag der Betreibergesellschaft „Pflegeheim Alte Harmonie GmbH“, in dem deren Anwalt eine Beleidigung im Internet unterstellt und eine strafbewehrte und natürlich kostenpflichtige Unterlassungserklärung fordert. Diese rechtliche Auseinandersetzung ist noch nicht beendet.

Ein weiteres Anwaltsschreiben

Inzwischen hat GSCHWÄTZ Kenntnis von einem weiteren Anwaltsschreiben, welche das Heim versenden hat lassen an einen Ersteller eines kritischen Kommentars in den sozialen Medien über das Heim. Auch in diesem Schreiben geht es um ähnliche Vorwürfe um eine Google-Rezension. Günther Wernig*), der Adressat des Schreibens berichtet GSCHWÄTZ, dass eine Angehörige kurz vor der Schließung wegen Corona in das Pflegeheim aufgenommen wurde. Ein Besuch sei nach der Aufnahme wegen Corona nicht mehr möglich gewesen. Seine Angehörige höre sehr schlecht, daher sei auch ein telefonischer Kontakt kaum möglich gewesen. Er hätte schon erwartet, dass das Heim gerade in einem solchen Fall eine Kommunikation unterstützt hätte. Stattdessen sei ein telefonischer Kontakt mit dem Heim kaum möglich gewesen: Teils seien er selbst oder Familienangehörige brüsk abgewiesen worden, teils sei das Telefon gar nicht abgenommen worden. All das während der Corona-Isolation und einer dazugekommenen weiteren Erkrankung, aufgrund der sich die Familie Sorge um ihre Angehörige gemacht hat. Schließlich sei der alten Frau sogar der Heimvertrag aufgekündigt worden. Auch sie ist inzwischen in einem anderen Heim untergekommen. In seiner Bewertung sieht Günther Wernig keinerlei Schmähkritik, sondern eine Darstellung seiner gemachten Erfahrungen.

Andere Lösung wäre möglicherweise zielführender gewesen

Man muß sich fragen, ob nicht ein direktes Gespräch der Heimleitung mit den Erstellern der kritischen Rezensionen im Internet und der damit verbundenen Bitte, eventuell ehrverletzende Aussagen zu revidieren, sinnvoller gewesen wäre als die direkte Einschaltung eines Anwalts. Wikipedia beschreibt den sogenannten Streisand-Effekt: „Als Streisand-Effekt wird das soziologische Phänomen bezeichnet, wenn der Versuch, eine unliebsame Information zu unterdrücken, das Gegenteil erreicht, indem das ungeschickte Vorgehen eine öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt, die das Interesse an der Verbreitung der Information deutlich steigert.“ Mit GSCHWÄTZ wollte die Heimleitung nicht sprechen.

*) Günther Wernig heißt anders, sein Name ist der Redaktion bekannt.

Text: Matthias Lauterer

 

 




Pflegeheimbetreiber geht juristisch gegen kritische Kommentare im Internet vor

Viel Beachtung bei unseren Lesern fand der Beitrag über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen das Altenheim in Kocherstetten. Der Verdacht: Gespräche von Mitarbeiter:innen im Kocherstettener Altenheim sollen mitgehört worden sein. Auch Videoaufzeichnungen soll es gegeben haben. Die Ermittlungen hierzu laufen. Solange es hierüber kein Urteil gibt, gilt im deutschen Strafrecht zunächste die Unschuldsvermutung gegen den Betreiber.  Der Heilbronner Anwalt der Betreibergesellschaft des Altenheims fordert nun die Löschung von diversen Kommentaren unserer Leser:innen im Internet.

Rechtsanwalt fordert im Namen der Betreibergesellschaft Löschung und Unterlassung

Im Namen der „Pflegeheim Alte Harmonie GmbH“ verlangt er nun die Entfernung einer Bewertung aus der google-Bewertungsplattform und von Kommentaren „von der Internetplattform www.gschwaetz.de“. Außerdem fordert er eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, „um die Wiederholungsgefahr Ihres zuvor beschriebenen rechtswidrigen Verhaltens zu vermeiden“. Falsche Tatsachenbehauptungen sowie beleidigende Äußerungen gegenüber seiner Mandantschaft, der GmbH, wirft er unter anderem einer mutmaßlichen Kommentatorin vor.

GSCHWÄTZ widerspricht

GSCHWÄTZ stellt dazu in eigener Sache fest: Bis zur Veröffentlichung dieses Beitrags war auf der Internetplattform www.gschwaetz.de zu keinem Zeitpunkt ein Kommentar zu dem Beitrag oder allgemein zu dem Altenheim „Alte Harmonie“ veröffentlicht. Insofern kann weder die mutmaßliche Kommentatorin noch GSCHWÄTZ zu einer Löschung von Kommentaren auf der Internetplattform www.gschwaetz.de verpflichtet sein.

Polizeiliche Ermittlungen gehen weiter

Die polizeilichen Ermittlungen im Fall der Bild- und Tonaufnahmen sind noch nicht abgeschlossen. GSCHWÄTZ wird über den Fall weiter berichten.

Text: Matthias Lauterer




Altenheim: Staatsanwaltschaft ermittelt wegen möglichem Lauschangriff auf Mitarbeiter:innen in Kocherstetten

Über die Zustände in einigen Alten- und Pflegeheimen liest man einiges. Oft geht es um Pflegemängel. Auch wir hatten bereits über diverse Mängel in unterschiedlichen Bereichen im Altenheim Krautheim berichtet.Diese wurden dann vom Betreiber, der BBT-Gruppe, in diversen Punkten nach unserer Berichterstattung korrigiert.

In den letzten Monaten wurde  ein Fall in Schliersee überregional bekannt, wo ein Heim mit rund 140 Bewohner:innen wegen erheblicher Pflegemängel geschlossen werden mußte, ein weiteres Heim desselben Anbieters weist, soviel wurde kürzlich bekannt, wohl ganz ähnliche Mängel auf. Auch der Pflegenotstand, die bekannte Personalknappheit im Pflegebereich, die zu erheblicher Anspannung des Personals führt, ist immer wieder Thema. Aktuell ist die Impfpflicht für das Pflegepersonal in aller Munde.

Wenig Harmonie in der Alten Harmonie in Kocherstetten. Foto: GSCHWÄTZ

Privatgespräche aufgenommen

Was aber im Alten- und Pflegeheim „Alte Harmonie“ in Kocherstetten vor sich geht, ist ein ganz anderes Kaliber: Wie es scheint, herrscht dort wenig Harmonie zwischen Heimleitung und Personal. Wie  sonst wäre es zu erklären, dass dort private Gespräche des Personals in internen Räumen, beispielsweise in einem Aufenthalts- beziehungsweise Pausenraum für das Personal, möglicherweise mitgehört oder sogar mittels Video mitgeschnitten wurden?

Polizeiliche Ermittlungen laufen

Aus diesem Grunde laufen dort Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft. Ermittelt wird „gegen die Heimleitung und eine weitere Person wegen des Verdachts der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen“. So teilen es Polizei und Staatsanwaltschaft auf GSCHWÄTZ-Anfrage mit. Weitere Informationen wollen die Behörden momentan noch nicht geben – die Ermittlungen dauern noch an.

Es steht also der Verdacht einer Straftat nach §201a StGB im Raum: Sollte es zu einem Verfahren kommen, spricht dieser Paragraf von „bis zu zwei Jahren Haft oder Geldstrafe“.

Heimleitung will keine Stellungnahme abgeben

GSCHWÄTZ hat versucht, eine Stellungnahme der Heimleitung zu erhalten – und bekam von dort den Ratschlag, sich an die Polizei zu wenden. Auf den Hinweis, dass wir das vorab bereits getan hätten, wurde mit dem Kommentar „Dann reicht’s“ aufgelegt.

Text: Matthias Lauterer