Vor einigen Tagen lag in Hohenloher Briefkästen eine dünne Zeitung, die wie eine Veröffentlichung der Landesregierung aussieht. Das Titelblatt ist in den Landesfarben gelb und schwarz gehalten, geziert wird das dünne Blatt von den drei Löwen des Landes Baden-Württemberg und der Schriftzug des Titels bwjournal erinnert stark an den Schriftzug „bwegt“, der an den Nahverkehrszügen des Landes zu finden ist.
Publikation der AfD-Fraktion im BW-Landtag. Foto: GSCHWÄTZ
Skeptisch wird der politisch interessierte Leser spätestens, wenn er die reißerische Schlagzeile „Energie-Irrsinn“ liest – so würde die Landesregierung sicherlich nicht titeln. Der Urheber ist denn auch nicht die Landesregierung, sondern, so steht es in grau und kleiner Schrift über dem Schriftzug bwjournal: „Informationen Ihrer AfD-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg“. Auf das charakteristische Blau, das die AfD sonst verwendet, wurde komplett verzichtet.
„Etikettenschwindel“
Die Empörung der anderen Fraktionen im Landtag über die Aufmachung der Zeitung ist groß: Der SWR zitiert den baden-württembergische FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und schreibt:
„Die AfD tue in der Aufmachung der Broschüre so, als informiere die Landesregierung, so Rülke gegenüber dem SWR. Damit sei die Neigung der AfD zu Fake-News erneut „eindrucksvoll bewiesen“.
So liest man es beim SWR. SPD-Generalsekretär Sascha Binder spricht gar von „Etikettenschwindel“.
Klar ist, dass die Gestaltung der Wurfsendung kein Zufall ist. Bisher ist nicht bekannt, ob das Land Baden-Württemberg rechtlich prüfen läßt, ob durch die Gestaltung der AfD-Publikation Rechte des Landes verletzt werden.
Auch die Kommentare im Internet sprechen Bände, hier ein zitierfähiges Beispiel:
Screenshot www.reddit.com
Ein Ausdruck der politischen Hilflosigkeit?
Zeitpunkt und Aufmachung der Zeitung könnten ein Zeichen von politischer Hilflosigkeit der AfD sein. Die Partei ist im Innern zerrissen, Parteichef Meuthen ist kürzlich zurückgetreten, der neue Parteichef Chrupalla steht in der Kritik, die Partei ist im Visier des Verfassungsschutzes, fast täglich liest man davon, dass ein Funktionsträger der Partei seine Ämter in Partei oder demokratisch gewählten Organen niederlegt.
Eine echte und konstruktive Oppositionsarbeit findet, das kann man aus den Live-Übertragungen der letzten Bundestagsdebatten schließen, nicht statt.
Das Wichtigste: Der Partei fallen die klassischen Themen weg, mit der sie bisher ihre Kommunikation bestritten hat. Der russische Präsident Putin, den viele Parteimitglieder als Vorbild sehen oder sahen, führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine ud ist daher dem Wähler nicht mehr vermittelbar. Den Flüchtlingen, die aus der Ukraine nach Deutschland kommen, bringt die Bevölkerung eine große Hilfsbereitschaft und Sympathie entgegen.
Auf diese thematische Zerrissenheit deuten auch die im Blatt behandelten Themen hin:
Nachtangelverbot als hervorgehobenes Thema
Die Dauerforderung, Asylbewerbern nur noch Sachleistungen zu gewähren, wird erneut aufgestellt – und natürlich wird dabei wieder einmal zwischen „echten Flüchtlingen“ und „Wirtschaftsmigranten“ unterschieden – ohne darzustellen, wie man diese unterscheiden kann. Fast genausoviel Raum – dazu ist der Beitrag zusätzlich farblich hervorgehoben – wird dem „Kampf“ gegen das Nachtangelverbot gewidmet. „Das gute Schulstart-Gesetz“ wird gefordert – und das, nachdem sich gerade die AfD noch über „das gute KiTa-Gesetz“ der vorherigen Bundesregierung lustig gemacht hatte.
Nachfragen beim Verantwortlichen
Im Impressum der Zeitung ist Dr. Thomas Hartung als Verantwortlicher genannt, der Pressesprecher der AfD-Fraktion und – worauf er besonderen Wert legt: Germanist. GSCHWÄTZ hat ihn nach einigen Details zu dieser Publikation gefragt und er hat prompt reagiert – Antworten gab er jedoch wenige. Dafür ließ er sich – „als Germanist“ – umfangreich über einen Tippfehler in der Anfrage aus.
Keine konkreten Aussagen
Nicht einmal die Auflage mag er nennen: „Es bekamen genauso viele Bürger das bwjournal, wie sie an diesem Tag mindestens eine Postsendung bekommen haben. Das weiß nochmal nicht der einzelne Briefträger geschweige denn jemand anders.“ Auch über Kosten und Finanzierung der Publikation spricht er nicht – dabei besteht diesbezüglich sicherlich ein hohes öffentliches Interesse, sind doch Rechtsfälle bezüglich der recht- oder unrechtmäßigen Finanzierung von AfD-Parteiwerbung anhängig. Wenn er schreibt „Wir kommunizieren diese Kosten des Fraktionsbudgets nicht“, will er wohl aussagen, dass die Publikation komplett aus dem Fraktionsbudget finanziert wurde – was nicht zu beanstanden wäre.
Was und wen will die AfD eigentlich erreichen?
Gegenüber dem SWR hat sich die AfD-Fraktion geäußert:
Offiziell begründet die AfD-Landtagsfraktion die breite Verteilung ihrer Publikation gegenüber dem SWR damit, dass in vielen Medien über deren politische Arbeit wenig bis gar nicht berichtet werde. Der Zeitpunkt erschien aufgrund der „medialen Desinformationskampagne“ angesichts des Kölner Urteils angebracht, so ein Fraktionssprecher. Der Verfassungsschutz darf die AfD laut Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts als rechtsextremistischen Verdachtsfall führen.
[https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/kritik-an-afd-wegen-bw-broschuere-100.html]
Ob allein die Aufmachung der Zeitung nicht auch bereits einer „medialen Desinformationskampagne“ gleichkommt, darüber mag man getrost streiten. Darüber, wen die AfD-Landtagsfraktion mit dieser Postille erreichen will, sagt Hartung nichts. Politisch interessierte und aktive Menschen erkennen allerdings schnell, dass die AfD hier unter falscher Flagge segelt.
Geht es einfach nur um Aufmerksamkeit um jeden Preis?
Unter dem Titel „Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit“ hat der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen im Jahre 2015 bereits die Handlungsweise aktueller Massenmedien zusammengefaßt: „Es werden Themen ausgewählt, die allgemeine Aufmerksamkeit versprechen, und so aufbereitet, dass sie ein möglichst großes Publikum ansprechen.“ Von einer zielgruppenorientierten Aufbereitung spricht er nicht. Tatsächlich entsteht beim Empfänger der Zeitung der Eindruck, dass die AfD-Landtagsfraktion einfach nur auf sich aufmerksam machen will und es ihr gar nicht darauf ankommt, WIE die Aktion von den Menschen wahrgenommen wird, sondern vor allem darauf, DASS sie wahrgenommen wird.
Wenn tatsächlich einzig „Aufmerksamkeit“ das Ziel sein sollte, ist das Ziel – nicht zuletzt auch durch diesen Beitrag – erreicht.
AfD will den Willen der Bürger:innen bewußt übergehen
Dafür spricht, dass Hartung sich mit der Verteilaktion im Namen der AfD ganz bewußt über deutlich geäußerten Willen der Bürger hinwegsetzt, wenn er meint, seine Zeitung soll auch gezielt in den Briefkästen ankommen, an denen „Keine Werbung“ oder ähnliches steht. Er sagt: „Dieses Journal ist mitnichten ökonomische „Werbung“, wie sie fälschlich unterstellen, sondern ein Journal, mit dem die Bürger über die politische Arbeit unserer Parlamentsfraktion informiert werden.“ Auf die Klarstellung, dass von „ökonomischer Werbung“ gar nicht die Rede war, ergänzt er: „Politische Werbung zum Zwecke des Werbens um Wählerstimmen, wenn man überhaupt davon sprechen kann, passiert in den 6 Wochen vor Wahlen; hier gibt es auch entsprechende BGH-Urteile. Ich kann mich auch nicht gegen Grünen- oder SPD-Flyer wehren. Politische Informationen außerhalb von Wahlen dagegen sind keine Werbung, sondern politische Informationen.“ Mit einer ähnlichen Argumentation sind übrigens die Discounter, die sich bezüglich ihrer Prospekte auf „wichtige Produktinformationen“ beriefen, bereits vor Jahren schon gescheitert.
DHL widerspricht
„Der Briefträger ist durch das erfüllende Unternehmen angewiesen, diese Informationen zu verteilen.“ meint Hartung. Eine Aussage, die ein befragter Briefträger nicht bestätigt: „Wenn das passiert ist, dann hat jemand einen Fehler gemacht“. Sonja Radojicic, eine Pressesprecherin von DHL bestätigt das: „Eine selektive Werbeverweigerung bestimmter Sendungen von Unternehmen, Verbänden und politischen Parteien ist grundsätzlich durch Privathaushalte nicht möglich. Privathaushalte in Deutschland können aber über einen Hinweis am Briefkasten „Bitte keine Werbung“ die Zustellung unadressierter Werbesendungen verhindern.“ Und sie wiederholt: „Die Empfänger können die Zustellung durch den „Bitte keine Werbung“-Aufkleber verhindern.“
Text: Matthias Lauterer