Die Lage und die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs im Hohenlohekreis war das zentrale Thema der Kreistagssitzung vom 18. Juli 2022.
Kämmerer Michael Schellmann hatte zu Beginn eine beruhigende Botschaft an die Anwesenden: Alle coronabedingten Einnahmeausfälle der Jahre 2020 bis 2022 werden durch den Rettungsschirm des Bundes aufgefangen, für den Kreis entsteht hier kein Ausgleichsbedarf. Weniger beruhigend sei die Dieselpreis-Situation. Allein für 2022 rechnet Schellmann mit Mehrkosten von rund drei Millionen Euro. Diese können durch Rücklagen des NVH gedeckt werden – aber nur für 2022. Ab 2023 dürften höhere Zuwendungen des Kreises notwendig werden, eine Erhöhung von Landes- oder Bundeszuschüssen ist derzeit nicht in Sicht.
Effekte des 9€-Tickets
Laut Alexander Wolf, Betriebsleiter des NVH, wurden an den Verkaufsstellen des NVH rund 3.400 9€-Tickets verkauft. Erheblich mehr Tickets dürften aber über die Deutsche Bahn verkauft worden sein. Die Mindereinnahmen – beispielsweise werden den Monatskartenabonnenten von Juni bis August nur 9 Euro berechnet und die Monatskarte ist bundesweit als 9€-Ticket gültig – werden vom Corona-Rettungsschirm übernommen. Insofern entsteht dem NVH kein finanzieller Schaden.
Im Gebiet des NVH seinen keine überfüllten Busse festgestellt worden, Kapazitätsengpässe seien nicht aufgetreten. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen Angebotsdichte und Nachfrage“, meint Wolf und stellt fest: „Wo kein Angebot, da keine Nachfrage“. Kapazitätsengpässe gebe es daher vor allem in den Ballungsräumen und auf der Schiene.
Keine Zahlen über Nutzung des 9€-Tickets im NVH
Genaue Zahlen über die Effekte des 9€-Tickets wurden offenbar nicht erhoben, zumindest kann die Pressestelle des NVH damit nicht dienen.

Mit dem 9€-Ticket im NVH-Bus. Foto: GSCHWÄTZ
Preiserhöhung notwendig
Auf Frage von Anton Baron (AfD), ob es nach dem 9€-Ticket zu einer massiven Preiserhöhung kommen müsse, antwortet Landrat Dr. Matthias Neth, dass der NVH noch keinen Vorschlag vorgelegt habe. „Aber zwei bis drei Prozent ist in dieser Realität nicht mehr abbildbar.“ Der Verkehrsverbund Stuttgart plane beispielsweise eine etwa fünfprozentige Steigerung. Zur Frage eines billigen Pauschaltarifs für den ÖPNV meint Neth: „Auf ein marodes System einen Billigtarif setzten, das funktioniert nicht. Aber wie man aus der Nummer wieder rauskommen will … viel Vergnügen“. Catherine Kern (GRÜNE) schiebt die Schuld für das marode System der Politik zu: „Hier wird eine tolle Aktion schlechtgeredet. Man hat in die Bahn nicht investiert – es gibt viel zu tun.“
Verbesserung des Angebots durch Aufhebung der Betriebsruhe
Wolf fordert nicht nur eine Verbesserung des Angebots, sondern präsentiert einen konkreten Vorschlag: Er will die Buslinien, die bisher hauptsächlich den Schülerverkehr bedienen, ausweiten und jeweils ein oder zwei Verbindungspaare auch am Vormittag fahren lassen. Bisher ist auf diesen Linien am Vormittag Betriebsruhe, die Fahrten auf diesen Linien werden erst wieder für den Schülerverkehr am Nachmittag wieder aufgenommen.
Dieses Angebot biete die zuverlässige Möglichkeit für Einkaufs- oder Arztfahrten. Außerdem seien auch die Arbeitszeiten der Berufspendler heute flexibler geworden. Außerdem, so Wolf, sei der Beruf des Busfahrers beim NVH gerade durch die langen Pausenzeiten und die damit verbundenen langen Tagesabwesenheiten sehr unattraktiv. die beauftragten Unternehmen hätten bereits Probleme, Personal zu finden. Und drittens seinen die Pausenzeiten durch den neuen Tarifvertrag WBO, der seit 1.1.2022 in Kraft ist, sehr teuer geworden:
Auszug aus dem Tarifvertrag WBO:
8.2. Mit 100 % des Stundenlohnes werden vergütet:
– Lenkzeiten (Dienst am Steuer)
– Arbeitsunterbrechungen, die unter den gesetzlichen Normen liegen,
– Pausen im ÖPNV, sofern und in dem Umfang wie der Anteil bei über
19 % – ab 01.01.2022, 17 % – ab 01.01.2023, 16 % – ab 01.01.2024, 15 % – ab 01.01.2025, 13 % – ab 01.01.2026
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Längere Standzeiten sind also zu vergüten wie Lenkzeiten, „da können die Fahrer auch produktiv arbeiten“. Das bedeute, so Wolf, dass die Kosten für seinen Vorschlag sich lediglich auf 500.000 Euro jährlich beliefen, im Wesentlichen bedingt durch die Treibstoffkosten. Wolf erklärt, dass die Fahrer täglich 8-9 Stunden arbeiten, aber Schichten von 12-13 Stunden haben – diese Zeiten müssen bezahlt werden.
Nahverkehrsstrategie des Landes
Landrat Dr. Matthias Neth verweist auf die Nahverkehrsstrategie des Landes, die sogar einen Taktverkehr zwischen 5:00 und 24:00 vorschreiben will: „Die Betriebsruhe ist der Punkt, warum der NVH nicht verlässlich ist“, sagt Neth und stimmt Wolf zu: „Dort wo ein gutes Angebot ist, ist auch die Nachfrage groß“.
Düstere Aussichten
Achim Beck (FWV) stellt fest, „dass wir uns in sehr unsicheren Zeiten befinden, wo wir uns kein zusätzliches freiwilliges Angebot leisten können. Es gibt auch ein Bedürfnis nach Liquidität“, meint er und verweist darauf, dass die Gemeinden die höhere Kreisumlage bezahlen müssten.
„Die Regierung hat mit Mobilität geworben, dann soll sie auch bezahlen“, meint Anton Baron (AfD).
Michael Schenk (FDP) kann dem Vorschlag etwas abgewinnen: „“Die Aufhebung der Betriebsruhe ist der richtige Weg, man muss natürlich prüfen, wie das Angebot angenommen wird“. „Das Geld kommt so direkt zum Bürger“, meint er. Dem Nahverkehrskonzept der Landesregierung steht er trotzdem skeptisch gegenüber: „Ein 5:00 bis 24:00 Taktverkehr ist im ländlichen Raum nicht zu finanzieren“.
Unterschiedlichste Argumente Pro und Contra
„Wenn wir Klimabeschlüsse fassen, dann müssen wir diese Betriebsruhe nutzen“, meint Irmgard Kircher-Wieland (SPD). Sie erinnert daran, dass man „damals“ mit Streichbeschlüssen den Nahverkehr fast zerstört habe und fordert Mut: „Wir müssen den Mut haben, falsche Beschlüsse zu revidieren“. Dagegen spricht Rolf Weibler (CDU): „Kein Hahn hat damals gekräht, als wirs zugemacht haben. Kein Bedarf, kein Aufschrei“ und ist ansonsten ganz der Meinung von Anton Baron: „Wenn die Ideologen im Land das wollen, dann sollen sie es bezahlen.“
Catherine Kern (GRÜNE) rechnet damit, dass die steigende Inflation die Menschen dazu bringen dürfte, den ÖPNV zu benutzen, wenn sie sich das Auto vielleicht nicht mehr leisten können. Ohne ein entsprechendes ÖPNV-Angebot haben diese Menschen dann keine Chance auf Mobilität mehr – „und ÖPNV gehört zur Daseinsfürsorge“.
ÖPNV für den Tourismus
Fritz Rehm (SPD) bringt ins Spiel, wie bedeutend der ÖPNV für den Tourismus sein könnte: „Wenn wir den Tourismus aufpäppeln wollen, dann gehört das zum Gesamtkonzept“. Seine Fraktionskollegin Sabine Kübler will dem Vorschlag nicht zustimmen: „Das ist Flickschusterei, es ist ein großes Konzept nötig.
Der NVH betreibt keine Eisenbahn
Der Vorschlag von Thomas Schmidt (AfD), dass man für die Bahn mehr Waggons bestellen solle, belustigte einige Kreisräte: Der NVH betreibt schließlich keine Züge.
Vorschlag abgelehnt
Obwohl Alexander Wolf nochmals betont, dass man wegen der Betriebsruhe bereits einige Abgänge von Fahrern hat, verwirft der Kreistag seinen Vorschlag mit 14 Ja (SPD, Grüne und einige andere) zu 21 (AfD, FW, CDU und FDP überwiegend) Nein Stimmen bei einer Enthaltung.
Text: Matthias Lauterer