Im Juni 2021 berichtete GSCHWÄTZ über drei arbeitsgerichtliche Prozesse, angestrengt von den drei ebm-Papst Mitarbeitern Andy E., Bernd Z. und Carola D.. Damals konnten die Parteien im Gütetermin nicht zu einer gütlichen Einigung kommen, daher fanden am Mittwoch, den 16. September 2021, die so genannten Kammertermine vor dem Arbeitsgericht in Crailsheim statt.
Klage auf Lohnzahlung
Die drei ebm-Beschäftigten klagten auf Lohnzahlung. Sie waren der Meinung, dass ein Passus in einer Betriebsvereinbarung, die sie zu 1,5 Stunden unbezahlter Arbeit pro Woche verpflichtet, nicht rechtens ist und forderten daher die Auszahlung des Entgelts für die Vergangenheit.
„Das kann hohe Wellen schlagen“
Es sei „eine komplexe Fragestellung mit unter anderem weitreichenden Auswirkungen“, fand damals Hauke Hannig, Pressesprecher von ebm-papst. Auch Richterin Anja Nägele-Berkner, die die Güteverhandlungen leitete, hatte diese Auswirkungen angedeutet. Sie warnte, dass unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen, die allerdings noch nicht juristisch geprüft seien, die gesamte Betriebsvereinbarung nichtig sein könnte. „Das kann hohe Wellen schlagen“, sagte sie.
Betriebsvereinbarung wurde nach richterlichem Hinweis noch um 2 Jahre verlängert
Trotz dieses Hinweises der Richterin wurde die Betriebsvereinbarung kurz nach den Güteterminen nochmals um 2 Jahre verlängert. Da eines der Hauptargumente der Kläger war, dass ein solcher Passus nur „vorübergehend“ vereinbart werden kann und mehr als zehn Jahre nicht „vorübergehend“ sein können, erscheint dem außenstehenden Betrachter dies verwunderlich. Denn würden nur die fast 4.000 Mitarbeiter im Jagsttal jeweils 5.000 Euro erstreiten, wäre das ein Aufwand für ebm-papst in Höhe von fast 20 Millionen Euro. ebm-papst geht „nicht davon aus, dass das Bündnis kollektiv für unwirksam erklärt wird“, so Hannig. Aus diesem Grund seien auch bisher keine bilanziellen Rückstellungen eingestellt worden.
ebm-papst geht nicht von Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung aus
Hannig betont auch, dass eine rückwirkende Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung gravierende Auswirkungen auf die Mitarbeiter hätte: „Die Vorteile für die Mitarbeitenden, insbesondere im monetären Bereich überwiegen deutlich, u.a. durch Weihnachtgeld, Jahresprämien, Fahrgeldzulage, Werksbuszuschuss etc. Ein „rückwirkend“ bedeutet auch die Berücksichtigung der geleisteten Sonderzahlungen.“ Dem stünde möglicherweise ein Anspruch der Mitarbeiter auf Vertrauensschutz entgegen, wie Richterin Nägele-Berkner in den Güteterminen in den Saal warf.
Erledigt ist erledigt
Schnell beendet war das Verfahren von Bernd Z.. Er hatte bereits einen Auflösungsvertrag unterschrieben, der eine Erledigungsklausel enthielt. Nach einem rechtlichen Hinweis von Richter Cesare Vanucchi, „eine Erledigungsklausel ist dazu da, dass Sachen erledigt sind“, erklärte Jürgen Kühner, der Anwalt der drei Kläger, die Klagerücknahme in diesem Fall. Bernd Z. hatte nach einer ähnlichen Einschätzung im Gütetermin schon mit diesem Ergebnis gerechnet. Über die Rechtmäßigkeit der unbezahlten Arbeit mußte nicht verhandelt werden.
„Ich habe klar gesagt, dass ich nicht gehen möchte“
Deutlich länger wurde über die Klage von Andy E. verhandelt. Andy E. schilderte seinen betrieblichen Werdegang: Wegen guter Leistung sei er 2017 von einer Leiharbeitsfirma übernommen worden und habe seitdem immer wieder gute Leistungsbeurteilungen erhalten. Er sei jetzt 45 Jahre alt, Familienvater und habe seinen Lebensmittelpunkt aus dem Raum Stuttgart an die Jagst verlegt. Urplötzlich sei ihm ein Auflösungsvertrag angeboten worden, ohne eine sachliche Begründung. „Ich habe klar gesagt, dass ich nicht gehen möchte“, schildert er. Ihm sei dann im August 2020 gekündigt worden. Im Kündigungsschutzverfahren habe ebm-papst diese Kündigung sofort zurückgenommen, da sie der Betriebsvereinbarung „Bündnis für Arbeit“ widerspricht. Er berichtet von Mobbing durch Vorgesetzte, das er als regelrechte Bedrohung empfand. Inzwischen sei er seit einigen Monaten im Krankenstand, seine Psyche ist angeschlagen.
Mobbingvorwürfen wird im Prozess nicht entgegengetreten
Dr. Bernd Dollmann, Anwalt von ebm-papst, ist einer, der Klartext spricht: „Aus unserer Sicht ist eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses der einzige Weg“. Zu groß seien die Spannungen, außerdem habe Andy E. erst kürzlich eine Schwerbehinderung angezeigt. Er berichtet von außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen, man sei aber zu weit auseinander gewesen. Markus Löw, der Personalleiter von ebm-papst, betont noch: „Es gibt bei uns keine Leistungsbeurteilungen, daher kann es auch keine guten Beurteilungen geben“, die Mobbingvorwürfe bleiben unwidersprochen im Raum.
Umfangreicher Vergleich
Nachdem auch Richter Vanucchi der Klägerseite zu einem Vergleich rät, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei einer angemessenen Abfindung und einer Erledigung aller gegenseitigen Ansprüche beinhaltet, zeigen beide Seiten Vergleichsbereitschaft. Mit kleinen Anpassungen und wohl nach Rücksprache mit der Firmenzentrale stimmen beide Seiten dem Vorschlag des Gerichts zu, der sich finanziell ungefähr in der Mitte der vorher festgefahrenen Verhandlungen bewegt.
Andy E. ist erschöpft
Andy E. wirkt nach der Verhandlung erschöpft. Er sagt: „Es ist gut, dass das Thema jetzt abgeschlossen ist. Jetzt muss ich aber erst ein- zweimal darüber schlafen.“
Beklagte ist zufrieden
Hauke Hannig, der Pressesprecher vom ebm-papst, ist mit diesen beiden Ergebnissen zufrieden: „Zunächst freuen wir uns über die erzielte Einigung in einem Fall sowie über die Rücknahme der Klage aufgrund fehlender Grundlage in einem weiteren Fall. Dies zeigt, dass ebm-papst stets für ein faires Angebot steht und eine einvernehmliche Lösung anstrebt.“
Seit mehr als 20 Jahren im Betrieb
Dem dritten Fall, der Klage von Carola D., liegt der identische Sachverhalt zugrunde. Allerdings geht es um deutlich höhere Summen, denn Carola D. arbeitet bereits seit mehr als 20 Jahren bei ebm – und sie ist Betriebsrätin. Wie ihr Kollege E. ist sie seit einigen Monaten arbeitsunfähig, auch sie ist durch die berufliche Situation psychisch stark belastet. In ihrem Fall haben ebenfalls bereits Verhandlungen über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses stattgefunden, auch hier lagen die Vorstellungen weit auseinander, etwa um den Faktor 2.
„unter Androhung von Schikanen“
Carola D. berichtete von einem überraschenden Aufhebungsvertrag, „unter Androhung von Schikanen“ sagt sie aus, und spricht von Mobbing durch Vorgesetzte. Eine Kündigung habe sie allerdings nicht erhalten. „Sie ist ja Betriebsrätin“, wirft der Beklagtenvertreter ein. Genau das war für den Klägeranwalt ein Argument für die hohe Forderung, denn „sie ist ja unkündbar“. „Aber nur für ein Jahr nach der Betriebsratstätigkeit, und die endet ja 2022“ lautet der Einwurf von Dr. Dollmann – das kann man wohl als deutliche Ankündigung einer Kündigung sehen.
Mobbingvorwürfen bereits im Vorfeld widersprochen
Zu den Mobbingvorwürfen erklärt Hannig im Nachgang der Verhandlung: „Ein sehr gutes Miteinander und ein offener Dialog innerhalb der Belegschaft ist uns äußerst wichtig und wir fördern ein gutes Klima der Zusammenarbeit durch eine Vielzahl an Maßnahmen wie z.B. Teamevents, Führungskräftetrainings, Mitarbeitergespräch, Betriebsratssprechstunden, Gesundheitsmanagement inkl. anonymer externer Beratungsdienstleistungen, Mitarbeiterumfragen. Damit verhindern wir mögliche Konflikte bevor sie entstehen. Im Fall der Kläger ging es um eine subjektive Wahrnehmung, die deren Anwalt geäußert hatte.“ Er legt Wert auf die Aussage: „Dieser wurde bereits im Vorfeld der Verhandlungen ganz deutlich und mit fundierten Aussagen widersprochen.“
Anti-Mobbing Massnahmen
Hannig erklärt: „Für das Lösen möglicher Konflikte haben wir einen strukturierten Prozess geschaffen, der aus mehreren Säulen besteht. Sei es die Sprechstunde des Betriebsrates, die Möglichkeit anonyme externe Beratungsdienstleister kostenlos zu kontaktieren, Termine mit unseren Sozialarbeitern, dem Betriebsarzt oder der Personalabteilung durchzuführen.“ Noch nie seien arbeitsrechtliche Massnahmen wegen Mobbings nötig gewesen: „Durch unseren innerbetrieblichen Prozess und den Protagonisten dahinter ist es uns stets gelungen, Konflikte zu lösen und ein gutes Unternehmensklima zu erzielen.“
Kein Vergleich im Termin möglich
Richter Vanucchi bietet wieder an, einen Vergleichsvorschlag zu entwerfen. Allerdings bestand von beiden Seiten kein Wille, wesentlich von den bisherigen Standpunkten aufeinander zuzugehen. „Das macht keinen Sinn mehr“, sagt Jürgen Kühner nach einem Gespräch mit seiner Mandantin. Und Dr. Dollman weist nochmals darauf hin: „Eine Gesamtungültigkeit der Betriebsvereinbarung hätte erhebliche Konsequenzen.“
Richter Vanucchi beschließt die Sitzung und die Kammer, bestehend aus ihm und zwei ehrenamtlichen Richtern, zieht sich zur Beratung zurück. Carola D. verlässt den Saal optimistisch: Sie interpretiert den Richter so, dass ihre Chancen sehr gut stehen.
„Wir haben der Klage stattgegeben“
Am frühen Nachmittag konnte GSCHWÄTZ noch persönlich mit Richter Vanucchi sprechen – die wichtigste Information kommt als allererstes: „Wir haben der Klage stattgegeben“. Das bedeutet für Carola D., dass sie mit einer Lohnnachzahlung von über 6.000 Euro rechnen darf – wenn das Urteil rechtskräftig wird. Die Gründe für diese Entscheidung wird die schriftliche Urteilsbegründung enthalten, die den Parteien noch zugehen wird. Das könnte bereits in den nächsten Tagen der Fall sein, sagt Vanucchi: „Ich habe mich jetzt eine Woche damit beschäftigt. Es ist für mich die kleinste Arbeit, ein Urteil zu schreiben.“
Keine Entscheidung über Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung
Vanucchi legt Wert darauf, dass das Urteil nicht bedeutet, dass damit die Betriebsvereinbarung in Gänze nichtig ist: „Das war gar nicht Gegenstand der Verhandlung. Es gab ja keinen diesbezüglichen Antrag“, sagt er. Er kann sich vorstellen, dass der Fall nicht abgeschlossen ist, denn nach den Aussagen von Dr. Dollmann im Gütetermin ist damit zu rechnen, dass ebm-papst die nächste Instanz anrufen wird. Hannig sieht allerdings auch noch die Möglichkeit einer Einigung: „Da der Weg einer Berufung das Verfahren unnötig in die Länge zieht und beiden Parteien damit keinen Vorteil bietet, hoffen wir weiterhin auf eine Einigung. Gelingt uns dies gemeinsam nicht, wäre der Anruf der nächsten Instanz leider nicht zu umgehen.“
ebm-papst rechnet nicht mit weiteren Klagen
Hannig glaubt nicht, dass das Urteil eine Klagewelle weiterer Mitarbeiter auslösen wird, „da das zwischen Betriebsrat und Unternehmen geschlossene Bündnis für Arbeit mit seinen Inhalten einen klaren Vorteil für die Belegschaft bietet, sowohl monetär als auch für die Arbeitsplatzsicherheit.“
Text: Matthias Lauterer
Sieht aus wie ein Wohnhaus, darin verbirgt sich aber das Arbeitsgericht in Crailsheim. Foto: GSCHWÄTZ
Verhandlungssaal im Crailsheimer Arbeitsgericht. Foto: GSCHWÄTZ Archiv
Wartebereich des Arbeitsgerichts in Crailsheim. Foto: GSCHWÄTZ