Jeder merkt es – die Verbraucherpreise steigen. Energie in allen Formen, Lebensmittel, Gebrauchtwagen – in fast allen Marktsegmenten kennen die Preise nur eine Richtung: nach oben. destatis, das Statistische Bundesamt, bestätigt das in nüchternen Zahlen.
Nüchterne Analyse von destatis
Verbraucherpreisindex (VPI) bis März 2022. Quelle: destatis
Wo die Preise in den letzten Jahren nur sehr langsam stiegen, ist seit einigen Wochen eine starke Steigerung festzustellen. Vor allem die Energiepreise stiegen in den letzten Monaten stark: Im März lagen die Energiekosten um 39,5 Prozent über dem Vorjahr, besonders stark stieg der Preis für leichtes Heizöl (+144,0 Prozent), Kraftstoffe (+47,4 Prozent) und Erdgas (+41,8 Prozent). Feste Brennstoffe (+19,3 Prozent) und Strom (+17,7 Prozent) verteuerten sich ebenfalls deutlich.
Insgesamt steigt der VPI gegenüber dem März 2021 um 7,5 Prozent, Lebensmittel stiegen um 6,3Prozent. Die jüngsten Preiserhöhungen der Discounter sind in diesen Zahlen noch nicht enthalten, da sie erst im April stattfanden.
Die Erzeugerpreise sind mit +30,9 Prozent noch deutlich stärker gestiegen als die Verbraucherpreise, sodass die Verbraucherpreise auch in den nächsten Monaten steigen werden.
Nüchterne Zahlen sagen nichts über die konkrete Belastung der Menschen
Die nüchternen Zahlen sind eines. Was sie für die Menschen bedeuten, ist das andere. Finanzminister Christian Linder spricht verharmlosend von „Wohlstandsverlust“, mit dem wr rechnen müssten.
Den bisherigen Erhöhungen der Preise um 7,5 Prozent innerhalb eines Jahres steht beispielsweise eine Rentenerhöhung zum 1. Juli 2022 von 5,35 Prozent in Westdeutschland gegenüber, der Hartz IV-Regelsatz wurde kürzlich um 3 Euro, das ist weniger als 1 Prozent, erhöht. Auch die tarifvertraglich vereinbarten Lohnerhöhungen, die teilweise über das Jahr 2022 hinaus fixiert sind, gleichen die Preissteigerungen nicht aus.
Geringe Einkommen sind besonders betroffen
Bezieher geringer Einkommen sind von der Preisentwicklung besonders betroffen und haben kaum Möglichkeiten, anderswo zu sparen: Den größten Teil ihres Einkommens verwenden sie für lebensnotwendige Güter wie Energie, Lebensmittel und Kleidung. Eine Verringerung der Sparquote ist für diese Menschen kaum eine Option: Sie sind schon jetzt nicht in der Lage, zu sparen. In einer ähnlichen Lage befinden sich Menschen, die sich beispielsweise für den Kauf einer Wohnung hoch verschuldet haben und ihre Sparquote in die Kreditfinanzierung gesteckt haben. Die Grenze zwischen „Wohlstandsverlust“ und echter Not kann schnell überschritten werden.
Beispiele von Preiserhöhungen
Die Discounter haben im April teils erhebliche Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel durchgeführt, dazu kamen Hamsterkäufe der Verbraucher, die einen Engpass herbeigeführt haben. Bei einem Discounter kann man jetzt einen 1 Liter Sonnenblumenöl, der früher für 1,79 Euro angeboten wurde, für fast fünf Euro kaufen.
Alle Grundnahrungsmittel sind bei den Discountern teurer geworden, Butter, Mehl bis hin zum Bier. Business Insider hat den Test gemacht und bei ALDI eingekauft – vor und nach der angekündigten Preiserhöhung Anfacg April:
„Preistreiber waren hier vor allem drei Artikel: Die Bratwürste waren von 2,79 Euro auf 3,49 Euro teurer geworden. Die Salami von „Meine Metzgerei“ gab es nun nicht mehr für 1,49, sondern für 1,99. Und für die Butter mussten wir nun statt 1,65 über 2 Euro bezahlen – 2,09 Euro, um genau zu sein.“
Auch das Mineralwasser wurde für 25 ct statt 19 ct verkauft.
An den Tankstellen wurde der Diesel in der Spitze um fast einen Euro teurer verkauft als im Jahr 2021: Der Durchschnittspreis lag 2021 bei 139,9 ct/Liter. 2022 wurde der Diesel zeitweise für 235 ct/Liter angeboten. Im Moment schwankt der Dieselpreis in Künzelsau knapp über 200 ct/Liter.
Gründe für die Preisentwicklung
„Neben der Corona-Pandemie wirkt sich nun der Krieg Russlands gegen die Ukraine deutlich auf die Teuerung in Deutschland aus, insbesondere bei Heizöl, Kraftstoffen und Erdgas sowie einzelnen Nahrungsmitteln“, sagt Dr. Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes. Das ist einfach gesagt, die Mechanismen, die zu den Preissprüngen führen, sind komplizierter.
Stau vor Shanghai. Foto: googlemaps
Die Corona-Pandemie wirkt sich an vielen Gliedern der Versorgungskette aus: Einerseits sind produzierende Betriebe in aller Welt von Corona betroffen und können nicht mit normalem Ausstoß produzieren. Das betrifft nicht nur Endprodukte wie zum Beispiel Kraftfahrzeuge oder Elektrogeräte, sondern auch Rohstoffe und Zwischenprodukte – es kommt also auch weniger Material in den Produktionsstätten an. Zusätzlich kommt seit kurzem hinzu, dass der wichtigste Hafen Chinas, Shanghai, im Corona-Lockdown ist, Hunderte von Containerschiffen liegen vor dem Hafen auf Reede und können weder löschen noch beladen werden. Diese Schiffe können keine Waren nach Europa liefern. Eine Verringerung des Angebots bei nahezu gleichbleibender Nachfrage führt zu höheren Preisen.
Hinter den Energiepreisen könnte auch Bereicherung stecken
Die Energiepreise steigen durch die Änderung der Besteuerung zu Beginn des Jahres um wenige Prozentpunkte, die restliche Steigerung ist wohl durch den Ukrainekrieg verursacht. Einerseits kommt weniger Gas aus Russland an, andererseits dürfte es zu einer Nachfrageerhöhung des Militärs in Europa und Amerika gekommen sein. Die Verteuerung der Ölpreise ist meßbar – sie kann aber nicht für die extreme Erhöhung der Preise verantwortlich gemacht werden – viele Marktkenner sprechen von Bereicherung oder Spekulation, auch das Kartellamt untersucht bereits.
Weizenpreisentwicklung. Quelle: Agrarheute
Putins Krieg befeuert die Lebensmittelpreise
Die Ukraine war früher als die Kornkammer der Sowjetunion bekannt, sie ist also ein wichtiger Lieferant von Lebensmitteln für viele Länder der Welt. Getreide, insbesondere Weizen und Mais sowie Sonnenblumenöl sind die wichtigsten landwirtschaftlichen Exportgüter der Ukraine. Die Weizenpreise an den Terminmärkten haben sich seit Januar 2021 bereits verdoppelt.
Dazu exportiert die Ukraine Stahl und seit einigen Jahren auch Komponenten für diverse industrielle Branchen, auch diese Waren werden knapp.
Keine guten Ausichten
Verbraucher in Deutschland können kaum mit einem schnellen Preisrückgang rechnen. Zu viele Glieder der weltweiten Versorgungsketten sind momentan unterbrochen: Der Export aus China ist stark gestört, Industriekomponenten, Chips, preiswerte Elektrogeräte dürften auf längere Zeit deutlich teurer als bisher sein. Dazu kommt die Verteuerung der Frachtkosten – der Transport eines Containers von Shanghai nach Europa war Ende 2021 etwa fünfmal so teuer wie zu Beginn des Jahres 2020. Das betrifft alle, sowohl Industrie als auch Verbraucher.
Vielen in Deutschland produzierenden Unternehmen fällt bei gleichbleibenden Fixkosten der Exportmarkt Russland weg. Vor allem die Brauereien haben sich darüber schon beklagt.
Zwangsläufiger Verzicht als einzige Möglichkeit
Einzige Reaktionsmöglichkeit auf hohe Preise ist der zwangsläufige Verzicht der Verbraucher auf vieles, was nicht der unmittelbaren Lebensführung dient. Unterhaltungsgeräte, Urlaubsreisen oder Statusprodukte wie „Premium“-Marken werden eine sinkende Nachfrage erfahren.
Umstellung auf andere Energieformen nicht kurzfristig möglich
Energiepreise werden hoch bleiben, auch wenn sich die Bedarfe stabilisieren sollten. Die Lieferungen aus Russland werden aus realen und politischen Gründen wohl mittelfristig ganz entfallen. Ein Verzicht auf Energieverbrauch ist für den Einzelnen schwierig, genauso wie ein Umstieg auf andere Energieformen, beispielsweise Solar- oder Windstrom. Die Politik ist uneins, wie Solar- oder Windenergie großflächig erzeugt werden soll, die Speicherung der Energie ist ein weiterer ungeklärter Punkt. Dazu kommt, dass großflächige Solaranlagen mit der Landwirtschaft um Flächen konkurrieren. Wer als Eigenheimbesitzer jetzt über eine Solaranlage nachdenkt, zahlt für die Module schon 30 Prozent mehr als im letzten Jahr – einen Installateur zu finden, ist ebenfalls schwierig. Und ab 1. Mai 2022 müssen alle Neubauten mit einer Solaranlage ausgestattet sein, was den Engpass – und die Preise – weiter erhöhen dürfte. Einige Hersteller können beispielsweise bereits Komponenten für die sogenannten „Balkonsolaranlagen“ nicht mehr liefern.
Auch die Lebensmittelpreise werden mittelfristig nicht nachgeben. Dazu würde es alternative Lebensmittel aus anderen Märkten brauchen – und die Lebensmittelindustrie müsste ihre Produktion umstellen. Aber eine Landwirtschaft kann nicht kurzfristig umgestellt werden, vor allem weil die Aussaat auf der Nordhalbkugel für dieses Jahr bereits erfolgt ist. Was noch kaum jemand sieht: Das Tierfutter für die Fleischproduktion wird zu einem großen Teil importiert, auch der Börsenpreis für Mais und Futtergerste explodiert.
Handlungsmöglichkeiten für Verbraucher
Viele Möglichkeiten hat der Verbraucher nicht, den hohen Preisen zu entgehen. Essen und Trinken einstellen ist keine Alternative, bei der Mobilität kann mancher einsparen – aber nicht jeder. Wer finanziell gut gestellt ist, kann die Anschaffung höherwertiger oder nicht unmittelbar notwendiger Güter verschieben – wer schlecht gestellt ist, denkt über diese Anschaffungen gar nicht mehr nach. Energie einzusparen oder durch nachhaltige und selbst erzeugte Energien zu ersetzen, ist teuer – für eine Solaranlage für ein Einfamilienhaus muss man inzwischen mit 30.000 Euro rechnen. Wenn der Vermieter in energiesparende Maßnahmen investiert, legt er die Kosten auf die Kaltmiete um.
Gesellschaftliche Konsequenzen
Die hohen Preise werden unsere industrielle Struktur verändern. Hochpreisige Güter werden seltener angeschafft werden. Das werden insbesondere die Automobilindustrie, die Unterhaltungselektronikhersteller und die Verbrauchsgüterindustrie zu spüren bekommen. Nachhaltigkeit wird zwangsweise zu einem Thema werden, dem sich die Hersteller und hoffentlich nicht nur deren Marketingabteilungen ernsthaft widmen werden. Arbeitsplätze in der Industrie werden bei geringerem Absatz verlorengehen – das Handwerk könnte sich über qualifizierte Arbeitskräfte freuen. Es ist auch denkbar, dass Industriezweige die Fertigungstiefe in „sicheren“ Ländern, also z.B innerhalb der EU, erhöhen und dadurch Arbeitsplätze entstehen. Oder es werden in Deutschland sogar wieder Industrien aufgebaut, die wir längst verloren glaubten, beispielsweise die Produktion von Kleidung.
Die Landwirtschaft dürfte sich mittelfristig verändern: Weniger Tierproduktion, mehr Produktion von Grundnahrungsmitteln.
Die Preise für Baumaterialien, angefangen beim energieintensiven Zement, steigen kräftig. Das wird viele Häuslebauer, aber auch Projektentwickler dazu bringen, nicht zu bauen. Bereits begonnen Baumaßnahmen werden sich ökonomisch möglicherweise nicht mehr rechnen. Die Wohnungsnot, die heute Investoren und Spekulanten begünstigt, wird sich verschärfen, da noch weniger Wohnungen gebaut werden, wenn niemand mehr eine rentable Miete für diese Neubauten bezahlen kann. Dazu kommt ein Migrationsdruck.
Welle von Hungerflüchtlingen zu erwarten
Ein ernstes Problem wird der Hunger in denjenigen Ländern werden, die ihre Bevölkerung bisher mit importierten Nahrungsmitteln ernähren. Für Europa ist eine Welle von Hungerflüchtlingen zu erwarten.
„In menschlicher Hinsicht sind die Einkommen der Menschen gesunken und die Not gestiegen“
Den Worten von Kristalina Georgieva, der Direktorin des Internationalen Währungsfonds „In wirtschaftlicher Hinsicht ist das Wachstum gesunken und die Inflation gestiegen. In menschlicher Hinsicht sind die Einkommen der Menschen gesunken und die Not gestiegen“, ist kaum etwas hinzuzufügen. Sie redet nicht von „Wohlstandsverlust“, sie nennt es beim Namen: Not.
Diese Entwicklung wird sich mittelfristig fortsetzen.
Text: Matthias Lauterer