„Wir bitten noch einmal eingehend um Verständnis und bedanken uns für die bisher aufgebrachte Geduld und das Verständnis der direkt von der Baumaßnahme betroffenen Einwohnerinnen und Einwohner – aber auch bei allen anderen, die durch die Baumaßnahme doch einige Umstände zu ertragen hatten.“ So zitiert eine Pressemitteilung der Stadt Künzelsau Simone Mitsch, die technische Leiterin der KünWerke. Als solche ist sie verantwortlich für diese Baumaßnahme, aber auch beispielsweise für ganz ähnliche Sanierungsarbeiten in Ohrenbach.
„Umstände“ nennt Mitsch das, was die Anwohner:innen der Sudetenhalde in Künzelsau derzeit erleben müssen. Die reale Situation ist nicht so fluffig, wie es das Wort „Umstände“ erwarten läßt: Die Bauarbeiten zur Straßensanierung verlangen Einiges von den Anwohner:innen ab. Ständig wird die Straße aufgerissen und wieder zugemacht, zwischendurch wird notwendigerweise massiv gerüttelt. Manchmal ist der Sinn der Aktion nicht erkennbar: an einem Dienstag wurde der Graben morgens zugeschüttet und am selben Nachmittag wieder aufgerissen.
Baumaschinen sind nunmal weiträumig zu hören, auch deren Vibrationen sorgen für Belastung der Anwohner:innen – und möglicherweise auch der Bausubstanz. Wenn der Rüttler einmal mehr in der Nähe des Hauses tätig ist, fühlt man sich ungefähr wie in einem ganztägigen MRT. Menschen, die frühmorgens aus der Nachtschicht nach Hause kommen, werden schon vom Lärm empfangen und wissen genau, dass sie auch an diesem Vormittag wieder keinen Schlaf finden werden. Wenn man morgens wegfährt, weiß man nicht, ob und aus welcher Richtung man abends seinen Stellplatz auf dem Grundstück anfahren kann oder ob nicht doch ein Loch im Weg ist oder Baumaterialien und -geräte auf dem Stellplatz stehen.
Ein gutes halbes Jahr gehen diese „Umstände“ nun schon so.
Die Bürger mitnehmen ….
Zu Beginn des Jahres 2022 hat Prof. Dr. Brettschneider in der Stadthalle davon gesprochen, wie derartige Infrastrukturprojekte zu gestalten sind, damit sich die Bürger:innen mitgenommen und beteiligt fühlen. Im GSCHWÄTZ-Interview stellte Brettschneider den Status Quo fest: „Man informiert sie [die Betroffenen, Red.] im Verfahren viel zu spät, dann, wenn gar nichts mehr entschieden werden kann, sondern letztendlich alles schon klar ist.“ Brettschneiders Ansatz: „Und sie [die Verwaltung] legt dann dem Gemeinderat nicht nur eine Variante vor, sondern vielleicht drei. Und diese drei Varianten werden dann auch noch mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutiert.“
… und was daraus geworden ist:
Dieses Projekt ist nun das komplette Gegenbeispiel zu Brettschneiders Ansatz der dialogorientierten Projektdurchführung: Die Bürger wurden nämlich gar nicht „beteiligt“ oder „mitgenommen“: Man hat sie Ende 2021 in die Stadthalle eingeladen und sie über ein komplett durchgeplantes Projekt informiert. Befragt wurden die Bürger vorab überhaupt nicht – ihnen wurde ein Projekt vorgestellt, das bis hin zur Farbgestaltung ein Projekt war, in das sich niemand einbringen konnte. Die Ende 2021 vorgestellte Lösung wurde bereits damals mit verbreitetem Kopfschütteln begleitet.
Auch während der Bauphase sind die Bürger in keiner Weise beteiligt oder mitgenommen worden. Statt die Anwohner:innen spätestens vor dem Baggern zu befragen, ob den Baggerfahrer irgendetwas ungeplantes erwarten könnte, wurden Probleme einfach ans Tageslicht gebaggert. Leitungen aus den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts lagen nicht da, wo man sie erwartet hätte, ehemalige Sickergruben waren plötzlich ein Hindernis. Die Pläne, die den Arbeitern vorliegen, zeigen wohl nicht den realen Stand.
Schon das Ingenieurbüro hat die Bürger nicht einbezogen
Doch schon das planende Ingenieurbüro hat die Anwohner:innen nicht befragt. Die Anwohner waren nämlich nicht verwundert über die Sickergruben, sie wußten, dass diese vorhanden waren. Auch die ein oder andere „wiedergefundene“ Leitung war für die Anwohner keine wirkliche Überraschung. Für die Bürger ergibt sich das Bild, dass bereits das Ingenieurbüro einen vielleicht „schönen“ Plan abgeliefert hat, der an einigen Ecken nur wenig von der Realität beeinflußt war.
Keine gute Kommunikationsstruktur aufgebaut
Einen eindeutigen Ansprechpartner für die Bürger gibt es nicht. Ein Projekt dieser Größenordnung benötigt aber einen eindeutig definierten Kommunikationskanal, der Probleme jederzeit (oder zumindest während der üblichen Geschäftzeiten) kompetent, strukturiert und vor allem: dokumentiert in der Sprache der Betroffenen annimmt und sie intern zur Weiterverarbeitung weiterleitet – und die Lösungsvorschläge (nicht etwa: Die vermeintlich einzige Lösung!) mit den Betroffenen in deren Sprache bespricht (nicht etwa: verkündet!) und die Ergebnisse ebenfalls dokumentiert. Das ist eigentlich Grundvoraussetzung in jedem größeren Projekt, das ist nicht etwa eine Forderung von Prof. Brettschneider.
Der wöchentliche gut gemeinte Jour-Fixe war dieser Kanal jedenfalls nicht. Donnerstags um 08:00 Uhr sind viele Betroffenen bereits bei der Arbeit. Von strukturierter Problemannahme keine Spur. Von Dokumentation übrigens auch nicht. Aber ohne eine entsprechende Dokumentation lassen sich strukturelle Probleme eben nicht identifizieren, nicht einmal die Anzahl der Beschwerden ist im Nachhinein ermittelbar.
Genau dieser Mangel zeichnet übrigens auch das Projekt in Ohrenbach aus: Auf der dortigen Bürgerversammlung wurde festgestellt, dass niemand wirklich sagen konnte, wie viele und welche Beschwerden an wen herangetragen wurden. Stattdessen wurden den Bürgern gleich mehrere Mailadressen angeboten, unter anderem bei der Stadt und bei EnBW – genau der falsche Ansatz und ein fast sicherer Weg, dass derartige Meldungen versickern. Ohrenbacher Bürger hatten frühzeitig diverse Probleme gemeldet – auf einer einberufenen Bürgerversammlung, Wochen nach den ersten Problemmeldungen, zeigte sich die Projektleitung regelrecht hilflos (GSCHWÄTZ berichtete). Inzwischen ist ein Teil des Ohrenbacher Projekts, die Verlegung der Glasfaserleitungen sowie neuer Strom- und Wasserleitungen, gestoppt und muss voraussichtlich teilweise neu begonnen werden, weil die verantwortliche Baufirma diese falsch ausgeführt hat.
Aussagen der Stadtverwaltung widersprechen sich
Die Situation in der Künzelsauer Sudetenhalde ist derzeit so, dass es so gut wie keine Parkmöglichkeiten gibt, die Durchfahrt ist erheblich erschwert. Selbst der Durchgang ist nur schwierig möglich. Egon Erwin Kisch bezeichnete das Prager Straßenpflaster von vor 100 Jahren als nur für Alpinisten geeignet. Der Autor kennt beides, das Straßenpflaster von Prag und die Sudetenhalde: Die Sudetenhalde ist alpinistisch weitaus anspruchsvoller. Vor allem, wenn nachts – wie es derzeit der Fall ist – die Straßenbeleuchtung im hinteren Teil ausgeschaltet ist, ist das Begehen der Straße schlicht gefährlich – Steine, Löcher und Matsch sind die Ursache dafür.
Für Anlieger sei die Straße frei, sagt die Pressemeldung der Stadt vom 18. Oktober 2022. Das widerspricht einer Information, die die Anwohner:innen im Briefkasten fanden: Dort stand, dass die Straße ab dem 17. Oktober 2022 überhaupt nicht befahrbar sei. Ein voraussichtliches Endedatum dieses Zustandes wurde nicht genannt.
Wirklich „frei“ für Anlieger ist die Sudetenhalde nicht. Foto Stadtverwaltung Künzelsau.
Zehn Haushalte von der Kommunikation abgeschnitten
In der Sudetenhalde kommt hinzu, dass einige Haushalte seit gut drei Wochen komplett von Telefon, Internet und Kabelfernsehen abgeschnitten sind. Der Kabelnetzbetreiber Vodafone teilt dazu mit: „Vodafone hat seit dem 28. September 2022 eine lokale Störung in einem sehr kleinen Teil seines Glasfaser-Kabelnetzes innerhalb von 74653 Künzelsau. Bei genau zehn Kunden auf der Straße Sudetenhalde sind TV, Internet und Festnetz-Telefonie vorübergehend nicht verfügbar. Ursache ist ein Anbindungsfehler auf genau dem unterirdischen Kabelstrang, über den diese zehn Kunden an unser Glasfaser-Kabelnetz angeschlossen sind. Zur Behebung dieser Störung muss ein Kabelschaden auf unserer Glasfaser-Zufuhrstrecke beseitigt werden. Zudem muss ein defektes Bauteil ausgebaut und durch ein neues Netzelement ersetzt werden.“ Zur Ursache des Schadens äußert sich Vodafone nur verklausuliert: „Sofern sich der Verursacher des Kabelschadens ermitteln lässt, werden wir natürlich entsprechende Regressforderungen stellen. Das ist ein ganz normales – also alltägliches und nichtöffentliches – Verfahren.“ Das sagt zumindest aus, dass Vodafone nicht von Verschleiß, sondern gezielt von einem „Verursacher“ des Schadens ausgeht. Dass die Bauarbeiten dieser „Verursacher“ sein könnten, liegt nahe. Wir werden es wegen der Nichtöffentlichkeit des Verfahrens wohl nicht erfahren.
Auch die Telekom war bereits mit Reparaturarbeiten an ihren Kabeln im Baustellenbereich beschäftigt.
Vodafone wird die Betroffenen entschädigen
„Wir bitten die zehn betroffenen Kunden bis zum Abschluss der Reparaturarbeiten noch um etwas Geduld und um Entschuldigung für ihre vorübergehenden Unannehmlichkeiten. Uns ist bewusst, dass es hier nicht nur um die technische Wiederherstellung eines Glasfaser-Kabelstrangs geht, sondern um Kunden, die klare Kommunikationsbedürfnisse haben und den Anschluss an das Kabelnetz wünschen und benötigen. (…) Die zehn betroffenen Kunden haben ja bekanntlich Ansprüche auf Ausgleichszahlungen für die Dauer der Störung bei Internet und Telefonie. Diese sind im Telekommunikationsgesetz (TKG) und in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der individuellen Kundenverträge genau festgelegt und können bei unserem Kundenservice geltend gemacht werden.“ Die Ausgleichszahlung dürfte sich, wie bei früheren Störungen auch, auf die Erstattung der Grundgebühr belaufen.
Versprechungen nicht gehalten
Die Anwohner erinnern sich noch gut daran, dass auf der Bürgerversammlung Ende 2021 das Thema Müllentsorgung angesprochen wurde. Sinngemäß wurde damals gesagt, dass man sicher eine Vereinbarung mit der Baufirma finden würde, die Mülltonnen an die Mündung zum Zollstock zu bringen. Davon wussten die Arbeiter allerdings nicht – jetzt zieht mehrmals wöchentlich eine Mülltonnenkarawane aus der Sudetenhalde zum Zollstock. Bei den Straßenverhältnissen ist das erstens ein Lärmbelästigung und zweitens ist es ein Geschicklichkeitsspiel, die vollbeladenen Mülltonnen über 200 Meter oder mehr unfallfrei zu bewegen.
Ein kleines Problem? Das kann man so sehen. Aber es ist ein Problem, an das sich die Menschen lange erinnern werden, länger vielleicht als an einen eventuellen kurzfristigen Stromausfall.
Auch an eine andere Aussage der Bürgerversammlung erinnern sich auch noch viele: Der Anschluß der Frischwasserleitung sollte kostenlos sein, hieß es damals. Offenbar wurde das auch in Ohrenbach genauso kommuniziert. Daher zeigte sich Ortsvorsteher Felix Bittner in der Gemeinderatssitzung vom 18. Oktober 2022 sehr verwundert darüber, dass Ohrenbacher Bürger zwischen 600 Euro und 3.000 Euro zahlen sollen.
Bürgermeister muß geraderücken
Solche Fehlinformationen dürfen nicht vorkommen, wenn die Bürger:innen ihrer Verwaltung vertrauen sollen. Auch an dieser Stelle waren die Projekte offenbar schlecht vorbereitet. Am Ende mußte Bürgermeister Stefan Neumann am 13. Oktober 2022 eingreifen und die betroffenen Bürger:innen über die anzuwendende Satzung belehren. Die Betroffenen, die sich auf die Versprechungen der Verantwortlichen verlassen haben, können nicht zufrieden sein, dass ihnen jetzt, wo viele finanziell zu kämpfen haben, eine ungeplante Rechnung ins Haus flattert.
Leider teilt Stefan Neumann nur die Sachlage mit und bittet die Adressaten nicht um Entschuldigung für mißverständliche oder sogar schlicht fehlerhafte Kommunikation seiner Verwaltung:
Informationsbrief von Künzelsaus Bürgermeister Stefan Neumann.
Doch auch aufgrund dieser Information ergeben sich noch Interpretationsspielräume: Die erste Hauptabsperrarmatur und die Wasseruhr befinden sich nämlich nicht immer direkt hinter der Hauswand. Die Wasseruhr wurde aber sicherlich immer mit Wissen und Genehmigung der städtischen Wasserversorgung dort eingebaut, wo sie sich befindet.
Drei große Bauprojekte – dreimal große Kritik
Bereits der Bau der Regenüberlaufbecken am Kocher wurde von Kritik begleitet. Ein Stadtrat sprach in öffentlicher Sitzung gar von „der liederlichsten Baustelle“, die er je gesehen hätte. In Ohrenbach ist ein regelrechtes Debakel zu verzeichnen, das sicherlich nicht nur der EnBW anzulasten ist, sondern auch der Bauüberwachung der verantwortlichen Stadt Künzelsau. Und in der Sudetenhalde wurde den Anwohnern ein Projekt vorgesetzt, an dem sie nicht vorab beteiligt waren und das auch für die ausführende Baufirma nicht sonderlich gut vorbereitet wurde. Und diese drei Projekte sind kleine Projekte, verglichen mit dem neuen Stadteingang.
Man kann den Anwohner:innen der Sudetenhalde nur wünschen, dass die Arbeiten wirklich so schnell vorangehen, wie es die Pressemitteilung sagt, damit die „Umstände“ bald ein Ende haben.
Kommentar von Matthias Lauterer