„Daraus müssen wir lernen“, sagt ein Kupferzeller Einwohner*, der der Gemeindeverwaltung vorwirft, zu Beginn der Corona-Krise, als Kupferzell zum Hotspot im Hohenlohekreis wurde, nicht transparent genug vorgegangen zu sein. „Eine Informationspolitik war gar nicht gewollt“, glaubt er und: Auch das Landratsamt hätte viel früher reagieren können. „Das Rathaus in Kupferzell hätte viel früher sensibilisieren können, aber nichts ist passiert“, kritisiert er. Dabei hätte man doch alles bereits gewusst. In Norditalien sei es schon rundgegangen und auch Heinsberg sei in den Medien gewesen, als in Kupferzell am 01. März 2020 das verhängnisvolle Kirchenkonzert stattfand, bei dem sich dann so viele Bewohner infizierten.
„Man hat die Menschen sich selbst überlassen“
Bereits am 05. und 06. März 2020 hätte es erste Krankheitsfälle im Ort gegeben, „da hätte man schon reagieren können“. Am 06. März 2020 gab es den ersten Fall in einer Schule, aber niemand sei informiert worden. Die Gemeindeverwaltung habe viel zu langsam agiert, findet er und veranschaulicht das an einem weiteren, ganz praktischen Beispiel: Die Verwaltung habe die Infektionszahlen an das Robert Koch-Institut und das Gesundheitsamt per Fax verschickt, statt auf schnelle Datenübertragung zu setzen. „Das Landratsamt hat komplett versagt“, beklagt er. „Nach zwei Wochen wussten die immer noch nicht, wer alles auf dem Kirchenkonzert war.“ Stattdessen habe man die Menschen sich selbst überlassen. Und dann habe Corona eine Spur der Verwüstung durch den Ort gezogen.
„Es wurde sofort mit entsprechenden Maßnahmen begonnen“
Auf die Vorwürfe des Kupferzellers hin hat GSCHWÄTZ bei Christoph Spieles, Bürgermeister der Gemeinde, nachgehakt und um eine Stellungnahme gebeten. Die Gemeindeverwaltung habe am Sonntag, den 08. März 2020, vom ersten Corona-Fall in Kupferzell erfahren. „Mit Beginn dieser Woche und dem Auftreten des Virus in Kupferzell wurde sofort mit entsprechenden Maßnahmen begonnen“, schreibt der Rathaus-Chef in seiner Antwort-Mail. Das weitere Vorgehen sei besprochen worden und es habe auch einen Krisenstab gegeben.
„Der Krisenstab kam in der Anfangszeit täglich zusammen“
Genau wie Kupferzell war auch Pfedelbach ein Corona-Hotspot im Frühjahr 2020. „Der erste Coronafall wurde der Gemeinde am 08. März 2020 mitgeteilt“, schreibt der Bürgermeister der Gemeinde, Torsten Kunkel, den GSCHWÄTZ ebenfalls nach seinen Erfahrungen befragte. „Die Bevölkerung wurde über die Hohenloher Zeitung informiert.“ Es wurden verschiedene Maßnahmen in die Wege geleitet und ein Krisenstab eingerichtet, der in der Anfangszeit der Pandemie täglich zusammenkam.“ In der momentanen Situation sei das je nach Bedarf der Fall. Auch seien zurzeit in Pfedelbach keine konkreten Maßnahmen geplant. „Diese werden je nach Situation angeordnet und umgesetzt“, so der Rathaus-Chef. „Hygienekonzepte für die verschiedenen öffentlichen Einrichtungen existieren und werden auch angewandt.“
„Man sollte zumindest daraus lernen“
„Zehn bis 15 Skifahrer haben das Virus aus Kühtai mit nach Kupferzell gebracht“, fährt der Kupferzeller fort. „Das kann ja passieren, aber man sollte zumindest daraus lernen.“ Er glaubt, dass diese Personen gutsituiert seien und teilweise in der Öffentlichkeit stehen sowie in allen Gremien sitzen würden. „Deshalb ist das Amtsmissbrauch und diese Leute befangen“, sagt er. Er aber fordere von ihnen Verantwortungsbewusstsein. „Darüber wird aber auch nicht geredet“, beklagt der Familienvater, der im Nachhinein auch von der Aufforderung gehört haben will, „dass niemand mit der Presse reden darf“. Erst nach und nach hätten die Leute im Ort mitbekommen, dass „dieser oder jener erkrankt sei“. Doch offizielle Informationen hätte es nicht gegeben. Er findet, Kupferzell hätte eine Blaupause sein können für Deutschland und die Entscheidungen der Bundesregierung, wenn man nur transparenter vorgegangen wäre.
„Ohne Ärzte standen wir schlecht da“
Ein weiterer seiner Kritikpunkte: Irgendwann seien die Kupferzeller ohne Arzt dagestanden. „Der Arzt in Kupferzell hatte Corona, drei Ärzte in Untermünkheim sowie Neuenstein auch“, erzählt er. „Ohne Ärzte aber standen wir schlecht da.“ Das sei einzigartig gewesen und so etwas wolle er auch nicht mehr erleben. Nur eine Praxis in Braunsbach hätte durchgehalten, aber die hätte sich auch frühzeitig auf alles vorbereitet. „Wir hätten für Kupferzell extra einen Arzt gebraucht“, findet der Mann. Denn die Leute hätten sich zu der Zeit reihenweise angesteckt. „Die Busse, die das RKI nachher für seine Testung mitgebracht hat, hätten wir zu Beginn der Krise als Praxis gebrauchen können“, sagt er. Außerdem hätte man die Ortschaft abriegeln, das THW die Versorgung der Menschen übernehmen müssen. „Aber man wollte ja nicht, dass das rauskommt“, so der Kupferzeller. Außerdem hätte die Gemeindeverwaltung viele Maßnahmen abgelehnt. Eine Quarantänestation sei zum Beispiel nicht gewollt gewesen. „Wir hatten nicht mal einen Krisenstab“, sagt er. Erst am 20. März hätte es eine offizielle Mitteilung gegeben, nachdem es andere Orte bereits vorgemacht hatten. „Aber eine öffentliche Bekanntmachung mit dem Feuerwehrauto im Ort wurde abgelehnt“, erinnert er sich.
„Diese Aussage ist kompletter Unfug“
„Diese Aussage ist kompletter Unfug“, schreibt Christoph Spieles dazu. „Die Gemeindeverwaltung hat keine Quarantänestation abgelehnt. Dies wurde mit dem Landratsamt vorangetrieben und in der Akademie eingerichtet.“ Auch sei die Bevölkerung umgehend und in voller Breite über die Homepage der Gemeinde sowie das Mitteilungsblatt informiert worden. In der ersten möglichen Woche (also ab dem 20. März) sei das Mitteilungsblatt an alle Haushalte kostenlos verteilt worden. Darin hätte es zusätzliche Informationen rund um das Coronavirus, das persönliche Verhalten und Erreichbarkeiten gegeben.
„So viele Todesfälle hätten nicht sein müssen“
Überdies, kritisiert der Kupferzeller Einwohner weiter, seien zu Beginn der Krise seien in Kupferzell nicht gleich ganze Klassen in Quarantäne geschickt worden, sondern nur Infizierte und die jeweiligen Nebensitzer. „In China dagegen hat man ganze Städte abgeriegelt“, vergleicht er. „So viele Todesfälle hätten nicht sein müssen.“ Persönlich kennt er Einige, die an einer Corona-Infektion gestorben sind. Und jetzt gebe es schon wieder Corona-Fälle im Ort. „Aber wir sind hier doch für uns verantwortlich“, findet er. Zurzeit würden ja auch viele junge Menschen ohne Vorerkrankungen sterben. „Es wäre doch interessant zu wissen, wer stirbt“, denkt er. So würden vielleicht auch die Jungen vorsichtiger werden.
„Das hätte noch viel schlimmer sein können“
Dabei hätten die Kupferzeller noch Glück im Unglück gehabt. „Das hätte noch viel schlimmer sein können“, glaubt er. Doch es seien Fehler und Versäumnisse passiert. „Dass man das so einfach im Sande verlaufen lässt“, macht ihn fassungslos. Denn viele Hohenloher hätten darunter gelitten und gerade deshalb und damit sich das nicht wiederholt, sollte alles aufgearbeitet werden, fordert er, vielleicht sogar mithilfe eines Mediators. „Die Armen, Schwachen und Älteren sind gestorben“, sagt er. „Die Verantwortlichen laufen heute wieder rum, als wenn nichts war.“ Doch sonst würden die doch auch immer sagen, was man tun darf.
„Ich gehe keine Kompromisse ein“
Selbst hat der Mann schon früh Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, als er im Januar auf einer Messe vermehrt Asiaten mit Masken gesehen hatte. Ab März sei er besonders vorsichtig geworden bei allen Kontakten. Er und seine Familie hätten auch zu Hause darauf geachtet, Abstand zueinander einzuhalten, und die 78-jährige Oma drei Monate lang nicht mehr besucht. Die Kinder dürften seit Beginn der Krise nicht mehr mit dem Schulbus fahren. Der Mann steht auch voll hinter den Maßnahmen der Bundesregierung und trägt im Freien grundsätzlich eine Maske. „Wir sind in einem Kriegszustand ohne Waffen“, findet. Seit dem Zweiten Weltkrieg hätte es so was nicht mehr gegeben. „Ich gehe hier keine Kompromisse ein, denn ich habe alles miterlebt“, sagt er. „Wir haben keine andere Chancen.“ Er findet, dass man Diskussionen und Lockerungen jetzt nicht zulassen dürfe und auch Demos gegen die Corona-Maßnahmen sind in seinen Augen nicht diskussionswürdig. „Im Krieg sind die Grundrechte auch eingeschränkt worden“, sagt er, weiß aber, dass das in einer Demokratie schwierig ist.
„Das bewusst zu verschleppen ist sträflich“
„Ich habe Angst, dass wir wieder nicht informiert werden“, befürchtet er. Das „bewusst zu verschleppen ist sträflich“. Gerade die älteren Menschen ohne Social Media würden doch nichts mitbekommen. Er glaube, „dass es schon wieder schlimmer ist, als uns gesagt wird“. Seine Zukunftsaussicht ist eher düster: „Es kann noch viel schlimmer kommen mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen“. Auch wenn er nicht damit rechnet, dass so etwas im Ort direkt noch einmal passieren wird – mittlerweile hätten ja zahlreiche Einwohner Antikörper gebildet – so wünscht er sich doch, „dass das alles nicht einfach so vergessen wird“.
„Die Aufarbeitung ist ein laufender Prozess“
Sollte Kupferzell dennoch von einer zweiten Welle getroffen werden, so habe sich die Gemeindeverwaltung laut Bürgermeister Spieles darauf vorbereitet: „Wir haben uns intern besprochen und entsprechende Maßnahmen – je nach Auftreten und Heftigkeit – vorbereitet. Diese werden dann umgesetzt“. Zudem schreibt er: „Die Aufarbeitung ist ein laufender Prozess und hat bereits im März begonnen. Die jeweiligen Erfahrungen fließen dauernd bei Entscheidungen mit ein.“
„Das RKI hat die Kontaktpersonennachverfolgung durch das Landratsamt als gut bewertet“
„Das Landratsamt Hohenlohekreis hat frühzeitig einen Koordinierungsstab Corona, bestehend aus verschiedenen Ämtern und Institutionen, gegründet. Das erste gemeinsame Treffen fand am 26. Februar diesen Jahres statt“, schreibt Matthea Weinstock von der Pressestelle des Landratsamtes Hohenlohekreis auf GSCHWÄTZ-Nachfrage. „In den Sitzungen des Koordinierungsstabs wurden verschiedene Maßnahmen diskutiert und umgesetzt.“ Bei Empfehlungen hätte sich das Gesundheitsamt des Landratsamtes Hohenlohekreis stets an den Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) orientiert. So sei beispielsweise bei der Frage nach der Durchführung von Veranstaltungen die vom RKI am 28.02.2020 veröffentlichte Handlungsempfehlung einbezogen worden. „Bitte beachten Sie, dass das Infektionsgeschehen immer erst nach mehreren Tagen bewertet werden kann, da die Betroffenen sich in der Regel bereits Tage vor Erkennen der Erkrankung infiziert haben und ansteckend gewesen sind“, schreibt die Landratsamtsmitarbeiterin weiter. „Das RKI hat im Rahmen der Studie in Kupferzell insbesondere die Kontaktpersonennachverfolgung der ersten Fälle durch das Landratsamt als gut bewertet.“ Für den Fall von erneut steigenden Infektionszahlen hat das Landratsamt Hohenlohekreis verschiedene Vorbereitungen getroffen – beispielsweise die Neuaufstellung des Gesundheitsamts und der Standby-Betrieb der Abstrichstelle sowie der Isolierstation.
Text: Sonja Bossert
- Der Mann ist der Redaktion namentlich bekannt, möchte aber anonym bleiben.
Christoph Spieles, Bürgermeister von Kuperzell. Foto: GSCHWÄTZ ARCHIV
Thorsten Kunkel (links), Bürgermeister von Pfedelbach. Foto // GSCHWÄTZ/Archiv