Die Tagesschau titelte: „Eine beispiellose Abrechnung“. Das war es tatsächlich. Viele führenden Politiker:innen waren wie vor den Kopf gestoßen, als der US-amerikanische Vizekanzler Salz in Europas und Deutschlands Wunden streute und auf die Fehler und Schwächen der aktuellen Regierung bei der Münchner Sicherheitskonferenz vergangene Woche hinwies.
„Eine beispiellose Abrechnung“
Mit seiner mehr als direkten Rede stärkte Vance die AfD und deren Anhänger ähnlich wie es bereits Elon Musk getan hat, nur etwas subtiler. Die Rede glich einer Ohrfeige für Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck – dabei war sie doch so vorhersehbar. Wer das nicht hören wollte, der hätte Vance nie eine Plattform einräumen sollen.
Denn:
Weder Donald Trump. noch Elon Musk oder J. D. Vance machten in den vergangenen Wochen einen Hehl daraus, dass sie hinter der AfD und deren Flüchtlingskurs stehen. Sie versuchten sie mit ihren Aussagen in die politische Mitte zu rücken, weil sie einen ähnlichen Kurs in Amerika derzeit fahren und schließlich auch nicht als rechtsaussen deklariert werden möchten. Die USA macht Wahlkampf in Europa und versucht den Wahlkampf in Deutschland extrem zu beeinflussen. Man kommt sich beinahe so vor, als wären wir in einem Dritte-Welt-Land und Amerika möchte hier nur wieder für „Ordnung und geregelte Verhältnisse“ mit einer Regierung ihrer Wahl sorgen. So eine Einmischung gab s seit 80 Jahren nicht mehr.
Wie weit ist es eigentlich gekommen, dass sich Vance so etwas anmaßt? Man muss sich das einmal umgekehrt vorstellen – bei dem Wahlkampf in den USA wäre Baerbock hingeflogen und hätte an einer wichtigen Sicherheitskonferenz eine Rede gegen die aktuelle US-amerikanische Regierung gehalten.
Aber: Die deutsche Regierung ist selbst schuld. Sie hatte vermutlich ernsthaft gedacht, Vance werde Europa den Rücken gegen Putin um Ukrainekrieg stärken. Dann ging der Schuss nach hinten los. Aber, wie gesagt, die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die führenden US-Politiker Fans von der AfD sind und dass Vance seine Redeplattform, die ihm – warum auch immer – gegeben wurde, diese Plattform auch nutzte – zur Stärkung des Rechtsaußen-Kurses und damit zur Stärkung der AfD.
In jedem Fall ist dieses Plattform-Geben der deutschen Regierung kurz vor den Bundestagswahlen eben nicht das, was Vance kritisiert, nämlich, dass wir keine Demokratie mehr leben würden, keine freie Meinungsäußerung zulassen, keine anderen politischen Meinungen zulassen würden. Allein diese Rede hat dies ja konterkariert. Aber es war nichtsdestotrotz ein Aufruf an die Wähler:innen, AfD zu wählen. Damit brüskiert er die amtierende Regierung. Laut den aktuellen Umfragen zeigt sich besonders die Linke derzeit gestärkt mit 6 Prozent. Ob dies aber an der Rede Vance liegt, die auch manch einen Wähler abgeschreckt, anstatt für die AfD vereinnahmt hat, bleibt offen.
Was Vance gesagt hat:
Sicherheitspolitik, den Krieg in der Ukraine, das transatlantische Verhältnis – all das streifte Vance nur am Rande. „Die Gefahr, die ich in Europa am größten sehe, ist nicht Russland oder China oder ein anderer externer Akteur.“ Die größte Gefahr liege im Inneren. Es folgt ein fast halbstündiger Vortrag, indem Vance den Europäern ein verkommenes Demokratieverständnis vorwarf.
„Wenn ich mich in Europa umschaue, frage ich mich, was mit den Gewinnern des Kalten Kriegs passiert ist“, so Vance. Er zählt mehrere vermeintliche Beispiele auf: die annullierte Wahl in Rumänien oder Durchsuchungen nach Online-Hass-Kommentaren in Deutschland. In England sei ein Abtreibungsgegner angezeigt worden, nur weil er seine Meinung geäußert habe.
Es folgen Fälle aus Schottland und Schweden, in denen die Meinungs- und/oder Religionsfreiheit eingeschränkt worden sein soll.
Auch die Gastgeber bekommen ihr Fett weg: Dass keine Vertreter von populistischen Parteien – damit dürfte er AfD und BSW gemeint haben – eingeladen sind, könne er nicht nachvollziehen.
An die Politik gerichtet, fordert er die Europäer auf, die Stimmen aus der Bevölkerung mehr wahrzunehmen. „Wenn ihr Angst vor euren eigenen Wählern habt, dann gibt es nichts, was Amerika für euch tun kann.“
Dann widmet er sich dem Thema Einwanderung, „Nichts ist so dringend“, sagt Vance. Er nimmt den Anschlag von München als Beispiel und fragt: „Wie oft müssen wir das noch erleben, bevor wir etwas ändern?“. An dieser Stelle ist auch mal Nicken im Publikum zu sehen.
Die politischen Gegner zu Hause nimmt Vance ebenfalls ins Visier. Die Biden-Regierung hätte versucht, Menschen einzuschüchtern, die beispielsweise behauptet haben, dass das Corona-Virus durch Labor-Unfall in die Welt getragen wurde.
Unter Trump werde jeder seine Meinung kundtun dürfen. „Es gibt einen neuen Sheriff in der Stadt“, ruft Vance. Er versuche es mal mit Humor, kündigt Vance dann an. „Wenn die amerikanische Demokratie zehn Jahre Schimpftiraden von Greta Thunberg überlebt, dann haltet ihr auch ein paar Monate Elon Musk aus.“ Die Lacher halten sich in Grenzen.
Es ist ein Vortrag, den viele nicht so schnell vergessen werden, der auch für die – auf eine lange Geschichte zurückblickende – Münchner Sicherheitskonferenz einmalig ist.