Eltern dürfen weiterführende Schule nicht mehr frei entscheiden
Es ist vollbracht. Die 2012 abgeschaffte verbindliche Grundschulempfehlung ist zurück, etwas modernisiert zwar, quasi in Form einer Grundschulempfehlung 2.4. Das hat die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg entschieden. Aber das Grundproblem ist fortan wieder da, für das Deutschland weltweit berühmt-berüchtigt ist: Die Undurchlässigkeit des Bildungssystems. In kaum einem anderen Land in Europa ist der soziale Aufstieg schwerer. Das Angestelltenkind bleibt angestellt, das Managerkind wird Manager.
Bis 2012 entschied der Lehrer der vieren Klasse weitestgehend allein
Bis 2012 entschied der/die Lehrer in der vierten Klasse weitestgehend allein, zu welcher Schule er/sie dem Kind rät. Diese so genannte Grundschulempfehlung wurde abgeschafft, um ein durchlässigeres Schulsystem zu schaffen. Es gibt seitdem zwar immernoch Empfehlungen seitens der Schule, doch diese sind nicht mehr bindend. Damit könen Eltern und Kinder seitdem selbst entscheiden, auf welche weiterführende Schule es gehen möchte.
Viele Eltern entscheiden anders als die Grundschulempfehlung
Laut einer Studie des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg bezogen auf das Schuljahr 2019/2020 entscheiden viele Eltern anders als die Grundschulempfehlung. Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts war die Hauptschule mit 34 Prozent die meistgewählte Schulart. Im Schuljahr 2019/2020 lag die Quote nur noch bei 23 Prozent – während die Entscheidung für das Gymnasium von 34 Prozent auf 47 Prozent hochschnellte. So entschieden sich 2019/2020 etwa 16 Prozent der Kinder mit einer Realschulempfehlung für das Gymnasium. Die Folgen sind lau dem Statistischen Landesamt deutlich heterogenere Klassen, was es Lehrer:innen nicht einfacher macht, Kinder unterschiedlichster Niveaus zu unterrichten. Am stärksten sind davon laut der Studie des Statistischen Landesamtes davon Realschulen betroffen.
Künftig Leistungstests
Kein Wunder also, dass man nun erwogen hat, die Grundschulempfehlung wieder verbindlicher ausfallen zu lassen. Sie soll künftig aus drei Komponenten bestehen: Lehrerempfehlung, Leistungstest und Elternwunsch. Stimmen zwei davon überein, soll das den Ausschlag geben. Sprich: Wenn ein Kind eine Realschulempfehlung hat, die Eltern sich aber ein Gymnasium wünschen, muss das Kind fortan einen Leistungstest hierfür absolvieren.
Eine verbindliche Empfehlung wäre ein Rückschritt, sagte Joshua Meisel, Vorsitzender des Landesschülerbeirats einer Mitteilung zufolge am Donnerstag in Stuttgart. Dadurch werde die Bildungsgerechtigkeit in Baden-Württemberg eher behindert als gefördert.
Der Druck werde dadurch wieder steigen
In vielen Fällen beruhe die Empfehlung nicht auf dem tatsächlichen Potenzial der Kinder, sondern auf anderen Faktoren, etwa der Herkunft. «Im Grundschulalter ist es nicht gerechtfertigt, Schülerinnen und Schülern eine Richtung vorzugeben, die ihre künftige Schullaufbahn in solch hohem Maße bestimmt», so die Schülervertretung. Sie fürchtet, dass eine verbindliche Grundschulempfehlung Kinder schon in jungen Jahren stark unter Druck setzen werde.
Kretschmann: „Vertrauen Sie den Lehrern!“
Unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) war die verbindliche Grundschulempfehlung vor zwölf Jahren abgeschafft worden. Unlängst erklärte er dazu: «Ich habe schon damals an die Eltern appelliert: Bitte ignorieren Sie die Grundschulempfehlung nicht, vertrauen Sie den Lehrern! Eltern weichen immer wieder vom Lehrervotum ab. Manche glauben, ihre Kinder gehören aufs Gymnasium, auch wenn der Lehrer zur Realschule rät. Diese Form der Selbstermächtigung beunruhigt mich. Klar sollen sich Menschen in einer Demokratie informieren und eine eigene Meinung bilden. Problematisch wird es, wenn sie glauben, dass sie alle gleich Experten sind.»
Der Philologenverband und der Realschullehrerverband fordern seit Jahren, die Wahlfreiheit der Eltern einzuschränken. «Die Freigabe der Grundschulempfehlung 2012 war ein Kardinalfehler in der baden-württembergischen Bildungspolitik, der den Abwärtstrend des schulischen Bildungserfolgs in Baden-Württemberg deutlich verstärkt hat», meint der Philologen-Landesvorsitzende Ralf Scholl.







