07940 | 935 557
 0,00 (0 Gegenstände)

Keine Produkte im Warenkorb.

  • Pflegeheim Alte Harmonie in Kocherstetten. Foto: GSCHWÄTZ

„Die Zeugen wurden auseinandergenommen“

Nachdem am ersten Prozesstag im Verfahren gegen D. und H. wegen tätlichem Angriff auf Polizeibeamte (GSCHWÄTZ berichtete) im Umfeld einer Durchsuchung im Altenheim Alte Harmonie in Kocherstetten noch kein Urteil gefällt werden konnte, war für den 22. Dezember 2022 ein zweiter Verhandlungstag angesetzt. D. humpelt an diesem zweiten Tag deutlich stärker als am ersten Verhandlungstag, benutzt einen Schirm als Gehstock.

Rechtmäßigkeit der Durchsuchung war fraglich

Für die Verteidigerinnen der Angeklagten war die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung fraglich. Eine mündliche Durchsuchungsanordnung, vielleicht noch durch einen Staatsanwalt, ohne dass eine Eilbedürftigkeit vorgelegen hätte – das wäre in der Tat möglicherweise rechtswidrig gewesen. Vor allem, wenn sich die Anordnung nicht gegen die jetzt Angeklagte H. gerichtet hätte.

Doch schon nach den ersten Sätzen der Polizeibeamtin S., die damals den Einsatz leitete, war klar, dass die Durchsuchung vom zuständigen Bereitschaftsrichter angeordnet worden war, und zwar ganz konkret gegen die Angeklagte, deren Auto und deren Wohnung. Dies wurde H., so sagte S. aus, auch „eröffnet. Auch wenn es ein bisschen schwierig war, eine Unterhaltung zu führen.“

Mutter macht Tochter für die Anbringung der Kameras verantwortlich

H.s Mutter hatte laut S. selber ihre Tochter gegenüber der Polizei als Verantwortliche für das Aufhängen der Kameras benannt, so dass S. beim Bereitschaftsrichter konkret um einen Beschluss gegen „die Tochter“ nachgesucht habe. H. „wollte nicht, dass wir durchsuchen, sie wollte nicht glauben, dass durchsucht wird“. S. sprach von „viel Gezeter“ und bescheinigt H, dass sie „recht aufgebracht“ war.  Es sei soweit gegangen, dass S. ein zweites Mal beim Bereitschaftsrichter angerufen habe, damit dieser der H. den Beschluss selber mitteilen sollte. Der habe das aber verweigert, die mündliche Anordnung müsse ausreichen. S. erinnert sich auch noch daran, dass er etwas wie „so ein Affentheater“ gesagt habe.

Selbst Richter können sich nach einem Jahr nicht mehr an alles erinnern

Auch Richter Zanzinger vom Amtsgericht in Schwäbisch-Hall kann sich an diesen zweiten Anruf noch erinnern. „Wenns ein normaler BTM-Fall gewesen wäre, dann täte ich mich schwer, mich zu erinnern“, sagt er. Aber der außergewöhnliche Fall mit den Kameras blieb ihm noch einigermaßen in Erinnerung. Insbesondere kann er sich noch an den zweiten Anruf von S. erinnern und bestätigt damit deren Aussage. Er meint allerdings, etwas wie: „Bitte nicht, die mündliche Anordnung muss reichen“ gesagt zu haben. An einige Details, etwa die genaue Uhrzeit der Anrufe, erinnert er sich nicht. Aber er erinnert sich noch an ein „Hin und Her“ und dass er konkret eine Durchsuchung „der Tochter“ angeordnet habe.

Ping-Pong

Die Verteidigerinnen spielen Ping-Pong mit Zanzinger: Wenn die eine keine Fragen mehr hat, ist der anderen gerade noch eine Frage eingefallen. Immer wieder geht es um das Thema der Eilbedürftigkeit, die eine mündliche Durchsuchungsanordnung rechtfertigen würde. Warum er konkret die Eilbedürftigkeit erkannt habe, weiß Zanzinger nicht mehr, wahrscheinlich weil Daten hätten vernichtet werden können.

Richterin Rührich schließt nach diesem Zeugen die Beweisaufnahme, weitere Beweisanträge werden nicht gestellt.

Staatsanwalt fordert Gefängnisstrafe ohne Bewährung

Staatsanwalt Jakubek sieht die Vorwürfe der Anklageschrift bestätigt. Die Durchsuchung sei durch einen zuständigen Richter erfolgt und damit rechtmäßig gewesen. Er sieht mit der kurzen Absprache an der Türsprechanlage, nur das Handy und den Laptop herzugeben, einen „gemeinsamen Tatplan“, die Durchsuchung zu verhindern: „Der Durchsuchungswille war bekannt“. Daher müßten sich die Angeklagten die Taten – zwei Fälle von tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie zwei Körperverletzungen – gemeinsam zurechnen lassen. Für ihn ist erwiesen, dass D. beide Polizisten angegriffen hat. Und auch H. habe „aktiv gedrückt“.

Vorstrafenregister spricht gegen D.

Gegen D. spreche dessen Vorstrafenregister, für H. spreche, dass sie noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei. Eine Sozialprognose sei für beide Angeklagten nicht zu erstellen, da sie sich nicht eingelassen hätten. Bei D müsse allerdings eine negative Kriminalprognose angenommen werden, seine letzte Verurteilung liegt gerade etwas mehr als ein Jahr zurück.
So fordert Jakubek für D. eine  Haftstrafe von 8 Monaten, die wegen der negativen Kriminalprognose nicht zur Bewährung auszusetzen sei. Für H. fordert er eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen á 70 Euro.

Dagegen fordern beide Verteidigerinnen für ihre Mandanten Freisprüche. Bei H. sei keinerlei strafwürdige Handlung feststellbar, sie habe keine Körperverletzung begangen. „Einfach so“ sei die Streife hingefahren, auf einen Anruf, der Durchsuchungsbeschluß sei nicht rechtens gewesen. Dass der Anruf direkt aus dem Heim gekommen sein könnte und die Polizei eingelassen worden sein könnte, diese Möglichkeit nennt sie nicht.  H.s Verteidigerin sieht „Fehler der Strafverfolgungsbehörden, die zur Ungültigkeit führen“. Außerdem habe ihre Mandantin nicht aktiv eingegriffen, sie habe „nur durch ihr Körpergewicht gedrückt“ – und der Gewaltbegriff sei restriktiv auszulegen.

„Ich will nicht von Unfähigkeit der Beamten sprechen“

Die Verteidigerin von D., Susanne Bauknecht, fährt schweres Geschütz auf: „Wir befinden uns in einem Rechtsstaat“. Außerdem bedient sie sich einmal mehr manipulativer Stilmittel, indem sie beispielsweise den Polizeibeamten E. plötzlich 120 Kilo Körpergewicht im Vergleich zu den 70 Kilo ihres Mandanten haben lässt (E. selber nannte etwas mehr als 100 bei seiner Vernehmung) und bemüht wieder die angeblich unbestechliche Physik. Sie bezweifelt sogar die Aussage der verletzten Beamtin O.: Die Blutungen im Kniebereich müssten, so Bauknecht, bereits früher aufgetreten sein. „Ich will nicht von Unfähigkeit der Beamten sprechen“ ist ein weiterer Versuch, ins Unterbewußtsein vorzudringen. Auch dass E. inzwischen nicht mehr im Polizeidienst sei, sei ja „sein Bier“ – will sie damit etwas andeuten? Übertreibungen wie dass sich die Beamtin „mit Lichtgeschwindigkeit“ bewegt haben müsse, kommen dazu, auch verwischt sie einmal mehr Ereignisse und Abläufe.

Kein letztes Wort der Angeklagten

Die Angeklagten nehmen ihr Recht auf das letzte Wort nicht wahr.

Ein halbes Jahr auf Bewährung

Rund 20 Minuten benötigt Richterin Rührich, um zu ihrem Urteil zu kommen: D. wird zu einer Haftstrafe von 6 Monaten verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Zusätzlich muss er eine Geldstrafe von 2.000 Euro bezahlen, über die sich der DRK-Ortsverband Künzelsau freuen wird und trägt die Kosten des Verfahrens. Zu guter Letzt muss er an Adhäsionskläger E. 50 Euro Schmerzensgeld bezahlen.
H. muss eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 60 Euro bezahlen und die Kosten des Verfahrens tragen. Sie gilt damit nicht als vorbestraft.

Anklageschrift sei im Wesentlichen bestätigt

Im Wesentlichen folgt das Gericht der Anklageschrift. Die Angeklagten hätten verhindert, dass die Polizei in die Wohnung gehen kann. Richterin Rührich ist überzeugt davon, dass D geschubst hat und dass auch die Bagatellverletzung des Beamten E. – ein Kratzer – darauf zurückzuführen ist. Die Zeugenaussagen seien glaubwürdig, auch wenn sie nicht völlig übereinstimmten und die Zeugen am Ende der Vernehmung unsicher waren: „Die Zeugen wurden auseinandergenommen“. Und auch Rührich beruft sich auf die obergerichtliche Rechtsprechung: Eilbedürftigkeit sei gegeben gewesen, die Durchsuchung sei ordnungsgemäß angeordnet gewesen. Die Polizei habe die Eilbedürftigkeit nicht verursacht. Und nochmals nimmt sie Bezug auf Bauknecht: „Bei unserem Rechtstaat, der heute schon mehrfach genannt wurde“, sei es so, dass  einer Maßnahme zuerst einmal Folge zu leisten sei. Danach könne man zu Rechtsmitteln greifen.

Bei der Strafzumessung ist Rührich davon ausgegangen, dass H. „nicht die treibende Kraft“ gewesen sei und bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. 90 Tagessätze seinen angemessen. Obwohl H. sich als Journalistin bezeichnet hat, geht Rührich mit dem Verdienst einer Altenpflegerin aus und bemißt die Höhe des Tagessatzes mit 60 Euro. D. sei „der Motor dieser Tat“. Die letzten Straftaten seien kleinere gewesen: „In letzter Zeit wurden nur noch Geldstrafen verhängt“, weiß Rührich, daher sei eine Strafaussetzung zur Bewährung noch möglich.

Noch nicht rechtskräftig

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Als Rührich die Hinweise zu Berufung und Revision gibt, nicken beide Verteidigerinnen energisch mit dem Kopf. Es scheint wahrscheinlich, dass zumindest D. Berufung einlegen wird, möglicherweise nicht zuletzt, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen:

Weitere Ermittlungen gegen D. offenbar im Gange

Denn dass D. am Ende des vorigen Verhandlungstages zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung abgeholt wurde, läßt vermuten, dass gegen ihn weitere Ermittlungen laufen.

Text: Matthias Lauterer

image_print

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Aktuelle Beiträge